Umkleidezeit ist Arbeitszeit und kann vom Gericht geschätzt werden
Der Kläger ist bei der nicht tarifgebundenen Beklagten, die technische und handwerkliche Serviceleistungen erbringt, beschäftigt. Er wird in der Lebensmittelproduktion eingesetzt. Laut seines Arbeitsvertrages ist er verpflichtet, „den Dienst täglich mit sauberer und vollständiger Dienstkleidung anzutreten und zu erfüllen. Die Bedienung der Zeiterfassungsanlage, d.h. das An- und Abstempeln hat ausschließlich persönlich und zwar immer in einwandfreier Dienstkleidung zu erfolgen. Die Wegezeiten zu bzw. von den Stempeluhren oder Pausenräumen sind leistungsentgeltfrei.“ Die Arbeitskleidung wird von der Beklagten gestellt. Sie darf aufgrund der geltenden Hygienevorschriften nicht mit nach Hause genommen werden und ist im Betrieb an- und abzulegen. Dazu muss der Kläger nach Betreten des Betriebsgeländes die Arbeitskleidung an einer Ausgabestelle abholen, sich dann in einem Umkleideraum umziehen und sich anschließend im Bereich der Pforte registrieren. Im Anschluss an diesen Vorgang muss er dann zum Betriebsgebäude gehen, um dort an einer zweiten Stempeluhr erneut zu stempeln. Nach Schichtende erfolgt der Vorgang in umgekehrter Folge.
Der Kläger macht nun für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2014 für 737 Arbeitstage die mit dem An- und Ablegen der Arbeitskleidung verbundenen Umkleide- und innerbetrieblichen Wegezeiten geltend. Er gab hierzu an, 36 Minuten pro Arbeitstag benötigt zu haben.
BAG: Umkleidezeit ist Arbeitszeit
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dem Kläger teilweise Recht gegeben und ihm das Entgelt für 27 Minuten pro Arbeitstag zugesprochen.
Nach Auffassung des BAG hat der Kläger einen Anspruch auf Vergütung der Zeit, die er unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötigt, um sich umzukleiden und die damit verbundenen Wege zwischen Ausgabestelle und Stempeluhr zurückzulegen. Denn er hat damit eine Arbeitsleistung erbracht, die als Teil der versprochenen Dienste vergütungspflichtig ist. Hierzu führte das Gericht aus, dass zur geschuldeten Arbeitsleistung auch das Umkleiden und Zurücklegen der hiermit verbundenen innerbetrieblichen Wege gehören, „wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt, die im Betrieb an- und abgelegt werden muss, und er das Umkleiden nicht am Arbeitsplatz ermöglicht, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichtet.“ Im vorliegenden Fall ergibt sich die Fremdnützigkeit aus der Weisung des Arbeitgebers, die Arbeitskleidung erst im Betrieb anzulegen und sich dort an einer zwingend vorgegebenen, vom Arbeitsplatz getrennten Umkleidestelle umzuziehen.
Schätzung der Umkleidezeit durch die Gerichte
Nach Auffassung des BAG haben die Vorinstanzen den zeitlichen Umfang der vergütungspflichtigen Umkleide- und Wegezeit in Höhe von 27 Minuten rechtsfehlerfrei unter Anwendung von § 287 Abs. 2 ZPO ermittelt.
Hierzu führte das Gericht aus, dass diejenige Zeit vergütungspflichtig ist, die für das An- und Ablegen der Arbeitskleidung und das Zurücklegen der damit verbundenen innerbetrieblichen Wege erforderlich ist. Bei der Ermittlung der Zeitspanne ist ein modifizierter subjektiver Maßstab anzulegen. Der Arbeitnehmer darf also seine Leistungspflicht nicht frei selbst bestimmen, sondern muss unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten, so dass „erforderlich“ nur die Zeit ist, die der einzelne Arbeitnehmer für das Umkleiden und den Weg zur und von der Umkleidestelle im Rahmen der objektiven Gegebenheiten unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötigt. Wenn ein Arbeitnehmer hierfür seiner Darlegungs- oder Beweislast nicht nachkommen kann, darf das Gericht die erforderlichen Umkleidezeiten und die damit verbundenen Wegezeiten nach § 287 Abs. 2 ZPO schätzen (BAG, Urteil vom 26.10.2016, 5 AZR 168/16).
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