Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzestexte für den Betriebsrat
Leitsatz (amtlich)
Auch bei der Ausübung seines Auswahlrechts hinsichtlich der ihm nach § 40 Abs. 2 BetrVG vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellenden arbeitsrechtlichen Gesetzestexte braucht sich der Betriebsrat nicht ausschließlich vom Interesse des Arbeitgebers an einer möglichst geringen Kostenbelastung leiten zu lassen.
Normenkette
BetrVG 1972 § 40 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 11. April 1995 – 1 TaBV 4/95 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Arbeitgeberin jedem einzelnen Betriebsratsmitglied ein Exemplar der Sammlung von Kittner “Arbeits- und Sozialordnung” zur Verfügung stellen muß.
Die beteiligte Arbeitgeberin ist ein Einzelhandelsunternehmen. Der bei ihr gebildete Betriebsrat, der Antragsteller, besteht aus neun Mitgliedern. Mit Schreiben vom 1. Juni 1994 forderte er von der beteiligten Arbeitgeberin, jedem seiner Mitglieder ein Exemplar der Sammlung von Kittner, damals in 19. Auflage, zur Verfügung zu stellen. Mit Schreiben vom 17. Juni 1994 erklärte sich die Arbeitgeberin lediglich bereit, dem Betriebsrat ein Exemplar zu beschaffen.
Der Betriebsrat hat geltend gemacht, er benötige für jedes einzelne Betriebsratsmitglied eine Sammlung arbeitsrechtlicher Gesetze. Denn für jedes einzelne Betriebsratsmitglied sei eine intensive Beschäftigung mit dem Gesetzestext erforderlich. Es würde die Betriebsratsarbeit unnötig erschweren, wenn die Betriebsratsmitglieder die Texte untereinander austauschen müßten. Die Gesetzessammlung “Arbeitsgesetze” des dtv-Verlags sei nicht ausreichend. Der “Kittner” enthalte zahlreiche für die Betriebsratsarbeit wichtige Gesetze, die im dtv-Text nicht oder nur auszugsweise vorhanden seien. Außerdem sei der den jeweiligen Gesetzestexten im “Kittner” vorangestellte einleitende Text besonders wichtig, um den Betriebsratsmitgliedern die historische Einordnung und den jeweiligen soziologischen Kontext des Gesetzes nahezubringen.
Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt,
die Beteiligte zu 2) zu verpflichten, die Kosten für weitere acht Exemplare der Gesetzessammlung “Kittner” (Hrsg.), Arbeits- und Sozialordnung in der 20. Auflage 1995 zu übernehmen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat es in den Vorinstanzen nicht für erforderlich gehalten, daß jedes Betriebsratsmitglied über eine Gesetzessammlung verfügt. Die Sprechstunden würden jeweils nur von einem Betriebsratsmitglied durchgeführt; auch für die Betriebsratssitzungen reiche ein Exemplar aus. Wenn Bedarf bestehe, könnten Kopien zur Verfügung gestellt werden. Jedenfalls sei es eine unverhältnismäßige Kostenbelastung, wenn der Betriebsrat für jedes Mitglied ein Exemplar des “Kittner” verlange. Diese Sammlung koste pro Exemplar 38,-- DM, während etwa die Gesetzessammlung des dtv-Verlags nur 9,90 DM koste.
Beide Vorinstanzen haben dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Verfahrensziel auf Abweisung des Antrags weiter. Der Betriebsrat beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, daß die beteiligte Arbeitgeberin dem antragstellenden Betriebsrat für jedes seiner Mitglieder ein Exemplar der Sammlung Kittner, Arbeits- und Sozialordnung, in der 20. Auflage zur Verfügung zu stellen hat.
1. Gemäß § 40 Abs. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat für die Sitzungen, die Sprechstunden und die laufende Geschäftsführung Sachmittel im erforderlichen Umfang zur Verfügung zu stellen. Davon, daß hierzu insbesondere auch aktuelle Texte derjenigen Gesetze gehören, deren Einhaltung der Betriebsrat gemäß § 80 Abs. 1 BetrVG zu überwachen hat, gehen alle Beteiligten zutreffend aus.
