Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung bei der Einführung von Rufbereitschaft. Dienstdauer. Arbeitszeit. allgemeine Regelung

 

Leitsatz (amtlich)

Die durch Formularvertrag vorgegebene Ausgestaltung von Rufbereitschaftsdiensten in einer Dienststelle ist eine mitbestimmungspflichtige „sonstige, die Dienstdauer beeinflussende allgemeine Regelung” im Sinne des § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG, wenn damit ein Freizeitausgleich für eine etwaige im Zusammenhang mit der Rufbereitschaft angefallene Wegezeit zugelassen wird und wenn die von der Anordnung betroffenen Beschäftigten eine nach objektiven Gesichtspunkten allgemein und umfassend bestimmbare Gruppe sind.

 

Normenkette

HePersVG § 74 Abs. 1, 1 Nr. 9; BPersVG § 75 Abs. 3 Nr. 1; AZG § 2 Abs. 1 S. 1; BAT § 15 Abs. 6b UAbs. 4 S. 2; MTL II § 15 Abs. 6a UAbs. 4 S. 2

 

Verfahrensgang

Hessischer VGH (Beschluss vom 08.07.1993; Aktenzeichen HPV TL 73/92)

VG Gießen (Beschluss vom 06.06.1991; Aktenzeichen L 764/84)

 

Tenor

Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs – Fachsenat für Personalvertretungssachen (Land) – vom 8. Juli 1993 wird insoweit aufgehoben, als er nicht die Verfahrenseinstellung betrifft.

Die Beschwerde des Beteiligten gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Gießen – Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen – vom 6. Juni 1991 wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 6 000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Verfahrensbeteiligten streiten darüber, ob die Einführung von Rufbereitschaften in Betrieben der Philipps-Universität Marburg mitbestimmungspflichtig ist.

Im Betrieb „Lüftung, Kälte und Sanitärtechnik” wurde 1984 im Einvernehmen mit dem antragstellenden Personalrat probeweise eine auf ein Jahr befristete Rufbereitschaft eingeführt. Diese Rufbereitschaft wurde durch Nebenabreden im Arbeitsvertrag geregelt und jeweils befristet verlängert. Der Antragsteller forderte am 18. Januar 1989 den Beteiligten dazu auf, die bestehende Regelung in eine Dienstvereinbarung aufzunehmen. Dieser schlug vor, die Angelegenheit bis August 1989 zurückzustellen. Der Antragsteller war damit nicht einverstanden und beantragte beim Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst die Einleitung des Stufenverfahrens. Das Ministerium lehnte die Einleitung des Stufenverfahrens mit der Begründung ab, daß die Anordnung von Rufbereitschaften nicht mitbestimmungspflichtig sei.

Mit Schreiben vom 13. Juni 1989 unterrichtete der Beteiligte den Antragsteller, daß er beabsichtige, in zwei weiteren Betrieben (Nachrichtentechnik und Starkstromtechnik) Rufbereitschaften einzurichten. Die Teilnahme solle in Form von Nebenabreden zu den einzelnen Arbeitsverträgen geregelt werden. In einem internen Schreiben vom selben Tage stellte der Beteiligte klar, daß die neue Rufbereitschaft für den Bereich „Starkstromtechnik” nur eingeführt werde, wenn genügend Mitarbeiter bereit seien, die Nebenabrede zu unterschreiben.

In dem Entwurf der Nebenabrede heißt es u.a.:

„Die Rufbereitschaft ist im dienstplanmäßigen Wechsel zu leisten. Sie beginnt an Arbeitstagen um 16.00 Uhr, Freitag 15.00 Uhr und endet um 7.30 Uhr des darauffolgenden Arbeitstages. An Samstagen, Sonn- und Feiertagen ist die Rufbereitschaft durchgehend zu leisten.

Die Zeit der Rufbereitschaft wird mit 12,5 v.H. als Arbeitszeit gewertet und als Überstunden entlohnt. (Sie kann auch durch Freizeit abgegolten werden, der Zuschlag wird auch in diesem Fall gezahlt). … Diese Nebenabrede gilt zunächst ein Jahr. Die Bestimmungen des § 17 MTL II finden keine Anwendung.”

