Verfahrensgang

VG Sigmaringen (Beschluss vom 22.11.2001; Aktenzeichen A 9 K 11351/01)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Gründe

Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen gegenwärtig nicht vor. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht der Grundsatz der Subsidiarität (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) entgegen; der Rechtsweg ist nicht erschöpft.

1. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität muss eine Verfassungsbeschwerde erforderlich sein, um eine Grundrechtsverletzung zu verhindern. Dies ist nicht der Fall, wenn eine anderweitige Möglichkeit besteht oder bestand, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen (vgl. BVerfGE 22, 287 ≪290 ff.≫; 81, 97 ≪102≫). Denn die Verfassungsbeschwerde soll letzter, nur auf den Schutz der Grundrechte und bestimmter grundrechtsähnlicher Rechte beschränkter verfassungsrechtlicher Rechtsschutz sein, der lediglich dann eingreift, wenn die sonstigen Möglichkeiten zur allgemeinen richterlichen Nachprüfung bis zur letzten Instanz hin erschöpft sind (vgl. BVerfGE 9, 3 ≪7≫; 10, 89 ≪98≫). Dies ist nicht der Fall, wenn der Beschwerdeführer von einem zulässigen Rechtsmittel noch keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. BVerfGE 21, 94 ≪96≫; 54, 53 ≪65≫). Zu diesen Rechtsmitteln bzw. Rechtsbehelfen im weiteren Sinne gehört auch der Abänderungsantrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO (vgl. BVerfGE 70, 180 ≪185≫, seither stRspr).

Die Beschwerdeführerin muss deshalb zunächst einen Änderungsantrag entsprechend § 80 Abs. 7 VwGO beim Verwaltungsgericht Sigmaringen stellen, um eine Beseitigung der sinngemäß geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) zu erreichen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 4. Oktober 1994 – 2 BvR 2838/93, NVwZ-Beilage 1995, S. 2; siehe auch Roeser/Hänlein, NVwZ 1995, S. 1082 ≪1084≫).

2. Werden – wie hier – neben der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) noch weitere Grundrechtsverletzungen gerügt, so bietet das Änderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO zugleich Gelegenheit, auch diese verfassungsrechtlichen Mängel zu beseitigen, selbst wenn sie mit dem geltend gemachten Gehörsverstoß nicht notwendig in Zusammenhang stehen (vgl. BVerfG NVwZ-Beilage 1998, S. 81; BVerfG NVwZ 1998, S. 1174). Die Rüge einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG ist deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität unzulässig, da noch kein Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO durchgeführt wurde. Die Verfassungsbeschwerde ist daher gegenwärtig auch insoweit unzulässig (vgl. hierzu Roeser/Hänlein, NVwZ 1995, S. 1082 ≪1085≫).

3. Zur Vermeidung einer Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) wird das Verwaltungsgericht Sigmaringen im Rahmen eines etwaigen Abänderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO zu prüfen haben, ob Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG die Herstellung der Familieneinheit zwischen der Beschwerdeführerin und ihren Eltern im Bundesgebiet erfordern oder ob entsprechende Schritte des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit dem Ziel der Übernahme des hier lebenden Vaters der Beschwerdeführerin in die Niederlande genügen (vgl. hierzu ausführlich Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 29 Rn. 38 bis 39).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Sommer, Broß, Mellinghoff

 

Fundstellen

Haufe-Index 1267270

NJW 2002, 2862

NVwZ 2002, 848

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