Leitsatz (amtlich)

1. Zur Verkehrssicherungspflicht des Rohbauunternehmers und des verantwortlichen Bauleiters bei Bodenöffnungen in einer Zwischendecke.

2. Es entlastet den Rohbauunternehmer hinsichtlich seiner eigenen Verkehrssicherungspflicht nicht, wenn der Geschädigte vom Bauherrn zur Durchführung von Verkehrssicherungsmaßnahmen eingesetzt wurde. Dass der Geschädigte zur Absicherung der Gefahrenstelle eingesetzt wurde und daher um die Gefahr wusste, ist nur bei der Gewichtung seines Mitverschuldens zu berücksichtigen.

3. Zur Frage der gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne von § 106 Abs. 3 SGB VII, des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs und des Mitverschuldens.

 

Normenkette

BGB §§ 254, 823; SGB VII § 106

 

Verfahrensgang

LG Rottweil (Urteil vom 28.03.2018; Aktenzeichen 2 O 149/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 28.03.2018, Az. 2 O 149/11, aufgehoben.

2. Die Ansprüche des Klägers auf Zahlung eines Schmerzensgelds, auf Ersatz des ihm bis einschließlich April 2011 entgangenen Verdiensts und auf Ersatz der zur Durchsetzung der Schadensersatzansprüche angefallenen, außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers in Höhe eines Drittels und eines Haftungsausschlusses der Beklagten in Höhe eines Sechstels wegen der Haftungsprivilegierung der Firma G. GmbH & Co.KG gerechtfertigt.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger aus dem Unfallereignis vom ... 11.2008 den bereits entstandenen weiteren materiellen Schaden und den weiteren materiellen und immateriellen Zukunftsschaden jeweils zur Hälfte zu ersetzen, soweit die Ansprüche auf Schadensersatz nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind. Beim immateriellen Zukunftsschaden sind auch die nach Schluss der mündlichen Verhandlung aus ärztlicher Sicht voraussehbaren, aber noch nicht eingetretenen Dauerschäden zu berücksichtigen.

4. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

5. Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über den Betrag der Ansprüche gemäß Ziff. 2 sowie über die Kosten der Berufung an das Landgericht zurückverwiesen.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 7.500 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

___________________________

Streitwert des Berufungsverfahrens: 484.579,16 EUR

 

Gründe

I. 1. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche geltend aus einem Unfall, der sich am ... 11.2008 auf einer Baustelle ereignet hat.

Auf dem Betriebsgelände der Firma G. GmbH & Co.KG (nachfolgend: Fa. G.), der vormaligen Beklagten Ziff. 1, wurde 2008 ein neues Verladegebäude errichtet. Der Beklagte Ziff. 1 war der für die Errichtung der Rohbauarbeiten verantwortliche Bauleiter (Bauleitererklärung Bl. 166 der Strafakte).

Die Rohbauarbeiten führte die Beklagte Ziff. 2 im Zeitraum vom 05.07.2008 bis zum 06.08.2008 durch. Zum Auftragsumfang gehörte auch die Herstellung und Anbringung der Absturzsicherungen im Bereich der Bodenöffnungen in der Zwischendecke, die zum späteren Einbau von Verlademischern dienten.

Nach Fertigstellung des Rohbaus wurden durch Drittfirmen die Fenster und der Treppenaufgang zum Zwischengeschoss eingebaut.

Mindestens fünf Mal fand nach Fertigstellung der Rohbauarbeiten auf dem Zwischengeschoss ein Jour fixe statt, an dem neben weiteren Personen auch der Zeuge E. Ga., der Vater des Klägers und damalige Betriebsleiter der Fa. G., U. G., der heutige Geschäftsführer der Fa. G. und vormalige Beklagte Ziff. 2, und jedenfalls zwei- bis dreimal auch der Beklagte Ziff. 1 teilnahmen.

Der heute 37 Jahre alte Kläger hatte sich im April/Mai 2008 als Metallbaumeister und Schweißfachmann selbständig gemacht und seither immer wieder Aufträge der Fa. G. erhalten, die er auf deren Betriebsgelände erledigte. Am ... .11.2008 war er mit Montagearbeiten am Dach eines in der Nachbarschaft des Verladegebäudes stehenden Silogebäudes beschäftigt. Gegen 16.00/16.30 Uhr half er dann G. H., einem Mitarbeiter der Fa. G., in dem Rohbau auf der Zwischendecke ein Geländer zu montieren. Dabei stürzte er durch eine der jedenfalls am Unfalltag nicht abgesicherten Aussparungen auf den etwa 5 m tiefer liegenden Betonboden im Erdgeschoss und verletzte sich schwer.

Wie hell es zum Unfallzeitpunkt in dem Gebäude war, ist zwischen den Parteien streitig. Ebenfalls ist streitig, ob der Zugang zum Zwischengeschoß durch eine Absperrung an der Treppe versperrt war. Streitig ist schließlich auch der genaue Unfallhergang, insbesondere ob der Kläger zum Unfallzeitpunkt rückwärts (so der Kläger) oder vorwärts (so die Beklagten) lief.

Mit Anwaltsschreiben vom 13.09.2010 forderte der Kläger die Beklagten unter Fristsetzung auf den 04.10.2010 auf, die mit der Klage geltend gemachten Schadenspositionen auszugleichen.

Der Kläger behauptet:

Nach Beendigung der Be...

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