Entscheidungsstichwort (Thema)
Jubiläumszuwendung. Jubiläumszuwendung auf Grund einer Gesamtzusage. Vorbehalt einer Änderung durch Tarifvertrag. Besitzstandsklausel. Tarifrecht. Gratifikation/Sondervergütung
Orientierungssatz
Steht eine Leistung aus einer Gesamtzusage unter dem Vorbehalt einer Änderung durch Tarifvertrag und vereinbaren die Parteien eines Tarifvertrags, der für den durch die Gesamtzusage begünstigten Arbeitnehmerkreis gilt, verschlechternde Leistungen, regeln aber in einer Besitzstandsklausel, daß die bisherige Rechtslage durch diesen Tarifvertrag nicht berührt werde, ist der Vorbehalt nicht ausgeübt worden.
Normenkette
BGB § 611; Manteltarifvertrag der DBV-Winterthur Holding AG vom 27. Januar 1998 § 10 Abschn. III, § 26
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Jubiläumszuwendung.
Der 1953 geborene Kläger zu 1) ist am 1. Juli 1979 bei der W S Versicherungsgesellschaft (im Folgenden: WSV) eingetreten. Auf Grund einer Vereinbarung wurde ihm als “technischer Eintrittstermin” im Hinblick auf die Richtlinien und die Bestimmungen über Dienstjubiläen der 1. Juni 1973 zugerechnet.
Die 1948 geborene Klägerin zu 2) ist am 1. Juni 1973 bei der WSV eingetreten.
Im Arbeitsvertrag der Kläger ist jeweils die Klausel enthalten:
“Die in der Gesellschaft geltenden Betriebsvereinbarungen in ihrer jeweiligen Fassung sind Bestandteil dieses Vertrages; das gleiche gilt für die tariflichen Bestimmungen, soweit dieser Dienstvertrag nichts abweichendes regelt.”
Der für die WSV gültige Branchentarifvertrag enthielt keine Regelung über Dienstaltersgeschenke.
Im Jahre 1975 informierte die WSV ihre Mitarbeiter über “die Regelung der Dienstaltersgeschenke”, die ab 1. Juli 1975 gültig war. Es heißt ua.:
“1.) Anlässe für Dienstaltersgeschenke:
Unter dem Vorbehalt einer Änderung aufgrund künftiger gesetzlicher oder tariflicher Regelungen wird jeder festangestellte Mitarbeiter für je 5 vollendete Dienstjahre ein Dienstaltersgeschenk erhalten. Hierbei hat er die Wahl zwischen einer Bargratifikation oder dem Erwerb von Partizipationsscheinen nach Maßgabe der nachstehend aufgeführten Skala.
Berechnungsgrundlage bietet in jedem Falle der Partizipationsschein mit seinem jeweils maßgebenden Kurswert. Wählt der Mitarbeiter eine Bargratifikation, erhält er diese in Höhe von 50 % des maßgebenden Kurswertes derjenigen Anzahl Partizipationsscheine, auf die er ein Bezugsrecht hätte, wählt er Partizipationsscheine, so kann er diese zum halben, jeweils maßgeblichen Kurswert erwerben. …”
Mit Schreiben vom Juni 1989 schrieb die WSV an ihre Mitarbeiter folgendes:
“… aus Gründen, die in der eingeschränkten Verfügbarkeit der bisherigen W…-Partizipationsscheine liegen, wird die Regelung über die Dienstaltersgeschenke bei Jubiläen ab
01. Juli 1989
wie folgt geändert:
- Die Dienstaltersgeschenke erfolgen in Form einer Geldzuwendung.
- Die Höhe der Geldzuwendung richtet sich nach den bisherigen Grundsätzen, wie sie für die Partizipationsscheine Gültigkeit hatten.
- Der Kurswert je Partizipationsschein richtet sich nach der Notierung der Münchner Börse zum jeweiligen Stichtag. Erfolgt an diesem Tag keine Notierung (z.B. Wochenende, Feiertag oder fehlende Umsätze), so wird die erste darauffolgende Notierung zugrundegelegt.
