Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsurlaub - tarifliche Sonderzahlung
Leitsatz (redaktionell)
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine tarifliche Regelung nicht gegen Art 119 EWG-Vertrag verstößt, nach der Zeiten des Erziehungsurlaubs den Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung mindern.
Orientierungssatz
Auslegung des § 12 des Tarifvertrages über eine Sonderzahlung im Niedersächsischen Einzelhandel.
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 07.10.1992; Aktenzeichen 2 Sa 677/92) |
ArbG Wilhelmshaven (Entscheidung vom 16.03.1992; Aktenzeichen 2 Ca 917/91) |
Tatbestand
Die Klägerin ist seit November 1983 als Verkäuferin bei der Beklagten beschäftigt. Ihr Tarifgehalt betrug zuletzt 2.404,-- DM brutto. Auf das Arbeitsverhältnis findet u.a. auch der für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag über eine Sonderzahlung im niedersächsischen Einzelhandel (im folgenden: TV-Sonderzahlung) Anwendung. Danach haben Arbeitnehmer grundsätzlich Anspruch auf eine jährliche Sonderzahlung in Höhe von 40 % ihres Tarifgehaltes.
Im Jahre 1990 befand sich die Klägerin bis zum 27. November im Erziehungsurlaub. Die Beklagte kürzte daraufhin unter Berufung auf § 12 TV-Sonderzahlung die Sonderzahlung für das Jahr 1990 um elf Zwölftel und zahlte lediglich einen Betrag von 80,13 DM.
§ 12 TV-Sonderzahlung hat folgenden Wortlaut:
"Nach dem ersten Jahr der ununterbrochenen Be-
triebs-/Unternehmenszugehörigkeit hat der Be-
schäftigte Anspruch auf soviel Zwölftel der ta-
riflichen Sonderzuwendung, wie er im laufenden
Kalenderjahr volle Monate im Betrieb/Unternehmen
tätig war. Zeiten, für die kein Anspruch auf Ar-
beitsentgelt besteht, gelten nicht als Tätig-
keitszeiten. Als Tätigkeitszeiten gelten dagegen
die Mutterschutzfristen nach der Entbindung sowie
im Falle der Arbeitsunfähigkeit ein Zeitraum von
8 Wochen nach Ablauf der gesetzlichen Fortzah-
lungsfrist von 6 Wochen."
Die Klägerin hält die Kürzung der tariflichen Sonderzahlung für die Zeiten des Erziehungsurlaubs für unwirksam. Die nachteilige Wirkung dieser Kürzungsbestimmung treffe weit überwiegend Frauen und stelle sich daher als eine mittelbare Diskriminierung der Frauen dar, die nach Art. 119 EWG-Vertrag verboten sei. Mit der vorliegenden Klage macht sie die Differenz zur vollen tariflichen Sonderzahlung geltend und hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 881,47 DM
brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden
Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die in § 12 TV-Sonderzahlung vorgesehene Kürzung für Zeiten, für die kein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht, für zulässig.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
I. Unter den Parteien besteht kein Streit, daß nach dem Wortlaut von § 12 TV-Sonderzahlung sich Zeiten des Erziehungsurlaubs anspruchsmindernd auf die tarifliche Sonderzahlung auswirken. Während des Erziehungsurlaubs besteht kein Anspruch auf Arbeitsentgelt. Zeiten des Erziehungsurlaubs sind daher keine Tätigkeitszeiten, d.h. keine Zeiten, in denen der Arbeitnehmer im Betrieb tätig war. Die Parteien streiten allein darum, ob die tarifliche Regelung wirksam oder deswegen unwirksam ist, weil sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Art. 119 EWG-Vertrag verstößt.
II. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 24. November 1993 (- 10 AZR 704/92 - AP Nr. 158 zu § 611 BGB Gratifikation) ausgesprochen, daß eine tarifliche Regelung nicht gegen höherrangiges Recht verstößt, nach der kein Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung für Zeiten eines Erziehungsurlaubs besteht. Er hat die Wirksamkeit einer solchen Regelung sowohl an Art. 119 EWG-Vertrag und der Richtlinie Nr. 75/117 EWG als auch an Art. 3 und 6 GG gemessen und einen Verstoß gegen diese Normen verneint. Daran hält der Senat fest.