Hierauf hat der Antragsteller das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren eingeleitet und beantragt festzustellen, daß 1. die Einführung von Rufbereitschaftsdiensten durch den Beteiligten mitbestimmungspflichtig sei und 2. das Ministerium für Kunst und Wissenschaft verpflichtet sei, das Stufenverfahren über den Antrag des Antragstellers vom 18. Januar 1989 fortzusetzen.

Das Verwaltungsgericht hat das Ministerium für Wissenschaft und Kunst am Verfahren beteiligt und festgestellt, daß

  1. die Einführung von Rufbereitschaftsdiensten durch den Beteiligten insoweit mitbestimmungspfichtig sei, als es nicht um die Frage gehe, ob überhaupt Rufbereitschaft eingeführt werde und
  2. das Ministerium verpflichtet sei, das Stufenverfahren über den Antrag des Antragstellers insoweit fortzusetzen, als es in der beantragten Dienstvereinbarung nicht um die Frage gehe, ob überhaupt Rufbereitschaft eingeführt bzw. fortgesetzt werde.

Im übrigen hat es die Anträge abgelehnt.

Der Beteiligte und das Ministerium haben gegen den Beschluß Beschwerde eingelegt. Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren nur noch beantragt, die Beschwerden gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß festgestellt werde, daß die Regelung von Rufbereitschaftsdiensten durch den Beteiligten insoweit mitbestimmungspflichtig sei, als es nicht um die Frage gehe, ob Rufbereitschaft eingeführt werde, und als der Vollzug der tariflichen Regelung zur Rufbereitschaft eines besonderen Ausführungsaktes bedürfe. Sein weitergehendes Begehren hat er fallengelassen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat das Verfahren eingestellt, soweit der Antrag zu 2. zurückgenommen worden war. Im übrigen hat er Nr. 1 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts aufgehoben und den Antrag zu 1. des Antragstellers insgesamt abgelehnt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründung ausgeführt, eine an Normzweck und Interessenlage orientierte Auslegung des § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG ergebe, daß in Hessen die Regelung von Rufbereitschaften keine die Dienstdauer beeinflussende allgemeine Regelung darstelle. Die vom Gesetzgeber verwandten Begriffe „Arbeitszeit” und „Dienstdauer” seien nicht identisch. Der Begriff der Dienstdauer umfasse auch diejenigen Zeiten, die darauf verwendet werden müßten, weitere dienstliche oder arbeitsrechtliche Pflichten zu erfüllen, also sämtliche Zeiten, die im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung stünden. Daher könne z.B. die Gestaltung der Pausen die tägliche Dienstdauer beeinflussen. Der Begriff der Arbeitszeit meine ausschließlich die Phasen der Leistungserbringung.

Zeiten der Rufbereitschaft beeinflußten aber nicht die Dienstdauer. Dafür spreche schon der Wortlaut der verwendeten Fachausdrücke. Der Begriff „Rufbereitschaft” enthalte – anders als „Arbeitszeit”, „Dienstbereitschaft” und „Dienstdauer” – keinen Hinweis auf „Dienst” oder „Arbeit”. Im Unterschied zur Dienstbereitschaft könne der Beschäftigte bei der Rufbereitschaft zudem selbst bestimmen, wo er sich abrufbereit aufhalte. Es fehle die für die unmittelbaren Dienstpflichten kennzeichnende Anwesenheitspflicht am Einsatzort. Der Beschäftigte müsse auch nur ausnahmsweise damit rechnen, daß er die Arbeit aufzunehmen habe. Die individualrechtlich in den Nebenabreden zu den Arbeitsverträgen vereinbarte Regelung, daß die Zeit der Rufbereitschaft mit 12,5 % als Arbeitszeit gewertet und als Überstunde entlohnt werde, sei wie die Regelung in § 15 Abs. 6 b Satz 3 BAT eine Vergütungsregelung, die die Zeit der Rufbereitschaft weder zur Arbeitszeit noch zur Dienstzeit werden lasse.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Rechtsbeschwerde rügt der Antragsteller eine unrichtige Anwendung des § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG. Er trägt vor, die Dienstdauer beziehe sich nicht allein auf Zeiten, die in der Dienststelle verbracht würden. Belastungen durch die Arbeit entstünden nicht nur durch die körperliche und geistige Inanspruchnahme des Beschäftigten während der Erbringung der Arbeitsleistung, sondern auch durch psychische Belastungen. Diese erstreckten sich auf den Bereich der „Orientierung auf die Arbeit”. Pausen und Dienstbereitschaften, die beide in § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG ausdrücklich erwähnt seien, beträfen die Dienstdauer, weil sie durch die erwähnte Orientierung geprägt seien. Diese Orientierung sei auch bei der Rufbereitschaft gegeben. Zudem seien Dienstbereitschaft und Rufbereitschaft strukturell vergleichbar. Auch bei der Rufbereitschaft handele es sich um eine Wartezeit, innerhalb derer unvorhersehbar und unbestimmt lange Arbeitszeiten anfallen könnten. Es bestehe keine Freiheit für den Beschäftigten, mit der freien Zeit beliebig umzugehen.

