Leitsatz (amtlich)
1. Eine generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren nicht beschleunigt durchgeführt worden ist, ist nicht möglich; es ist jeweils eine einzelfallbezogene Betrachtung anzustellen.
2. Das Kindeswohl prägt und begrenzt den Beschleunigungsgrundsatz; Beschleunigung ist kein Selbstzweck.
3. Der Beschleunigungsgrundsatz soll vor allem verhindern, dass sich während des Verfahrens Beziehungsverhältnisse verfestigen, dass eine Entscheidung in der Sache alleine durch Zeitablauf präjudiziert wird.
4. Wegen des dem AG bei seiner Verfahrensführung zukommenden Gestaltungsspielraums ist Gegenstand einer Beschleunigungsbeschwerde gemäß § 155c FamFG nicht die Überprüfung der Richtigkeit der Verfahrensführung des AG, sondern die Beachtung des Vorrang- und Beschleunigungsgebots des § 155 Abs. 1 FamFG durch eine daran ausgerichtete Verfahrensförderung. 5. Hält das AG ein Verfahren nicht für entscheidungsreif und liegen aus Sicht des AG Sachgründe dafür vor, weiter - etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - Amtsaufklärung zu betreiben, ist eine Überprüfung der Entscheidungsreife dem Beschwerdegericht entzogen.
Normenkette
FamFG § 155 Abs. 1, §§ 155b, 155c
Verfahrensgang
AG Freudenstadt (Beschluss vom 10.01.2017; Aktenzeichen 2 F 567/15) |
Tenor
1. Die Beschleunigungsbeschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Freudenstadt vom 10.01.2017, Az. 2 F 567/15, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
3. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.1. Der Kindesvater rügt sowohl in dem hiesigen Verfahren 17 WF 31/17 (Az. des AG 2 F 567/15 - Verfahrensgegenstand: Sorgerecht/Aufenthaltsbestimmungsrecht) als auch in dem mit dem hiesigen Verfahren in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Verfahren 17 WF 30/17 (Az. des AG 2 F 537/15 - Verfahrensgegenstand: Umgangsrecht), dass die bisherige Verfahrensdauer nicht dem Vorrang-und Beschleunigungsgebot gemäß § 155 Abs. 1 FamFG entspreche (Beschleunigungsrüge).
2. a) Der Kindesvater und die Kindesmutter sind die miteinander verheirateten Eltern der Kinder..., geb. am 02.01.2012, und..., geboren am 12.12.2012. Die Eltern haben das gemeinsame Sorgerecht für die beiden Kinder. Die Kinder leben seit der Trennung im Jahr 2015 bei der Kindesmutter.
Der Kindesvater und die Kindesmutter haben nach ihrer Trennung eine Vielzahl hochstreitiger vermögensrechtlicher und nicht vermögensrechtlicher Verfahren vor dem AG Freudenstadt geführt.
In dem - abgeschlossenen - Verfahren 2 F 425/15 schlossen die Eltern in der mündlichen Verhandlung vom 15.09.2015 eine Vereinbarung zu einem Umgang des Kindesvaters mit den beiden Kindern... und... wie folgt:
i an jedem Mittwoch nach dem Vormittagskindergarten bis 19:00 Uhr,
i 14 tägig sowohl am Samstag als auch am Sonntag jeweils von 10:00 Uhr bis 19:00 Uhr (d.h. ohne Übernachtung).
Mit Beschluss vom 26.11.2015 genehmigte das AG Freudenstadt in dem Verfahren 2 F 425/15 die Vereinbarung der Eltern mit gewissen Modifikationen, wodurch bestimmte Örtlichkeiten, an denen das Umgangsrecht ausgeübt werden kann, ausgeschlossen wurden, um einen Kontakt der beiden Kinder mit den Eltern und den Schwestern des Kindesvaters auszuschließen, nachdem seitens der Kindesmutter Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegenüber den Eltern des Kindesvaters und dessen Schwestern erhoben worden waren, weshalb auch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war.
b) Noch parallel zu dem Verfahren 2 F 425/15 hatte die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 14.10.2015 einen Antrag auf Ausschluss des Umgangs des Kindesvaters mit den beiden Kindern beim AG Freudenstadt eingereicht. Das AG leitete hierauf das neue Umgangsverfahren 2 F 537/15 ein.
Aufgrund des mit Schriftsatz vom 20.10.2015 gestellten "Widerantrags" des Kindesvaters auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für beide Kinder legte das AG das neue sorgerechtliche Verfahren 2 F 567/15 an.
Am 22.10.2015 führte das AG in dem Umgangsverfahren 2 F 537/15 eine mündliche Verhandlung mit einer Anhörung der Eltern und des Jugendamts Freudenstadt durch, am 23.11.2015 eine (gemeinsame) Verhandlung in den Verfahren 2 F 537/15 und 2 F 567/15 mit einer Anhörung des Sachverständigen Prof. em. Dr...
Am 23.12.2015 stellte die Kindesmutter in dem sorgerechtlichen Verfahren 2 F 567/15 einen "Widerantrag", wonach ihr das Sorgerecht, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Kinder... und... übertragen werden solle.
An 20.01.2016 erstellte der Sachverständige Prof. em. Dr... in den Verfahren 2 F 537/15 und 2 F 567/15 ein ausführliches schriftliches Gutachten zum Sorgerecht bzw. Aufenthaltsbestimmungsrecht und zum Umgang des Kindesvaters mit den beiden Kindern. Der Sachverständige empfahl, dass die Kinder weiter ihren Aufenthalt bei der Kindesmutter haben sollten und dass weiter ein gemeinsames Sorgerecht bestehen solle. Der Sachverständige empfahl weiter, einen Umgang alle 14 Tage am Freitag nach d...