Entscheidungsstichwort (Thema)
Fachlicher Geltungsbereich eines Tarifvertrags für den Außenhandel
Leitsatz (amtlich)
Der Betrieb eines Handelsmaklers wird von dem fachlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer in den bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels vom 12. Juli 1990 erfaßt.
Normenkette
Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in den bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels vom 12. Juli 1990 (MTV) §§ 1, 12, 19; TVG § 5
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 25. Februar 1997 – 8 Sa 1072/95 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. September 1995 – 21 Ca 3732/93 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Arbeitsentgelt und Urlaubsabgeltung.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit Juli 1991 als Sekretärin beschäftigt. 1977 ist in das Handelsregister als Geschäftszweck der Beklagten „Groß- und Außenhandel” eingetragen worden. Seit Oktober 1995 ist die Beklagte Mitglied des Landesverbandes des Bayerischen Groß- und Außenhandels e.V. (LGA). Dieser firmierte 1996 um in „Landesverband Groß- und Außenhandel, Vertrieb und Dienstleistungen Bayern, Unternehmer- und Arbeitgeberverband der intermediären Wirtschaft e.V. (LGAD)”. Die Beklagte befaßt sich mit der Vermittlung von Exportgeschäften für Güter (beispielsweise Industrieanlagen, Maschinen, Zigaretten). Sie tritt weder als Käufer noch als Verkäufer von Waren auf und hält auch keinen Warenbestand.
Im Juli 1992 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß die Kündigung rechtsunwirksam sei und das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 1992 fortbestanden habe. Die Berufung wies das Landesarbeitsgericht zurück. Im Bestandsstreit war unstreitig, daß das Arbeitsverhältnis dem Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer in den bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels vom 12. Juli 1990 (im folgenden MTV) unterfiel.
Am 10. Dezember 1992 forderte die Klägerin die Beklagte auf, das seit der fristlosen Kündigung vom 18. Juli bis 30. September 1992 fällig gewordene Gehalt in Höhe von 12.333,33 DM zu zahlen. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 15. Dezember 1992 die Erfüllung dieser Ansprüche ab.
Mit der am 19. April 1993 erhobenen Klage hat die Klägerin neben dem angemahnten Arbeitsentgelt zusätzlich die Abgeltung von acht Tagen Urlaub verlangt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 14.179,48 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Nach Einholung von Auskünften hat das Landesarbeitsgericht die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Landesarbeitsgericht – in den Entscheidungsgründen – zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist zulässig. Insbesondere ist sie nach § 72 Abs. 1 ArbGG statthaft. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ausreichend, wenn eine nicht verkündete Zulassungsentscheidung in den Gründen des Berufungsurteils wiedergegeben wird (vgl. BAG 11. Dezember 1998 – 6 AZB 48/97– NZA 1999, 333).
II. Die Revision ist begründet. Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche sind nach § 19 Ziff. 4 des Manteltarifvertrags für den Groß- und Außenhandel in Bayern vom 12. Juli 1990 (MTV) verfallen.
1. Mit der Allgemeinverbindlicherklärung erfassen die Rechtsnormen eines Tarifvertrages in seinem Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (§ 5 Abs. 4 TVG). Der MTV ist für allgemein verbindlich erklärt worden (vgl. Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 5. Dezember 1991, Bundesanzeiger Nr. 15 vom 23. Januar 1992). Das Arbeitsverhältnis der Parteien fällt auch entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts in den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags.
a) Bei der Bestimmung des fachlichen Geltungsbereichs eines Tarifvertrages ist auf die im Arbeits- und Wirtschaftsleben geltenden Begriffsinhalte abzustellen (BAG 25. April 1995 – 3 AZR 528/94 – BAGE 80, 14). Werden die von den Tarifvertragsparteien verwendeten Begriffe nicht definiert, ist davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien den Begriff nicht in einem Sinne gebraucht haben, der vom allgemeinen Sprachgebrauch und dem der beteiligten Kreise abweicht (BAG Urteil vom 16. August 1983 – 3 AZR 206/82 – AP TVG § 1 Auslegung Nr. 131 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 56). Der Begriff des Handels bedeutet im funktionalen Sinn die Beschaffung von Gütern und deren Verkauf/Absatz (BAG 26. August 1998 – 4 AZR 471/97 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 66 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 37). Auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es hingegen nicht an (BAG 13. März 1991 – 4 AZR 436/90 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 139). Einschränkungen können sich allerdings aus den Satzungen der Tarifvertragsparteien ergeben. Jede Tarifvertragspartei bestimmt nämlich aufgrund ihrer Satzungsautonomie selbst, für welche Wirtschaftszweige und Betriebe sie zuständig sein will (BAG 24. Juli 1990 – 1 ABR 92/89 – nv.).
b) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts befaßt sich die Beklagte mit der Vermittlung von Exportgeschäften.
aa) Die Ausfuhr von Gütern und Dienstleistungen ist nach allgemeinem Sprachgebrauch Teil des Außenhandels (vgl. Gabler, Wirtschaftslexikon, 13. Aufl., Stichwort: Ausfuhr S 248). Zwar betreibt die Beklagte selbst keinen Handel. Das verlangt der Tarifvertrag jedoch auch nicht. Gefordert wird nur, daß der Betrieb zum Wirtschaftsbereich Handel gehört. Denn Tarifverträge knüpfen an Wirtschaftszweige an, um die Unternehmen eines bestimmten Wirtschaftszweigs möglichst umfassend und lückenlos zu erfassen (vgl. Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. § 4 Rn. 23).
Die Beklagte erbringt eine Dienstleistung im Wirtschaftsbereich des Handels. Sie unterscheidet sich von anderen Dienstleistern wie einem Steuerberater, einer Werbeagentur oder einem Übersetzungsbüro dadurch, daß sie eine originäre Handelsfunktion erfüllt. Ein Handelsmakler wie die Beklagte, der gewerbsmäßig die Vermittlung von Verträgen über Gegenstände des Handelsverkehrs übernimmt, ohne dabei in einem ständigen Vertragsverhältnis zu seinem Auftraggeber zu stehen, § 93 HGB, ist Teil des Handels. Der auftraggebende Handelstreibende macht sich zunutze, daß der Handelsmakler aufgrund besonderer Marktkenntnisse in der Lage ist, Marktfunktionen und Marktchancen besser zu nutzen (MünchKommHGB-von Hoyningen-Huene § 93 Rn. 12). Das ist keine neue Erkenntnis, sondern entspricht einer seit langem bestehenden Verkehrsauffassung. So hat bereits das Reichsarbeitsgericht entschieden, daß die Vermittlung von Handelsgeschäften der Güterverteilung dient und „im Aufbau der deutschen Wirtschaft … zur Reichsgruppe Handel” gehört (RAG 6. Oktober 1937 – RAG 99/37 – ArbRSamml. Bd. 31, 113).
bb) Anhaltspunkte für eine davon abweichende Auffassung der Tarifvertragsparteien sind nicht erkennbar.
Die vom Landesarbeitsgericht eingeholten Auskünfte sind unergiebig. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann aus der Umbenennung des Arbeitgeberverbandes, der seinem bisherigen Namen noch den Zusatz „Vertrieb und Dienstleistungen” hinzugefügt hat, nicht entnommen werden, daß erst später die Handelsmaklertätigkeit hinzugekommen sei. Dagegen spricht auch, daß die Tarifvertragsparteien nach der Namensänderung in dem darauffolgenden neuen Manteltarifvertrag vom 23. Juni 1997 die bisherige Definition des fachlichen und betrieblichen Geltungsbereichs wortgleich beibehalten haben. Auch der weitere, vom Landesarbeitsgericht angeführte Umstand, daß es in Bayern drei zuständige Landesverbände für den Handel gibt und die Handelsmakler dem Interessenverband Centralvereinigung Deutscher Handelsvertreter- und Handelsmaklerverbände (CDH) zugeordnet werden, schließt die Einbeziehung der Handelsmakler nicht aus. Denn für die Frage des Geltungsbereichs des MTV 1990 kann allenfalls von Bedeutung sein, inwieweit für Handelsmakler in Bayern eine eigenständige tariffähige Organisation existiert. Insoweit ist unstreitig, daß der CDH „keine eigenständige Tarifhoheit” ausübt. Obwohl sie die entsprechenden tariflichen Gegenspieler wären, erwähnen weder die DAG noch die HBV in ihren Auskünften mit der CDH geschlossene Tarifverträge.
