Entscheidungsstichwort (Thema)
Überbrückungsbeihilfe. Anknüpfleistung. Selbständiger. Gesellschafter-Geschäftsführervertrag
Orientierungssatz
Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung iSv. § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich liegt vor, wenn Einkommen aus einer fremdbestimmten, jedenfalls weisungsabhängigen Tätigkeit bezogen wird. Hieran fehlt es bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer, der als Alleingesellschafter allein vertretungsberechtigt und geschäftsführungsbefugt ist und seine Arbeitszeit in diesem Rahmen frei und eigenverantwortlich gestalten kann. Diesem fehlt die Eingliederung in die Arbeitsorganisation eines Weisungsgebers.
Normenkette
Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich) § 4 Ziff. 1 Buchst. a; Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich) § 4 Ziff. 1 Buchst. b; Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich) § 4 Ziff. 1 Buchst. c
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg – Kammern Mannheim – vom 16. März 2000 – 13 Sa 89/99 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich).
Der Kläger war vom 2. Juni 1965 bis Januar 1972 und vom 1. November 1973 bis zum 31. März 1998 bei den französischen Stationierungsstreitkräften in B. als Fernmeldetechniker zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 6.891,00 DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV AL II (frz.)) und der TV SozSich Anwendung. Wegen des Abzugs der französischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und dem damit verbundenen Abbau auch der zivilen Einrichtungen der Stationierungsstreitkräfte wurde das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag zum 31. März 1998 beendet.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gründete der Kläger als Alleingesellschafter die B. GmbH-Telefon-Technik-Telekommunikation. Der Kläger bestellte sich namens der Gesellschaft zum Alleingeschäftsführer, der nach dem notariellen Gesellschaftsvertrag von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit war. Namens der Gesellschaft schloß er mit sich einen Gesellschafter-Geschäftsführervertrag, in dem es heißt:
„§ 1 …
(1) Der Geschäftsführer wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 27.04.1998 bestellt. Er beginnt seine Tätigkeit ab 01.04.1998.
…
§ 4 Vertretung und Geschäftsführung
(1) Der Geschäftsführer vertritt die GmbH gerichtlich und außergerichtlich und führt die Geschäfte. Er ist alleinvertretungs- und alleingeschäftsführungsberechtigt.
…
§ 5 Arbeitszeit
Die Arbeitszeit richtet sich nach den betrieblichen Erfordernissen und ist vom Geschäftsführer in diesem Rahmen frei und eigenverantwortlich zu gestalten.
…
§ 8 Vergütung
(1) Der Geschäftsführer erhält eine monatliche feste Vergütung in Höhe von DM 3.500,– brutto, fällig jeweils am Monatsende.
…”
Mit Schreiben vom 29. Juli 1998 verlangte der Kläger von der Beklagten Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 29. September 1998 ab, weil sie die Voraussetzungen des § 4 TV SozSich nicht als erfüllt ansah. In dieser Bestimmung heißt es:
„§ 4
Überbrückungsbeihilfe
1. Überbrückungsbeihilfe wird gezahlt:
- zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte,
- zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlaß von Arbeitslosigkeit oder beruflichen Bildungsmaßnahmen …,
- zum Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung oder zum Verletztengeld der gesetzlichen Unfallversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Arbeitsunfall.
