Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunft über Liquidationserlöse eines Chefarztes
Orientierungssatz
Zur Verpflichtung eines Chefarztes einem Assistenzarzt Auskunft über die Liquidationserlöse aus dem ambulanten Bereich zu erteilen.
Normenkette
BGB §§ 242, 611, 812; ÄKammerG BW; KHG BW §§ 19-21; DCVArbVtrRL § 5 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 28.11.1985; Aktenzeichen 9 Sa 42/85) |
ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 25.01.1985; Aktenzeichen 3 Ca 416/84) |
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz nur noch darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Auskunft über die Liquidationserlöse aus dem ambulanten Bereich für die Zeit vom 1. Februar 1981 bis zum 31. März 1984 zu erteilen. Weiter nimmt der Kläger den Beklagten auf Zahlung eines Teilbetrages hieraus in Höhe von 10.000,-- DM in Anspruch.
Der am 4. November 1948 geborene Kläger war vom 19. Januar 1981 bis zum 31. März 1984 als Assistenzarzt in der chirurgischen Abteilung des St. J krankenhauses in F beschäftigt. Rechtsträger des Krankenhauses ist die Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul in F. Diese ist dem Deutschen Caritasverband angeschlossen. Nach § 2 des Dienstvertrages des Klägers vom 8. Januar 1981 gelten für das Dienstverhältnis die "Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes" (AVR) in der jeweils geltenden Fassung. Aufgrund dieser Richtlinien bezog der Kläger ein Gehalt nach der Vergütungsgruppe I b Ziffer 6 Stufe 5 der Anlage 1. In § 5 Abs. 3 Unterabs. 3 der AVR heißt es:
"Die Ärzte sind verpflichtet, ärztliche Bescheinigungen
auszustellen und auf Anordnung
des Dienstgebers im Rahmen einer zugelassenen
Nebentätigkeit des leitenden Arztes oder für
einen Belegarzt des Krankenhauses ärztlich
tätig zu werden."
Der Beklagte ist aufgrund eines am 4. Juni 1980 abgeschlossenen Dienstvertrages Leiter der chirurgischen Abteilung des St. Josefskrankenhauses. Ihm war gestattet, im Krankenhaus eine ambulante Praxis zu betreiben. § 8 seines Dienstvertrages lautete:
"Herr Prof. Dr. J ist verpflichtet,
die ärztlichen Mitarbeiter seiner Abteilung
an seinen Liquidationserlösen gemäß § 5
Abs. 2 dieses Vertrages zu beteiligen. Die
Beteiligung der ärztlichen Mitarbeiter an
seinem Liquidationserlös richtet sich nach
den Vorschriften des Landeskrankenhausgesetzes
und der hierzu ergangenen und noch
ergehenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften."
Die Beteiligten haben über eine Änderung des zweiten Satzes der Vertragsbestimmung verhandelt. Das Krankenhaus hat dem Beklagten mit Schreiben vom 10. August 1983 dazu folgendes mitgeteilt:
"Der Ordnung halber bestätigen wir Ihnen, daß
Sie und der Krankenhausträger unmittelbar nach
Abschluß Ihres Dienstvertrages mit Rücksicht
auf die damals bekannt gewordene Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichtes vom 25. März 1980
unter ausdrücklichem Verzicht auf die vorgesehene
Schriftform vereinbart haben, daß das Landeskrankenhausgesetz
Baden-Württemberg auf die
finanzielle Beteiligung der ärztlichen Mitarbeiter
Ihrer Abteilung nicht anzuwenden ist.
Sie waren und sind deshalb verpflichtet, die
nachgeordneten Ärzte in Ihrer Abteilung nach
den standesrechtlichen Bestimmungen angemessen
an den von Ihnen erzielten Liquidationserlösen
zu beteiligen."
§ 15 Abs. 2 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg bestimmt:
"Ärzte, die andere Ärzte zu ärztlichen Verrichtungen
bei Patienten heranziehen, denen gegenüber
nur sie einen Liquidationsanspruch
haben, sind verpflichtet, diesen Ärzten eine
angemessene Vergütung zu gewähren."
In diesem Zusammenhang ist zwischen den Parteien unstreitig, daß der Kläger sowohl im stationären wie im ambulanten Bereich für den Beklagten insoweit tätig war, wie der Beklagte eine eigene Liquidationsbefugnis gegenüber den Patienten bzw. den Krankenkassen hatte. Hierfür hat der Beklagte dem Kläger von Februar 1981 bis Dezember 1983 einen monatlichen Betrag von 250,-- DM und von Januar bis März 1984 einen monatlichen Betrag von 400,-- DM gezahlt. Die Bezirksärztekammer Süd-Baden hat dem Kläger mit Schreiben vom 21. Juni 1985 mitgeteilt, der Ausschuß zur Schlichtung von Streitfragen bei der Beteiligung nachgeordneter Ärzte am Liquidationserlös habe überprüft, ob die vom Beklagten in den Jahren 1981 bis 1984 abgelieferten Honoraranteile zur Beteiligung nachgeordneter Ärzte den standesrechtlichen Vorschriften entsprächen. In dem Schreiben heißt es:
"Nach den belegten Angaben von Prof. Dr. J
ist für den stationären Bereich die Berechnung der
abzusetzenden Abgaben nach der Verordnung der
Landesregierung des Krankenhausgesetzes vom
12.10.76 erfolgt.
Im ambulanten Bereich betrug die durchschnittliche
Abgabe im Durchschnitt der genannten 4 Jahre 15 %
des Nettoliquidationserlöses.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß für den
stationären Bereich Prof. Dr. J zu einer
Beteiligung der nachgeordneten Ärzte vertraglich
nicht verpflichtet ist - die Frage einer etwaigen
gesetzlichen Verpflichtung kann hier unerörtert
bleiben -, hält der Ausschuß die den nachgeordneten
Ärzten insgesamt zugeführten Honoraranteile noch
für angemessen. Der Honoraranteil im ambulanten
Bereich erreicht zwar nicht den Anteil der für
den stationären Bereich in der Berechnungsverordnung
vorgesehen ist. Hier ist aber eine Beteiligung
üblicherweise auch niedrig anzusetzen,
da diese Tätigkeit für die Assistenten in aller
Regel als hauptberufliche Tätigkeit sich darstellt
und damit keine zusätzliche Arbeit mit
sich bringt.
Der Ausschuß stellt also abschließend fest, daß
Prof. Dr. J insgesamt seiner standesrechtlichen
Verpflichtung zur Beteiligung der nachgeordneten
Ärzte am Liquidationserlös im stationären
und ambulanten Bereich nachgekommen ist. ...."
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Beklagte schulde ihm einen höheren Anteil an den Liquidationserlösen aus dem stationären wie auch aus dem ambulanten Bereich. Um seine Forderung genau beziffern zu können, müsse der Beklagte ihm zunächst Auskunft erteilen. Einen Teilbetrag von 10.000,-- DM werde auf alle Fälle geschuldet.
Demgemäß hat der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihm Auskunft über
die Liquidationserlöse aus dem stationären und
dem ambulanten Bereich für die Zeit vom 1. Februar
1981 bis zum 31. März 1984 zu erteilen,
weiter den Beklagten zu verurteilen, an ihn
10.000,-- DM nebst 7 % Zinsen seit dem 14. September
1984 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, mit seiner Zahlung an den Kläger sei auch dessen Mitarbeit im stationären und im ambulanten Bereich abgegolten. Diese Zahlungen seien angemessen. Einen höheren Betrag könne der Kläger von ihm nicht verlangen. Im übrigen habe er, der Beklagte, an die nachgeordneten Ärzte höhere Beträge ausgezahlt, als er zu leisten verpflichtet gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der der Kläger sein Klageziel - jedoch begrenzt auf den ambulanten Bereich - weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
I.1. Das Landesarbeitsgericht hat - aufgrund seiner Beweisaufnahme - angenommen, der Beklagte und der Krankenhausträger hätten die Bestimmungen der §§ 19 bis 21 des Krankenhausgesetzes (KHG) von Baden-Württemberg vom 16. Dezember 1975 (GBl. S. 838) zum Gegenstand des Dienstvertrages des Beklagten vom 4. Juni 1980 gemacht. Damit hätten diese Bestimmungen für die Vertragspartner ihren Gesetzescharakter verloren und seien als vertragliche Regelungen Inhalt der Rechtsbeziehungen der Beteiligten geworden. Hieraus folge, daß auch § 21 Abs. 5 KHG als Vertragsbestimmung gelte, wonach Ansprüche im Zusammenhang mit der Abführung des Liquidationserlöses und der Verteilung der abgeführten Beträge gegenüber dem Krankenhausträger geltend zu machen seien. Dies gelte aufgrund des Dienstvertrages des Beklagten auch für Liquidationserlöse aus dem ambulanten Bereich. Der Beklagte sei danach für den vom Kläger erhobenen Anspruch nicht passiv legitimiert. Der Kläger müsse sich an den Krankenhausträger halten. Ob ihm Ansprüche auf anteilige Liquidationserlöse zustünden, sei nicht mehr zu untersuchen.
2. Die Revision greift die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht mit Verfahrensrügen im Sinne des § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO an, sie sind für den Senat daher bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO). Die Revision wendet sich jedoch gegen die Auslegung des § 8 des Dienstvertrages des Beklagten durch das Landesarbeitsgericht. Die genannte Regelung könne entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht auf den Bereich der hier interessierenden Ambulanz (d.h. der eigenen chirurgischen Ambulanz des Beklagten im Krankenhaus) bezogen werden.
3. Die Rüge der Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht wird bei der Auslegung des - nichttypischen - Vertrages den Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB nicht gerecht, weil es den Wortlaut der Vertragsbestimmung nicht hinreichend beachtet hat. Dadurch ist es zu einem unrichtigen Auslegungsergebnis gekommen.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Beklagte nach § 8 seines mit dem Krankenhausträger geschlossenen Dienstvertrages verpflichtet, die ärztlichen Mitarbeiter seiner Abteilung an seinen Liquidationserlösen zu beteiligen. Das soll entsprechend den - vertraglich vereinbarten - Bestimmungen der §§ 19 bis 21 KHG geschehen. Der erste Satz der Vertragsklausel spricht eine allgemeine Verpflichtung aus. Der zweite Satz, der die gesetzlichen Bestimmungen als Vertragsklauseln in Bezug nimmt, regelt die nähere Ausführung dieser allgemeinen Verpflichtung. Nach § 19 Abs. 1 KHG sind aber nur die ärztlichen Mitarbeiter an den im stationären Bereich erzielten Einkünften zu beteiligen. Nur über diese Art von Einkünften enthalten die genannten Bestimmungen des Krankenhausgesetzes nähere Regelungen. Einkünfte aus dem ambulanten Bereich sind dagegen nicht erwähnt. Daraus folgt, daß sie auch nicht in den § 8 des Dienstvertrages des Beklagten aufgenommen worden sind.
Unter diesen Umständen können die Einkünfte aus dem ambulanten Bereich nicht wie die Einkünfte aus dem stationären Bereich behandelt werden. Hätten die Parteien des Dienstvertrages dies gewollt, hätten sie ihren Willen im Vertrag niedergelegt; denn die Bestimmungen des Krankenhausgesetzes waren ihnen genau bekannt. Da sie aber keine Regelung getroffen haben, muß der Umkehrschluß eingreifen. Folglich sind die Einkünfte aus dem ambulanten Bereich vom Dienstvertrag des Beklagten nicht erfaßt. Daraus folgt weiter, daß dann auch § 21 Abs. 5 Satz 1 KHG nicht angewandt werden kann, wonach Ansprüche im Zusammenhang mit dem Liquidationserlös gegenüber dem Krankenhausträger geltend gemacht werden müssen. § 8 des Dienstvertrages des Beklagten ist danach so auszulegen, daß für zivilrechtliche Ansprüche nachgeordneter ärztlicher Mitarbeiter aus dem Bereich der Ambulanz der Beklagte weiterhin passiv legitimiert ist.
II. Der Senat vermag nicht abschließend zu entscheiden, weil es an jeder Feststellung zu den tatsächlichen Grundlagen eines möglichen Anspruchs des Klägers fehlt. Das nötigt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, das die erforderlichen Feststellungen nachholen muß.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Dr. Koffka Buschmann
Fundstellen