Entscheidungsstichwort (Thema)
Ärztliche Weiterbildung. praktischer Arzt/praktische Ärztin. Facharzt für Allgemeinmedizin. Weiterbildung in Teilzeit. Vollzeitausbildung. Diskriminierungsverbot
Leitsatz (amtlich)
Die Bestimmung des Hamburgischen Ärztegesetzes, daß die für die Weiterbildung zur „praktischen Ärztin” bzw. zum „praktischen Arzt” vorgeschriebene sechsmonatige Ausbildung in einer Praxis für Allgemeinmedizin zwingend als Vollzeittätigkeit zu absolvieren ist, steht in Einklang mit höherrangigem Recht. Sie verletzt nicht das Diskriminierungsverbot des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
Normenkette
RiLi 76/207/EWG; RiLi 86/457/EWG; RiLi 93/16/EWG; HmbÄrzteG § 13a Abs. 8, § 13b Abs. 2-3; GG Art. 3 Abs. 3
Verfahrensgang
VG Hamburg (Urteil vom 02.12.1997; Aktenzeichen 13 VG 6329/96) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 2. Dezember 1997 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin, eine approbierte Ärztin, erstrebt die Berechtigung, die Bezeichnung „praktische Ärztin” zu führen.
Ursprünglich hatte die Klägerin ihre Weiterbildung zur (Fach-)Ärztin für Allgemeinmedizin nach der Weiterbildungsordnung der beklagten Ärztekammer betrieben. Von 1988 bis 1992 war sie vollzeitig in der Inneren Abteilung eines Krankenhauses tätig. Davon anerkannte die Beklagte zwei Jahre als Vollzeitweiterbildung. Vom 1. April 1994 bis zum 31. März 1995 war sie als Weiterbildungsassistentin in einer Praxis für Allgemeinmedizin als Teilzeitkraft beschäftigt. Mit Bescheid vom 15. März 1994 hatte die Beklagte die Weiterbildung in Teilzeit nach § 3 Abs. 5 der Weiterbildungsordnung genehmigt, weil die Klägerin zwei Kleinkinder zu versorgen hatte, und die Anerkennungsfähigkeit der Weiterbildung mit dem Hinweis bestätigt, der verbleibende Teil der erforderlichen Mindestweiterbildungszeit müsse ganztägig abgeleistet werden.
Am 4. Mai 1995 beantragte die Klägerin ein Zeugnis über die „spezifische Ausbildung in der Allgemeinmedizin” verbunden mit der Berechtigung, die Bezeichnung „praktische Ärztin” zu führen. Mit Bescheid vom 5. Mai 1995 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, nach § 13 b Abs. 2 Satz 1 des Hamburgischen Ärztegesetzes (HmbÄrzteG) müsse die vorgeschriebene Ausbildung in einer Praxis für Allgemeinmedizin mindestens sechs Monate lang in Vollzeit erfolgen. Eine Ausnahme hiervon sehe das Gesetz – anders als die Weiterbildungsordnung für die Facharztausbildung – nicht vor. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Bescheid vom 9. Oktober 1996 zurück.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Regelung des § 13 b Abs. 2 Satz 1 HmbÄrzteG verletze das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl 1976 Nr. L 39/40). Die Forderung in Art. 5 Abs. 1 3. Spiegelstrich der Richtlinie 86/457/EWG des Rates vom 15. September 1986 über eine spezifische Ausbildung in der Allgemeinmedizin (ABl 1986 Nr. L 267/26), daß jedenfalls ein Teil der Ausbildung in einer allgemeinmedizinischen Praxis in Vollzeit abzuleisten sei, müsse hinter dem grundlegenden Diskriminierungsverbot zurücktreten.
