Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung eines Maschinenführers in Buchbinderei. Bestätigung der ständigen Senatsrechtsprechung zur Auslegung der Eingruppierungsbestimmungen des LRTV, z. B. Urteil des Senats vom 15. März 1989 – 4 AZR 627/88 – AP Nr. 23 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie
Leitsatz (amtlich)
- Da die Tätigkeitsbeispiele Nr. 5 und Nr. 13 in der Lohngruppe VII LRTV verantwortliches Einrichten, Bedienen und Überwachung der Fertigung an Weiterverarbeitungsstraßen mit mehr als vier Bearbeitungsstationen voraussetzen, haben Arbeitnehmer, die nur für die Überwachung von mehr als vier Bearbeitungsstationen einer Weiterverarbeitungsstraße zuständig sind, keinen Anpruch auf Vergütung nach dieser Vergütungsgruppe.
- Tätigkeitsmerkmale von Eingruppierungsbestimmungen des LRTV dürfen nicht unter Heranziehung von qualitativen Besetzungsregeln der Anhänge zum MTV ausgelegt werden.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Druckindustrie; Lohnrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Druckindustrie vom 6. Juli 1984 (LRTV) § 4, Lohngruppen VI und VII; Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie vom 6. Juli 1984 (MTV), Anhang D Weiterverarbeitung gültig ab 1. Juli 1990 Nr. 2; Anhang A III 5
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 21.07.1993; Aktenzeichen 9 Sa 827/92) |
ArbG Augsburg (Urteil vom 26.05.1992; Aktenzeichen 5 Ca 1735/91 D) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. Juli 1993 – 9 Sa 827/92 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die zutreffende Eingruppierung des Klägers nach dem Lohnrahmentarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin-West vom 6. Juli 1984, gültig ab 1. Oktober 1984 (LRTV), insbesondere darüber, ob der Kläger Anspruch auf Lohn nach der Lohngruppe VII des LRTV hat.
Der am 20. Juli 1959 geborene Kläger hat eine abgeschlossene Berufsausbildung als Buchbinder und ist seit 1975 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Druckindustrie, als Maschinenführer an einer Klebebindeanlage beschäftigt. Beide Parteien gehören den tarifschließenden Verbänden der Druckindustrie an.
In der Klebebindeanlage, an der der Kläger tätig ist, werden entweder die zusammengetragenen Broschüren geklebt und in den Broschur-Umschlag eingehängt, so daß das Produkt die fertige Broschüre ist, oder Buchblocks werden am Rücken mit Gaze versehen. Diese Klebebindeanlage hat mehrere Bearbeitungsstationen. Arbeitsschritte – die Wertung als Stationen ist unter den Parteien streitig – sind in der Reihenfolge: Zusammentragen, Abfräsen, Ableimen, Umschlag anlegen bzw. Gazestation, Anpressen, HF (Hochfrequenz)-Trocknen, nochmalige Pressung (nochmaliges Pressen). Die Verarbeitungsstraße beginnt bei Broschüren mit der Zusammentragestation. Werden fadengeheftete Produkte gefahren, beginnt die Straße mit dem Einlaufband für fadengeheftete Buchblocks. Mit dem Durchlauf dieser Bearbeitungsschritte ist die Weiterverarbeitungsstraße noch nicht beendet. Es schließt sich noch die sog. Trockenstrecke an, die aus etwa 60 Metern Transportbändern mit Kurven und Übergaben besteht, die zum Dreimesserautomaten führen. Dort werden die Produkte dreiseitig beschnitten und über einen Stapler ausgelegt. Im Stapler findet das kreuzweise Legen statt. Der Stapler stößt die eingestellte Stapelmenge aus. Die ausgestoßenen Stapel kommen in eine weitere Maschine und werden palettiert. Nach dem Palettieren ist die Verarbeitungsstraße zu Ende. Am Dreimesserautomaten, der sich an die Trockenstrecke anschließt, arbeitet ein angelernter Maschinenführer. Dieser ist auch für den sich anschließenden Abstapler zuständig. Die Fertigungsbänder, die beim Kläger beginnen, enden erst am Dreimesserautomaten. Die Einstellung des Dreimesserautomaten wird nicht vom Kläger, sondern von dem Kollegen des Klägers eingegeben. Nach Erklärung des Klägers wird bei einer Störung am Dreimesserautomaten das Förderband unterbrochen durch einen Notauslauf; wenn keine Störung vorhanden ist, ist das Band nicht unterbrochen. Zwischen dem Dreimesserautomaten und dem Abstapler ist ein Zulaufband geschaltet, das nach Erklärung des Klägers 1 Meter lang ist. Die Bücher kommen aus dem Dreimesserautomaten und fließen auf dem Zulaufband weiter zum Abstapler.
Die Beklagte vergütet den Kläger nach Lohngruppe VI des LRTV.
Mit Schreiben vom 3. Juni 1991 begehrte der Kläger erfolglos Vergütung nach Lohngruppe VII Richtbeispiel 5 des LRTV ab April 1991. Die Differenz zwischen der begehrten und der tatsächlich bezahlten Vergütung beläuft sich auf 1,99 DM pro Stunde.
Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab 1. April 1991 nach der Lohngruppe VII LRTV zu entlohnen.