- Die Auszahlung erfolgt jeweils mit der Gehaltszahlung im Folgemonat.
Ich hoffe, daß auch mit dieser geänderten Regelung unsere Jubilare zufrieden sein können und die freiwillige Leistung des Unternehmens als das ansehen, wofür es gedacht ist: Als Dank für Engagement, Ihren Einsatz und Ihre Verbundenheit mit unserer W… über viele Jahre hinweg.”
In einer “Information über die Regelung für Dienstaltersgeschenke (gültig ab 1.07.1993)” heißt es:
“1. Anlässe für Dienstaltersgeschenke
Unter Vorbehalt einer Änderung erhält jeder festangestellte Mitarbeiter, der in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis steht, für je fünf ununterbrochene Dienstjahre ein Dienstaltersgeschenk.
…
2. Wert der Dienstaltersgeschenke
Der Wert des Dienstaltersgeschenkes richtet sich nach dem jeweiligen aktuellen Schlußkurs der Namensaktien an der Züricher Börse am Tag des Dienstjubiläums. Erfolgt keine Notierung, wird der nächst folgende Kurswert zugrunde gelegt.
Der Kurswert wird zum jeweiligen aktuellen Wechselkurs (Devisen/Brief) am Tag des Dienstjubiläums auf DM umgerechnet.
Maßgebend sind die in der “Süddeutschen Zeitung” veröffentlichten Kurse.
3. Staffelung
Es kommt folgende Staffelung zur Anwendung:
Vollendete Dienstjahre |
Berechnungsbasis |
5 |
3 Namensaktien |
10 |
3 Namensaktien |
15 |
5 Namensaktien |
20 |
5 Namensaktien |
25 |
10 Namensaktien |
30 |
5 Namensaktien |
… |
|
Bei Teilzeitbeschäftigten erfolgt eine Kürzung entsprechend der reduzierten Arbeitszeit.”
Bereits vor dem Jahre 1995 wurde über eine Fusion der Unternehmen der W… Gruppe, ua. auch der WSV, mit den Unternehmen der D… verhandelt. Am 19. Januar 1995 schloß die D… Holding AG mit den Gewerkschaften DAG und HBV eine Tarifvereinbarung, in der ua. folgende Regelung enthalten ist:
“…
4. Die Unternehmen wirken darauf hin, daß die (nach jetzigem Erkenntnisstand am 01.01.1996) in den Konzern neu hinzukommenden W…-Unternehmen dem Haus-Tarifvertrag beitreten werden.
Bestehende günstigere Regelungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für die der Haus-Tarifvertrag erstmals angewandt wird, werden auf die entsprechenden Leistungen aus dem Haus-Tarifvertrag angerechnet.
…”
Zu der Fusion kam es erst zum 31. Dezember 1997. Zu diesem Zeitpunkt kündigten die Unternehmen der W… Gruppe ihre Vollmitgliedschaft im Arbeitgeberverband für die private Versicherungswirtschaft und traten zum 1. Januar 1998 dem D…-Unternehmenstarifvertrag bei.
Im Manteltarifvertrag der D…-W… Holding AG vom 27. Januar 1998, gültig ab 1. Januar 1998 (im Folgenden: MTV) heißt es ua.:
Ҥ 1 Geltungsbereich
1. Der Tarifvertrag gilt für alle Betriebsstellen der Unternehmen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.
2. Dieser Tarifvertrag regelt die Arbeitsverhältnisse aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einschließlich der Auszubildenden.
…
§ 10 Sonderleistungen
…
III. Dienstjubiläen
1. Als Jubiläumsgabe werden gewährt
bei 25jähriger Zugehörigkeit zu den Unternehmen |
1 Monatsgehalt |
einschließlich aller Zulagen, mindestens der Betrag des Endgehalts der Tarifgruppe IV, |
bei 40jähriger Zugehörigkeit zu den Unternehmen |
2 Monatsgehälter |
einschließlich aller Zulagen, mindestens der doppelte Betrag des Endgehalts der Tarifgruppe IV, |
bei 50jähriger Zugehörigkeit zu den Unternehmen |
3 Monatsgehälter |
einschließlich aller Zulagen, mindestens der 3-fache Betrag des Endgehalts der Tarifgruppe IV. |
…
§ 26 Besitzstandsklausel
Soweit günstigere Regelungen bestehen, wird die bisherige Rechtslage durch diesen Tarifvertrag nicht berührt.
…”
Die Mitarbeiter der WSV, die im ersten Quartal des Jahres 1998 Jubiläumsdienstzeiten vervollständigten, erhielten die Dienstaltersgeschenke nach den alten, günstigeren Bestimmungen. Die Beklagte legte in diesen Fällen der Berechnung die letzte erfolgte Börsennotierung der W… Namensaktien vom 30. Januar 1998 zugrunde. Nach diesem Zeitpunkt wurden die Aktien nicht mehr gehandelt.
Zuvor hatte die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat erfolglos über den Entwurf einer Betriebsvereinbarung über die Neuregelung von Dienstaltersgeschenken verhandelt und dort ua. vorgeschlagen, daß die Mitarbeiter, die in den Jahren 1997 und 1998 eine Betriebszugehörigkeit erreichten, die nach der bisherigen Regelung eine Jubiläumszuwendung ausgelöst hat, ein Dienstaltersgeschenk unverändert in der bisher vorgesehenen Höhe erhalten sollten. Eine solche Vereinbarung wurde nicht abgeschlossen, weil der Gesamtbetriebsrat sich zum Abschluß einer gegenüber der Gesamtzusage verschlechternden Betriebsvereinbarung für nicht berechtigt hielt.
Das 25-jährige Dienstjubiläum der Kläger trat am 1. Juni 1998 ein. Die Beklagte gewährte ihnen die Leistungen nach dem MTV vom 27. Januar 1998 und zusätzlich einen Betrag von 2.000,00 DM.
Die Kläger sind der Ansicht, ihnen stehe eine Jubiläumszuwendung nach der früher geltenden Regelung zu, da diese Inhalt ihrer Arbeitsverhältnisse geworden sei. Sie gehe der tariflichen Regelung des MTV als die günstigere vor, insbesondere im Hinblick auf die Besitzstandsklausel des § 26 MTV. Im übrigen müsse die Beklagte die Kläger mit ihren Kollegen, die bis zum 31. März 1998 ihr Dienstjubiläum erreicht hätten, gleich behandeln. Der Höhe nach müsse sich die Zuwendung nach dem in der Süddeutschen Zeitung vom 31. Januar/1. Februar 1998 veröffentlichten Schlußkurs der W…-Namensaktie an der Züricher Börse vom 30. Januar 1998, also 1.650,00 Schweizer Franken, mit einem Wechselkurs von 125,80 DM für 100 Schweizer Franken berechnen. Auf den so ermittelten Betrag von 20.757,00 DM lassen sich die Kläger die erhaltenen Zahlungen anrechnen.