Die Regelung des Hamburger Ärztegesetzes verstoße auch gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes. Sie benachteilige die Frauen wegen ihres Geschlechts und verstoße daher gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, die gesetzlich geforderte Vollzeitausbildung sei sachlich gerechtfertigt. Die Regelung solle gewährleisten, daß der künftige praktische Arzt während seiner Tätigkeit in einer allgemeinmedizinischen Praxis einen Gesamtüberblick über die dort anfallenden Aufgaben erhalte und das gesamte Spektrum der zu bewältigenden Tätigkeit kennenlerne. Bei einer bloßen Teilzeitausbildung könne es vorkommen, daß der Auszubildende keine Erfahrungen mit Hausbesuchen erwerbe oder jeweils nur Ausschnitte aus der Krankheitsentwicklung eines Patienten mitbekomme.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 2. Dezember 1997 abgewiesen. Dazu hat es ausgeführt, das Hamburger Ärztegesetz mache eine sechsmonatige Vollzeitausbildung in einer Praxis für Allgemeinmedizin eindeutig und zwingend zur Voraussetzung des von der Klägerin erstrebten Zeugnisses. Diese Regelung stehe nicht in Widerspruch zu höherrangigem Recht. Sie sei vereinbar mit Art. 34 der Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5. April 1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstige Befähigungsnachweise (ABl 1993 Nr. L 165/1), die an die Stelle der Richtlinie 86/457/EWG getreten sei. Es sei ausdrücklich gefordert, daß ein Teil der Ausbildung in einer Arztpraxis als Vollzeitausbildung geleistet werden müsse. Eine Verletzung des Diskriminierungsverbots der Richtlinie 76/207/EWG liege nicht vor. Zwar sei es richtig, daß die Forderung nach Vollzeitausbildung mehr Frauen belaste als Männer. Die Regelung sei jedoch durch objektive Faktoren gerechtfertigt. Sie solle gewährleisten, daß eine realistische Vorbereitung auf die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit als praktischer Arzt stattfinde. Eine ausschließliche Teilzeitausbildung könne nur ein gewisses Spektrum ärztlicher Tätigkeit vermitteln. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes sei nicht ersichtlich. Die gesetzliche Regelung sei nicht willkürlich.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin mit Zustimmung der Beklagten die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Sie hält daran fest, daß die Regelung des § 13 b Abs. 2 Satz 1 HmbÄrzteG gegen die Richtlinie 76/207/EWG verstoße. Die geforderte Vollzeitausbildung stelle eine mittelbare Diskriminierung der Frauen dar, weil das Verbot der Teilzeitausbildung wesentlich mehr Frauen betreffe als Männer. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts gebe es keine objektive Rechtfertigung für diese mittelbare Diskriminierung. Der geforderte umfassende Einblick in eine allgemeinärztliche Praxis lasse sich bei entsprechender Gestaltung auch im Rahmen einer Teilzeitausbildung gewinnen. Die angegriffene Regelung verletze gleichzeitig Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Auch das Grundgesetz verbiete die mittelbare Diskriminierung von Frauen. Auf die Richtlinie 86/457/EWG könne sich die Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil die Klägerin die in Art. 2 Abs. 1 b dieser Richtlinie geforderte zweijährige Vollzeitausbildung – im Krankenhaus – absolviert habe. Damit greife Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie in ihrem Fall nicht ein. Selbst wenn man dies anders sehe, widersprächen sich die Richtlinien 76/207/EWG und 86/457/EWG; dieser Widerspruch sei zugunsten der erstgenannten Richtlinie aufzulösen, weil sie die grundlegenderen Bestimmungen enthalte.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 2. Dezember 1997 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Mai 1995 und des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 1996 ein Zeugnis gemäß § 13 a Abs. 8 HmbÄrzteG zu erteilen, das ihr das Führen der Bezeichnung „praktische Ärztin” gestattet.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, daß der Klägerin das begehrte Zeugnis nicht zusteht, verletzt kein revisibles Recht.
1. Grundlage des Begehrens der Klägerin ist § 13 a Abs. 8 HmbÄrzteG. Danach erhält derjenige, der eine spezifische Ausbildung in der Allgemeinmedizin abgeschlossen hat, hierüber von der Ärztekammer auf Antrag ein Zeugnis, das ihn berechtigt, die Bezeichnung „praktischer Arzt” oder „praktische Ärztin” zu führen, soweit auch die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufs im Geltungsbereich der Bundesärzteordnung vorliegt. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils steht der Klägerin hiernach das Zeugnis nicht zu, weil sie die vorgeschriebene Ausbildung nicht abgeschlossen hat. Nach § 13 b Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 13 a Abs. 3 Satz 3 HmbÄrzteG umfaßt diese Ausbildung eine mindestens sechsmonatige Vollzeittätigkeit in einer Praxis für Allgemeinmedizin. Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht. Sie war im Rahmen der Weiterbildung ausschließlich als Teilzeitkraft in einer Praxis tätig.
2. Die gesetzliche Forderung, die Ausbildung in einer Allgemeinpraxis mindestens sechs Monate lang in Vollzeit zu absolvieren, steht nicht in Widerspruch zu höherrangigem Recht. Sie verstößt insbesondere nicht gegen die Bestimmungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
a) Die Klägerin rügt, die streitige Regelung verstoße gegen die Richtlinie 76/207 EWG vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Diese Richtlinie stellt ein Diskriminierungsverbot auf. Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie beinhaltet der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen, daß keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf. Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie beinhaltet die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, daß bei den Bedingungen des Zugangs – einschließlich der Auswahlkriterien – zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen – unabhängig vom Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig – und zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erfolgt. Die Klägerin meint, die Forderung nach einer zeitweisen Vollzeitausbildung in der Praxis für Allgemeinmedizin bedeute eine mittelbare Diskriminierung der Frauen im Sinne der genannten Bestimmungen.
