Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines Fahrzeugherstellers bei Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in die Motorsteuerung
Leitsatz (amtlich)
Ein Kläger, der behauptet, die Parameter für die Abgasrückführungsrate in seinem Fahrzeug seien auf die Bedingungen des NEFZ abgestellt, was zum Motorschutz technisch nicht erforderlich sei, und sich auf Rückrufe durch das Kraftfahrt-Bundesamt für sein Fahrzeug und Fahrzeuge mit vergleichbaren Motoren beruft, trägt hinreichend substantiiert zu einer unzulässigen Abschalt-einrichtung vor.
Damit trägt er auch substantiiert zu dem Bewusstsein einer sittenwidrigen Handlung bei den Verantwortlichen bei dem Hersteller vor, weil eine solche Motorsteuerung statt des Versuches, einen Ausgleich zwischen der Einhaltung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen und dem Motorschutz zu finden, erklärungsbedürftig wäre.
Ein Hersteller, der bewusst die Steuerung eines Motors so programmiert, dass Parameter für die Abgasrückführungsrate auf die Bedingungen des NEFZ abgestellt sind, ohne dass das zum Motorschutz erforderlich ist, und das bei der Beantragung der Typengenehmigung verschweigt, kann sittenwidrig handeln.
Normenkette
BGB § 826; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 11.08.2020 mit dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für die Berufung werden nicht erhoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen einer in sein Fahrzeug eingebauten unzulässigen Abschalteinrichtung.
Der Kläger kaufte von der GmbH am 27.07.2015 einen gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI zu einem Preis von 39.900,00 EUR (Anlage K 1, AB). Das Fahrzeug ist mit einem Motor OM 651 ausgestattet. Es ist in die Schadstoffklasse EU 5 eingestuft.
In dem Motor wird der Stickoxidausstoß über eine Abgasrückführung minimiert. Dabei werden Abgase in den Verbrennungsraum zurückgeführt, was zu einer Abkühlung des Verbrennungsprozesses und dadurch zu einer verringerten Bildung von Stickoxiden führt. Andererseits steigt dadurch die Bildung von Rußpartikeln und es kann zu Ablagerungen im Motor kommen. Die Abgasrückführung wird über ein sogenanntes Thermofenster reguliert, d. h. abhängig u. a. von den Außentemperaturen verändert sich die Rate der Abgasrückführung.
Das Fahrzeug des Klägers war von einem Rückruf betroffen. Der Bescheid des Kraftfahr-Bundesamts ist nicht bestandskräftig.
Der Kläger hat behauptet, er habe ein umweltfreundliches und sparsames Fahrzeug kaufen wollen. Er hätte das Fahrzeug in Kenntnis der Verschlechterung der Stickoxidwerte im realen Straßenbetrieb gegenüber dem Prüfstandbetrieb nicht gekauft.
Die Motorsteuerung optimiere den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Abgasrückführungsrate werde unterhalb von 10° C bzw. 17° C reduziert. Die Abgasrückführung funktioniere außerhalb des Labors nicht. Ein begrenztes Temperaturfenster, in dem die Abgasreinigung gegenüber vergleichbaren Zuständen intensiviert werde, sei durch technische Erfordernisse nicht plausibel erklärbar. Das Thermofenster sei auf die Prüfbedingungen des NEFZ zugeschnitten. Auf einem Prüfstand herrsche eine Temperatur von 25° C bis 30° C. Die Beklagte habe die Funktion des Thermofensters bei dem Antrag auf Typengenehmigung ggf. nicht hinreichend dokumentiert.
Der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis von dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt. Die Entwicklung des Motors und der Motorsteuerung sei bei der Entwicklung eines Fahrzeugs wesentlich.
Der Kläger hat die Zahlung von 37.538,32 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzuges und die Erstattung von Rechtsanwaltskosten begehrt. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
Die Beklagte hat behauptet, die Reduzierung der Abgasrückführung erfolge bei kalten Temperaturen, um einer Versottung und Verlackung von Motorbauteilen vorzubeugen. Bei warmen Temperaturen sinke die Luftdichte und der Sauerstoffgehalt, wodurch es bei unveränderter Abgasrückführung zu einer erhöhten Partikelbildung komme. Zudem drohe die Gefahr der Überhitzung des Motors. Die Abgasrückführung werde nie ganz ausgeschaltet.
Dem Kraftfahrt-Bundesamt sei bekannt, dass eine temperaturabhängige Steuerung vorliege. Es handele sich um Industriestandard.
Die Annahme der Kenntnis des Vorstands von Einzelheiten der Motorsteuerung sei angesichts der Vielzahl der Parameter nicht realistisch.
Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der näheren Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch aus § 826 BGB zu. Er habe die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht schlüssig dargelegt.
Der Kläger habe das Vorliegen einer Abschalteinrichtung nicht hinreich...