Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtzeitigkeit des Vorbringens von Einwendungen und Beweismitteln in der mündlichen Verhandlung § 282 Abs. 1 ZPO. Fehlende Ersetzungsbefugnis des OLG von angewandten und fehlerhaften Begründungen und Vorschriften der Vorinstanz
Leitsatz (amtlich)
a) Zu den Voraussetzungen des § 282 Abs. 1 ZPO (im Anschluss an: BGH, Urt. v. 1.4.1992 - VIII ZR 86/91, MDR 1992, 608 = NJW 1992, 1995).
b) Das im Rechtszug übergeordnete Gericht kann die fehlerhafte Begründung der Verspätung nicht durch eine andere ersetzen oder die Zurückweisung auf eine andere als die von der Vorinstanz angewandte Vorschrift stützen (im Anschluss an: BGH, Urt. v. 13.12.1989 - VIII ZR 204/82, MDR 1990, 539 = NJW 1990, 1302 [1304]).
Normenkette
ZPO § 282 Abs. 1-2, § 296 Abs. 2, § 528 Abs. 3 a.F.
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 19.12.2002; Aktenzeichen 10 U 192/01) |
LG Mönchengladbach |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des OLG Düsseldorf v. 19.12.2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das OLG zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger macht als Zwangsverwalter Nebenkosten aus einem Pachtvertrag geltend.
Mit Vertrag v. 19.8.1997 mietete die Beklagte von dem Institutszwangsverwalter S. Büroräume sowie Lagerflächen. § 4 Nr. 3 des Mietvertrages lautet:
"Folgende Nebenkosten werden neben der Grundmiete umgelegt:
a) Die Betriebskosten i.S.d. Anlage 3 zu § 27 Abs. 1 der Zweiten Berechnungsverordnung ..."
Mit Beschluss v. 13.11.1997 ordnete das AG Mönchengladbach die Zwangsverwaltung über das Grundstück an und bestellte den Kläger zum Zwangsverwalter. Dieser machte für die Jahre 1998 und 1999 ggü. der Beklagten Nebenkosten i.H.v. 358.731,86 DM geltend.
Die Beklagte hat Stromkosten i.H.v. 58.604,86 DM nebst Zinsen anerkannt. Darauf hat das LG am 18.4.2001 im schriftlichen Verfahren ein Teilanerkenntnisurteil in dieser Höhe erlassen und Termin zur mündlichen Verhandlung über die Restforderung auf den 8.8.2001 bestimmt. Mit seinem am 7.8.2001 um 21.58 Uhr per Telefax übermittelten Schriftsatz hat der Kläger erstmals auf den Klageerwiderungsschriftsatz v. 11.4.2001 erwidert. Er hat die Behauptung der Beklagten, es sei eine Einigung dahin erfolgt, dass die Beklagte lediglich die Nebenkosten für Gas und Strom zu tragen habe, bestritten. Das LG hat den Vortrag des Klägers gem. § 296 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 282 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen und die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich der Kläger mit der vom Senat zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das OLG.
1. Das OLG hat ausgeführt, mit dem LG sei davon auszugehen, dass die Beklagte für die streitgegenständlichen Abrechnungsperioden 1998 und 1999 außer den in § 23 des Mietvertrages aufgeführten Nebenkosten keine weiteren Nebenkosten zu tragen habe. Die Beklagte habe nämlich mit Schriftsatz v. 11.4.2001 schlüssig dargelegt, dass zwischen den seinerzeitigen Verhandlungspartnern bei Abschluss des Mietvertrages ausdrücklich vereinbart worden sei, die Beklagte habe über die Kosten für Strom und Gas keine weiteren Nebenkosten zu tragen. Mit dem LG sei davon auszugehen, dass dieses Vorbringen gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden und unstreitig anzusehen sei, weil der Kläger die behauptete abweichende Nebenkostenvereinbarung nicht wirksam bestritten habe. Soweit der Kläger dem Vorbringen der Beklagten erstmals mit seinem per Telefax am 7.8.2001 um 21.58 Uhr eingegangenen und der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8.8.2001 überreichten Schriftsatz v. 7.8.2001 entgegengetreten sei, habe das LG das darin enthaltene Vorbringen zu Recht gem. § 296 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 282 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen. Hieran sei der Senat gem. § 528 Abs. 3 ZPO a.F. gebunden. Nach § 296 Abs. 2 ZPO könnten Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt worden seien, zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und wenn die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruhe. Der Kläger habe den Schriftsatz v. 7.8.2001 unter Verstoß gegen seine Prozessförderungspflicht aus § 282 Abs. 1 ZPO verspätet eingereicht. Eine Partei habe nach § 282 Abs. 1 ZPO in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel so rechtzeitig vorzubringen, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspreche. Mit Recht habe das LG ausgeführt, dass der Kläger gegen diese Prozessförderungspflicht verstoßen habe. Die Klageerwiderung sei den Prozessbevollmächtigten des Klägers zusammen mit dem Teilanerkenntnisurteil und der mit Verfügung des Vorsitzenden v. 18.4.2001 gesetzten Replikfrist (ein Monat nach Zugang) am 30.4.2001 zugestellt worden. Nach Fristablauf habe das LG am 31.5.2001 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 8.8.2001 anberaumt. Die Ladung sei den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12.6.2001 durch "Empfangsbekenntnis" zugestellt worden. Gleichwohl habe der Kläger erstmals mit dem am 7.8.2001 um 21.58 Uhr eingegangenen Schriftsatz v. 7.8.2001 zu der Klageerwiderung Stellung genommen. Darin liege eine objektive Verletzung der ihm gem. § 282 Abs. 1 ZPO obliegenden Prozessförderungspflicht. Diese Verspätung beruhe auf grober Nachlässigkeit des Klägers i.S.v. § 296 Abs. 2 ZPO. Eine Erklärung habe der Kläger auch auf Nachfrage der Kammer in der mündlichen Verhandlung v. 8.8.2001 nicht abgegeben. Zutreffend sei das LG davon ausgegangen, dass die Berücksichtigung des Schriftsatzes v. 7.8.2001 das Verfahren verzögern würde. Die Verzögerung ergebe sich daraus, dass die Kammer bei Zulassung des verspäteten Vorbringens über die von der Beklagten behauptete mündliche Absprache zu den umlagefähigen Nebenkosten hätte Beweis erheben müssen.
