Leitsatz (amtlich)
a) Die für die Einordnung eines Mittels als Arzneimittel oder Kosmetikum maßgebliche Verkehrsanschauung wird regelmäßig – insbesondere wenn bereits vergleichbare Erzeugnisse auf dem Markt sind – nicht allein durch das konkret in Rede stehende Produkt, sondern in erster Linie durch die gattungsgemäße allgemeine Zweckbestimmung des Mittels geprägt.
b) Zu der Frage, inwieweit die durch Hinweise auf den (Haupt-)Inhaltsstoff in Richtung auf ein Arzneimittel hingelenkte allgemeine Verkehrsauffassung durch die konkrete Ausstattung des Erzeugnisses verändert oder überlagert wird.
Normenkette
UWG § 1; AMG § 2 Abs. 3 Nr. 3; LMBG § 4; AMG § 2 Abs. 1 Nrn. 2-5, 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 23. April 1998 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I, 9. Kammer für Handelssachen, vom 13. Mai 1997 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittel hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte, ein Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, vertreibt in der nachstehend (verkleinert) wiedergegebenen Kunststofftube das nicht als Arzneimittel zugelassene Erzeugnis „R.”, ein zu 97 % aus Franzbranntwein bestehendes Gel:
Der Kläger, ein Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, erblickt in dem Vertrieb des Präparats ohne arzneimittelrechtliche Zulassung nach § 21 AMG einen Verstoß gegen § 1 UWG. Er hat von der Beklagten die Unterlassung des Vertriebs sowie die Erstattung von Abmahnkosten verlangt.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
Das Landgericht hat die Beklagte (unter dem Gesichtspunkt irreführender Werbung) verurteilt,
- es zu unterlassen, das oben abgebildete Produkt „R. Activ-Gel mit Franzbranntwein” in Verkehr zu bringen, ohne daß hierfür eine arzneimittelrechtliche Zulassung des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte vorliegt;
- an den Kläger 207 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 6. Juli 1995 zu zahlen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen (OLG München OLG-Rep 1999, 80 = PharmaRecht 1999, 15).
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat die Klageansprüche für unbegründet erachtet. Hierzu hat es ausgeführt:
Ansprüche wegen des Fehlens einer arzneimittelrechtlichen Zulassung stünden dem Kläger nicht zu, weil das Franzbranntwein-Gel der Beklagten nach der Verkehrsanschauung überwiegend zur Pflege in äußerlicher Anwendung diene und damit nicht als Arzneimittel, sondern als kosmetisches Mittel einzuordnen sei.
Franzbranntwein sei zwar schlechthin als Einreibemittel bekannt, das Muskel- und Gelenkschmerzen lindere und ein Wundliegen verhüte. Er möge daher als solcher auch dazu dienen, krankhafte Beschwerden zu lindern oder zu beseitigen, und damit überwiegend mit medizinischen Vorstellungen besetzt sein. Es komme jedoch nicht darauf an, welche Vorstellungen Franzbranntwein oder Franzbranntwein-Gel schlechthin beim Verkehr erwecke; vielmehr sei allein auf das konkrete Produkt in der konkreten Aufmachung abzustellen. Für dieses habe das vom Landgericht eingeholte Meinungsforschungsgutachten keine überwiegende arzneiliche Zweckbestimmung ergeben und es lasse sich eine solche auch anderweit nicht feststellen. Die Aufmachung, namentlich die Hinweise auf eine entspannende, belebende Einreibung und die Verbesserung der Hautdurchblutung, der Produktname, die Herstellerangabe sowie das Tannenzapfenbild, führten den Verkehr – auch wegen der ausdrücklichen Bezeichnung als „Kosmetikum” – eher von der Vorstellung einer überwiegenden arzneilichen Zweckbestimmung weg.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung des der Klage stattgebenden Urteils des Landgerichts.
