Entscheidungsstichwort (Thema)
Ist die Frage nach dem Schwerbehindertenstatus in einem bestehenden Arbeitsverhältnis zulässig?
Leitsatz (amtlich)
In einem bestehenden Arbeitsverhältnis ist die Frage nach der Schwerbehinderung nicht generell unzulässig. Dient sie ausschließlich dazu, den Arbeitgeber im Hinblick auf bevorstehende Kündigungen über das Eingreifen von Schutzvorschriften zu Gunsten des schwerbehinderten Arbeitnehmers zu informieren (hier Zustimmung des Integrationsamtes), ist es dem Arbeitnehmer wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich bei einer im Übrigen wirksam ausgesprochenen Kündigung auf die fehlende Zustimmung des Integrationsamtes zu berufen, wenn er die zuvor an ihn gestellte Frage wissentlich falsch beantwortet und das Integrationsamt einer nachfolgenden Kündigung des Arbeitsverhältnisses zugestimmt hat.
Normenkette
SGB IX §§ 85, 88-89; AGG § 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1; InsO § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; BGB § 242
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Urteil vom 26.11.2009; Aktenzeichen 4 Ca 2001/09) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 26.11.2009 – 4 Ca 2001/09 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der von dem Beklagten auf der Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 26.05.2009 zum 30.06.2009. Streitig ist insbesondere, ob die Kündigung gemäß § 85 SGB IX unwirksam ist, weil der Beklagte die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes nicht eingeholt hat.
Der am 08.07.1956 geborene, verheiratete Kläger war bei der G1 S1 GmbH seit dem 01.11.2007 aufgrund eines bis zum 31.10.2009 befristeten Arbeitsverhältnis als Maschinenschlosser gegen eine Vergütung von 2.300,– EUR brutto monatlich tätig. Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt.
Über das Vermögen der G1 S1 GmbH ist am 01.03.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter ernannt worden. Dieser schloss am 20.05.2009 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste, auf der sich auch der Name des Klägers befindet. Der Interessenausgleich verhält sich über die Reduzierung der Mitarbeiteranzahl von 112 auf 91 Mitarbeiter.
Um Fehler bei der sozialen Auswahl zu vermeiden, hat der Beklagte allen Mitarbeitern während des Insolvenzeröffnungsverfahrens einen Fragebogen zur Vervollständigung bzw. Überprüfung der vorliegenden Daten vorgelegt. Danach wurde der Familienstand, die Anzahl der unterhaltspflichtigen Kinder und die Schwerbehinderung abgefragt (Bl. 14 GA). Der Kläger hat bei der Frage nach der Schwerbehinderung das Feld „nein” angekreuzt.
Nach Zuleitung einer Gesamtpersonalliste erörterten der Beklagte und der Betriebsrat am 15.05. und 20.05.2009 die Anzahl der noch für Mai 2009 geplanten Kündigungen. Dabei wurden die Vergleichsgruppen, die sozialen Daten und die Kündigungsgründe erörtert. Nach Darstellung des Beklagten ist der Betriebsratsvorsitzende darauf hingewiesen worden, dass mit den Verhandlungen zum Interessenausgleich zugleich das Anhörungsverfahren gemäß § 102 BetrVG verbunden werden solle. Dazu heißt es in dem Interessenausgleich vom 20.05.2009 unter III.:
- Bei den Verhandlungen über den Interessenausgleich und der Erstellung der Namensliste lagen dem Betriebsrat die Sozialdaten i. S. des § 1 Abs. 3 KSchG sämtlicher Arbeitnehmer vor. Mit der Erstellung der Namensliste ist gleichzeitig das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG zur Kündigung der in der Namensliste genannten Arbeitnehmer eingeleitet worden. Die Erörterungen, die zur Erstellung der Namensliste geführt haben, sind gleichzeitig die förmlichen Informationen des Betriebsrates über die Kündigungsgründe gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Dies wurde dem Betriebsrat vor Beginn der Verhandlungen über den Interessenausgleich mitgeteilt.
Der Betriebsrat hatte Gelegenheit, über die beabsichtigten Kündigungen zu beraten.
Der Betriebsrat gibt folgende abschließende Stellungnahme ab:
Den Kündigungen stimmt der Betriebsrat zu. Der Betriebsrat betrachtet das Anhörungsverfahren damit als abgeschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Interessenausgleich vom 20.05.2009 (Bl. 46 – 54 GA) Bezug genommen.
Der Kläger hat erstmals in seiner beim Arbeitsgericht am 09.06.2009 eingegangenen Klage auf seine Schwerbehinderung hingewiesen und geltend gemacht, die Kündigung sei allein deswegen unwirksam, weil das Integrationsamt die erforderliche Zustimmung zur Kündigung nicht erteilt habe. Er bestreite außerdem die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats.
Der Beklagte vertritt den Standpunkt, der Kläger könne sich auf den Schwerbehindertenschutz nicht berufen, weil er die zuvor an ihn gestellte Frage unzutreffend beantwortet habe. Der Kläger habe dadurch über seine ...