Der Hinweis des Verwaltungsgerichtshofs auf den Wortlaut der Fachbegriffe sei nicht durchgreifend. Für den Begriff der „Pause” treffe er schon nicht zu. Dadurch, daß der Gesetzgeber alle sonstigen die Dienstdauer beinflussenden allgemeinen Regelungen der Mitbestimmung durch die Personalvertretung unterworfen habe, habe er insoweit offenkundig eine Auffangregelung gebildet.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Fachsenat für Personalvertretungssachen – Land –) vom 8. Juli 1993 aufzuheben und die Beschwerde des Beteiligten und des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Gießen (Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen) vom 6. Juni 1991 mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß festgestellt wird, daß die Regelung von Rufbereitschaftsdiensten durch den Beteiligten insoweit mitbestimmungspflichtig ist, als es nicht um die Frage geht, ob Rufbereitschaft eingeführt wird, und als der Vollzug der tariflichen Regelung zur Rufbereitschaft eines besonderen Ausführungsaktes bedarf.

Der Beteiligte und das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst beantragen,

die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

Sie machen geltend, es bestünden erhebliche Unterschiede zwischen Pausen und Dienstbereitschaften auf der einen und Rufbereitschaften auf der anderen Seite. Pausen seien von der Arbeitszeit umschlossen, und bei Dienstbereitschaften bestimme der Arbeitgeber, wo sich der Bedienstete aufzuhalten habe. Pausen und Dienstbereitschaften gehörten somit zum Bereich der Arbeit bzw. des Dienstes. Die Zeit einer Rufbereitschaft sei dagegen wesentlich mehr zur Freizeit als zur Arbeit hin orientiert. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht liege beim Bediensteten, und er habe lediglich seinen Aufenthaltsort anzuzeigen. Bei den meisten, im Berufsleben stehenden Menschen liege dauernd eine „Orientierung zur Arbeit” vor, da die Gedanken an den Beruf und die Einstellung auf diesen auch in der sogenannten Freizeit vorhanden seien. Vom Schutzzweck der Norm her komme eine Subsumierung der Rufbereitschaften unter den Begriff „Dienstdauer” nicht in Betracht.

In der Anhörung vom 15. November 1995 vor dem Senat ist im Einvernehmen mit den Verfahrensbeteiligten festgestellt worden, daß das Ministerium für Wissenschaft und Kunst nicht mehr am Verfahren beteiligt ist, da es durch die begehrte Entscheidung nicht mehr unmittelbar in seiner personalvertretungsrechtlichen Stellung betroffen wird (vgl. § 83 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz).