2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
a) Zutreffend hält das OLG allerdings den Vortrag der Klägerin im Schriftsatz v. 7.8.2001 für entscheidungserheblich. Ist, wie der Kläger geltend macht, die von der Beklagten behauptete Einigung nicht zu Stande gekommen, hätte das LG die Klage nicht abweisen dürfen.
b) Zu Recht wendet sich die Revision aber gegen die auf §§ 296 Abs. 2, 282 Abs. 1 ZPO, § 528 Abs. 3 ZPO a.F. gestützte Zurückweisung des Vortrages des Klägers, die von der Beklagten behauptete Einigung sei nicht erfolgt. Nach § 528 Abs. 3 ZPO a.F. bleiben Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen werden, ausgeschlossen. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung liegen jedoch hier nicht vor, weil das Vorbringen des Klägers in erster Instanz zu Unrecht zurückgewiesen worden ist und für zu Unrecht zurückgewiesene Angriffs- und Verteidigungsmittel § 528 Abs. 3 ZPO a.F. nicht gilt.
aa) Das LG hätte den Vortrag des Klägers im Schriftsatz v. 7.8.2001 nicht unter Berufung auf § 282 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückweisen dürfen. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 1.4.1992 - VIII ZR 86/91, MDR 1992, 608 = NJW 1992, 1965) findet § 282 Abs. 1 ZPO nämlich nur dann Anwendung, wenn innerhalb der Instanz mehrere Verhandlungstermine stattgefunden haben und das Vorbringen nicht bereits im ersten Termin erfolgt ist. Vorbringen im ersten Termin kann dagegen nie nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein (BGH, Urt. v. 1.4.1992 - VIII ZR 86/91, MDR 1992, 608 = NJW 1992, 1965). Der Kläger hatte, da ihm eine Frist zur Replik nicht wirksam gesetzt worden war, das Recht, sich in der ersten mündlichen Verhandlung zur Klageerwiderung zu äußern. Zwar ist ihm eine Frist zur Replik gesetzt worden. Nach den Feststellungen des LG ist ihm aber eine Belehrung über die Folgen verspäteten Vorbringens nicht mitgeteilt worden.
Die Auffassung der Revisionserwiderung, es handele sich bei dem Hinweis der Vorinstanzen auf § 282 Abs. 1 ZPO lediglich um eine falsche Bezeichnung, LG und OLG hätten vielmehr die Voraussetzungen des § 282 Abs. 2 ZPO erörtert und bejaht, trifft nicht zu. Beide Vorinstanzen haben ihre Entscheidung eindeutig auf § 282 Abs. 1 ZPO gestützt. Das LG hat die Bestimmung genannt. Das Berufungsgericht hat den Wortlaut der Vorschrift wiedergegeben und festgestellt, dass das LG § 282 Abs. 1 ZPO zu Recht bejaht habe. § 282 Abs. 2 ZPO wurde nicht geprüft. Beide Gerichte sind allerdings, worauf die Revision zu Recht hinweist, von einem unzutreffenden Regelungsgehalt des § 282 Abs. 1 ZPO ausgegangen.
bb) Zutreffend weist die Revision auch darauf hin, dass es nicht darauf ankomme, ob das LG das Vorbringen des Klägers nach anderen Bestimmungen, etwa nach § 296 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 282 Abs. 2 ZPO hätte zurückweisen dürfen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 1.4.1992 - VIII ZR 86/91, MDR 1992, 608 = NJW 1992, 1965; v. 13.12.1989 - VIII ZR 204/82, MDR 1990, 539 = NJW 1990, 1302 [1304]) darf das im Rechtszug übergeordnete Gericht die fehlerhafte Begründung der Verspätung nicht durch eine andere ersetzen oder die Zurückweisung auf eine andere als die von der Vorinstanz angewandte Vorschrift stützen. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen des § 282 Abs. 2 ZPO auch nicht vor. Nach dieser Bestimmung sind Schriftsätze so rechtzeitig einzureichen, dass der Gegner die erforderlichen Erkundigungen noch einzuziehen vermag. Die Beklagte hat sich nicht darauf berufen, dass sie dazu nicht in der Lage war. Der Kläger hat keinen neuen Sachvortrag gebracht, sondern lediglich das von der Beklagten bereits unter Beweis gestellte Vorbringen bestritten.
3. Die von der Beklagten behauptete Vereinbarung, dass sie vereinbarungsgemäß über die Kosten für Gas und Strom hinaus keine weiteren Nebenkosten zu tragen habe, kann damit nicht nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen werden. Das Berufungsgericht wird zu klären haben, ob die behauptete Vereinbarung zu Stande gekommen ist. Dazu sind die angebotenen Beweise zu erheben.
Fundstellen
Haufe-Index 1373072 |
BGHR 2005, 1213 |
NJW-RR 2005, 1007 |
ZAP 2005, 879 |
MDR 2005, 1006 |
ProzRB 2005, 256 |