1. Der Senat ist bei seiner Entscheidung von der Annahme ausgegangen, daß Erziehungsurlaub weit überwiegend von Frauen und nicht von Männern in Anspruch genommen wird, ohne dafür bestimmte Zahlenwerte zu nennen. Er hat gleichwohl eine diskriminierende Wirkung der tariflichen Regelung, nach der sich Zeiten des Erziehungsurlaubs anspruchsmindernd auf eine tarifliche Sonderzahlung auswirken, verneint.
§ 12 TV-Sonderzahlung entspricht inhaltlich der tariflichen Regelung, über die der Senat am 24. November 1993 entschieden hat. Jene Regelung erklärte Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruht, für anspruchsmindernd, § 12 TV-Sonderzahlung spricht diese Wirkung Zeiten zu, für die kein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht. Es ist gerade das Kennzeichen eines ruhenden Arbeitsverhältnisses, daß die gegenseitigen Hauptpflichten suspendiert sind und damit auch kein Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit des Ruhens besteht.
Damit knüpfen beide tariflichen Regelungen unterschiedslos nicht nur an die Zeit des Erziehungsurlaubs, sondern an alle Zeiten an, in denen das Arbeitsverhältnis ruht oder aus sonstigen Gründen kein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht. Diese Regelung gilt unterschiedslos für Männer und Frauen.
Der Senat hat daher zur Begründung seiner Entscheidung vom 24. November 1993 darauf abgestellt, daß sich schon nicht feststellen lasse, daß die tarifliche Regelung erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts nachteilig treffe. Wenn einerseits bei der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub weit überwiegend Frauen betroffen seien, so würden beim Ruhen des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Einberufung zum Wehrdienst ausschließlich Männer von der tariflichen Bestimmung erfaßt. Auch für andere Fälle, in denen ein Arbeitsverhältnis ruhe oder ein Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht bestehe, lasse sich nicht feststellen, daß nur oder überwiegend Männer oder Frauen von der nachteiligen Regelung betroffen seien. Damit fehle es schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
2. Mit dieser Begründung allein kann im vorliegenden Fall die Klage nicht abgewiesen werden.
a) Die Klägerin hat vorgetragen, daß im Bundesdurchschnitt von 11,461 Mio. beschäftigten Frauen rund 306.000 Erziehungsurlaub genommen hätten. Das seien 2,68 % der beschäftigten Frauen. Von 17,037 Mio. beschäftigten Männern seien hingegen nur rund 249.000 zum Wehr- oder Ersatzdienst einberufen worden und hätten nur gut 2.000 Erziehungsurlaub in Anspruch genommen. Das mache lediglich einen Anteil von 1,48 % der männlichen Beschäftigten aus. Bezogen auf den Einzelhandel, wo der Anteil der weiblichen Beschäftigten 80 % betrage, sei das Verhältnis der durch die angegriffene Regelung benachteiligten Frauen zu dem der benachteiligten Männer für erstere noch ungünstiger. Die Beklagte hat diese Zahlen bestritten. Das Landesarbeitsgericht hat dazu keine abschließenden Feststellungen getroffen. Geht man von der Behauptung der Klägerin aus, würden von der Regelung in § 12 TV-Sonderzahlung in der Tat unverhältnismäßig mehr Frauen als Männer nachteilig betroffen.
b) Das allein führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Regelung in § 12 TV-Sonderzahlung.
Auch eine geschlechtsspezifische Benachteiligung der Frauen ist zulässig, wenn ein wirkliches Bedürfnis für eine unterschiedliche Behandlung verschiedener Arbeitnehmergruppen besteht (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 - Rs 107/84 - Bilka, EuGHE 1986, 1607 = AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag und von da an in ständiger Rechtsprechung).