Ein in der Anhörung geschlossener Vergleich ist vom Beteiligten mit Schriftsatz vom 28. November 1995 widerrufen worden. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, ausschlaggebend für den Abschluß des Vergleichs sei gewesen, daß angenommen worden sei, daß mit der Rufbereitschaft auch ein Freizeitausgleich verbunden sei. Dabei sei aber von den Verfahrensbeteiligten übersehen worden, daß diese Wahlmöglichkeit nur in den Nebenabreden des Jahres 1989 bestanden habe, als die Rufbereitschaft probeweise eingeführt worden sei. Diese Nebenabreden hätten nur für ein Jahr gegolten. Die sich daran ab 1990 anschließenden Nebenabreden sähen einen Freizeitausgleich für die Rufbereitschaft nicht mehr vor. Das habe zur Folge, daß die Anordnung der Rufbereitschaft keine „sonstige, die Dienstdauer beeinflussende Regelung” im Sinne des § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG sei. Demnach sei die Geschäftsgrundlage für den Vergleichsabschluß entfallen. Für den Abschluß einer Dienstvereinbarung sei kein Raum, da die Rufbereitschaft in den einschlägigen Vorschriften des BAT bzw. des MTL II abschließend geregelt sei.

Der Antragsteller bestreitet nicht, daß die vertraglichen Nebenabreden einen Freizeitausgleich nicht mehr vorsehen. Er ist aber weiterhin der Meinung, daß die Regelung des Rufbereitschaftsdienstes mitbestimmungspflichtig sei. Sie sei, wie das Bundesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt habe, eine die Freizeit des Arbeitnehmers beschränkende Regelung, die ihren Grund in der Bereithaltung des Arbeitnehmers zur Erbringung von Arbeit habe. Sein Begehren scheitere auch nicht am Tarifvorbehalt des § 74 Abs. 1 HePersVG. Das vom Beteiligten in diesem Zusammenhang herausgegebene „Merkblatt zum Rufbereitschaftsdienst” stelle eine einseitige arbeitgeberseitige Konkretisierung der Rahmenbedingungen für die Rufbereitschaft dar. Diese Konkretisierung und die Regelung weiterer Punkte wolle der Antragsteller durch Dienstvereinbarung mit dem Beteiligten herbeiführen, um diesem die Möglichkeit zu versperren, während der Geltungsdauer der Dienstvereinbarung einseitig von diesen Regelungen wieder abzurücken.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

Der Antragsteller hat gemäß § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG einen Anspruch auf die begehrte Feststellung. Danach hat der Personalrat, soweit nicht eine Regelung durch Gesetz oder Tarif erfolgt, mitzubestimmen über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen, allgemeine Regelungen zur Festsetzung von Kurz- oder Mehrarbeit sowie Anrechnung der Pausen und Dienstbereitschaften und alle sonstigen, die Dienstdauer beeinflussenden allgemeinen Regelungen.

Bei den umstrittenen Rufbereitschaften in den Betrieben der Universität handelt es sich im Gegensatz zur Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs um mitbestimmungspflichtige sonstige, die Dienstdauer beeinflussende allgemeine Regelungen im Sinne dieser Vorschrift.

1. Der Begriff der Dienstdauer, der im Arbeitszeitrecht unbekannt ist, ist nicht mit dem der Arbeitszeit gleichzusetzen. Die Arbeitszeit ist in § 2 Abs. 1 Satz 1 Arbeitszeitgesetz als Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit, ohne die Ruhepausen, definiert. Dagegen ist Dienstdauer im Sinne des § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG zum einen der Zeitraum, in dem die Dienststelle den Beschäftigten zur Dienstleistung geöffnet ist, d.h. die durch die Festsetzung von Beginn und Ende sowie die mögliche Anordnung von Mehrarbeit, Überstunden oder Kurzarbeit bestimmte Dienstzeit an den einzelnen Tagen, und zum anderen die konkrete zeitliche Dienstleistungsverpflichtung der einzelnen Beschäftigten innerhalb dieses Zeitraums, einschließlich der auf sie anzurechnenden Pausen und Zeiten der Dienstbereitschaft (vgl. Beschluß vom 10. Juli 1984 zu dem weitgehend inhaltsgleichen § 86 Abs. 1 Nr. 1 HmbPersVG – BVerwG 6 P 9.83 – Buchholz 238.34 § 86 HmbPersVG Nr. 2 = ZBR 1984, 378, 379).

