Leitsatz (amtlich)

Kaufvertrag, Berufung, Sittenwidrigkeit, Rechtsanwaltskosten, Annahmeverzug, Fahrzeug, Kenntnis, Zahlung, Beweislast, Software, Anrechnung, Anspruch, Erstattung, Feststellung, Zug um Zug, erstinstanzliche Entscheidung, Darlegungs- und Beweislast

 

Verfahrensgang

LG Ingolstadt (Urteil vom 30.12.2019; Aktenzeichen 61 O 1043/19)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 30.12.2019, Az. 61 O 1043/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1.1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 23.309,09 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 26.450,70 EUR vom 14.06.2019 bis 01.12.2019, aus 24.879,89 EUR vom 02.12.2019 bis 22.05.2022 und aus 23.309,09 EUR seit 23.05.2022, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Pkws Audi A4 Avant 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer FIN ...942 zu zahlen.

1.2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

1.3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 34%, die Beklagte 66% zu tragen.

2. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 42%, die Beklagte 58% zu tragen.

4. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts Ingolstadt, in der Fassung, die es in Ziffer 1. erhalten hat, sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klagepartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klagepartei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Gründe

I. Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.

Die Klagepartei erwarb am 11.04.2015 zu einem Preis von 34.500 EUR brutto von einem Dritten ein Gebrauchtfahrzeug Audi A 4 2.0 TDI, Erstzulassung 20.11.2013. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor EA189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Beklagte ist die Herstellerin des Pkws. Der Kilometerstand bei Erwerb betrug 38.000 km, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 02.12.2019 99.128 km und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 23.05.2022 122.986 km.

Zur Abgasreinigung wird im streitgegenständlichen Fahrzeug die Abgasrückführung eingesetzt. Das Fahrzeug ist betroffen von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt mit der Begründung "unzulässige Abschalteinrichtung". Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.

Vorgerichtlich forderte die Klagepartei mit anwaltlichem Schreiben vom 13.03.2019 die Kaufpreiserstattung abzüglich einer Nutzungsentschädigung ohne Benennung von Kilometerleistungen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Zahlung der Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung unter Fristsetzung bis zum 27.03.2019.

Mit Klage vom 09.05.2019, bei Gericht eingegangen am selben Tag und der Beklagten zugestellt am 13.06.2019, forderte die Klagepartei zuletzt die Erstattung des vollständigen Kaufpreises nebst Delikts- bzw. Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung von Annahmeverzug der Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeugs und die Verurteilung zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Die Beklagte beruft sich auf Verjährung.

Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.12.2019 teilweise zugesprochen, nämlich verurteilt zur Zahlung in Höhe von 26.450,70 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs bei einer Kostenverteilung von 23% zu Lasten der Klagepartei und 77% zu Lasten der Beklagten. Die Beklagte hafte nach § 826 BGB, weshalb der Kaufvertrag unter Anrechnung von Gebrauchsvorteilen in Form einer Nutzungsentschädigung rückabzuwickeln sei. Der Anspruch sei nicht verjährt. Deliktszinsen könnten nicht zugesprochen werden und ein Annahmeverzug nicht festgestellt werden. Auch die Erstattung von geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten könne nicht zugesprochen werden. Der Anspruch sei erst ab Rechts...

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