Ein besonderes Ärgernis in der gängigen Tarifpraxis des BAT/BAT-O war der Umstand, dass ein Beschäftigter während eines längeren Zeitraums nach der Einstellung eine niedrigere Vergütung erhielt als tariflich gerechtfertigt wäre. Die personalbearbeitenden Stellen rechtfertigen diese Praxis mit dem Hinweis darauf, dass der Beschäftigte den Anforderungen des neuen Aufgabenfeldes während der Dauer der Einarbeitungszeit oder Probezeit nicht oder nur eingeschränkt genügen könne. Da er die ihm zugewiesene Tätigkeit nicht in vollem Umfang ausüben könne, erfülle er auch nicht in vollem Umfang die tariflichen Anforderungen des Arbeitsplatzes. Des Weiteren seien noch Hilfestellungen durch Kollegen und häufiges Nachfragen beim Vorgesetzten erforderlich. Daher könne in dieser Zeit noch nicht das volle Entgelt bezahlt werden.
Diese Argumentation war im Bereich des BAT/BAT-O und ist auch heute im Bereich des TV-L tarifrechtlich nicht haltbar, da nach dem Grundsatz der Tarifautomatik der Beschäftigte in der Vergütungsgruppe/Entgeltgruppe eingruppiert war und ist, deren Tätigkeitsmerkmale die gesamte, von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht (§ 22 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT/BAT-O bzw. § 12 Abs. 1 Satz 3 TV-L). Es kommt also nicht auf die ausgeübte, sondern auf die auszuübende Tätigkeit an.
Das Hessische LAG führt zu diesem Problemkreis zutreffend aus:
"Für die Eingruppierung nach einem durch Tätigkeitsmerkmale bestimmten Vergütungsgruppensystem kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob und wie der betreffende Arbeitnehmer, der eine an Tätigkeitsmerkmalen zwecks Zuordnung zu den Gruppen eines Vergütungsgruppensystems zu messende Tätigkeit ausübt, diese Tätigkeit nach seinen persönlichen Voraussetzungen und Fähigkeiten qualitativ bewältigt und den Anforderungen des Arbeitsplatzes hinsichtlich der Erfüllung der tariflichen Tätigkeitsmerkmale in der Bewältigung dieser Tätigkeit persönlich genügt. Bei der Eingruppierung geht es um die tarifgerechte Bewertung des Arbeitsplatzes mit seinen spezifischen Anforderungen, d. h. um den Akt der Rechtsanwendung, welchen Tätigkeitsmerkmalen die vom Arbeitnehmer zu verrichtende Tätigkeit entspricht und welche Vergütungsgruppe dementsprechend für die Vergütung maßgebend ist."
Auch das BAG hat sich mehrfach mit der tarifwidrig geforderten Einarbeitungszeit und Probezeit auseinandergesetzt: "Entgegen der Meinung der Revision durfte das LAG bei der Bewertung der Tätigkeit des Klägers die Behauptung des Beklagten unberücksichtigt lassen, der Kläger habe sich erst einarbeiten müssen und habe sich nicht bewährt ..."
"... falls er den an ihn gestellten Anforderungen nicht voll entsprochen hat, konnte das eine Kündigung mit oder ohne Angebot einer geringerwertigen Weiterbeschäftigung, nicht aber eine niedrigere Einstufung rechtfertigen."
Die Tarifparteien des TV-L haben nunmehr mit der Differenzierung des Grundentgelts in 2 Stufen dem Umstand Rechnung getragen, dass Berufsanfänger ohne einschlägige oder förderliche Berufserfahrung zu Beginn noch keine vollwertige Leistung erbringen können. Die Stufe 1 war nämlich bei der Einführung des TV-L der Betrag der Stufe 2, abgesenkt um 10 %. Und nach einem Jahr Einarbeitungszeit bekommt der Beschäftigte das "eigentliche" Grundentgelt.
Dennoch ist in der Praxis (leider) häufiger festzustellen, dass die überkommene Praxis der anfangs tarifwidrigen niedrigeren Eingruppierung nach wie vor fortgesetzt wird.
Die personalbearbeitende Stelle kann jedoch dem Beschäftigten während der Probezeit ausdrücklich höherwertige Tätigkeiten in einem geringeren Umfang oder Aufgaben zuordnen, deren Tätigkeitsmerkmale einer niedrigeren Entgeltgruppe entsprechen oder aber die Wertigkeit evtl. durch Nichtübertragung von Entscheidungskompetenzen herabmindern. Geschieht dies in einem derartigen Umfang, dass die Wertigkeit der Tätigkeitsmerkmale der auszuübenden Tätigkeit insgesamt eine niedrigere Eingruppierung rechtfertigt, ist diese Vorgehensweise tarifgerecht und nicht zu beanstanden. Geschieht dies nicht ausdrücklich, so ergibt sich für den Beschäftigten ein Rechtsanspruch auf entsprechend "höhere" Eingruppierung ab Einstellung bzw. Übertragung der neuen Tätigkeit.
In manchen Fällen sah die Vergütungsordnung selbst während der Einarbeitungszeit/Probezeit eine niedrigere Eingruppierung vor. Dies war z. B. der Fall in
- Vergütungsordnung Bund/Land, Teil II, Abschn. P, Unterabschn. II VergGr. VIb; Fernsprecher nach 6-monatiger Ausübung dieser Tätigkeit,
- Vergütungsordnung Bund/Land, Teil IV, Abschn. A, Unterabschn. I VergGr. III; Angestellte als Dolmetscher während der Einarbeitungszeit,
- Vergütungsordnung Bund/Land, Teil IV, Abschn. A, Unterabschn. III VergGr. Vc, Fg. 3-7 sowie VergGr. VIb, Fallgruppen 1-3 und Fg. 6; Fremdsprachenassistenten bzw. Fremdsprachensekretäre nach einer Einarbeitungszeit von 6 bzw. 12 Monaten.
Diese Einschränkungen sind – mit Ausnahme einer weniger Tätigkeitsmerkmale in Teil II Abschn. 8 (Beschäftigte im Fremdsprachendienst) – in d...