Die Kläger haben zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
- an den Kläger zu 1) 12.166,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juni 1998 zu zahlen,
- an die Klägerin zu 2) 14.012,87 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juni 1998 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie ist der Auffassung, auf Grund des Vorbehalts der Änderung durch eine tarifliche Regelung in der Mitteilung vom 1. Juli 1975 habe der MTV die Gesamtzusage abgelöst. Die Besitzstandsklausel in § 26 MTV greife nicht ein. Sie gehe nicht weiter als § 4 Abs. 3 TVG. Der allgemeine Änderungsvorbehalt in der Information vom 1. Juli 1993 sei nicht Inhalt des Arbeitsvertrages geworden, da er zum Nachteil der Kläger eine Änderungsmöglichkeit ohne jede Begründung vorsehe und so den auf Gesetz oder Tarifvertrag beschränkten Vorbehalt der Vorgängerregelung nicht habe zum Erlöschen bringen können. Das Schweigen der Kläger hierauf sei gem. § 147 BGB als Ablehnung zu werten. Die Gesamtzusage mit dem Vorbehalt einer Änderung durch Tarifvertrag oder Gesetz sei nicht günstiger als die tarifliche Regelung durch den MTV, die ohne Änderungsvorbehalt bestehe. Die Verschlechterung der Gesamtzusage durch Tarifvertrag sei nicht unbillig. Einen Vertrauensschutz auf das Fortbestehen der Regelung hätten die Kläger nicht erworben. Sollte die Besitzstandsregelung des § 26 MTV den Inhalt der Gesamtzusage erfassen, stellte sie eine unzulässige Effektivklausel dar. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht verletzt. Die Berechnung der Zuwendung dürfe jedenfalls nicht an den Kurswert vom 31. Januar 1998 anknüpfen, da nach der Information vom 1. Juli 1993 der dem Jubiläum folgende Kurswert der entscheidende sei. Das aus der Fusion hervorgegangene umstrukturierte Unternehmen könne nicht mehr mit dem alten fiktiven Maßstab bewertet werden. Bei der Frage, wieviele D…-W…-Aktien der früheren W…-Namensaktie entsprächen, sollte nicht vom Höchststand der letzten Notierung, sondern vom Durchschnitt der letzten zehn Jahre ausgegangen werden.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Klagen stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben den Klagen zu Recht stattgegeben. Die Kläger haben einen Anspruch auf die Differenzbeträge zwischen den gewährten Jubiläumszuwendungen und dem Betrag von 20.757,00 DM.
Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Anspruch bestehe in dem Umfang, wie er sich nach der letzten Information der WSV vom 1. Juli 1993 berechne. Die ungünstigere Regelung im MTV sei gem. § 4 Abs. 3 TVG unbeachtlich. Bestehende einzelvertragliche Arbeitsbedingungen, die günstiger seien als diejenigen des Tarifvertrages, könnten nicht nachträglich durch einen ungünstigeren Tarifvertrag verschlechtert werden. In der letzten für die Ansprüche der Kläger maßgeblichen Information vom 1. Juli 1993 sei lediglich ein allgemeiner “Vorbehalt” einer Änderung der Regelung über Dienstaltersgeschenke gemacht worden, ohne daß erkennbar werde, ob es sich um einen kollektiven oder individualrechtlichen Vorbehalt handele und unter welchen Voraussetzungen der Änderungsvorbehalt in Betracht kommen könne. Es sei zweifelhaft, ob davon auch eine Änderung durch Tarifvertrag erfaßt werde. Selbst wenn dies der Fall wäre, habe der MTV in § 26 ausdrücklich festgelegt, daß die bisherige Rechtslage im Hinblick auf bereits bestehende günstigere Regelungen durch den Tarifvertrag nicht berührt werden sollte. Diese Besitzstandsklausel enthalte nicht lediglich einen allgemeinen Hinweis auf das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG. Die Tarifparteien hätten ausgedrückt, daß sie eine bestehende Regelungsmacht im Hinblick auf bereits bestehende günstigere Regelungen nicht in Anspruch nehmen wollten. Der Tarifvertrag enthalte daher keine Anderung der bereits zugunsten der Kläger bestehenden günstigeren vertraglichen Regelungen. Es handele sich auch nicht um eine unwirksame Effektivklausel, sondern es gehe hier lediglich um die Konkurrenz zwischen einer günstigeren einzelvertraglichen Regelung und einer ungünstigeren tariflichen Regelung. Die Tarifvertragsparteien könnten eine bisher bestehende günstigere Regelung unangetastet lassen.