Jährliche Sonderzahlungen, gleich welcher Bezeichnung und gleichgültig, ob sie auf einer tariflichen oder arbeitsvertraglichen Regelung beruhen, sind als eine auf dem Arbeitsverhältnis beruhende Vergütung im Sinne von Art. 119 EWG-Vertrag anzusehen und damit Arbeitsentgelt. Das gilt auf jeden Fall für solche Sonderzahlungen, die - wie hier - ausweislich ihrer Anspruchsvoraussetzungen und anspruchsmindernden Tatbestände nicht ausschließlich an den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses anknüpfen und lediglich eine bislang erbrachte Betriebstreue vergüten wollen, sondern zur Voraussetzung haben, daß der Arbeitnehmer auch eine Arbeitsleistung für den Betrieb erbracht hat, durch die er einen Anspruch auf Arbeitsentgelt erworben hat. Sowohl die Tarifvertragsparteien als auch der Arbeitgeber dürfen die Zahlung von Arbeitsentgelt, auch wenn es sich insoweit um freiwillige Leistungen handelt, davon abhängig machen, daß der Arbeitnehmer die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Leistung erbringt, also tatsächlich arbeitet.
Solche Gestaltungen sind weder nach nationalem noch nach europäischem Recht verboten. Es gilt der Rechtssatz, daß Lohn nur für erbrachte Arbeit geschuldet wird, sofern nicht das Gesetz ausnahmsweise eine Lohnzahlungspflicht auch für Zeiten ohne Arbeitsverpflichtung vorsieht, wie etwa im Fall der Arbeitsunfähigkeit.
Aus eben diesen Erwägungen hat der Dritte Senat auch entschieden, daß eine Versorgungsordnung keine durch Art. 119 EWG-Vertrag verbotene Diskriminierung der Frauen darstellt, wenn sie Zeiten des Erziehungsurlaubs von Steigerungen einer Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ausnimmt (Urteil vom 15. Februar 1994 - 3 AZR 708/93 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Dem schließt sich der Senat an.
Ist der Arbeitgeber von der Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgeltes befreit, weil das Arbeitsverhältnis ruht, dann verbietet weder Art. 119 EWG-Vertrag noch Art. 3 GG eine vertragliche oder tarifliche Bestimmung, die dem Arbeitgeber erlaubt, auch zusätzliche Entgeltleistungen für diese Zeiten "ruhen" zu lassen. Der Unterschied zwischen einem ruhenden und einem nicht ruhenden Arbeitsverhältnis ist so gewichtig, daß eine unterschiedliche Behandlung nicht nur beim eigentlichen Arbeitsentgelt, sondern auch bei der Gewährung zusätzlicher Leistungen zum Arbeitsentgelt gerechtfertigt ist (Urteil des Senats vom 24. November 1993 - 10 AZR 704/92 - AP Nr. 158 zu § 611 BGB Gratifikation, zu II 3 d der Gründe).
Auch wenn es daher zutrifft, daß aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Rolle Frauen weitaus häufiger Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen mit der Folge, daß ihr Arbeitsverhältnis ruht, als Männer zum Wehr- oder Ersatzdienst einberufen werden mit der gleichen Folge, liegt darin keine verbotene Diskriminierung der Frauen. Ebensowenig wie es nicht verboten ist, Teilzeitkräfte nur entsprechend dem Umfang ihrer Arbeitsleistung zu vergüten, obwohl Teilzeitarbeit überwiegend von Frauen verrichtet wird.
Da das Landesarbeitsgericht damit die Klage zu Recht abgewiesen hat, war die Revision der Klägerin zurückzuweisen. Die Kosten ihrer erfolglosen Revision hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Klägerin zu tragen.
Matthes Dr. Freitag Böck
Dr. Weidner Schlaefke
Fundstellen
Haufe-Index 436660 |
BB 1995, 97 |
BB 1995, 97-98 (LT1) |
DStR 1995, 577 (K) |
NJW 1995, 2055 |
NJW 1995, 2055 (L) |
FamRZ 1995, 425 (L) |
ARST 1995, 57-59 (LT1) |
EEK, III/133 (ST1-2) |
NZA 1995, 176 |
NZA 1995, 176-177 (LT1) |
AP § 611 BGB Gratifikation (LT1), Nr 165 |
AR-Blattei, ES 820 Nr 125 (LT1) |
AuA 1995, 399 (LT1) |
EzA § 611 BGB, Gratifikation, Prämie Nr 114 (LT1) |