Entscheidungsstichwort (Thema)
Fernauslösung
Orientierungssatz
Zur Abgrenzung von Nah- und Fernmontage nach dem Montagetarifvertrag für den Zentralheizungs-, Lüftungs- und Rohrleitungsbau, Industrie und Handwerk vom 8.3.1973; Wohnung und Betriebssitz.
Normenkette
TVG § 1
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 04.01.1984; Aktenzeichen 4 Sa 26/83) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 04.11.1982; Aktenzeichen 4 Ca 137/82) |
Tatbestand
Der Kläger steht seit 1975 in den Diensten der Beklagten. Er wird gemäß dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 28./30. Mai 1975 als Montagestammarbeiter beschäftigt. Im Arbeitsvertrag haben die Parteien vereinbart, daß die Beklagte berechtigt ist, den Kläger nach seinem Wissen und Können dort einzusetzen, wo sie es für erforderlich hält und der Arbeitsanfall es notwendig macht. Beide Parteien gehören den tarifschließenden Verbänden für den Zentralheizungs-, Lüftungs- und Rohrleitungsbau - Industrie und Handwerk - als Mitglied an.
Der Kläger wohnt in 2226 Dingen, das etwa 150 km vom Betriebssitz der Beklagten in Hamburg entfernt liegt. In der Zeit vom 2. November bis 26. November 1981 war er an insgesamt 17 Tagen auf einer Baustelle der Beklagten auf der Werft Blohm + Voss in Hamburg eingesetzt, die in geringer Entfernung vom Betrieb der Beklagten liegt. Für diese 17 Tage verlangt er von der Beklagten eine Fernauslösung in Höhe von DM 39,-- netto täglich.
Der Kläger hat vorgetragen, für die strittigen Tage erfülle er die tariflichen Voraussetzungen für die begehrte Fernauslösung. Ihm sei eine tägliche Rückkehr zu seiner Wohnung nicht zumutbar gewesen, daher sei seine Übernachtung am Montageort erforderlich geworden. Auch andere Arbeitnehmer der Beklagten hätten unter vergleichbaren Umständen Auslösungen in der vom Kläger geforderten Höhe erhalten.
Der Kläger hat demgemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn
DM 663,-- netto nebst 4 % Zinsen seit
17. März 1982 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, es komme für den Anspruch auf Fernauslösung auch auf die Entfernung zwischen Montageort und Betriebsort an. Bei der Unterscheidung zwischen Nah- und Fernauslösung gehe es um die Folgen der Entsendung vom Betrieb. Da aber der Kläger bei der Montage auf der Werft Blohm + Voss in der Nähe ihres Betriebs eingesetzt worden sei, sei nicht durch die Entsendung vom Betrieb ein auswärtiges Übernachten des Klägers erforderlich geworden. Den vom Kläger benannten, ihm vergleichbaren Mitarbeitern der Beklagten sei Fernauslösung lediglich aufgrund einer speziellen arbeitsvertraglichen Vereinbarung gewährt worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit die Vorschriften des Montagetarifvertrags für den Zentralheizungs-, Lüftungs- und Rohrleitungsbau, Industrie und Handwerk vom 8. März 1973 (Montage TV) mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG), der nach seinem § 2 Nr. 1 ausdrücklich auch für Montagestammarbeiter gilt, zu denen der Kläger gehört. Demgemäß ist der Montagetarifvertrag dafür maßgebend, ob der Kläger in der vorliegend strittigen Zeit auf Nah- oder Fernmontage gearbeitet hat und entsprechend Nah- oder Fernauslösung beanspruchen kann. Der Montagetarifvertrag unterscheidet begrifflich streng zwischen Nahmontage und Fernmontage. § 4 Montage TV regelt nach seiner Überschrift die Nahmontage und bestimmt unter Nr. 1:
Begriff:
--------
Nahmontage ist eine Montage, bei der dem Mon-
tagestammarbeiter die tägliche Rückkehr zu
seiner Wohnung zumutbar ist.