Die Berechnung der Kläger hinsichtlich der Anspruchshöhe sei korrekt. Die Berechnungsweise nach der letzten Information vom 1. Juli 1993 sei so auszulegen, daß bei fehlender Notierung der Aktie die zeitlich nächstliegende Notierung zugrunde zu legen sei. Dies gebiete auch der Gleichbehandlungsgrundsatz, da die Beklagte auch die Übergangsfälle, deren Dienstjubiläen in der Zeit vom 1. Januar 1998 bis zum 31. März 1998 gelegen hätten, ebenso behandelt habe. Die Beklagte habe keinen sachlichen Grund dafür vorgetragen, die gleiche Berechnungsgrundlage nicht auch gegenüber den Klägern, die ihr Dienstjubiläum nur wenige Monate später erreicht hätten, zugrunde zu legen.
Diesen Erwägungen folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend in der Begründung.
Der Anspruch der Kläger folgt aus der Regelung der Gesamtzusage in der Gestalt der Mitteilung vom 1. Juli 1993. Mit dieser Regelung ist die Gesamtzusage vom 1. Juli 1975 sowie deren Änderung, die ab dem 1. Juli 1989 wirksam wurde, modifiziert worden. Die Kläger haben durch die Informationen über die Regelung für Dienstaltersgeschenke einen Rechtsanspruch auf die versprochene Leistung erworben. Der Hinweis in der Information aus dem Jahre 1989, daß die Gewährung der Dienstaltersgeschenke freiwillig erfolge, schließt einen Rechtsanspruch auf die versprochene Leistung nicht aus, sondern macht nur kenntlich, daß es sich hier um eine tarifvertraglich nicht vorgesehene, zusätzliche Leistung der Beklagten handelt, mit der sie die besondere Betriebstreue ihrer Mitarbeiter belohnen will. Die Beklagte hat insoweit mit Verpflichtungswillen gehandelt (vgl. BAG 26. Mai 1992 – 9 AZR 174/91 – AP BUrlG § 1 Treueurlaub Nr. 2 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 21).
Diese Anspruchsgrundlage ist durch die Regelung in § 10 Abschnitt III MTV nicht ersetzt worden.
Es kann dahinstehen, ob die Gesamtzusage idF vom 1. Juli 1993 einen wirksamen Änderungsvorbehalt enthielt. Wäre dies der Fall, könnte er nur durch den MTV ausgeübt worden sein. Auch wenn zugunsten der Beklagten anzunehmen wäre, daß der durch die Mitteilung aus dem Jahre 1975 wirksame Vorbehalt einer Änderung auf Grund künftiger gesetzlicher oder tariflicher Regelungen weiterhin wirksam war, ist nur die Regelung im MTV als mögliche Ausübung des Änderungsvorbehalts zu beurteilen. Eine Änderung auf einzelvertraglicher oder sonstiger kollektivrechtlicher Ebene ist nicht erfolgt.
Der MTV hat für die Arbeitsverhältnisse, die von der Gesamtzusage betroffen waren, keine Änderung im Sinne des “Vorbehalts einer tariflichen Änderung” der Gesamtzusage herbeigeführt. Zwar ist in § 10 Abschnitt III MTV eine andersartige Regelung der Jubiläumszuwendungen enthalten, die geeignet ist, den Änderungsvorbehalt zu erfüllen. Die Tarifvertragsparteien haben jedoch in der Besitzstandsklausel des § 26 MTV deutlich gemacht, daß sie diese Änderung für bisher günstigere Regelungen nicht herbeiführen wollten. Dies ergibt die Auslegung der tariflichen Bestimmungen.
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien, wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 20. April 1994 – 10 AZR 276/93 – AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 11 mwN).
§ 26 MTV erschöpft sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht in einer bloßen Wiederholung des allgemeinen Günstigkeitsprinzips, wie es in § 4 Abs. 3 TVG niedergelegt ist. Es ist daher nicht der Schluß gerechtfertigt, die Tarifvertragsparteien hätten zunächst eine Änderung iSd. Vorbehalts herbeiführen und sodann nur noch etwa darüber hinaus noch weiter bestehende günstigere Regelungen in § 26 MTV erfassen wollen.
