Whistleblowing im öffentlichen Dienst
Nach der EU-Whistleblower-Richtlinie vom 16. Dezember 2019, die bis zum 17. Dezember 2021 in deutsches Recht umgesetzt werden muss, werden Behörden und Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern dazu verpflichtet, Kanäle einzurichten, über die Verstöße gegen nationales und EU-Recht gemeldet werden können. Auf einer Podiumsdiskussion des dbb beamtenbund und tarifunion am 7. Juli 2021 haben sich die Teilnehmer mit dem Thema „Whistleblowing im öffentlichen Dienst“ beschäftigt und sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie Beschäftigte, aber auch Beamtinnen und Beamte Missstände aufdecken können, ohne mit ihrem besonderen Status und den damit verbundenen Pflichten in Konflikt zu geraten.
dbb: Geordnete Verfahren nötig
„Whistleblower im öffentlichen Dienst benötigen geordnete Verfahren mit umfassenden Schutzmechanismen, wenn ihre Meldungen zu Rechtsverstößen auf dem Dienstweg nicht beachtet werden“, betonte der Zweite Vorsitzende des dbb beamtenbund und tarifunion Friedhelm Schäfer in seinem Eingangsstatement. Daher sei es wichtig, dass die entsprechenden EU-Vorgaben nun zeitnah und umfänglich in Deutschland umgesetzt werden. „Der Schutzanspruch sollte neben der Meldung von Verstößen gegen das EU-Recht auch bei Meldung von Verstößen gegen deutsches Recht gelten“, machte der dbb Vize deutlich. Zugleich seien die spezifischen Besonderheiten des Berufsbeamtentums in Deutschland zu beachten, so Schäfer weiter. „Dazu gehört, dass zunächst der Dienstweg einzuhalten ist.“ Darüber hinaus müssten jedoch die beamtenrechtlichen Ausnahmetatbestände von der Verschwiegenheitspflicht erweitert werden. Schäfer: „Verantwortungsvolle Hinweisgeber aus den Reihen des öffentlichen Dienstes handeln auch und gerade im Interesse einer rechtmäßigen Staatsverwaltung auf allen Ebenen.“
Herold: Spagat zwischen Rechten und Pflichten
Dr. Nico Herold, Rechtsexperte für Whistleblowing, erörterte die besondere Rechtslage im öffentlichen Dienst mit Blick auf die Meldung von Informationen über Missstände und Rechtsverstöße durch Beschäftigte. Vor allem die in den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums begründeten Rechtsnormen ergäben ein Spannungsverhältnis zwischen Geheimhaltungsinteresse und Transparenz für Beamtinnen und Beamte: „Auf der einen Seite haben wir das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis gegenüber dem Dienstherrn und damit verbunden die Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflicht. Auf der anderen Seite natürlich unbedingte Verfassungs- und Gesetzestreue, Meinungs- und Handlungsfreiheit und das Rechtsstaatsprinzip sowie das Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung.“ Aus diesem Grundkonflikt der widerstreitenden beamtenrechtlichen Vorschriften habe sich bislang im rechtlichen Umgang mit „verbeamteten Missstands-Insidern“ eine „Stufentheorie“ etabliert, nach der zunächst der interne Dienstweg einzuhalten – „die Remonstrationspflicht heißt nicht umsonst ‚Pflicht‘“, so Herold – und der Gang in die externe Öffentlichkeit zu Strafverfolgungsbehörden oder Medien die Ultima Ratio sei.
Die Tatsache, dass es in Deutschland kein zentrales Whistleblowing-Gesetz gebe, mache es für Missstandszeugen und Juristen schwierig, die Lage im jeweiligen Einzelfall richtig einzuschätzen. Insofern biete sich mit der nationalen Umsetzung der Europäischen Whistleblowing-Richtlinie eine gute Gelegenheit, einen möglichst weiten Geltungsbereich und darin auch die beamtenrechtlichen Regelungen handhabbar zu gestalten. „Als Beamtin oder Beamter sollte ich in Zukunft möglichst genau wissen, was ich darf, was ich nicht darf und inwiefern ich geschützt bin und gegebenenfalls auch Schadensersatz erhalte“, unterstrich Herold.