§ 5 Montage TV regelt nach seiner Überschrift die Fernmontage und bestimmt in Nr. 1:
Begriff:
--------
Fernmontage ist eine Montage, die ein auswär-
tiges Übernachten des Montagestammarbeiters
erfordert, weil ihm die tägliche Rückkehr zu
seiner Wohnung nicht zumutbar ist.
Ob ein Arbeitnehmer auf Nahmontage oder Fernmontage arbeitet, richtet sich nach den tariflichen Bestimmungen ausschließlich danach, ob dem Arbeiter die tägliche Rückkehr zu seiner Wohnung zumutbar ist. Die Frage des Betriebssitzes spielt insoweit überhaupt keine Rolle. Die Tarifvertragsparteien hätten dies auch anders regeln und etwa bestimmen können, daß eine Fernmontage nur dann vorliegt, wenn dem Arbeitnehmer auch die tägliche Rückkehr zum Betriebssitz nicht zumutbar ist, wie dies z. B. nach § 6 des Bundestarifvertrags für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaus vom 30. April 1980 von den Tarifvertragsparteien ermöglicht wird. Eine solche Regelung, die auch auf die Zumutbarkeit der täglichen Rückkehr zum Betriebssitz abstellt, haben die Parteien des vorliegenden Tarifvertrags aber nicht getroffen. Die tarifliche Regelung ist insoweit eindeutig. Der Tarifvertrag enthält keinen Anhaltspunkt dafür, daß ungeschriebene Voraussetzung für die Fernmontage eine bestimmte Entfernung zwischen Betriebssitz und Montageort ist, wie die Vorinstanzen meinen. Dem Landesarbeitsgericht kann indessen eingeräumt werden, daß es sinnvoll erscheinen könnte, wenn für die Fernmontage auch eine Mindestentfernung des Montageorts zum Betriebssitz von 40 km bestimmt würde. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts läßt sich dies den tariflichen Regelungen jedoch nicht entnehmen. Daran sind die Gerichte für Arbeitssachen gebunden.
Insoweit ist der Hinweis des Landesarbeitsgerichts auf den auch auf das vorliegende Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag über die Auslösungssätze für die Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik sowie den Rohrleitungsbau, Industrie und Handwerk vom 12. Oktober 1981 verfehlt. Es trifft zwar zu, daß danach für die Höhe der Nahauslösung die Entfernung zwischen Betrieb und Montagestelle maßgebend ist (Ziff. II Tarifvertrag Auslösungssätze und § 4 Nr. 2 Montage TV) und auch bei der Fernauslösung die Höhe der Auslösung und zusätzliche Leistungen (Familienheimfahrten) von der Entfernung des Betriebssitzes zum Montageort abhängen (Ziff. III Tarifvertrag Auslösungssätze und § 5 Nr. 10 Montage TV). Daraus folgt aber nur, daß die Tarifvertragsparteien den Unterschied zwischen Betriebssitz, Montageort und Wohnung gesehen haben. Wenn sie dann gleichwohl den Begriff der Nahmontage und Fernmontage ausschließlich danach bestimmen, ob dem Arbeitnehmer die tägliche Rückkehr vom Montageort zu seiner Wohnung zumutbar ist, kann es danach auf die Entfernung des Betriebssitzes zum Montageort nicht ankommen. Aus der Berechnung der Höhe der Nahauslösung und Fernauslösung nach der Entfernung zwischen Betrieb und Montagestelle lassen sich angesichts der eindeutigen Begriffsbestimmung der Fernmontage und Nahmontage keine zusätzlichen Anforderungen an diese Begriffe herleiten.
Wenn die Beklagte meint, die Entsendung vom Betriebssitz zur Montagestelle müsse ursächlich ein auswärtiges Übernachten erforderlich machen, um den Anspruch auf Fernauslösung zu begründen, stellt sie damit ein zusätzliches Erfordernis für den Begriff der Fernmontage auf, das im Tarifvertrag keine Grundlage findet. Die Beklagte unterstellt hierbei, bei einer zumutbaren täglichen Rückkehr vom Montageort zum Betriebssitz liege keine Fernmontage vor. Nur wenn durch die Entsendung vom Betriebssitz aus die tägliche Rückkehr hierher unzumutbar sei, sei eine Fernmontage gegeben. Darauf kommt es aber nach der tariflichen Regelung nicht an. Wenn die Entsendung zu irgendeinem beliebigen Montageort dazu führt, daß dem Arbeitnehmer die tägliche Rückkehr zu seiner Wohnung nicht zumutbar ist, ist die tarifliche Voraussetzung für Fernmontage erfüllt und insoweit ist dann auch die Entsendung für die Unzumutbarkeit der täglichen Rückkehr zur Wohnung ursächlich.