…”
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe für das Jahr 1998 belaufe sich auf monatlich 3.339,00 DM. Bei seinem Geschäftsführergehalt handele es sich um Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte iSv. § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich. Diese Tarifbestimmung unterscheide nicht danach, ob die anderweitige Beschäftigung, mit der die tariflich vorgeschriebene Anknüpfleistung verdient wird, eine selbständige oder eine nichtselbständige Tätigkeit sei. Maßgeblich sei allein, daß eine Wiedereingliederung des Arbeitnehmers in den Arbeitsprozeß stattfinde. Dieser Zweck werde bei ihm dadurch erreicht, daß er eine GmbH gegründet habe, um seine Fähigkeiten im Telekommunikationsbereich zu nutzen und ihm andernfalls drohende Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Der Kläger hat beantragt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an ihn für das Jahr 1998 eine Überbrückungsbeihilfe in Höhe von 26.712,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Januar 1999 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, für das Jahr 1999 sowie die folgenden Jahre an ihn eine Überbrückungsbeihilfe gemäß §§ 4 Ziff. 1 a, 5 TV SozSich vom 15. April 1971 zu bezahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, mit dem Begriff des Arbeitsentgelts aus anderweitiger Beschäftigung iSd. § 4 Ziff. 1 a TV SozSich seien nur Arbeitsentgelte aus einer unselbständigen, sozialversicherungspflichtigen und damit abhängigen, fremdbestimmten Tätigkeit gemeint. Die Eingliederung in den Arbeitsprozeß sei bei einem entlassenen Arbeitnehmer, der ein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erziele, nicht nötig. Ein selbständig Tätiger, wie der Kläger, könne seine Arbeitszeit einteilen und demgemäß auch sein Arbeitsentgelt selbst bestimmen, wodurch er mittelbar auch die Höhe der Überbrückungsbeihilfe beeinflussen könnte, wenn man sein Arbeitsentgelt als Anknüpfleistung im Tarifsinne ansähe. Dies entspreche nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben mit der Maßgabe, daß die Beklagte verpflichtet sei, die begehrte Überbrückungsbeihilfe an den Kläger zeitlich begrenzt bis zum 31. März 2003 zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter, soweit er noch Gegenstand der Revision ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen.
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich. Die dem Kläger zustehende Vergütung nach § 8 seines Gesellschafter-Geschäftsführervertrages ist kein Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung und scheidet damit als Anknüpfleistung im Sinne dieser Tarifbestimmung aus. Eine Auslegung der Tarifnorm mit dem Ergebnis, auch die Vergütung des Klägers als Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung anzusehen, ist nicht möglich.
1. Das Arbeitsrecht regelt nicht, was unter Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung zu verstehen ist. Es liegt deshalb nahe, für die Auslegung dieser von den Tarifvertragsparteien gewählten Begriffe die wortgleichen Begriffsbestimmungen des Sozialversicherungsrecht heranzuziehen. Denn wenn die Tarifvertragsparteien einen Rechtsbegriff verwenden, ist anzunehmen, daß sie diesen in seiner rechtlichen Bedeutung verwenden wollen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung, wonach dann, wenn eine Tarifnorm einen bestimmten Fachbegriff enthält, im Zweifel anzunehmen ist, daß dieser im Geltungsbereich des betreffenden Tarifvertrags in seiner allgemeinen fachlichen Bedeutung Geltung haben soll (vgl. BAG 9. November 1988 – 4 AZR 409/88 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Seeschiffahrt Nr. 5; 29. Mai 1991 – 4 AZR 539/90 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Maler Nr. 5; 13. Mai 1998 – 4 AZR 107/97 – BAGE 89, 6, zu I 5.1.1 der Gründe).
Nach § 14 SGB IV sind unter Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung zu verstehen, gleichgültig ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung und in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Der gesetzliche Begriff der „Beschäftigung” wird in § 7 SGB IV näher definiert. Danach ist eine Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind somit eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Hieran fehlt es vorliegend.
Der Kläger hat mit dem Gesellschafter-Geschäftsführervertrag kein Arbeitsverhältnis begründet. Wer allein entscheidet, ob, wann und in welchem Umfang er tätig werden will, ist kein Arbeitnehmer (vgl. BAG 27. Juni 2001 – 5 AZR 561/99 – AP BGB § 611 Arbeitnehmerähnlichkeit Nr. 6 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 85, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Obwohl für die Erfüllung des Begriffs „Beschäftigung” iSv. § 7 Abs. 1 SGB IV das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nach dem Gesetzeswortlaut nicht zwingende Voraussetzung ist, ist dem Begriff „Beschäftigung” eigen, daß es sich um eine fremdbestimmte, jedenfalls weisungsabhängige Tätigkeit handeln muß. Nach § 4 des Gesellschafter-Geschäftsführervertrags vertritt der Kläger die GmbH alleinvertretungs- und alleingeschäftsführungsberechtigt. Nach § 5 des Gesellschafter-Geschäftsführervertrags ist die Arbeitszeit nicht vorgegeben, sondern richtet sich nach den betrieblichen Erfordernissen und ist vom Geschäftsführer in diesem Rahmen frei und eigenverantwortlich zu gestalten. Damit fehlt es an einer weisungsabhängigen Tätigkeit und einer Eingliederung in die Arbeitsorganisation eines Weisungsgebers.