2. Im Rechtsbeschwerdeverfahren räumt die Arbeitgeberin auch ein, daß jedem Betriebsratsmitglied eine Sammlung der wichtigsten arbeitsrechtlichen Gesetze zur Verfügung zu stellen ist, nachdem das Landesarbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen hatte, daß jedes Betriebsratsmitglied die Möglichkeit haben muß, ohne Abstimmung mit den anderen Betriebsratsmitgliedern auf die grundlegenden Normen zurückzugreifen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Erst wenn es um selten relevante Vorschriften und die Wissensvertiefung durch Kommentare und Zeitschriften geht, ist dem Betriebsratsmitglied der Rückgriff auf gemeinschaftlich genutzte Exemplare zumutbar.
3. Die Rechtsbeschwerde stellt auch nicht in Abrede, daß der Betriebsrat hinsichtlich der Fachliteratur, die ihm nach § 40 Abs. 2 BetrVG zur Verfügung zu stellen ist, ein Auswahlrecht hat (vgl. hierzu BAG Beschlüsse vom 26. Oktober 1994 – 7 ABR 15/94 – und vom 25. Januar 1995 – 7 ABR 37/94 – EzA § 40 BetrVG 1972 Nr. 72 und 73). Sie vertritt jedoch die Ansicht der Arbeitgeberin weiter, vorliegend habe der Betriebsrat die Grenzen seines Auswahlrechts überschritten, weil er sich nicht für die preisgünstigere Gesetzessammlung “Arbeitsgesetze” des dtv-Verlags entschieden habe. Damit habe der Betriebsrat im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung das Interesse der Arbeitgeberin an möglichst geringer Kostenbelastung nicht gebührend berücksichtigt.
a) Das Landesarbeitsgericht hat dies anders gesehen. Es hat auf der Grundlage einer vergleichenden Betrachtung beider Gesetzessammlungen insoweit im wesentlichen ausgeführt, die Sammlung “Kittner” unterrichte vollständiger über die vom Betriebsrat zu überwachenden Gesetze und Verordnungen und enthalte darüber hinaus einleitende Basistexte zu den einzelnen Gesetzen. Die Entscheidung des Betriebsrats für die Sammlung “Kittner” habe deshalb die Grenzen seines Auswahlrechts nicht überschritten und sei nicht unverhältnismäßig gewesen.
b) Diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. BAG Beschlüsse vom 21. April 1983, BAGE 42, 259 und vom 29. November 1989 – 7 ABR 42/89 – AP Nr. 20 und 32 zu § 40 BetrVG 1972) unterliegt die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, welche Sachmittel für die Betriebsratsarbeit erforderlich sind, im Rechtsbeschwerdeverfahren nur einer eingeschränkten Nachprüfung. Da es sich bei dem Begriff der Erforderlichkeit um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, hat das Rechtsbeschwerdegericht nur zu prüfen, ob das Landesarbeitsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände bei der Würdigung übersehen hat.
c) Im Entscheidungsfalle ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß das Landesarbeitsgericht die finanzielle Mehrbelastung der Arbeitgeberin durch die Auswahlentscheidung des Betriebsrats nicht berücksichtigt hätte. Es kann auch nicht als rechtsfehlerhaft angesehen werden, daß das Landesarbeitsgericht diese Mehrbelastung im Vergleich zu den von ihm festgestellten Vorteilen der Sammlung “Kittner” nicht als unverhältnismäßig gewürdigt hat.
Denn der Betriebsrat braucht sich bei der Ausübung seines Auswahlrechts nicht ausschließlich vom Interesse des Arbeitgebers an einer möglichst geringen Kostenbelastung leiten zu lassen. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kann schließlich auch nicht darauf abgestellt werden, daß in den 21 Warenhäusern der Beklagten insgesamt 164 Betriebsratsmitglieder gewählt sind, so daß es für die Arbeitgeberin zu Mehrkosten von insgesamt über 4.000,-- DM führen würde, wenn sie jedem Betriebsratsmitglied das Werk von Kittner beschaffen müßte. Denn diese Rechnung würde zunächst voraussetzen, daß jedes Betriebsratsgremium die gleiche Auswahlentscheidung trifft wie der antragstellende Betriebsrat. Rein hypothetische Auswahlentscheidungen anderer Betriebsräte brauchte das Landesarbeitsgericht nicht zu berücksichtigen.
Unterschriften
Steckhan, Schmidt, Bröhl, Olga Berger, Niehues
Fundstellen
Haufe-Index 873924 |
BB 1996, 2355 |
NZA 1997, 60 |