EU-Richtlinie sieht Wahlrecht des Hinweisgebenden vor
Ausdrücklich sprach sich der Jurist für das in der EU-Richtlinie vorgesehene Wahlrecht aus, nach dem die Hinweisgebenden wählen können, an welche interne oder externe Stelle sie sich mit ihren Informationen wenden. „Viele Unternehmen und Behörden haben Angst davor, weil sie glauben, dass Interna künftig wahllos öffentlich gemacht werden. Aber die Empirie belegt, dass das nicht der natürlichen Tendenz entspricht. Niemand geht gerne freiwillig mit brisanten Interna in die Öffentlichkeit“, betonte Herold und zitierte Studien, nach denen Missstände in weit über 80 Prozent der Fälle, sogar bei hoher Belohnung, intern behandelt worden seien. Nur in jenen Situationen, in denen intern keine Lösung gefunden werden konnte und der Whistleblower am Ende alleine dagestanden und sich gegebenenfalls durch Repressalien in die Ecke gedrängt gefühlt habe, sei es dann zur sprichwörtlichen „Flucht in die Öffentlichkeit“ gekommen, weil keine andere Möglichkeit mehr gesehen worden sei.
„Externes Whistleblowing ist immer das Resultat eines fehlerhaften internen Umgangs mit dem Missstand – das belegt die Forschung eindeutig“, so Herold. Der Rechtsexperte wies darauf hin, dass man sich aktuell als Beamtin oder als Beamter nicht auf EU-Richtlinie zum Whistleblowing berufen könne, weil sie zunächst grundsätzlich vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt werden müsse. Die Frist hierfür laufe bis zum 17. Dezember 2021.
Dombek: Hinweisgebende besser schützen
Thomas Dombek war bis zu seiner Pensionierung am 1. Juli 2021 Erster Kriminalhauptkommissar beim Landeskriminalamt Niedersachsen und in dieser Funktion in der Korruptionsbekämpfung tätig. Bereits seit dem Jahr 2003 gibt es in Niedersachsen ein anonymes Hinweisgebersystem, das online erreichbar ist und wo im Durchschnitt täglich eine Meldung eingeht. „Wenn die Hinweisgeber nicht selbst Fehler bei der Meldung begehen, kann für Whistleblower eine hundertprozentige Anonymität gewährleistet werden", so der Kommissar a.D. „Das LKA will vom Hinweisgeber vor allem die Informationen abschöpfen. Alle Fakten werden dann durch eigene Nachforschungen bei uns auf Anhaltspunkte für eine Straftat hin untersucht. Der Hinweisgeber soll nicht selbst ermitteln, das ist unser Job.“
Allerdings gab Dombek zu bedenken, dass nicht jeder Whistleblower mit seiner Meldung „unbedingt hehre Absichten“ verfolge. Im Einzelfall könne es auch um Motivationen wie Eifersucht oder Neid gehen, die zu einer Meldung echter oder vermeintlicher Missstände führten. „Auch darauf können unsere Ermittlungen Hinweise ergeben." Nach Dombeks Auffassung muss ein ideales Whistleblowergesetz den Schutz der einzelnen Hinweisgebenden sicherstellen und stärken. „Gleichzeitig müsste ein solches Gesetz auch die Auswirkungen abbilden und berücksichtigen, die vor Ort in den betroffenen Dienststellen oder privatwirtschaftlichen Betrieben entstehen", so Dombek.
Giegold: EU-Richtlinie schnell umsetzen
„Die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern geht auf eine Initiative der Grünen im EU- Parlament zurück“, erläuterte der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament Sven Giegold. „Anlass war, dass wir vermehrt beobachten konnten, dass ganze Staaten daran scheiterten, kriminelle Taten aufzudecken oder auch nur langanhaltender verfestigter struktureller Kriminalität wirksam zu begegnen. Wenn etwas aufgeklärt werden konnte, waren häufig Whistleblower beteiligt. Diese Personen müssen geschützt werden und nicht wegen ihres Handelns auch noch Nachteile in Kauf nehmen.“ Für europäische Verhältnisse sei die Erarbeitung und Verabschiedung der Richtlinie sehr schnell erfolgt, so Giegold weiter. „Deshalb finde ich es sehr schade, dass die GroKo es wohl nicht mehr schaffen wird, die Richtlinie fristgerecht bis zum Ende des Jahres umzusetzen.“
Mit Blick auf den deutschen Rechtskreis erläuterte der Europapolitiker: „Aus Sicht des Europarechts gilt bei der Umsetzung in deutsches Recht die Regel, dass europäisches Recht nationales Recht bricht.“ Giegold gratulierte dem Land Niedersachsen für sein Hinweisgeberportal und mutmaßte, dass Deutschland die Umsetzung der europäischen Richtlinie vielleicht erspart geblieben wäre, wenn andere Bundesländer vergleichbare Angebote eingerichtet hätten. Für ein eigenständiges deutsches Whistleblower-Gesetz regte der Grünen-Politiker zudem an, einen Nachteilsausgleichs-Fonds einzurichten, durch den Hinweisgeber, etwa beim Verlust ihrer Arbeitsverhältnisse oder anderen Problemen, finanziell unterstützt werden könnten.
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