1. Das in Rede stehende Franzbranntwein-Gel „R.” ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht als Kosmetikum, sondern als Arzneimittel anzusehen.
a) Arzneimittel sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG u.a. Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen. Zu den Arzneimitteln gehören darüber hinaus Stoffe und Stoffzubereitungen mit den in § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AMG genannten Anwendungszwecken. Eine Einschränkung des Arzneimittelbegriffs ergibt sich allerdings daraus, daß gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 AMG kosmetische Mittel im Sinne des § 4 LMBG nicht zugleich Arzneimittel sein können, und zwar auch dann nicht, wenn sie die Voraussetzungen des Arzneimittelbegriffs nach § 2 Abs. 1 AMG erfüllen (vgl. BVerwGE 106, 90, 93 = NJW 1998, 3433).
Nach § 4 Abs. 1 LMBG sind kosmetische Mittel u.a. Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, äußerlich am Menschen zur Reinigung, zur Pflege oder zur Vermittlung von Geruchseindrücken angewendet zu werden, sofern sie nicht überwiegend dazu bestimmt sind, Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu lindern oder zu beseitigen.
Maßgebend für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel oder Kosmetikum ist seine an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsbetrachter darstellt (vgl. für die Abgrenzung von Arzneimitteln und Lebensmitteln: BGH, Urt. v. 10.2.2000 – I ZR 97/98, GRUR 2000, 528, 529 = WRP 2000, 510 – L-Carnitin). Die Verkehrsanschauung wird regelmäßig durch eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und deren Anwendung geprägt. Diese hängt ihrerseits davon ab, welche Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben. Dabei kann die Vorstellung der Verbraucher auch durch die Auffassungen der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflußt sein, ferner durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie die Aufmachung, in der das Mittel dem Verkehr allgemein entgegentritt (BGH, Urt. v. 19.1.1995 – I ZR 209/92, GRUR 1995, 419, 420 f. = WRP 1995, 386 – Knoblauchkapseln; BGH GRUR 2000, 528, 529 f. – L-Carnitin; BGHSt 43, 336, 339 = NJW 1998, 836; BVerwGE 106, 90, 92; 97, 132, 135 f.; VGH München NJW 1998, 845). Von dieser Begriffsbestimmung ist auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen.
b) Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Fall hat das Berufungsgericht, wie die Revision mit Recht rügt, den maßgebenden Kriterien für die Einordnung als kosmetisches Mittel oder als Arzneimittel keine hinreichende Beachtung geschenkt.
aa) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist Franzbranntwein dem Verkehr schlechthin als Einreibemittel bekannt, das Muskel- und Gelenkschmerzen lindern, aber auch ein Wundliegen verhüten soll. Diese Verkehrsanschauung über den allgemeinen Verwendungszweck von Franzbranntwein hat das Berufungsgericht mit der Begründung als nicht entscheidungserheblich angesehen, daß ausschließlich auf das konkrete Produkt in der konkreten Aufmachung abzustellen sei. Dem kann nicht beigetreten werden.
(1) Das Berufungsgericht ist allerdings ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, daß ein der Verhütung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden dienender Zweck für die Einordnung als Arzneimittel nicht ausschlaggebend sein kann, wenn es sich dabei – wie vorliegend der Schutz vor Wundliegen – nicht um die einzige Verwendungsmöglichkeit des Mittels handelt. Nach § 4 Abs. 1 2. Hs. LMBG schließt nur eine überwiegende Zweckbestimmung zur Linderung und Beseitigung, nicht aber zur Verhütung (oder Erkennung) von Krankheiten die Annahme eines kosmetischen Mittels aus (vgl. Kloesel/Cyran, AMG, 3. Aufl., Stand Mai 2000, § 2 Anm. 92).
