Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines Fahrzeugherstellers bei dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in die Motorsteuerung, hier: BMW X1
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Klägerin, die behauptet, die Parameter für die Abgasrückführungsrate in ihrem Fahrzeug seien auf die Bedingungen des NEFZ abgestellt, was zum Motorschutz technisch nicht erforder-lich sei, und sich auf die Überschreitung der zulässigen Schadstoffgrenzwerte bei Tests, die von dem NEFZ abweichen, beruft, trägt hinreichend substantiiert zu einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor.
2. Damit trägt sie auch substantiiert zu dem Bewusstsein einer sittenwidrigen Handlung bei den Verantwortlichen bei dem Hersteller vor, weil eine solche Motorsteuerung statt des Versuches, einen Ausgleich zwischen der Einhaltung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen und dem Motorschutz zu finden, erklärungsbedürftig wäre.
3. Ein Hersteller, der bewusst die Steuerung eines Motors so programmiert, dass Parameter für die Abgasrückführungsrate auf die Bedingungen des NEFZ abgestellt sind, ohne dass das zum Mo-torschutz erforderlich ist, und das bei der Beantragung der Typengenehmigung verschweigt, kann sittenwidrig handeln.
Normenkette
BGB § 826; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 01.09.2020 mit dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für die Berufung werden nicht erhoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen einer in ihr Fahrzeug eingebauten unzulässigen Abschalteinrichtung.
Die Klägerin kaufte von der Niederlassung der Beklagten in D. am 10.07.2014 einen gebrauchten BMW X1 zu einem Preis von 23.000,00 EUR (Anlagen K 1, K 2, AB). Das Fahrzeug war am 14.04.2011 erstmals zugelassen worden. Es ist mit einem Dieselmotor N 47 ausgestattet. Es ist in die Schadstoffklasse EU 5 eingestuft.
In dem Motor wird der Stickoxidausstoß über eine Abgasrückführung minimiert. Dabei werden Abgase in den Verbrennungsraum zurückgeführt, was zu einer Abkühlung des Verbrennungsprozesses und dadurch zu einer verringerten Bildung von Stickoxiden führt. Andererseits steigt dadurch die Bildung von Rußpartikeln und es kann zu Ablagerungen im Motor kommen. Die Abgasrückführung wird über ein sogenanntes Thermofenster reguliert, d. h. abhängig u. a. von den Außentemperaturen verändert sich die Rate der Abgasrückführung.
Mit Schreiben vom 22.02.2019 (Anlage K 3, AB) erklärte die Klägerin die Anfechtung des Kaufvertrages, verlangte Schadensersatz und erklärte den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Die Klägerin hat behauptet, sie habe ein umweltfreundliches und sparsames Fahrzeug kaufen wollen. Sie hätte das Fahrzeug in Kenntnis der Verschlechterung der Stickoxidwerte im realen Straßenbetrieb gegenüber dem Prüfstandbetrieb nicht gekauft.
Die Motorsteuerung verfüge über eine Testerkennung und optimiere den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. In zahlreichen Messungen an mit ihrem Fahrzeug vergleichbaren Fahrzeugen würden bei Abweichungen vom NEFZ die Grenzwerte überschritten. Die Abgasrückführungsrate werde ab 2.900 U/min reduziert und ab 3.300 U/min. abgeschaltet. Sie werde ab einem Drehmoment von mehr als 200 Nm reduziert, der außerhalb des Prüfstands schnell erreicht werde. Die Abgasrückführung sei bei Temperaturen zwischen 17° C und 33° C, angelehnt an die auf dem Prüfstand herrschenden Temperaturen zwischen 20° C und 30° C vollständig aktiv. Sie werde unterhalb von 17° C reduziert und unter -11° C und über 33° C abgeschaltet. Das sei zum Motorschutz nicht notwendig. Die Beklagte habe bei dem Antrag auf Typengenehmigung gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt keine konkreten Angaben darüber gemacht.
Der Vorstand der Beklagten müsse Kenntnis von dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt haben. Es handele sich um eine weitreichende Entscheidung, die nicht eine Person allein treffen könne. Die Entwicklung des Motors und der Schadstoffausstoß seien bei der Entwicklung eines Fahrzeugs wesentlich.
Die Klägerin hat die Zahlung von 23.000,00 EUR nebst Zinsen und die Freistellung von Rechtsanwaltskosten begehrt. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
Die Beklagte hat behauptet, die von der Klägerin aufgeführten Messungen zeigten keine auffälligen Überschreitungen des Grenzwerts und seien ansonsten vom Kraftfahrt-Bundesamt widerlegt. Die Reduzierung der Abgasrückführungsrate bei verschiedenen Temperaturen und Motorbelastungen sei erforderlich, um Schäden des Motors durch Ablagerungen vorzubeugen. Auch auf dem Prüfstand würden bei bestimmten Betriebszuständen die Grenzwerte überschritten, gemessen werde der Durchschnitt. Die von der Klägerin genannten Werte beträfen die Motoren anderer Hersteller. Dem Kraftfahrt-Bundesamt sei die Funktionsweise detailliert bekannt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat zur B...