Als wesentliche Neuregelung eröffnet § 6 Absatz 4 die Möglichkeit, durch Betriebs-/Dienstvereinbarung von den Öffnungsklauseln des Arbeitszeitgesetzes Gebrauch zu machen. Das Arbeitszeitgesetz regelt u.a. die Höchstgrenzen der Arbeitszeit, die Mindestdauer der Pausen und Ruhezeiten sowie die Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen. In den § 7 und § 12 Arbeitszeitgesetz sind Abweichungen von den Grundregelungen zugelassen, deren Inanspruchnahme aber entweder durch einen Tarifvertrag unmittelbar oder auch durch Betriebs-/Dienstvereinbarung, zu der die Betriebsparteien in einem Tarifvertrag ermächtigt wurden, ermöglicht sein muss.
Der TV-H macht teilweise von der unmittelbaren Regelungskompetenz Gebrauch (zum Beispiel bei der Verlängerung des Ausgleichszeitraums in § 6 Absatz 2 oder bei der Ermöglichung von 12-Stunden-Schichten an Sonn- und Feiertagen in der Protokollerklärung zu § 6 Absatz 4), teilweise weist er die Regelungskompetenz auch den Betriebsparteien zu (zum Beispiel bei der täglichen Höchstarbeitszeit von bis zu 24 Stunden im Zusammenhang mit Bereitschaftsdienst der Beschäftigten im Krankenpflegedienst des Justizvollzugs; vgl. § 7 Absatz 10 in der Fassung des § 43 Nr. 4 Ziffer 3).
Da nicht alle Lebenssachverhalte tarifvertraglich geregelt werden können, enthält § 6 Absatz 4 die Ermächtigungsnorm für die Betriebsparteien, über die tariflich geregelten Fälle hinaus von den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes im Rahmen des § 7 Absatz 1, 2 und des § 12 Arbeitszeitgesetz abweichen zu können.
Eine "Öffnung" der gesetzlichen Schranken besteht insbesondere:
- zur Höchstarbeitszeit (§ 7 Absatz 1 Nr. 1 Arbeitszeitgesetz),
- zu Ruhepausen (§ 7 Absatz 1 Nr. 2 Arbeitszeitgesetz),
- zur Ruhezeit (§ 7 Absatz 1 Nr. 3 Arbeitszeitgesetz),
- zur Nacht- und Schichtarbeit (§ 7 Absatz 1 Nr. 4 Arbeitszeitgesetz),
- zum Nachtzeitraum (§ 7 Absatz 1 Nr. 5 Arbeitszeitgesetz),
- zu Ruhezeiten bei Rufbereitschaft (§ 7 Absatz 2 Nr. 1 Arbeitszeitgesetz),
- für abweichende Regelungen in der Landwirtschaft (§ 7 Absatz 2 Nr. 2 Arbeitszeitgesetz),
- für abweichende Regelungen bei Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen (§ 7 Absatz 2 Nr. 3 Arbeitszeitgesetz),
- für abweichende Regelungen im öffentlichen Dienst (§ 7 Absatz 2 Nr. 4 Arbeitszeitgesetz),
- zur Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen (§ 12 Arbeitszeitgesetz).
Sämtliche mögliche Abweichungen von §§ 7 Absatz 1, Absatz 2, 12 Arbeitszeitgesetz nach § 6 Absatz 4 setzen aber zwingend voraus, dass die Arbeitszeit von 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt von 12 Kalendermonaten nicht überschritten wird (vgl. § 7 Absatz 8 Satz 1 Arbeitszeitgesetz).
In einem Rechenzentrum wird regelmäßig nach Dienstende Rufbereitschaft angeordnet. Zwar ist eine Inanspruchnahme selten, wenn sie aber erfolgt, wird dabei häufig - unter Einrechnung von acht Stunden Vollarbeit - die von § 3 Arbeitszeitgesetz vorgegebene Zehn-Stunden-Grenze für die tägliche Höchstarbeitszeit überschritten. Hier kann mit einer Dienstvereinbarung für diese Fälle die tägliche Höchstarbeitszeit nach § 7 Absatz 2 Nr. 4 Arbeitszeitgesetz auf mehr als zehn Stunden ausgedehnt werden.
Voraussetzung für eine Betriebs-/Dienstvereinbarung nach § 6 Absatz 4 sind "dringende betriebliche/dienstliche Gründe". "Dringende betriebliche/dienstliche Gründe" können daher unvorhergesehene Ereignisse sein, die einen besonderen Arbeitsaufwand erfordern, ohne die Dringlichkeit des § 14 Arbeitszeitgesetz zu erreichen (§ 14 Arbeitszeitgesetz: außergewöhnliche Fälle). Es können aber auch unabweisbare organisatorische Notwendigkeiten sein, die einer sinnvollen Arbeitszeitgestaltung ohne Inanspruchnahme der Öffnungsklausel entgegenstehen. Ein allein zweckmäßiger Grund ist nicht ausreichend.
Sofern in dem Betrieb/der Verwaltung das Personalvertretungsgesetz Anwendung findet, eine Dienstvereinbarung nicht einvernehmlich zustande kommt (zur Definition vgl. § 38 Absatz 2 sowie die Durchführungshinweise unter Ziffer 38.2) und dem Arbeitgeber ein Letztentscheidungsrecht zusteht, kann eine Regelung auch in einem Tarifvertrag getroffen werden (vgl. hierzu auch die Ausführungen unter Ziffer 6.6.4).
Von der Öffnungsklausel des § 7 Absatz 2a Arbeitszeitgesetz (Verlängerung der regelmäßigen Arbeitszeit ohne Ausgleich über 48 Wochenstunden; so genanntes opt-out) kann durch § 6 Absatz 4 nicht Gebrauch gemacht werden. § 6 Absatz 4 ist auf § 7 Absatz 1 und 2 Arbeitszeitgesetz beschränkt. In den Hauptanwendungsfällen des § 7 Absatz 2a Arbeitszeitgesetz (Kliniken, Pkw-Fahrer) ist die Inanspruchnahme dieser Ausnahmebestimmung unmittelbar in den entsprechenden Tarifvorschriften zugelassen worden (vgl. zum Beispiel § 41 Nr. 6 Absatz 10; § 7 Absatz 11 in der Fassung des § 42 Nr. 5 Ziffer 3; § 7 Absatz 11 in der Fassung des § 43 Nr. 4 Ziffer 3; § 2 Absatz 2 Tarifvertrag über die Arbeitsbedingungen der Personenkraftwagenfahrerinnen/Personenkraftwagenfahrer des Landes Hessen (PKW-Fahrer-TV-H)).
In der Protokollerklärung zu Absatz 4 ist die Öffnungsklausel des § 12 Nr. 4 Arbeitszeit...