(2) Mit Recht wendet sich die Revision aber gegen die mangelnde Berücksichtigung des Umstandes, daß Franzbranntwein nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Verkehr allgemein als äußerlich anzuwendendes Hausmittel zur Linderung von Muskel- und Gelenkschmerzen bekannt und dieser Begriff deshalb überwiegend mit medizinischen Vorstellungen besetzt ist (vgl. OLG Köln GRUR 1988, 852). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wird die allgemeine Verkehrsauffassung keineswegs allein durch das konkret von der Beklagten vertriebene Produkt, sondern zunächst einmal durch die generelle Vorstellung des Verkehrs von den Verwendungsmöglichkeiten eines Erzeugnisses der vorliegenden Art geprägt (BGH, Urt. v. 6.2.1976 – I ZR 125/74, GRUR 1976, 430, 432 – Fencheltee; BGH GRUR 1995, 419, 421 – Knoblauchkapseln). Entscheidend ist, wie bereits ausgeführt wurde und worauf auch das Berufungsgericht an anderer Stelle selbst zutreffend hingewiesen hat, die allgemeine Zweckbestimmung, die das Mittel nach der Verkehrsanschauung gattungsgemäß besitzt. Das Berufungsgericht hätte daher seine Feststellungen, wonach derartige Mittel allgemein zur Linderung von Muskel- und Gelenkbeschwerden verwendet werden, nicht außer Betracht lassen dürfen.
(3) Das Berufungsgericht durfte die Vorstellung von einem überwiegend medizinischen Verwendungszweck auch nicht deshalb unberücksichtigt lassen, weil es sich bei dem Produkt der Beklagten nicht um ein ausschließlich aus Franzbranntwein bestehendes Erzeugnis, sondern um ein „Activ-Gel mit 97 % Franzbranntwein” handelt. Allerdings kann der Verwendungszweck eines einzelnen Wirkstoffes grundsätzlich nicht ohne weiteres mit dem Anwendungszweck einer aus mehreren Stoffen bestehenden Zubereitung gleichgesetzt werden, und es ist auch nicht zulässig, einen einzelnen Bestandteil herauszugreifen und allein ihn darauf zu untersuchen, ob er nach der Verkehrsauffassung krankheitsheilende oder – lindernde Wirkung besitzt (vgl. BGH, Urt. v. 29.10.1992 – I ZR 89/91, GRUR 1993, 403 = WRP 1993, 474 – Bronchocedin; BVerwGE 106, 90, 96). Das schließt es aber nicht aus, daß die heilende Wirkung eines einzelnen Stoffes nach der Verbrauchererwartung bei der Würdigung des Gesamtprodukts so im Vordergrund steht, daß für dieses ebenfalls von einer überwiegend krankheitsheilenden bzw. beschwerdelindernden Zweckbestimmung auszugehen ist (vgl. BGH, Urt. v. 16.5.1991 – I ZR 207/89, GRUR 1991, 701 = WRP 1993, 465 – Fachliche Empfehlung I; BVerwGE 106, 90, 96 f.). So verhält es sich hier.
Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß der Anteil des Wirkstoffes Franzbranntwein in dem zu beurteilenden Gel mit 97 % „sehr hoch” ist. Außerdem ist weder vorgetragen worden noch ersichtlich, daß den weiteren von den Parteien in den Vorinstanzen nicht erörterten und vom Berufungsgericht auch nicht näher festgestellten Bestandteilen mit einem Anteil von insgesamt 3 % nach der Verkehrsauffassung eine für die Einordnung als Arzneimittel oder Kosmetikum maßgebliche Bedeutung zukommt. Dementsprechend ist davon auszugehen, daß der Verkehr mit dem Franzbranntwein-Gel der Beklagten – nicht anders als mit reinem Franzbranntwein – in erster Linie die Vorstellung arzneilicher Anwendungszwecke verbindet.
bb) Die durch die deutlichen Hinweise auf den Hauptinhaltsstoff Franzbranntwein in Richtung auf ein Arzneimittel hingelenkte allgemeine Verkehrsauffassung wird, wie der Senat auf der Grundlage der vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei getroffenen weiteren Tatsachenfeststellungen sowie der allgemeinen Lebenserfahrung selbst beurteilen kann, durch die konkrete Ausstattung des Erzeugnisses nicht wesentlich verändert oder überlagert.
