Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines Fahrzeugherstellers (hier: Daimler Benz) für verbotene Abschalteinrichtungen in einer Motorsteuerung
Normenkette
BGB § 254 Abs. 2, § 826; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 29.10.2019 mit dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für die Berufung werden nicht erhoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger verlangt die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Kraftfahrzeug und Schadensersatz wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
Der Kläger kaufte von der ... GmbH am 23.03.2015 einen gebrauchten Mercedes-Benz C 300 CDI zu einem Preis von 35.490,00 EUR (Anlage K 1, AB). Das Fahrzeug war am 09.09.2011 erstmals zugelassen worden. Es wies beim Kauf einen Kilometerstand von 49.120 km auf. Das Fahrzeug ist mit einem Motor OM 642 ausgestattet. Es ist in die Schadstoffklasse EU 5 eingestuft.
In dem Motor wird der Stickoxidausstoß über eine Abgasrückführung minimiert. Dabei werden Abgase in den Verbrennungsraum zurückgeführt, was zu einer Abkühlung des Verbrennungsprozesses und dadurch zu einer verringerten Bildung von Stickoxiden führt. Andererseits steigt dadurch die Bildung von Rußpartikeln. Die Abgasrückführung wird über ein sogenanntes Thermofenster reguliert, d. h. abhängig u. a. von den Außentemperaturen verändert sich die Rate der Abgasrückführung. Das Fahrzeug verfügt nicht über einen SCR-Katalysator.
Das Fahrzeug des Klägers ist nicht von einem Rückruf betroffen. Die Beklagte bietet eine freiwillige Kundendienstmaßnahme an, durch die die Stickoxidemission im realen Fahrbetrieb reduziert werden soll.
Der Kläger hat behauptet, er habe ein langlebiges Fahrzeug kaufen wollen. Er hätte das Fahrzeug in Kenntnis der Verschlechterung der Stickoxidwerte im realen Straßenbetrieb gegenüber dem Prüfstandbetrieb nicht gekauft.
In der Motorsteuerung seien Abschalteinrichtungen enthalten. So verlasse der Motor durch die Abschalteinrichtung "Bit 15" nach 26 km den sauberen Modus. Das stehe im Zusammenhang mit der AdBlue-Einspritzung. Durch die Abschalteinrichtung "Slipguard" werde der Prüfstandbetrieb über die Geschwindigkeit und die Beschleunigung erkannt. Nur dann komme es zu einer umfänglichen Abgasreinigung. Das betreffe u. a. die Rate der Abgasrückführung. Die Veränderung der Abgasrückführungsrate durch das Thermofenster gehe über das hinaus, was zum Schutz des Motors notwendig sei. Die Rate werde außerhalb von 20 - 25 °C reduziert. Ab 0 °C werde die Abgasrückführung ausgeschaltet. Auf einem Prüfstand herrsche eine Temperatur von ca. 25 °C. Die Beklagte habe die Funktion des Thermofensters bei dem Antrag auf Typengenehmigung nicht hinreichend dokumentiert. Sie habe in dem Bewusstsein, dass sie zum Motorschutz nicht erforderlich sei, die Rücknahme der Typengenehmigung in Kauf genommen.
Bei der Kundendienstmaßnahme würden Abschalteinrichtungen, die vom Kraftfahrtbundesamt noch nicht entdeckt worden seien, gelöscht.
Der Vorstand sei in den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen eingeweiht gewesen. Im Vorstand sei darüber gesprochen worden. Jedenfalls der Entwicklungsvorstand habe Kenntnis gehabt. Er habe Angaben zu den Intervallen der Nachfüllung von AdBlue gemacht, die er ohne diese Kenntnis nicht habe machen können. Das Ziel der Entwicklung des Motors sei ein sauberer Diesel gewesen. Dabei sie die Stickstoffemission die Herausforderung gewesen, die Technik BLUETEC habe die Lösung sein sollen.
Der Kläger hat die Zahlung von 26.034,66 EUR nebst Zinsen abzgl. einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzuges, die Freistellung von Rechtsanwaltskosten und die Feststellung begehrt, dass die Beklagte auch weitere Schäden zu ersetzen habe. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
Die Beklagte hat behauptet, die Abschalteinrichtung "Bit 15" werde nur für die USA behauptet.
Die Reduzierung der Abgasrückführung erfolge, um einer Versottung und Verlackung von Motorbauteilen vorzubeugen. Es handele sich um Industriestandard. Vor Erteilung der Typengenehmigung habe sie das Kraftfahrtbundesamt darauf hingewiesen, dass die Abgasrückführungsrate temperaturabhängig sei. Das Thermofenster sei den Behörden bekannt.
Die freiwillige Kundendienstmaßnahme habe die Beklagte bei dem Dieselgipfel der Bundesregierung im Jahr 2107 angekündigt.
Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der näheren Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe kein Deliktsanspruch zu. Ein solcher Anspruch setze eine Manipulation der Motorsteuerung voraus, von der nicht auszugehen sei. Der Kläger habe eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht hi...