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht ua. darauf abgestellt, daß unter Arbeitsentgelt gemeinhin die Geldleistung bei nichtselbständiger, versicherungspflichtiger Tätigkeit verstanden wird. Diese umfaßt Löhne der Arbeiter und Gehälter der Angestellten. Für die Einnahmen von Personen, die in einem freien Dienstverhältnis oder als Organe von Gesellschaften tätig sind, werden gewöhnlich die Begriffe „Bezüge” oder „Vergütung” verwendet. Auch der vorliegende Gesellschafter-Geschäftsführervertrag des Klägers verwendet in § 8 die Bezeichnung „Vergütung”. Deshalb ist anzunehmen, daß der Kläger bei Abschluß des Gesellschafter-Geschäftsführervertrags zwischen der von ihm vertretenen Gesellschaft und ihm selbst von der Begründung eines freien Dienstverhältnisses ausging. Unstreitig ist dieses sozialversicherungsfrei, da der Kläger keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung leistet, sondern nur freiwillig krankenversichert ist.
2. Außerdem läßt der Gesamtzusammenhang der Tarifbestimmung eindeutig den Willen der Tarifvertragsparteien erkennen, daß nur die Arbeitsentgelte aus einer nichtselbständigen, sozialversicherungspflichtigen, also aus einer abhängigen, fremdbestimmten Tätigkeit als sog. Anknüpfleistungen geregelt werden sollten. Dies ergibt sich bereits aus § 3 Ziff. 2 TV SozSich, wonach der Arbeitnehmer sich nach der Kündigung beim Arbeitsamt als arbeitssuchend und nach der Entlassung arbeitslos zu melden hat, da der entlassene Arbeitnehmer nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 3 Ziff. 1 TV SozSich möglichst sofort in den Arbeitsprozeß wieder eingegliedert werden soll. Er hat, soweit zur Wiedereingliederung erforderlich, an beruflichen Bildungsmaßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz teilzunehmen (§ 3 Ziff. 2 Satz 2 TV SozSich). Bei einem entlassenen Arbeitnehmer, der ein Arbeitsentgelt aus einer selbständigen Tätigkeit erzielt, ist dies nicht nötig, da er sich selbst in den Arbeitsprozeß eingliedert.
§ 4 Ziff. 1 Buchst. b und c TV SozSich bestätigen diese Auslegung. Dort werden als weitere Anknüpfleistungen nur die Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlaß von Arbeitslosigkeit oder beruflichen Bildungsmaßnahmen, also Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld, sowie von den Leistungen der Sozialversicherungsträger das Krankengeld und Verletztengeld beispielhaft bezeichnet. Die Tarifbestimmung knüpft somit an keiner Stelle als Voraussetzung eines Anspruchs auf Überbrückungsbeihilfe an Einkommen an, das aus einer selbständigen Tätigkeit erzielt wird.
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch auf die Protokollnotiz zu § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich hingewiesen, nach der eine „anderweitige Beschäftigung” nur vorliegt, wenn die arbeitsvertragliche wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit mehr als 21 Stunden beträgt. Eine Arbeitszeit, die diese Eigenschaften aufweist, kann nur in einem abhängigen Arbeitsverhältnis bestehen, da sich die Arbeitszeit des Selbständigen nach Umsatz, Auftragslage, persönlicher Schaffenskraft und anderen Einflußfaktoren bestimmt, nicht aber nach einer im Arbeitsvertrag vereinbarten wöchentlichen regelmäßigen Arbeitszeit.
3. Dieses Auslegungsergebnis wird auch durch die Erläuterungen und Verfahrensrichtlinien zum TV SozSich bestätigt. Nach Ziff. 2.6.2 dieser Erläuterungen kommt als Arbeitsentgelt aus einer anderweitigen Beschäftigung iSd. § 4 Ziff. 1 Buchst. a nur in Betracht, was aus einer nichtselbständigen, sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit erzielt wird, die – grundsätzlich – im Inland ausgeübt wird.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, H. Markwat, Matiaske
Fundstellen
Haufe-Index 738274 |
ARST 2002, 229 |
NZA 2002, 928 |
ZTR 2002, 388 |
PersR 2002, 409 |
NJOZ 2003, 1195 |