(1) Das Fehlen eines – vom Berufungsgericht vermißten – ausdrücklichen Hinweises auf eine Anwendung zur Linderung körperlicher Beschwerden steht der Annahme eines überwiegenden heilenden oder lindernden Wirkungszwecks nicht entgegen (vgl. BGH GRUR 1995, 419, 421 – Knoblauchkapseln). Wenn der Verkehr schon mit dem Hinweis auf den Hauptbestandteil des Mittels – hier: Franzbranntwein – die Vorstellung einer arzneilichen Zweckbestimmung des Gesamtprodukts verbindet, bedarf es nicht zwangsläufig noch weiterer Anzeichen für einen solchen Verwendungszweck. Dies gilt jedenfalls dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, keine von der Vorstellung eines Arzneimittels eindeutig wegführenden Ausstattungsmerkmale vorliegen.
(2) Nach den zutreffenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist der auf der Vorderseite der Verpackung angegebene Gebrauch zur entspannenden und belebenden Einreibung „auch bei pflegerischer Anwendung” möglich. Dieser Hinweis hebt den Eindruck einer überwiegenden arzneilichen Zweckbestimmung allerdings nicht auf, sondern weist lediglich auf eine zusätzliche Bestimmung zu kosmetischen Zwecken hin.
(3) Dasselbe gilt für die Anwendungshinweise auf der Rückseite des Produkts. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts deuten zwar eine Verbesserung der Hautdurchblutung, Entspannung und belebende Frische eher auf Körperpflege als auf Schmerzlinderung hin. Eine Verbesserung der Hautdurchblutung dient aber unabhängig von einer Bekämpfung schmerzhafter Zustände der Linderung bzw. Beseitigung von Durchblutungsstörungen der Haut und hat daher eine arzneiliche Wirkung (vgl. zum Krankheitscharakter von Durchblutungsstörungen: BGHZ 89, 78, 81 – Heilpraktikerwerbung III; OLG Düsseldorf ES-HWG, § 12 Nr. 44; Doepner, HWG, 2. Aufl., § 1 Rdn. 56). Die Angabe, eine Einreibung oder Massage mit „R.” entspanne und schenke wohltuend belebende Frische, hat das Berufungsgericht bereits im Zusammenhang mit dem fast identischen Hinweis auf der Vorderseite der Verpackung ohne Rechtsverstoß dahingehend beurteilt, daß sich aus ihr auch, d.h. nicht ausschließlich, ein pflegerischer Anwendungszweck entnehmen läßt. Abgespanntheit kann allerdings in bestimmten Fällen ein Anzeichen krankhafter Beschwerden sein (vgl. BGHZ 23, 184, 192 – Spalttabletten; Doepner aaO § 1 Rdn. 56), so daß die Linderung dieses Zustandes durch Entspannung und Belebung jedenfalls auch einem arzneilichen Zweck dient. Die weiteren Hinweise zur Anwendung des Mittels („Ideal zum Einmassieren nach dem Sport oder nach einem anstrengenden Tag, z.B. durch Einreiben von Schultern, Nacken und Waden. Besonders angenehm auch an heißen Tagen durch leichtes Betupfen von Schläfen, Nacken und Stirn. Anwendung: Mehrmals täglich in die Haut einmassieren.”) hat das Berufungsgericht von der Revision unbeanstandet als neutral bewertet.