In der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, in der es insbesondere um die Benachteiligung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern gegenüber Vollzeitbeschäftigten geht (vgl. u.a. Urteile vom 13. Mai 1986 – Rs 170/84 – Slg. 1986, 1607 – Bilka –, vom 13. Juli 1989 – Rs 171/88 – Slg. 1989, 1743 – Rinner-Kühn –, vom 7. Februar 1991 – Rs C-184/89 – Slg. 1991 S. 297 – Nimz –, vom 2. Oktober 1997 – Rs C-1/95 – Slg. 1997, 5253 – Gerster –, vom 2. Oktober 1997 – Rs C-100/95 – Slg. 1997 I-5289 – Kording –), findet diese Meinung allerdings keine Grundlage. Darin hat der Gerichtshof ausgeführt, eine unmittelbare Diskriminierung durch nationale Bestimmungen liege vor, wenn sie eine Gruppe in direkter Anknüpfung an das Geschlecht benachteiligten (vgl. Urteile vom 2. Oktober 1997 – Rs C-1/95 – a.a.O. Rn. 29 und – Rs C-100/95 – a.a.O. Rn. 15). Eine mittelbare Diskriminierung liege hingegen vor, wenn die Anwendung einer nationalen Maßnahme, die zwar neutral formuliert sei, tatsächlich wesentlich mehr Frauen als Männer benachteilige (Urteile vom 2. Oktober 1997 – Rs C-1/95 – a.a.O. Rn. 30 und – Rs C-100/95 – a.a.O. Rn. 16). Dies gelte nur dann nicht, wenn die unterschiedliche Behandlung der beiden Arbeitnehmerkategorien durch Faktoren gerechtfertigt sei, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hätten (vgl. Urteile vom 2. Oktober 1997 – Rs C-1/95 – Rn. 34 und – Rs C-100/95 – a.a.O. Rn. 19).
Diese Rechtsprechung trifft die hier zur Entscheidung stehende Problematik nicht. Es geht vorliegend nicht darum, daß an bestimmte Beschäftigungsmodalitäten nachteilige Rechtsfolgen geknüpft würden. Der Gesetzgeber schließt vielmehr eine bestimmte Beschäftigungsform – die Teilzeit – für alle in Betracht kommenden Arbeitnehmer aus. Ob sich die Antidiskriminierungsrichtlinie auch gegen solche Regelungen richtet und welche Maßstäbe dabei gegebenenfalls zu beachten wären, hat der Europäische Gerichtshof bislang nicht entschieden.
Der vorliegende Rechtsstreit gibt jedoch keine Veranlassung, diesen Fragen – etwa durch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 177 Abs. 3 EGV – weiter nachzugehen. Ebensowenig braucht geklärt zu werden, ob die streitige Regelung, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs durch Umstände gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Darauf kommt es nicht an, weil die Richtlinie 76/207 EWG, selbst wenn sie an sich tatbestandsmäßig einschlägig sein sollte, für den zu beurteilenden Regelungsbereich durch Gemeinschaftsrecht verdrängt wird, das dem nationalen Gesetzgeber eine Regelung der hier streitigen Art eindeutig zur Pflicht macht.
b) Die Ausbildung zur praktischen Ärztin, die die Klägerin bescheinigt haben will, hat ihre gemeinschaftsrechtliche Grundlage heute in Art. 30 ff. der Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5. April 1993. Diese Bestimmungen, die unter der Titelüberschrift „Spezifische Ausbildung in der Allgemeinmedizin” stehen, sind an die Stelle der Richtlinie 86/457/EWG des Rates vom 15. September 1986 getreten, die ebenfalls die in Rede stehende Ausbildung zum Gegenstand hatte und sie inhaltsgleich regelte.