Die vom Beteiligten getroffene Regelung über die Ausgestaltung der Rufbereitschaft ist deshalb gemäß § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG mitbestimmungspflichtig, weil sie die Dienstdauer beeinflußt. Nach dem Wortlaut und nach Sinn und Zweck dieses Mitbestimmungstatbestands ist es nicht erforderlich, daß durch die Anordnung der Rufbereitschaft die Dientsdauer unmittelbar geregelt wird. Es reicht aus, wenn sie mittelbar Auswirkungen auf die Dienstdauer hat. Dies ergibt sich aus dem Begriff der Beeinflussung. Er besagt, daß jede allgemeine Regelung mitbestimmungspflichtig ist, die Auswirkungen auf die Dienstdauer im weitesten Sinne hat. Hätte der Gesetzgeber die Beteiligung der Personalvertretung nur bei einer unmittelbaren Regelung der Dienstdauer gewollt, dann hätte er eine andere Formulierung als die in § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG wählen müssen, etwa folgende: „Der Personalrat hat … mitzubestimmen … über alle sonstigen allgemeinen Regelungen der Dienstdauer”. Daß der hessische Gesetzgeber diese enge Mitbestimmungsregelung nicht gewollt hat, ergibt sich außerdem aus der Systematik des § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG. Während die anderen in dieser Vorschrift aufgeführten Tatbestände, nämlich „Beginn und Ende der Arbeitszeit”, „allgemeine Regelungen zur Festsetzung von Kurz- und Mehrarbeit”, „Anrechnung der Pausen und Dienstbereitschaften” den Inhalt und den Umfang des Mitbestimmungsrechts genau und abschließend erfassen, ist der Begriff „alle sonstigen, die Dienstdauer beeinflussenden allgemeinen Regelungen” offensichtlich als Auffangtatbestand für alle allgemeinen Regelungen der Dienststelle gedacht, die im weitesten Sinne Auswirkungen auf die Dienstdauer haben können und die nicht von den vorangehenden, in § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG aufgeführten Mitbestimmungstatbeständen erfaßt sind.

Diese Auslegung wird auch durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes gestützt. In der Begründung zum Entwurf des hessischen Personalvertretungsgesetzes ist zu § 61 Abs. 1 Nr. 9, der mit § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG identisch ist, ausgeführt: „Die Fassung der … Nr. 9 … wird erweitert” (vgl. LTDrucks 6/2499, S. 22). Damit wollte der Gesetzgeber offensichtlich bewußt eine umfassendere Regelung treffen als in § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG. Danach hat zwar der Personalrat über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen sowie über die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen. Einen Auffangtatbestand wie den der „die Dienstdauer beeinflussenden allgemeinen Regelungen” gibt es jedoch dort nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung dazu entschieden, daß Anrechnungsregelungen jedweder Art, also z.B. auch solehe der Dienstbereitschaft, als Regelung der Arbeitsdauer der Mitbestimmung entzogen sind (vgl. Beschlüsse vom 5. Februar 1971 – BVerwG 7 P 16.70 – BVerwGE 37, 173 und vom 9. Oktober 1991 – BVerwG 6 P 21.89 – PersR 1992, 20 = ZfPR 1992, 4). Wenn der hessische Gesetzgeber in Kenntnis dieser Rechtsprechung eine darüber hinausgehende weite Fassung bezüglich der die Dienstdauer beeinflussenden allgemeinen Regelungen gewählt hat, so muß daraus geschlossen werden, daß er in dieser Hinsicht eine inhaltliche Ausweitung des Mitbestimmungsrechts gegenüber dem Bundesrecht gewollt hat.

Legt man diese weite Fassung des Begriffs der „die Dienstdauer beeinflussenden allgemeinen Regelung” zugrunde, so war die Anordnung der Rufbereitschaft im vorliegenden Fall gemäß § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG mitbestimmungspflichtig. Zwischen den Verfahrensbeteiligten ist nunmehr zwar unstreitig, daß ab dem Jahre 1990 für die bei der Universität Marburg angeordnete Rufbereitschaft (ohne tatsächlich angefallene Arbeitszeit) nur noch Überstundenvergütung gezahlt wird; sie kann im Gegensatz zum Vorjahr, in dem die Rufbereitschaft probehalber eingeführt worden war, nicht mehr durch Freizeit abgegolten werden. Insoweit ist die Regelung über die Anordnung der Rufbereitschaft keine die Dienstdauer beeinflussende Regelung. Weder die festgelegte Dienstzeit an den einzelnen Tagen noch die konkrete zeitliche Dienstleistungsverpflichtung der Beschäftigten innerhalb dieses Zeitraums werden durch die Anordnung der Rufbereitschaft beeinflußt, da ein Freizeitausgleich nicht mehr erfolgt.

