Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsvorgang als Gesamtheit von Tätigkeiten zur Erreichung eines verwertbaren Arbeitsergebnisses. Entscheidungsbefugnisse eines Vereinsbetreuers nach §§ 1896 ff. BGB. Entscheidungsvorbereitung zur zwangsweisen Unterbringung von Menschen mit psychischen Krankheiten. Privatrechtlicher Betreuer mit Befugnis zur Unterbringung nach § 1906 BGB. Organisation der Betreuung als Teil der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers

 

Leitsatz (amtlich)

1.) Bei der Bearbeitung von Fällen durch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter stellt regelmäßig nicht jeder einzelne Fall einen Arbeitsvorgang dar, sondern erst die Befassung mit allen Fällen füllt diesen Rechtsbegriff aus. Es ist nicht entscheidend, dass höherwertige Einzeltätigkeiten innerhalb des Arbeitsvorgangs die Hälfte der hierauf entfallenden Arbeitszeit ausmachen. Es ist entscheidend, dass innerhalb des Arbeitsvorgangs in rechtserheblichem Ausmaß Tätigkeiten ausgeübt werden, die die tariflichen Anforderungen erfüllen und ohne die ein sinnvoll verwertbares Arbeitsergebnis nicht erzielt werden könnte. Dies gilt auch für privatrechtliche Betreuer.

2.) Ein Vereinsbetreuer nach § 1896ff BGB trifft im Sinne von Entgeltgruppe S 14 Anlage 33 AVR regelmäßig keine Entscheidungen zur Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls oder leitet in Zusammenarbeit mit dem Familiengericht bzw. Vormundschaftsgericht Maßnahmen ein, die zur Gefahrenabwehr erforderlich sind.

3.) Ein Vereinsbetreuer nach § 1896ff BGB kann aber "gleichwertige Tätigkeiten" nach Entgeltgruppe S 14 Anlage 33 AVR ausüben, die für die Entscheidung zur zwangsweisen Unterbringung von Menschen mit psychischen Krankheiten erforderlich sind, auch wenn der Vereinsbetreuer keinerlei Befugnisse auf Grundlage des PsychKG ausübt. Denn dieser Tätigkeit ist nach dem Willen der Tarifvertragsparteien die Beteiligung im Verfahren nach § 1906 BGB gleichgestellt.

4.) Erforderlich für die Gleichstellung ist die notwendige Beteiligung an einer fremden Entscheidung. Darunter sind "begleitende" Maßnahmen bei der Entscheidung zur zwangsweisen Unterbringung zu verstehen, die ihrerseits nicht allein ausschlaggebend sein müssen. Die Tätigkeit muss aber für die Entscheidung erforderlich sein. Dazu reicht es nicht aus, dass der privatrechtliche Betreuer im Verfahren der Unterbringung nach dem PsychKG beteiligt wird. Die Unterbringung erfolgt in diesem Fall durch das Amtsgericht im Benehmen mit dem sozialpsychiatrischen Dienst. Die Stellungnahme des - privatrechtlichen - Betreuers ist im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Gefahrenabwehr nicht vorgesehen. Sie kann hilfreich sein, geboten ist sie aber nicht und damit nicht erforderlich. Eine Tätigkeit als privatrechtlicher Betreuer, die die Befugnis zur Unterbringung nach § 1906 BGB vorsieht, wird demgegenüber von der Entgeltgruppe S 14 Anlage 33 AVR erfasst. Die Beteiligung im Verfahren der privatrechtlichen Unterbringung ist eine "begleitende" Maßnahme, die für die Entscheidung anderer - hier des Amtsgerichtes - erforderlich ist. Denn die Zuständigkeit für eine Unterbringung liegt ausschließlich bei dem legitimierten Betreuer. Er ist zwar nicht "Herr des Verfahrens", aber sein Antrag und seine Mitwirkung im Verfahren ist von derart zentraler Bedeutung, dass sie mehr als nur "für ... Entscheidungen" anderer erforderlich ist. Er leitet das Verfahren ein und hat es zu beenden, wenn die Voraussetzungen weggefallen sind.

5.) In welcher Form der Arbeitgeber im Rahmen seiner unternehmerischen Freiheit die Betreuung strukturiert und die von ihm zu erbringenden verschiedenen Arbeiten organisiert, bleibt seiner eigenen Entscheidung überlassen. Ob und ggf. welche organisatorischen Untereinheiten oder bestimmte ausgewählte Personen oder Personengruppen er im gerichtlichen Verfahren nach § 1906 BGB beteiligt, ist als Teil seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit hinzunehmen und nicht weiter im Rahmen eines Eingruppierungsprozesses überprüfbar.

 

Normenkette

AVR Anl. 33 Entgeltgruppe S. 14; BGB §§ 1906, § 1896 ff; PsychKG NRW § 11 Abs. 1 S. 1, § 12 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.03.2017; Aktenzeichen 2 Ca 6837/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 14.03.2019; Aktenzeichen 6 AZR 90/18)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16.03.2017, Az 2 Ca 6837/16 abgeändert und festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger seit dem 01.03.2013 eine Vergütung unter Zugrundelegung der Entgeltgruppe S14 Anlage 33 AVR zu zahlen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Eingruppierung des Klägers.

Der Beklagte ist anerkannter Träger der Jugend- und Familienhilfe sowie der Gefährdetenhilfe. In diesem Rahmen übernimmt er auch rechtliche Betreuungen gem. § 1896 ff BGB für Personen, die infolge einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung ihre Angelegenheiten nicht mehr eigenständig regeln können.

Der am 12.08.1954 geborene ...

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