Art. 34 Abs. 1 der an die Mitgliedstaaten gerichteten und sie zur Umsetzung verpflichtenden Richtlinie 93/16/EWG schreibt eindeutig und in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise vor, daß die gebotene Ausbildung in einer Allgemeinpraxis Abschnitte einer Vollzeitausbildung umfassen muß. Zwar bestimmt schon Art. 31 Abs. 1 lit. b als Grundsatz, daß die gesamte Ausbildung als mindestens zweijährige Vollzeitausbildung erfolgen muß. Art. 34 Abs. 1 schränkt dies aber dahin ein, daß die Mitgliedstaaten ungeachtet des Grundsatzes der Vollzeitausbildung eine spezifische Teilzeitausbildung zulassen können, sofern bestimmte Einzelbedingungen erfüllt sind. Dazu rechnet nach dem dritten Spiegelstrich der Vorschrift, daß die Teilzeitausbildung einige Abschnitte einer Vollzeitausbildung umfassen muß, und zwar unter anderem bei dem in einer zugelassenen Allgemeinpraxis stattfindenden Teil. Die Richtlinie verbietet mithin eine nationale Regelung, die die Ausbildung in einer Allgemeinpraxis vollständig in Teilzeit zuließe, wie es die Klägerin fordert.
c) Die Ansicht der Klägerin, diese Regelung müsse gegenüber dem allgemeinen Diskriminierungsverbot zurücktreten, geht fehl. Die Richtlinien 76/207/EWG und 93/16/EWG haben denselben Rang; beide sind vom Rat der Europäischen Gemeinschaften erlassen. Art. 119 EGV, den die Klägerin in diesem Zusammenhang anführt, betrifft nach seinem eindeutigen Wortlaut nur den Anspruch auf gleiches Entgelt für Männer und Frauen; dieser spielt bei dem Begehren der Klägerin keine Rolle. Auf andere Aspekte des Beschäftigungsverhältnisses als auf diejenigen, auf die er sich ausdrücklich bezieht, kann die Tragweite des Art. 119 EGV nicht erstreckt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 2. Oktober 1997 – Rs C-1/95 – a.a.O. – Gerster –, Rn. 21).
Damit ist das Verhältnis der in den Richtlinien 76/207/EWG und 93/16/EWG getroffenen Regelungen nach allgemeinen Grundsätzen zu bestimmen. Diese ergeben, daß der Richtlinie 93/16/EWG für den streitigen Bereich der Vorrang gebührt.
Zum einen gilt, daß unter gleichrangigen Normen die speziellere die allgemeine verdrängt. Dieser Grundsatz greift hier ein, weil die Richtlinie 93/16/EWG ganz konkret die Zulässigkeit einer Teilzeittätigkeit im Rahmen der Ausbildung in einer Allgemeinpraxis regelt. Da die Teilzeittätigkeit, wie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs belegt, gerade unter Diskriminierungsgesichtspunkten immer wieder Probleme aufwirft, erscheint es selbstverständlich, daß der Rat sich bewußt war, eine Regelung zu treffen, die für Männer und Frauen gleichermaßen gilt. Es handelt sich mithin gegenüber dem allgemeinen Diskriminierungsverbot der Richtlinie 76/207/EWG, soweit es überhaupt einschlägig sein sollte, eindeutig um die speziellere Norm.
Zum anderen gilt der Grundsatz, daß im Falle einer Normenkonkurrenz die spätere Norm der früheren vorgeht. Auch dies spricht für den Vorrang der Richtlinie 93/16/EWG. Schon die Vorgängerrichtlinie 86/457/EWG ist erst zehn Jahre nach der Antidiskriminierungsrichtlinie 76/207/EWG erlassen worden. Die jetzt maßgebliche Richtlinie ist weitere sieben Jahre später ergangen.
d) Gründe, die Rechtsgültigkeit der in der Richtlinie 93/16/EWG getroffenen Regelung in Zweifel zu ziehen, bestehen nicht. Zwar ist auch das Gemeinschaftsrecht den Prinzipien des Rechtsstaats einschließlich des Schutzes individueller Grundrechte verpflichtet. Ein Verstoß gegen diese Prinzipien liegt jedoch ersichtlich nicht vor. Insbesondere verletzt die Regelung weder das Willkürverbot noch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Der Forderung, die Ausbildung in einer Allgemeinpraxis zumindest teilweise in Vollzeit zu absolvieren, liegen nachvollziehbare sachorientierte Erwägungen zugrunde. Das ergibt sich aus der Bestimmung in Art. 34 Abs. 1 dritter Spiegelstrich der Richtlinie, Zahl und Dauer der Abschnitte der Vollzeitausbildung seien so festzulegen, daß sie eine entsprechende Vorbereitung auf die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit des praktischen Arztes gewährleisten. Die Richtlinie geht mithin davon aus, daß das volle Spektrum der einem praktischen Arzt obliegenden Aufgaben sicher nur erfaßt und erlernt werden könne, wenn die Ausbildung wenigstens abschnittsweise in Vollzeit erfolge. Das beruht, wie die sechzehnte Begründungserwägung der Richtlinie zeigt, auf der Erwartung, daß der praktische Arzt das soziale Umfeld seiner Patienten persönlich kennt und sie als Gesamtpersönlichkeit in Fragen der Krankheitsverhütung und des Gesundheitsschutzes berät und in geeigneter Weise behandelt. Dem liegt das Bild des Hausarztes zugrunde, der prinzipiell für seine Patienten da ist, wenn sie ihn brauchen, und dessen Einsatzbereitschaft sich nicht auf wenige Stunden am Tag beschränkt. Dieses Bild ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, weder realitätsfremd noch entbehrt es des Bezuges zu einer angemessenen medizinischen Versorgung der Bevölkerung.