Die in der Universität getroffene Regelung über die Anordnung der Rufbereitschaft ist aber deshalb gemäß § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG mitbestimmungspflichtig, weil sie dadurch die Dienstdauer der Beschäftigten beeinflußt, daß der Beteiligte seit dem Jahre 1990 ausweislich des „Merkblatts zur Rufbereitschaft” jedenfalls eine Abgeltung der Rufbereitschaft durch Freizeit für die tatsächlich angefallene Arbeitszeit einschließlich der Wegezeit zugelassen hat. Er hat sich damit offensichtlich an § 15 Abs. 6 b, UAbs. 4 Satz 2 BAT und § 15 Abs. 6 a, UAbs. 4 Satz 2 MTL II orientiert. Danach kann für angefallene Arbeit einschließlich einer etwaigen Wegezeit ein Freizeitausgleich gewährt werden. Zwar wird durch den Freizeitausgleich für die tatsächlich angefallene Arbeitszeit die Dienstdauer nicht verändert. Sie bleibt gleich, weil nur die während der Rufbereitschaft effektiv von dem Beschäftigten erfüllte Zeit der geleisteten Arbeit abgegolten wird. Die Dienstdauer wird aber dadurch verändert und damit im Sinne des § 74 Abs. 1 Nr. 9 (letzter Halbsatz) HePersVG „beeinflußt”, daß die Wegezeit vom Aufenthaltsort des Beschäftigten zu seinem Arbeitsplatz und zurück später durch Freizeit ausgeglichen werden kann. Geschieht dies, so verkürzt sich die zu leistende Arbeitszeit und damit die Dienstdauer um die Zeit, die der Arbeitnehmer für den Weg zur Arbeitsstätte und zurück aufgewendet hat.

Die Mitbestimmung ist nicht durch den Tarifvorbehalt des § 74 Abs. 1 HePersVG ausgeschlossen. Danach hat der Personalrat nur mitzubestimmen, soweit nicht eine Regelung durch Gesetz oder Tarif erfolgt. Zwar ist in den vorstehend aufgeführten Tarifvorschriften bestimmt, daß bei Rufbereitschaft Freizeitausgleich für eine etwaige Wegezeit zulässig ist. Diese tariflichen Regelungen stehen aber dem Abschluß einer Dienstvereinbarung im Rahmen des Mitbestimmungsverfahrens nicht entgegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats schließt eine gesetzliche oder tarifvertragliche Regelung die Mitbestimmung des Personalrats nur dann aus, wenn darin ein Sachverhalt unmittelbar geregelt ist, es also zum Vollzug keines Ausführungsaktes bedarf. Eine solche Regelung besitzt Ausschließlichkeitscharakter, weil sie vollständig, umfassend und erschöpfend ist. Wenn jedoch aufgrund einer gesetzlichen oder tariflichen Regelung die Ausgestaltung der Einzelmaßnahme dem Dienststellenleiter überlassen ist, unterliegt dessen Entscheidung – auch bei rein normvollziehenden Maßnahmen – der Richtigkeitskontrolle durch den Personalrat im Wege der Mitbestimmung (Beschluß vom 17. Juni 1992 – BVerwG 6 P 17.91 – Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 79 m.w.N.). Der Tarifvorbehalt greift vorliegend deshalb nicht ein, weil die genannten Tarifvorschriften keine abschließnende Regelung treffen. Sie lassen dem Dienststellenleiter einen Ermessensspielraum. Er kann nämlich entscheiden, ob er für die im Zusammenhang mit der Rufbereitschaft angefallene Wegezeit eine Überstundenvergütung gewährt oder ob sie durch Freizeit abgegolten werden soll. Zwar kann der Antragsteller nicht im Wege der Mitbestimmung dem Beteiligten vorschreiben, wie er das Ermessen auszuüben hat. Er hat aber das Recht, darauf zu achten, daß das Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt wird und eine ungerechtfertigte Benachteiligung von Beschäftigten unterbleibt. Es ist auch zulässig, im Rahmen einer Dienstvereinbarung die allgemeinen Modalitäten über die Abgeltung der Wegezeit zu regeln, um etwa eine Gleichbehandlung aller von der Rufbereitschaft betroffenen Beschäftigten sicherzustellen.