(4) Der Nennung von Gegenanzeigen („Nicht in die Augen, auf offene Wunden oder auf Schleimhäute bringen.”) hat das Berufungsgericht keine auf ein Arzneimittel hindeutende Indizwirkung beigemessen, weil diese nicht – wie bei Arzneimitteln üblich – als solche bezeichnet seien und ihre Angabe auch bei kosmetischen Mitteln vorgeschrieben sei (vgl. § 4 Nr. 3, § 5 a KosmetikVO). Auch diese Ausführungen sind von der Revision nicht beanstandet worden und lassen keine Rechtsfehler erkennen. Ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken begegnen die von der Revision ferner nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts, wonach weder dem Namen des Produkts noch seiner Aufmachung eine auf einen arzneilichen Zweck des Mittels hindeutende Wirkung zu entnehmen ist, allerdings auch nichts für das Vorliegen eines kosmetischen Mittels. Dagegen kommt, worauf die Revision zutreffend hinweist, der Angabe des im Verkehr bekannten Herstellernamens (vgl. BGH, Urt. v. 18.6.1998 – I ZR 15/96, GRUR 1998, 942, 943 = WRP 1998, 990 – ALKA-SELTZER) nach der Lebenserfahrung eine gewisse Indizwirkung für das Vorliegen eines Arzneimittels zu; denn die Beklagte ist mit dieser Unternehmensbezeichnung häufig als Arzneimittelhersteller in Erscheinung getreten.
(5) Mit Recht wendet sich die Revision ferner gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Abbildung eines Tannenzapfens auf der Vorderseite der Tube erwecke die Assoziation pflegender Badezusätze und spreche daher ebenso wie die Bezeichnung „Münchner Kosmetikum” für das Vorliegen eines Körperpflegemittels.
Pflanzenteile wie Fichten- oder Tannenzweige und -zapfen können mit den vom Verkehr erfahrungsgemäß damit in Verbindung gebrachten ätherischen Ölen sowohl heilende als auch kosmetische, nämlich pflegende oder Geruchseindrücke vermittelnde Wirkungen entfalten. Soweit sie an Heilkräuter denken lassen, legen sie die Annahme eines Arzneimittels nahe (vgl. OLG Köln GRUR 1988, 852).
Ebensowenig kommt dem Hinweis „Münchner Kosmetikum” eine maßgebliche Bedeutung zu. Da es für die Einordnung als Arzneimittel oder als Kosmetikum vor allem auf die allgemeine Verwendung durch den Verbraucher ankommt (vgl. BGH GRUR 1995, 419, 421 – Knoblauchkapseln), darf nicht außer acht gelassen werden, daß dieser nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ganz überwiegend wegen der bekannten lindernden Wirkung bei Muskel- und Gelenkschmerzen und angesichts der Anwendungshinweise auf der Verpackung möglicherweise auch zur Förderung der Hautdurchblutung und zur Entspannung und Belebung zu Franzbranntwein und Franzbranntwein-Gel greift. Die Anwendung zur Körperpflege steht dabei aber ungeachtet der Bezeichnung des Mittels als Kosmetikum nicht im Vordergrund und überlagert damit die Zweckbestimmung als Arzneimittel auch nicht in dem Sinn, daß ein überwiegender arzneilicher Zweck nicht mehr vorliegt.
cc) Die vorstehende Beurteilung wird durch das Ergebnis des vom Landgericht eingeholten Meinungsforschungsgutachtens nicht in Frage gestellt.
Mit Erfolg wendet sich die Revision dagegen, daß sich das Berufungsgericht bei der Einordnung von „R.” als Arzneimittel oder Kosmetikum u.a. auf das Befragungsergebnis zur sogenannten geschlossenen Fragestellung Ziffer 4 („Würden Sie dieses Produkt als Arzneimittel oder als Körperpflegemittel bezeichnen oder können Sie dies so präzise momentan nicht sagen?”) gestützt und danach eine überwiegende Zweckbestimmung als Arzneimittel mit der Begründung abgelehnt hat, dem Anteil von 40 % der Befragten, der die Antwort „ist ein Heilmittel” gegeben habe, stehe ein Anteil von 60 % der Befragten gegenüber, der entweder – nämlich 35 % der Befragten – die Antwort „ist ein Körperpflegemittel” gegeben habe oder – 25 % der Befragten – sich nicht habe entscheiden können. Die Revision rügt mit Recht, daß die Angaben derjenigen Befragten, die sich insoweit nicht entscheiden konnten, nicht zur Begründung dafür herangezogen werden konnten, daß es sich bei dem Mittel der Beklagten um ein Körperpflegemittel handelt. Somit steht ein Anteil von 40 % der Befragten, der „R.” als Arzneimittel ansieht, einem Anteil von 35 % gegenüber, der das Gel für ein Körperpflegemittel hält, was das vorstehend gewonnene Ergebnis bestätigt.