Die Beschränkung der Möglichkeit, die Ausbildung nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu gestalten, ist auch nicht unverhältnismäßig. Die getroffene Regelung ist nicht ungeeignet zur Erreichung des angestrebten Zieles, den angehenden praktischen Arzt umfassend auf die ihn erwartenden Aufgaben vorzubereiten. Es drängt sich auch kein weniger belastendes Mittel auf, das diesem Anliegen gerecht werden könnte. Schließlich stehen die den Betroffenen zugemuteten Nachteile nicht außer Verhältnis zu dem erstrebten Nutzen einer ganzheitlichen ärztlichen Betreuung der Bevölkerung.
Der Vortrag der Klägerin, sie habe während ihrer einjährigen Teilzeitausbildung in einer Allgemeinpraxis auch Hausbesuche gemacht und Nachmittagssprechstunden wahrgenommen, steht dieser Bewertung nicht entgegen. Zum einen ergibt er nämlich nicht, daß ihr damit die von der Richtlinie angestrebte kontinuierliche Betreuung der einzelnen Patienten übertragen war. Zum anderen ist es in einem sensiblen Bereich wie dem der medizinischen Versorgung legitim, eine Regelung zu treffen, die unnötige Risiken vermeidet.
Die Unangemessenheit der in Rede stehenden Regelung läßt sich schließlich nicht daraus herleiten, daß die Teilzeittätigkeit der Klägerin in der Allgemeinpraxis im Rahmen der Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin nach der ihr erteilten Bescheinigung anrechnungsfähig gewesen wäre. Die Bescheinigung stellt nämlich gleichzeitig fest, daß der verbleibende Teil der erforderlichen Mindestweiterbildungszeit ganztägig abgeleistet werden müsse. Das zeigt, daß auch nach der Weiterbildungsordnung der Beklagten Zeiten einer Vollzeittätigkeit für die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin unverzichtbar sind.
3. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, der Landesgesetzgeber habe mit der Forderung, die Mindestzeit der Ausbildung in einer allgemeinmedizinischen Praxis in Vollzeit zu absolvieren, das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG verletzt. Dabei kann auch hier offenbleiben, ob die streitige Regelung überhaupt das Kriterium der Benachteiligung erfüllt. Darauf kommt es nicht an, weil das Gesetz mit dem Ausschluß einer vollständigen Teilzeitausbildung lediglich die Verpflichtung umsetzt, die das Gemeinschaftsrecht mit der Richtlinie 93/16/EWG dem nationalen Gesetzgeber verbindlich auferlegt.
Es ist allgemein anerkannt, daß die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich nicht der Überprüfung am Maßstab der nationalen Grundrechtsbestimmungen unterliegen (vgl. BVerfG, Beschluß vom 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – BVerfGE 73, 339 ff.; BVerwG, Urteil vom 23. April 1998 – BVerwG 3 C 15.97 – Buchholz 451,90 Europ.Wirtschaftsrecht Nr. 172; Zuleeg, Der Schutz der Menschenrechte im Gemeinschaftsrecht, DÖV 1992, 937, 941). Das schließt es aus, einer nationalen Rechtsvorschrift, die lediglich eine rechtsgültige gemeinschaftsrechtliche Bestimmung umsetzt, unter Berufung auf nationale Grundrechte die Gültigkeit abzusprechen. Anderenfalls könnte der Geltungsanspruch des Gemeinschaftsrechts unterlaufen und seine Umsetzung in nationales Recht unter Berufung auf eben solches Recht verhindert werden.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Fundstellen
NJW 1999, 2752 |
NWB 1999, 772 |
BVerwGE, 289 |
NVwZ 1999, 1114 |
ZAP 1999, 281 |
ArztR 2000, 22 |
EuZW 1999, 572 |
MedR 2000, 91 |
PersR 1999, 137 |
DVBl. 1999, 1046 |
AusR 1999, 56 |
AusR 2000, 30 |