Dies ergibt sich schon aus der Wahl der Überschrift des § 26 MTV, die “Besitzstandsklausel” lautet. Hierin wird deutlich, daß die Tarifvertragsparteien einen Besitzstand, wie er vor Abschluß des MTV bestand, sichern wollten. Auch der Wortlaut der Klausel des § 26 MTV spricht dagegen, daß ausschließlich das allgemeine Günstigkeitsprinzip deklaratorisch wiederholt werden sollte, denn es wird nicht, wie in § 4 Abs. 3 TVG allgemein darauf hingewiesen, daß abweichende Abmachungen nur zulässig sind, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer enthalten, sondern es wird Bezug genommen auf den bei Tarifvertragsabschluß bekannten Sachverhalt, daß günstigere Regelungen als die im MTV normierten bestehen und die “bisherige Rechtslage” durch den Tarifvertrag nicht berührt werden soll. Die Tarifvertragsparteien wußten, daß bei der erfolgten Fusion der beiden Unternehmensgruppen unterschiedliche Regelungswerke zusammentrafen. § 26 MTV stellt klar, daß in den Fällen, in denen die Tarifvertragsparteien in der Lage waren, überhaupt Änderungen günstigerer Regelungen herbeizuführen, sie dies nicht tun, sondern für die bereits bestehenden Arbeitsverhältnisse die günstigeren Regelungen erhalten wollten. Die Neuregelungen haben demnach in erster Linie Bedeutung für neu eingestellte Arbeitnehmer oder solche, die entsprechende Ansprüche aus anderen Gründen noch nicht erworben hatten.
Gestützt wird diese Auslegung durch die Absicht, die die Tarifvertragsparteien in der Vereinbarung vom 19. Januar 1995 erklärt haben, wonach darauf hingewirkt werden sollte, daß bestehende günstigere Regelungen für Mitarbeiter der neu hinzukommenden W…-Unternehmen, die dem Haustarifvertrag beitreten sollten, auf die entsprechenden Leistungen aus dem Haustarifvertrag angerechnet werden sollten. Das bedeutet, daß bisher günstigere Regelungen erhalten bleiben sollten. Dadurch wird verdeutlicht, daß die Problematik der durch die beabsichtigte Fusion der Unternehmensgruppen aufeinander treffenden unterschiedlichen Regelungswerke bekannt war und in der Weise gelöst werden sollte, daß günstigere Regelungen beibehalten und auf die tarifvertraglich geschuldeten Leistungen angerechnet werden sollten.
- Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Regelung der Jubiläumsgeschenke in der Gesamtzusage der WSV günstiger als die tarifvertragliche Regelung. Die Leistungen aus der Gesamtzusage sind eindeutig wesentlich höher als diejenigen aus dem Tarifvertrag. Weiterhin werden Leistungen in einer 5-jährigen Staffelung zugesagt, während im MTV nur drei Dienstjubiläen geregelt sind. Der Umstand, daß der Tarifvertrag keinen Vorbehalt einer Änderung enthält, macht dessen Regelung nicht zur günstigeren im Verhältnis zu derjenigen der Gesamtzusage. Auch wenn dort der Vorbehalt einer Änderung durch Tarifvertrag oder Gesetz enthalten ist, ist dies nicht ungünstiger, als es eine tarifvertragliche Regelung ohnehin ist. Auch eine tarifvertragliche Regelung steht immer unter dem Vorbehalt durch eine andere tarifvertragliche Regelung abgelöst zu werden.