Wenn die Beklagte ferner meint, dieses Ergebnis sei ungereimt, weil der Kläger bei Arbeiten am Betriebssitz auch keine Auslösung erhalte, geht diese Überlegung schon deshalb fehl, weil der Kläger als Montagestammarbeiter überhaupt nicht am Betriebssitz arbeitet, so daß auch der Montagetarifvertrag seinen fachlichen Geltungsbereich ausdrücklich nur auf "alle außerbetrieblichen Arbeitsstellen der Betriebe" erstreckt. Der Betriebssitz ist für den Montagestammarbeiter kein Bezugspunkt für seine tägliche Arbeit. Dies wird im vorliegenden Fall auch besonders deutlich. Der Kläger wird auf Montagestellen in der gesamten Bundesrepublik Deutschland eingesetzt. Insoweit ist es unerheblich, ob er etwa in Garmisch-Partenkirchen oder in Kiel wohnt. Daher ist es auch rein zufällig, wenn die Arbeitnehmer, die so eingesetzt werden, Nah- oder Fernauslösung erhalten. Wenn die Montageorte über die ganze Bundesrepublik Deutschland verstreut sind, ist es ohne weiteres denkbar, daß der Kläger bei einem Wohnsitz in Garmisch-Partenkirchen öfter Nahauslösung als Fernauslösung erhält, wenn seine Einsatzorte entsprechend den Aufträgen, die die Beklagte von ihren Kunden erhält, in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen liegen. Unter diesen Umständen hätte es zwar nahegelegen, daß die Tarifvertragsparteien auch die Höhe der Nahauslösung und Fernauslösung von der Entfernung zwischen Wohnung und Montagestelle abhängig gemacht hätten. Wenn sie nicht so verfahren sind, sondern bei der Höhe der Nahauslösung und Fernauslösung allein die Entfernung zwischen Betrieb und Montagestelle berücksichtigen, liegt das im Rahmen ihrer Tarifautonomie, kann aber nicht dazu führen, daß daraus Rückschlüsse auf den Begriff der Fernmontage und Nahmontage im Hinblick auf die eindeutige tarifliche Begriffsbestimmung gezogen werden können. Begriff und Berechnung der Nah- und Fernauslösung werden von den Tarifvertragsparteien streng getrennt.
Hätten die Tarifvertragsparteien für die Fernauslösung eine bestimmte Mindestentfernung der Montagestelle vom Betrieb gefordert, hätten sie dies auch entsprechend tariflich geregelt. So sind im Tarifvertrag über Auslösungssätze für die Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik sowie den Rohrleitungsbau, Industrie und Handwerk vom 12. Oktober 1981 unter Ziff. II bei der Nahauslösung bestimmte Zonen gebildet, die sich nach der Luftlinienentfernung der Montagestelle vom Betrieb richten. Hingegen sind unter Ziff. III bei der Fernauslösung nur zwei Zonen, nämlich "bis 150 km" und "über 150 km" gebildet, wobei für die Berechnung der Kilometer durch die ausdrückliche Verweisung auf § 5 Ziff. 10 des Montagetarifvertrags die Entfernung des Betriebssitzes von der Montagestelle maßgebend ist. Insoweit haben die Tarifvertragsparteien bei der ersten Zone "bis 150 km" aber nicht eine bestimmte Mindestentfernung festgelegt. Hätte das Landesarbeitsgericht recht, daß Fernauslösung erst bei einer mehr als 40 km weiten Entfernung der Montagestelle vom Betriebssitz zu zahlen ist, hätten die Tarifvertragsparteien dies auch in dem Auslösungstarifvertrag so geregelt. Ebenso wie sie für die Nahauslösung Zonen ab O km gebildet haben, hätten sie dann bei der Fernauslösung der Zone 1 etwa geregelt: "40 bis 150 km". Dann wäre klar gewesen, daß für die Entfernungen unter 40 km vom Betriebssitz keine Fernauslösung anfallen kann. Da alle diese naheliegenden anderen Regelungsmöglichkeiten von den Tarifvertragsparteien nicht wahrgenommen wurden, muß es dabei bleiben, daß die Fernauslösung allein von der Unzumutbarkeit der täglichen Rückkehr von der Montagestelle zur Wohnung abhängt.