2. Weiterhin sind die Regelungen über die Ausgestaltung von Rufbereitschaften an der Universität Marburg „allgemeine” Regelungen im Sinne des § 74 Abs. 1 Nr. 9 HePersVG.

a) Der allgemeine Regelungscharakter dieser Maßnahmen ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß die einzelnen Beschäftigten ihre Teilnahmebereitschaft durch die Unterzeichnung einer „Nebenabrede” zu ihrem Arbeitsvertrag erklären. Ein Ausschluß könnte nur dann angenommen werden, wenn nach der Ausgestaltung der Rufbereitschaft Raum für einzelvertraglich ausgehandelte, individuelle Abweichungen bliebe. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Beteiligte hat die einzelnen Bedingungen der Rufbereitschaft nicht zur Disposition des einzelnen Arbeitnehmers gestellt, sondern er hat den Beschäftigten jeweils gleichlautende Vereinbarungen als unveränderlich und damit verbindlich unterbreitet. Zudem wurde die zeitliche Gestaltung der Rufbereitschaften nicht mit den einzelnen Beschäftigten vereinbart, sondern sie blieb nach der „Nebenabrede” zum Arbeitsvertrag einem Dienstplan vorbehalten. Dadurch, daß der Beteiligte – ausweislich seines Schreibens vom 13. Juni 1989 – an die Betriebsleiter ein solches gleichlautendes Angebot ohne Änderungsmöglichkeit an alle Beschäftigten gemacht hat, hat er die kollektiven Interessen der Beschäftigten in den jeweiligen Universitätsbetrieben berührt, deren Schutz der Personalvertretung übertragen ist. Die Tatsache, daß die Regelung selbst danach jeweils durch Nebenabrede zum Arbeitsvertrag erfolgte, war demgegenüber unerheblich, weil die getroffenen Einzelvereinbarungen im Ergebnis nicht voneinander abwichen.

Die Mitbestimmungspflichtigkeit ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Beteiligte die Einführung der Rufbereitschaft an die Bedingung geknüpft hat, daß sich daran eine genügende Anzahl von Beschäftigten freiwillig beteiligte. Dies war lediglich ein interner Hinweis des Beteiligten an die Beschäftigten, unter welchen Bedingungen er beabsichtige, die Rufbereitschaft einzuführen. Damit hat er aber die Entscheidung darüber, ob Rufbereitschaft eingeführt werden sollte oder nicht, nicht in das Belieben der Beschäftigten gestellt, sondern er hat sich nach wie vor selbst die endgültige Entscheidung über die Einführung der Rufbereitschaft nach Maßgabe der von ihm vorgesehenen Ausgestaltung vorbehalten.

b) Das Mitbestimmungsrecht ist schließlich auch dann gegeben, wenn nicht alle Beschäftigten des jeweiligen Universitätsbetriebes das Angebot des Beteiligten annehmen und nur ein Teil an der Rufbereitschaft teilnimmt. Dadurch verliert die Anordnung der Rufbereitschaft nicht den Charakter einer allgemeinen Regelung. Eine allgemeine Regelung im Sinne dieser Vorschrift ist dann gegeben, wenn nach den konkreten Umständen die von der Anordnung betroffenen Beschäftigten eine nach objektiven Gesichtspunkten allgemein und umfassend bestimmbare Gruppe sind. Diese Voraussetzungen wären nicht erfüllt, wenn die Beschäftigten ausschließlich aus besonderem und vorübergehendem Anlaß nach der von ihnen erklärten Bereitschaft zur Ausübung der Rufbereitschaft ausgewählt würden. In diesem Fall wäre die Regelung nicht allgemein, sondern sie beträfe nur den jeweils individuell betroffenen Beschäftigten (vgl. in diesem Sinne BVerwG, Beschluß vom 2. Juni 1992 – BVerwG 6 P 14.90 – Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 78 = PersR 1992, 359 f.).