Demgegenüber stellt sich das Ergebnis bei der sogenannten offenen Befragung, bei der jeweils etwa jeder fünfte Befragte „R.” mit arzneilichen Eigenschaften oder aber mit Eigenschaften eines Körperpflegemittels in Verbindung gebracht hat, als nicht hinreichend aussagekräftig dar. Denn bei der Auswertung der Antworten auf die offenen bzw. ungestützten Fragen bedurfte es auch einer – vom Sachverständigen nicht näher erläuterten – Bewertung und Gewichtung der Antworten dahin, ob sie dem einen oder anderen Zweck zugeordnet werden.
2. Nach dem Vorstehenden kommt es auf Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 76/768/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel vom 27. Juli 1976 (ABl. Nr. L 262/169) in der Fassung der Änderungsrichtlinie 93/35/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. Nr. L 151/32), auf den sich die Revision ergänzend stützt, nicht mehr an.
3. Die Beklagte verstößt durch den Vertrieb des Mittels „R.” ohne die nach dem Arzneimittelgesetz vorgeschriebene Zulassung gegen § 1 UWG, weil sie sich damit über Vorschriften hinwegsetzt, die zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung erlassen worden sind (BGHZ 44, 208, 209 – Novo-Petrin; BGH GRUR 1995, 419, 421 – Knoblauchkapseln).
Das beanstandete Verhalten der Beklagten ist auch geeignet, den Wettbewerb wesentlich zu beeinträchtigen (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG). Im Bereich der Gesundheitswerbung ist ein wettbewerbswidriges Verhalten regelmäßig auch als wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs zu beurteilen (vgl. BGH, Urt. v. 9.10.1997 – I ZR 92/95, GRUR 1998, 487, 488 = WRP 1998, 172 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung III; Urt. v. 9.7.1998 – I ZR 72/96, GRUR 1999, 179, 182 f. = WRP 1998, 1071 – Patientenwerbung; Urt. v. 21.9.2000 – I ZR 12/98, GRUR 2001, 176, 178 = WRP 2000, 1410 – Myalgien).
4. Der Kläger hat unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683, 677, 670 BGB) ferner einen Anspruch auf Erstattung seiner der Höhe nach unstreitigen Abmahnkosten (st. Rspr.; vgl. BGHZ 115, 210, 212 – Abmahnkostenverjährung; BGH, Urt. v. 24.11.1999 – I ZR 171/97, WRP 2000, 633, 636 – Sicherungsschein; Urt. v. 15.12.1999 – I ZR 159/97, GRUR 2000, 337, 338 = WRP 2000, 386 – Preisknaller).
Der geltend gemachte Zinsanspruch rechtfertigt sich aus § 291 BGB.
III. Danach war auf die Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Erdmann, v. Ungern-Sternberg, Bornkamm, Pokrant, Schaffert
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 07.12.2000 durch Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 547468 |
NJW 2001, 3414 |
BGHR 2001, 338 |
BGHR |
NJW-RR 2001, 1329 |
GRUR 2001, 450 |
Nachschlagewerk BGH |
MedR 2001, 420 |
WRP 2001, 542 |
ZLR 2001, 417 |
PharmaR 2001, 336 |