Insoweit ist es auch unerheblich, wann und wie oft der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland umzieht. Jeder Umzug führt dazu, daß der Arbeitnehmer bei Montagen im näheren Umkreis seiner Wohnung nur Nahauslösung erhält. Welcher Wohnort für die Beklagte insoweit am günstigsten ist, hängt von ihren Aufträgen ab; insoweit spielt der Betriebssitz überhaupt keine Rolle. Es ist daher durchaus denkbar, daß ein Arbeitnehmer, der am Betriebssitz wohnt, häufiger Fernauslösungen erhält als ein Arbeitnehmer, der weit entfernt vom Betriebssitz wohnt, weil in der Nähe von dessen Wohnort die meisten Montagestellen der Beklagten liegen. Eine Ungereimtheit bleibt, die auch das Landesarbeitsgericht gesehen hat: Ein Arbeitnehmer, der weit entfernt vom Betriebssitz wohnt, erhält bei Montagen in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung den höchsten Satz für Nahauslösung. Das haben aber die Tarifvertragsparteien zu verantworten, wenn sie einerseits den Begriff der Nah- und Fernmontage ausschließlich an die Zumutbarkeit der Rückkehr zur Wohnung anknüpfen, die Höhe der Nah- und Fernauslösung aber an die Entfernung vom Betriebssitz zum Montageort.
Demgemäß kann der Kläger im vorliegenden Fall von der Beklagten Fernauslösung beanspruchen, wenn ihm im Klagezeitraum die tägliche Rückkehr von der Montagestelle in Hamburg zu seiner Wohnung nicht zumutbar war. Diese Frage hängt von den Verkehrsverbindungen und dem Zeitaufwand für die Fahrten von der Montagestelle zur Wohnung des Klägers ab. Gegebenenfalls ist auch zu berücksichtigen, ob und in welchem Umfang bei täglichen Heimfahrten des Klägers die Beklagte Fahrgeld erstatten würde. Zu diesen Fragen fehlen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Bei einer Entfernung von 150 km zwischen Montagestelle und Wohnung - wie sie im vorliegenden Fall im Klagezeitraum vorlag - läßt sich die Frage der Zumutbarkeit der täglichen Rückkehr zur Wohnung auch nicht von vornherein eindeutig in dem einen oder anderen Sinne beantworten (vgl. hierzu auch das Senatsurteil in BAG 40, 86 = AP Nr. 9 zu § 1 TVG Auslösung). Das Landesarbeitsgericht wird daher noch die erforderlichen Feststellungen treffen und unter Berücksichtigung aller Umstände im Rahmen seines Beurteilungsspielraums entscheiden müssen, ob dem Kläger im Klagezeitraum die tägliche Rückkehr von der Montagestelle in Hamburg zu seiner Wohnung zumutbar war oder nicht. Sollte das Landesarbeitsgericht die Unzumutbarkeit der täglichen Rückkehr von der Montagestelle zur Wohnung bejahen, wird es die Beklagte nur dann zu einer Nettozahlung verurteilen können, wenn die dem Kläger zustehenden Auslösungsbeträge offensichtlich steuerfrei sind oder die Steuerfreiheit zwischen den Parteien unstreitig ist (vgl. auch BAG 40, 307 = AP Nr. 44 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).
Das Landesarbeitsgericht wird auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten mitzuentscheiden haben.
Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Etzel
Schaible Hamm
Fundstellen