- § 26 MTV enthält keine unzulässige begrenzte Effektivklausel. Um eine solche kann es sich nur dann handeln, wenn ein Tarifvertrag auf Vereinbarungen einer anderen Regelungsebene Zugriff nimmt, indem er eine Anrechnung oder Aufsaugung übertariflicher Leistungen schlechthin verbietet, auch wenn deren Beseitigung oder Kürzung auf der individualrechtlichen Ebene möglich ist. Im vorliegenden Fall haben die Tarifvertragsparteien jedoch ihre an sich mögliche Regelungskompetenz, die zur Abänderung der Gesamtzusage auch für bestehende Arbeitsverhältnisse hätte führen können, gerade nicht ausgeübt, sondern in Übereinstimmung mit dem Grundsatz des § 4 Abs. 3 TVG bestimmt, daß die günstigere individualrechtliche Regelung erhalten bleiben sollte.
- Die Geschäftsgrundlage für die Jubiläumszuwendung ist nicht dadurch entfallen, daß die Namensaktie, die der Berechnung der Jubiläumszuwendung zugrunde liegt, nicht mehr gehandelt wird. Geschäftsgrundlage sind die bei Abschluß des Vertrages zutage getretenen, dem anderen erkennbar gewordenen und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Partei oder die gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut (Palandt/Heinrichs BGB 60. Aufl. § 242 Rn. 113 mwN). Der Wille, den Arbeitnehmern eine Jubiläumszuwendung zukommen zu lassen, hing nicht von der Handelbarkeit der Namensaktien ab. Diese ist lediglich Anknüpfungspunkt bei der Berechnung, die sich in den verschiedenen Fassungen der Gesamtzusage mehrfach geändert hat. Die Geschäftsgrundlage gehört nicht zum Vertragsinhalt. Enthält bereits der Vertrag nach seinem – ggf. durch ergänzende Auslegung zu ermittelnden Inhalt – Regeln für Fehlen, Wegfall oder Änderung bestimmter Umstände, scheidet eine Anpassung gem. § 242 BGB aus (BGH 1. Februar 1984 – VIII ZR 54/83 – BGHZ 90, 69, 74). Dies ist hier der Fall.
Das Landesarbeitsgericht hat auch die Höhe des Anspruchs richtig berechnet. Zwar kann dem Wortlaut der Berechnungsformel der Gesamtzusage insoweit nicht genüge getan werden, als weder ein aktueller Schlußkurs am Tage des Dienstjubiläums, dem 1. Juni 1998, noch ein nächstfolgender Schlußkurs vorliegt, da die Aktie seit dem 30. Januar 1998 nicht mehr gehandelt wird. Für den Fall, daß die Aktie nicht mehr gehandelt wird, besteht also eine Lücke, die so zu schließen ist, wie es das Landesarbeitsgericht getan hat. Danach ist vom zeitlich am nächsten liegenden Kurs auszugehen. Die Beklagte hat zwar gemeint, daß der Kurswert unangemessen sei, jedoch keine praktikablen Anhaltspunkte dafür dargetan, wie er stattdessen zu ermitteln sein sollte. Für eine Durchschnittsberechnung der letzten 10 Jahre fehlt in der Regelung jeglicher Anknüpfungspunkt. Vielmehr hat auch die Beklagte bei ihrer freiwilligen Behandlung der Mitarbeiter, die bis zum 31. März 1998 ein Jubiläum erreicht hatten, den Kurs vom 30. Januar 1998 zugrunde gelegt. Dies spricht dafür, daß jedenfalls bei der Behandlung von Jubiläen, die zeitlich so nahe am letzten Schlußkurs liegen wie im Fall der Kläger, dessen Zugrundelegung nicht unangemessen ist.
Diese Annahme wird dadurch gestützt, daß auch die Beklagte in ihrem Entwurf einer Betriebsvereinbarung über die Neuregelung von Dienstaltersgeschenken keinen Anlaß gesehen hat, eine andere Berechnungsgrundlage für eine Übergangsregelung vorzuschlagen, jedenfalls für alle Jubiläen, die 1998 noch erreicht worden wären.
- Die Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Dr. Freitag, Dr. Jobs, Marquardt, Schlegel, Großmann
Fundstellen
Haufe-Index 901880 |
ARST 2001, 238 |
FA 2001, 316 |
NZA 2002, 408 |
NJOZ 2002, 883 |