2. Die von der Klägerin aus Annahmeverzug geltend gemachten Gehaltsansprüche für Juli, August und September 1992 sind nach dem für das Arbeitsverhältnis geltenden § 19 Ziff. 4 MTV verfallen. Die Regelung der tarifvertraglichen Vorschriften über die Geltendmachung von Ansprüchen in § 19 MTV lautet:
„1. Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind gegenüber der Geschäftsleitung oder der von ihr bezeichneten Stelle zunächst mündlich, bei Erfolglosigkeit schriftlich innerhalb der folgenden Fristen geltend zu machen:
- Ansprüche wegen Nichtübereinstimmung des ausgezahlen Betrages mit der Entgeltabrechnung bzw. dem Entgeltnachweis: unverzüglich.
- Ansprüche wegen fehlerhafter Errechnung des Entgelts oder der Abzüge: 4 Wochen nach Aushändigung der Entgeltabrechnung.
Alle übrigen Ansprüche:
Monate nach Fälligkeit (Urlaub 3 Monate nach Ende des Urlaubsjahres).
Im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses:
Monate nach dem Ausscheiden.
2. Für Ansprüche des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber den Arbeitnehmern gelten die Fristen des Absatzes 1 sinngemäß.
3. Die Ansprüche erlöschen, wenn sie nicht vor Ablauf der in Ziffer 1 b bis d genannten Fristen schriftlich geltend gemacht worden sind (Ausschlußfristen).
4. Sind die Ansprüche fristgerecht geltend gemacht, ist ihre Erfüllung aber von der Geschäftsleitung abgelehnt worden oder erklärt sich die Geschäftsleitung innerhalb von 2 Wochen nicht, so muß der Arbeitnehmer, sofern er das Arbeitsgericht anrufen will, nach Ablehnung oder nach Fristablauf innerhalb von 2 Monaten Klage erheben. Geschieht dieses nicht, so erlöschen die Ansprüche.
Dies gilt auch sinngemäß für Ansprüche des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer.”
Nach § 12 Ziff. 6 MTV war das jeweilige Gehalt monatlich spätestens am letzten Werktag des Monats auszuzahlen. Nach § 19 Ziff. 1 c MTV war der Anspruch auf das jeweilige Monatsentgelt binnen zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Auch wenn man zugunsten der Klägerin in der Erhebung ihrer Kündigungsschutzklage eine derartige Geltendmachung sieht, fehlt es an der in § 19 Ziff. 4 MTV vorgeschriebenen Anrufung des Arbeitsgerichts innerhalb von zwei Monaten nach Ablehnung der Ansprüche durch den Arbeitgeber. Die Beklagte hat am 15. Dezember 1992 die Gehaltsansprüche der Klägerin abgelehnt. Die Klägerin hat erst am 15. März 1993 die Klageschrift beim Arbeitsgericht eingereicht, die am 19. April 1993 der Beklagten zugestellt worden ist. Das war nach Ablauf der zweimonatigen Klagefrist.
3. Auch die Forderung auf Urlaubsabgeltung ist von der Klägerin verspätet geltend gemacht worden. Die Urlaubsabgeltung ist mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. September 1992 fällig geworden. Nach der Sonderrregelung des § 19 Ziff. 1 d MTV war dieser Anspruch innerhalb von zwei Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis, also bis zum 30. November 1992, schriftlich geltend zu machen. Das ist nicht geschehen.
III. Die vollständig unterlegene Klägerin hat nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Unterschriften
Düwell, Reinecke, Böck, Benrath, Jungermann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 24.08.1999 durch Susdorf, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436542 |
BB 2000, 832 |
DB 2001, 437 |
NZA 2000, 724 |
AP, 0 |
AUR 2000, 198 |