Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung rechtlichen Gehörs. Bekanntgabe der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Ersatzzustellung. Beweiskraft der Postzustellungsurkunde. Widerlegung
Orientierungssatz
1. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs mangels ordnungsgemäßer Ladung zur mündlichen Verhandlung liegt nicht vor, wenn die Ladung nach der formell ordnungsgemäßen Zustellungsurkunde durch zulässige Ersatzzustellung (Einlegung in Briefkasten) bekanntgegeben wurde.
2. Der Gegenbeweis gegen die Zustellungsurkunde als öffentliche Urkunde kann nach § 418 Abs 2 ZPO nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden. Dieser Gegenbeweis wird nicht schon durch die bloße Behauptung, das betreffende Schriftstück nicht erhalten zu haben, erbracht, weil es für die Wirksamkeit der Zustellung nicht darauf ankommt, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen und ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat (vgl BFH vom 10.11.2003 - VII B 366/02 = BFH/NV 2004, 509). Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert vielmehr den Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufs, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt (vgl BFH aaO).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, §§ 62, 63 Abs. 1 S. 2, Abs. 2; ZPO § 180 S. 1, § 182 Abs. 1 S. 2, § 418 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt Leistungen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung für eine Ausbildung zum SAP-Berater. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 27. Mai 2004 die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach seiner Überzeugung sei der Kläger nicht arbeitslos iS des § 16 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Der Kläger stehe den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts nicht mehr zur Verfügung iS des § 119 Abs 2 iVm § 16 Nr 2 SGB III. Er sei nicht arbeitsbereit. Er komme Meldeaufforderungen der Beklagten nicht nach und weigere sich, sich ärztlich untersuchen zu lassen.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend. Er sei zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung nicht geladen worden. Jedenfalls sei ihm keine Ladung zugegangen. Das angefochtene Urteil beruhe auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil er in der mündlichen Verhandlung seine Sicht der Dinge hätte darlegen können.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß § 62 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm Art 103 Grundgesetz liegt nicht vor, weil der Kläger zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG ordnungsgemäß geladen worden ist. Damit liegt ein Verfahrensfehler gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht vor. Gemäß § 63 Abs 1 Satz 2 SGG sind Terminsbestimmungen und Ladungen bekannt zu geben. Nach § 63 Abs 2 SGG wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) zugestellt.
Das LSG hat durch Verfügung vom 6. Mai 2004 die Ladung des Klägers zur mündlichen Verhandlung am 27. Mai 2004 mittels Postzustellungsurkunde verfügt. Laut Postzustellungsurkunde vom 8. Mai 2004 wurde das Schriftstück nach vergeblichem Übergabeversuch am 8. Mai 2004 in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vom 27. Mai 2004 wurde die Ladung des Klägers am 8. Mai 2004 durch den Vorsitzenden festgestellt und diese Feststellung zu Protokoll genommen.
Die am 8. Mai 2004 ausweislich der in formeller Hinsicht ordnungsgemäßen (§ 182 Abs 2 ZPO) Zustellungsurkunde durchgeführte Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in den Briefkasten ist gemäß § 180 Satz 1 ZPO zulässig, wenn die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung oder in dem Geschäftsraum nicht angetroffen wird und wenn auch die für diesen Fall vorgesehene Ersatzzustellung durch Zustellung an einen in der Wohnung anwesenden erwachsenen Familienangehörigen, eine in der Familie beschäftigte Person oder einen erwachsenen selbstständigen Mitbewohner bzw eine im Geschäftsraum beschäftigte Person (§ 178 Abs 1 Nr 1 und 2 ZPO) nicht ausführbar ist. Nach den vom Zusteller in der Zustellungsurkunde vermerkten Angaben lagen diese Voraussetzungen im Streitfall vor. Daher wurde eine Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung vorgenommen. Nach § 182 Abs 1 Satz 2 ZPO gilt für die Zustellungsurkunde § 418 ZPO, dh dass es sich um eine öffentliche Urkunde handelt, die den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen begründet. Ein Gegenbeweis kann nach § 418 Abs 2 ZPO nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden. Dieser Gegenbeweis wird nicht schon durch die bloße Behauptung, das betreffende Schriftstück nicht erhalten zu haben, erbracht, weil es für die Wirksamkeit der Zustellung nicht darauf ankommt, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen und ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat (vgl nur BFH, Beschluss vom 10. November 2003 - VII B 366/02 - mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert vielmehr den Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufs, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt (vgl BFH aaO mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Gefordert wird der volle Gegenbeweis in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr bezeugten Tatsachen ausgeschlossen wird. Einen entsprechenden Gegenbeweis hat der Kläger nicht geliefert. Da er sich auf die schlichte Behauptung beschränkt hat, die Ladung nicht erhalten zu haben, hat er mithin den Beweis für den beurkundeten Zustellungsvorgang auf Grund der Postzustellungsurkunde als öffentlicher Urkunde (§ 418 Abs 1 ZPO) nicht widerlegt (vgl hierzu auch BFH, Beschluss vom 30. März 2004 - VII B 275/03).
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen