Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrittsgebühr in der Druckindustrie

 

Leitsatz (redaktionell)

In der Druckerei eines Zeitungsverlags beschäftigte Elektroniker, zu deren Aufgaben es gehört, die Entwicklungsmaschinen zu warten, kleinere Reparaturen auszuführen und die Chemikalien für den Lichtsatz anzusetzen, sind im Sinne des § 6 Abs 5 Buchst a des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 12.4.1979 "mit der Herstellung" der Zeitung befaßt. Ihnen steht daher die tarifliche Antrittsgebühr zu, wenn sie am Sonntag oder in der Nacht vom Sonntag zum Montag arbeiten müssen.

 

Normenkette

TVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 22.10.1982; Aktenzeichen 5 Sa 371/82)

ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 26.01.1982; Aktenzeichen 4 Ca 2620/81)

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung einer tariflichen Antrittsgebühr für Sonntags- und Nachtarbeit.

Der Kläger ist seit dem 1. Juli 1981 bei der Beklagten als Fachhelfer in der Abteilung Elektronik beschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist die Anwendung des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie vom 12. April 1979 (MTV) vereinbart. Der Kläger ist in der Druckerei beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Geräte zu warten und zu reinigen, notwendige kleinere Reparaturen und Umstellungen vorzunehmen sowie die chemischen Stoffe zum Entwickeln und Fixieren beim Lichtsatz anzusetzen. Diese Arbeiten führt er außerhalb des eigentlichen Druckvorgangs aus. Gemäß § 6 Abs. 5 a) des genannten MTV erhalten bei regelmäßig erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften "alle mit der Herstellung beschäftigten Arbeitnehmer", auch wenn sie in bestimmten Zulieferbetrieben tätig sind, eine sogenannte Antrittsgebühr von 15 %, gegebenenfalls 7,5 % des tariflichen Wochenlohns, wenn sie am Sonntag oder in der Nacht vom Sonntag auf Montag arbeiten. Die Antrittsgebühr wird unabhängig von Lohnzuschlägen für Nacht- und Feiertagsarbeit gezahlt.

Der Kläger hat vorgetragen, bei seinem vorherigen Arbeitgeber habe er die Antrittsgebühr erhalten. Auch die Beklagte müsse sie zahlen, da er mit der Herstellung der Zeitung beschäftigt sei. Mit der Klage macht er die Antrittsgebühr, die der Höhe nach unstreitig ist, für die Monate Juli, August und September 1981 geltend.

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

801,96 DM netto nebst 4 % Zinsen seit

dem 27. Oktober 1981 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die tariflichen Merkmale für die Zahlung der Antrittsgebühr träfen auf die Tätigkeit des Klägers nicht zu, da er nicht bei dem eigentlichen Produktionshergang eingesetzt sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die Antrittsgebühr zu zahlen.

1. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei im Sinne der auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren tariflichen Regelung nicht mit der Herstellung der Zeitung beschäftigt. Die Auslegung des § 6 Abs. 5 a) MTV ergebe, daß nur die bei dem eigentlichen Produktionsvorgang tätigen Arbeitnehmer die Antrittsgebühr erhalten sollten; wer, wie der Kläger, nur mittelbar am Produktionsvorgang teilnehme, erhalte die Gebühr nicht. Der Senat kann sich dieser Ansicht nicht anschließen.

2. Dem Berufungsgericht ist einzuräumen, daß der Wortlaut der Vorschrift nicht klar ist. Die Formulierung "mit der Herstellung beschäftigt" läßt nur eine allgemeine Abgrenzung zu. Wäre der tarifliche Begriff umfassend gemeint, so müßten sämtliche Mitarbeiter eines Zeitungsverlags die Zulage erhalten, gleich, ob sie als Pförtner, Redakteure, Verwaltungsangestellte, Setzer oder Drucker tätig sind. So weitgehend kann das Merkmal nicht verstanden werden. Es wäre ganz überflüssig und ungeeignet, die mit der Herstellung befaßten Mitarbeiter von allen anderen abzugrenzen. Die Fassung der Tarifvorschrift läßt aber eine für die Druck- und Verlagsindustrie geläufige Unterscheidung erkennen: Satz und Druck einerseits und alle vorbereitenden und nach Beendigung der Produktion anfallenden Dienste andererseits.

3. Deutlichere Aufschlüsse lassen sich dem Zweck der Regelung entnehmen. Bei der Antrittsgebühr, deren Ursprünge wohl nur historisch zu erklären sind (vgl. BFH BB 1962, 912), handelt es sich nicht um eine allgemeine Erschwerniszulage für Sonntags- und Nachtarbeit, denn diese Erschwerniszulage ist auch dann zu zahlen, wenn die betroffenen Arbeitnehmer nicht in der Produktion tätig sind (§ 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 bis 4 MTV). Die Antrittsgebühr für Nachtarbeit von Sonntag auf Montag und für Sonntagsarbeit fällt zusätzlich an. Es liegt daher nahe, daß es sich bei ihr um eine Zuverlässigkeitsprämie handelt; sie soll einen Anreiz dafür schaffen, daß die am Sonntag und in der Nacht zum Montag besonders lästige Arbeitspflicht eingehalten wird, damit die rechtzeitige Herstellung der Zeitung oder Zeitschrift nicht gefährdet wird und das fertige Druckerzeugnis am nächsten Morgen ausgeliefert werden kann (vgl. auch BAG 23, 430, 435 = AP Nr. 1 zu § 2 LohnFG, zu 2 der Gründe; Urteil vom 12. September 1959 - 2 AZR 50/59 - AP Nr. 9 zu § 2 ArbKrankhG).

4. Diese Auslegung wird durch die tarifliche Praxis bestätigt, die verschiedentlich bereits Gegenstand der Auseinandersetzung der Tarifvertragsparteien war.

a) Durch Schiedsspruch des Zentralen Schiedsgerichts vom 7. November 1975 wurde entschieden:

"Es haben nur die Kraftfahrer Anspruch auf die An-

trittsgebühr gemäß § 6 Ziff. 5 a MTV, die an einem

Sonn- oder Feiertag ihren Dienst wegen der Notwen-

digkeit antreten müssen, um Matern von einem räumlich

entfernten Betriebsteil zum Druckereibetrieb zu

transportieren."

Das Schiedsgericht Köln erkannte durch Schiedsurteil vom 17. August 1949 wie folgt:

"Es wird festgestellt, daß der Wortlaut des Tarif-

vertrages vom 1. Juli 1949 nur die Auslegung zuläßt,

daß die Herstellung einer Zeitung oder Zeitschrift

im Sinne des § 6 Ziff. 6 a des Tarifvertrages abge-

schlossen ist, wenn die Zeitung oder Zeitschrift die

Druckmaschine verlassen hat.

Packer und alle mit dem Versand beschäftigten Arbeit-

nehmer sind demnach nicht mit der Herstellung befaßt."

Diese Entscheidungen lassen Schlüsse zu: Wenn die Tätigkeit der Maternfahrer zur Herstellung zählt, die Tätigkeit der Packer aber nicht, dann deutet das keineswegs nur auf eine rein zeitliche Abgrenzung hin, wie die Beklagte vorträgt, sondern auf das Erfordernis eines sachlichen Zusammenhangs mit der Produktion. Ohne die Herbeischaffung der Matern durch die Fahrer kann der Druck nicht anlaufen, dagegen treten die Packer erst dann in Aktion, wenn die fertige Produktion bereits vorliegt. Hieraus ist weiter zu folgern, daß auch die am Produktionsvorgang beteiligten Hilfsdienste die Antrittsgebühr erhalten sollen, sofern sie ihrer Arbeitspflicht ebenso wie Setzer und Drucker am Sonntag oder in der Nacht vom Sonntag auf Montag nachkommen müssen.

b) Das betriebliche Organisationsschema der Beklagten zieht die Grenzlinie anders. Es ordnet die Hilfsdienste der Produktion (Elektroniker einschließlich Wartungspersonal der Entwicklungsmaschinen) den sogenannten "Dienstleistungen" zu, der "Zeitungsherstellung" dagegen nur die Anzeigenaufbereiter, Vollständigkeitskontrolleure, Dienst an der Ausgabesteuerung, Seitenmontierer, Kamerapersonal, Druckplattenhersteller und Drucker. Hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers ist dies nicht einsichtig. Komplizierte moderne Produktionsvorgänge kommen ohne ständige fachmännische Wartung der Maschinen nicht aus. Das kann bei rechnergesteuerten Anlagen so weit gehen, daß sich die menschliche Arbeit auf die bloße Überwachung und Wartung beschränkt. Dennoch ist eine solche Tätigkeit produktionsbezogen. Im Falle des Klägers gilt nichts anderes. Seine Tätigkeit steht in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit der Produktion. Die Wartung und Reinigung der Geräte, die Vornahme kleinerer Reparaturen und Umstellungen, das Ansetzen der Chemikalien zum Entwickeln und Fixieren der Vorlagen beim Lichtsatz, all dies sind unmittelbar auf das gegenständliche Produkt bezogene Tätigkeiten und nicht bloß vorbereitende oder der Produktionsverwertung zuzuordnende Aufgaben. Es besteht kein sachlich zu rechtfertigender Unterschied, ob der Arbeitnehmer die Anlage bedient oder dafür sorgt, daß die Bedienung technisch ungestört möglich ist. Demgemäß erscheint es unerheblich, daß der Kläger seine Aufgaben zeitlich versetzt zu dem eigentlichen Druckvorgang wahrzunehmen hat. Seine Tätigkeit wird, wie beim Maternfahrer, vom Ablauf des Herstellungsprozesses zeitlich bestimmt. Andernfalls brauchte er nicht nachts und am Sonntag zu arbeiten. Der sachliche Zusammenhang mit dem Produktionsablauf ist so eng, daß seine Tätigkeit im Sinne des § 6 Abs. 5 a MTV der Herstellung zuzuordnen ist.

Schaub Griebeling Dr. Peifer

Dr. Hoppe Gnade

 

Fundstellen

Haufe-Index 438720

AP § 1 TVG, Nr 5

AR-Blattei, ES 1550.9 Nr 55 (LT1)

AR-Blattei, Tarifvertrag IX Entsch 55 (LT1)

EzA § 4 TVG Druckindustrie, Nr 3 (LT1)

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