Entscheidungsstichwort (Thema)
Kauf eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Gebrauchtfahrzeugs: (Differenz-)Schadenersatzanspruch unter Berücksichtigung des Erwerbszeitpunkts
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Haftung des Herstellers wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung scheidet in Bezug auf die bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs installierte Prüfstanderkennungssoftware im Hinblick auf den Zeitpunkt eines Kaufvertragsschlusses im April 2016 aus (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, VI ZR 5/20). (Rn. 37)
2. Der Einsatz einer temperatur- und höhenlageabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems, die im Grunde auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb in gleicher Weise funktioniert, ist nicht von vornherein durch Arglist geprägt (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021, VI ZR 433/19). (Rn. 54)
3. Der Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheitert an der fehlenden haftungsbegründenden Kausalität, wenn das im Grundsatz berechtigte Vertrauen eines Käufers, dass die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen und dass außerdem keine ihn einschränkenden Maßnahmen mit Rücksicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen erfolgen können, erschüttert und somit die Grundlage für den Erfahrungssatz. dass er den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte, nicht mehr tragfähig war. (Rn. 75)
Normenkette
BGB §§ 31, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 5
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 11.01.2019; Aktenzeichen 11 O 97/18) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 11. Januar 2019 - 11 O 97/18 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Karlsruhe ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin im Zusammenhang mit dem Kauf eines von dem sog. "Abgasskandal" betroffenen Fahrzeugs.
Die Beklagte stellte unter der Bezeichnung "EA 189" einen Dieselmotor mit der Abgasnorm Euro 5 her, in dessen Motorsteuerung eine zuvor entwickelte Software zur Abgassteuerung installiert wurde. Diese Software verfügt über zwei unterschiedliche Betriebsmodi, welche die Abgasrückführung steuern. In dem im Hinblick auf den Stickoxidausstoß optimierten "Modus 1", der beim Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus automatisch aktiviert wird, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten werden. Bei im normalen Straßenverkehr anzutreffenden Fahrbedingungen ist der partikeloptimierte "Modus 0" aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und damit zu einem höheren Stickoxidausstoß führt.
Der o.g. Dieselmotor wurde in diversen Fahrzeugtypen der Beklagten, wie unter anderem in dem hier in Streit stehenden VW Passat Alltrack 2.0 TDI 4 Motion, sowie in solchen der zum VW-Konzern gehörenden Unternehmen verbaut.
Mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 verfügte das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) gegenüber der Beklagten "zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der [...] Typengenehmigung [...] des Typs EA 189 EU5" die "unzulässigen Abschalteinrichtungen" zu entfernen und drohte damit, andernfalls "die Typengenehmigung ganz oder teilweise zu widerrufen oder zurückzunehmen". Zugleich wurde die Beklagte verpflichtet, den technischen Nachweis zu führen, dass nach Entfernen der als unzulässig eingestuften Abschalteinrichtung alle technischen Anforderungen der relevanten Einzelrechtsakte der Richtlinie 2007/46/EG erfüllt werden.
Bereits zuvor - nämlich am 22. September 2015 - gab die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung sowie eine gleichlautende Presseerklärung heraus, in denen der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde, dass in Konzernfahrzeugen der Beklagten mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 eine Software eingebaut ist, die zu auffälligen Abweichungen der Abgaswerte zwischen dem Prüfstandsbetrieb und dem realen Fahrbetrieb führt. Hierüber wurde in den regionalen und überregionalen Printmedien, in Fernsehen und Rundfunk sowie im Internet ausführlich berichtet.
Mit Pressemitteilung vom 2. Oktober 2015 informierte die Beklagte über die Bereitstellung eines Tools auf ihrer Website, mittels dessen jeder Fahrzeughalter anhand seiner Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) abfragen konnte, ob sein Fahrzeug von der Problematik betroffen ist oder nicht.
Mit Kaufvertrag vom 20. April 2016 erwarb die Klägerin von der R. T. Autohaus GmbH & Co. KG das Fahrzeug des Typs Volkswagen Passat Alltrack 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... als Gebrauchtfahrzeug zu einem Kaufpreis von 33.249 EUR (LGU 2 und Anlage K1). Bei dem Fahrzeug handelte es sich um ein Werksfahrzeug der Beklagten, dessen Voreigentümerin die Beklagte war. Das Fahrzeug wurde über das Händlernetz der Bek...