Im vorliegenden Fall ist nach dem festgestellten Sachverhalt die Einführung des dauerhaft geregelten Rufbereitschaftsdienstes vom Beteiligten davon abhängig gemacht worden, daß die betroffenen Beschäftigten in genügender Anzahl dazu ihre Zustimmung erteilten. Danach war zwar die Anordnung der Rufbereitschaft von der individuellen Bereitschaft der betroffenen Beschäftigten zur Teilnahme abhängig. Damit hatte der Beteiligte aber die Entscheidung, ob und in welcher Weise Rufbereitschaft angeordnet werden sollte, nicht in die Hand der Beschäftigten gelegt. Er hatte sich unabhängig davon, ob sie zur Teilnahme bereit waren, die Letztentscheidung über die Einführung vorbehalten. Außerdem hatte er die Modalitäten, in welcher Form die Rufbereitschaft durchgeführt werden sollte und wie sie entlohnt bzw. durch Freizeit abgegolten werden sollte, in der „Nebenabrede” zum Arbeitsvertrag vorgegeben und sie nicht zur Disposition der einzelnen Beschäftigten gestellt. Damit unterscheidet sich diese Fallgestaltung von derjenigen, die dem Beschluß des Senats vom 2. Juni 1992 (a.a.O.) zugrunde lag. Dort hatte der Dienststellenleiter die Entscheidung über die Einführung von Überstunden aus einem besonderen Anlaß ausschließlich den Beschäftigten anheimgestellt und sich selbst die endgültige Entscheidung darüber nicht vorbehalten.

c) Im übrigen stellt die hier im Streit stehende Anordnung der Rufbereitschaft nach dem festgestellten Sachverhalt im Gegensatz zu der oben dargestellten, auf einen konkreten Fall bezogenen Anordnung der Überstunden nicht eine auf einen Einzelfall beschränkte Regelung dar, sondern sie soll zumindest für einen längeren Zeitraum gelten. Sie betrifft außerdem die Gesamtheit der Beschäftigten der in Frage kommenden Universitätsbetriebe und berührt damit deren kollektive Interessen. An der Rubereitschaft können nach deren Einführung auch die Beschäftigten teilnehmen, die eine Teilnahme vorher abgelehnt haben und die später in den Betrieb eingetreten sind.

3. Nach alledem war der angefochtene Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs aufzuheben, soweit er nicht die Verfahrenseinstellung hinsichtlich des Ausspruchs Nr. 2 des Verwaltungsgerichts betrifft. Außerdem war der Beschluß des Verwaltungsgerichts wiederherzustellen. Die von dem Antragsteller in seinem Antrag enthaltene Einschränkung, nämlich die Beschwerde des Beteiligten mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß festgestellt wird, daß die Regelung von Rufbereitschaftsdiensten durch den Beteiligten insoweit mitbestimmungspflichtig ist, als es nicht um die Frage geht, ob Rufbereitschaft eingeführt wird, und als der Vollzug der tariflichen Regelung zur Rufbereitschaft eines besonderen Ausführungsaktes bedarf, war nicht in den Tenor des Beschlusses aufzunehmen, weil sich dies, was die Ausnahme der Anordnung der Rufbereitschaft betrifft, bereits aus dem erstinstanzlichen Beschluß ergibt und im übrigen als ein allgemeiner Vorbehalt des in Rede stehenden Mitbestimmungstatbestandes unzweifelhaft aus dem Hessischen Personalvertretungsgesetz folgt.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 10 Abs. 1 BRAGO in Verbindung mit § 8 Abs. 2 BRAGO.

 

Unterschriften

Niehues, Seibert, Albers, Vogelgesang, Eckertz-Höfer

 

Fundstellen

AP, 0

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