Hierzu hat er vorgetragen:
Als achte Bearbeitungsstation komme die Vorsatzklebestation hinzu. Bei der Buchproduktion ergäben sich analoge Arbeitsstationen. Es trete lediglich an die Stelle der Umschlagstation die Gazestation. Der Kläger sei an allen diesen Bearbeitungsstationen selbst tätig. Dies gelte auch für die Zusammentragestation. An dieser seien zwar zwei Mitarbeiterinnen eingesetzt. Es komme aber immer wieder zu Problemen, die von diesen beiden Mitarbeiterinnen nicht gemeistert werden könnten. Dies habe zur Folge, daß der Kläger die Zusammentragemaschine jeweils neu einstelle. Er gehe etwa alle 15 Minuten zur Zusammentragemaschine, um Störungen zu beseitigen. Auch das Auftragen von Leim sowie das Hochfrequenz-Trocknen und die nochmalige Pressung seien je eine eigene Bearbeitungsstation, da ohne diese Tätigkeiten das Endprodukt nicht zustandekomme und es sich jeweils um einen wesentlichen Produktionsfortschritt handele. Die Trockenstrecke sei keine Station, sondern eine Überbrückung zum Straßenende, für das der Kläger zuständig sei, zu einer neuen Bearbeitungsphase. Die Trocknung auf dieser Trockenstrecke finde nur auf natürliche Weise statt, nicht durch eine besondere Luftzufuhr. Es sei nicht richtig, daß das Gesamtprodukt vom Abteilungsleiter oder von dem jeweiligen Schichtführer überwacht werde. Der Kläger sei für das Produkt allein verantwortlich.
Der Kläger hat beantragt,
es wird festgestgellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab April 1991 nach der Lohngruppe VII des Lohnrahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 1. Oktober 1984 zu entlohnen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, der Kläger sei nur an drei Bearbeitungsstationen tätig, nämlich an der Abfrässtation (bzw. Rückenbearbeitung), an dem Umschlaganleger (Gazestation) und bei dem Anpressen (Umschlaganpressung). Er sei nicht an der Zusammentragestation eingesetzt. Die Zusammentragemaschine werde von zwei Mitarbeiterinnen eingestellt, bedient und überwacht. Nur wenn an einzelnen Stapelmagazinen ein Nachstellen erforderlich sei, das wegen eines fest arretierten Fangbleches einen männlichen Kraftaufwand erfordere, werde gelegentlich der Kläger von den beiden Bedienerinnen gerufen. Der Zeitaufwand hierfür betrage zwei Minuten, die Häufigkeit je Schicht etwa drei bis fünf Mal. Der Leimauftrag innerhalb eines Klebebinders sei nur ein Zwischenschritt. Der Produktionsfortschritt werde erst am Kartonumschlaganleger erreicht, wenn sich der geleimte Block mit dem zugeführten Umschlag verklebe. Auch bei der Hochfrequenztrocknung liege keine Bearbeitungsstation vor. Hier werde in einem Zwischenschritt mit möglichst niedriger Einstellung durch Verdampfung dem Dispersionskleber lediglich Wasser entzogen. Bei der Herstellung klebegebundener Broschüren werde die Vorsatzklebestation nicht eingesetzt. Der Anteil der klebegebundenen Broschüren betrage am Ratiobinder 90 %. Von den restlichen 10 % fahre man wiederum nur 3 % der Aufträge mit höherer Auflage am Klebebinder mit der Vorsatzklebestation. Bei diesen 3 % habe der Maschinenführer vom Ratiobinder die Vorsatzklebestation zu bedienen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entlohnung nach Lohngruppe VII des Lohnrahmentarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin-West vom 6. Juli 1984, gültig ab 1. Oktober 1984 (LRTV).
I. Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine Eingruppierungsfeststellungsklage, die auch im Bereich der Privatwirtschaft unbedenklich zulässig ist (BAG Urteil vom 20. Juni 1984 – 4 AZR 208/82 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, m.w.N.; BAG Urteil vom 15. März 1989 – 4 AZR 627/88 – AP Nr. 23 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie).
II. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet aufgrund beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Lohnrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie vom 6. Juli 1984 (LRTV) mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Für die Eingruppierung des Klägers sind danach folgende tarifliche Bestimmungen des LRTV heranzuziehen:
Ҥ 4 Eingruppierung
- Jeder Arbeitnehmer ist aufgrund der von ihm vertraglich auszuübenden bzw. ausgeübten Tätigkeit in eine der Lohngruppen des § 3 einzugruppieren. Für die Eingruppierung sind die abstrakten Merkmale entscheidend. Erweiterte Arbeitsaufgaben sind entsprechend zu berücksichtigen.
- Übt ein Arbeitnehmer mehrere Tätigkeiten aus, die verschiedenen Lohngruppen zuzuordnen sind, erfolgt die Eingruppierung nach der überwiegenden Tätigkeit.”
Diese tariflichen Bestimmungen sind dahingehend auszulegen, daß dem Arbeitnehmer bei Erfüllung der tariflichen Anforderungen ein entsprechender Lohnanspruch zusteht und der Entscheidung des Arbeitgebers nur deklaratorische Bedeutung zukommt. Für die Eingruppierung ist die überwiegende Tätigkeit maßgebend, wobei die abstrakten Tätigkeitsmerkmale entscheidend sind (BAG Urteil vom 28. September 1988 – 4 AZR 326/88 – AP Nr. 22 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie; BAG Urteil vom 21. Oktober 1987 – 4 AZR 49/87 – AP Nr. 19 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie, m.w.N.; BAG Urteil vom 15. März 1989 – 4 AZR 627/88 – AP, aaO). In den abstrakten Merkmalen der Lohngruppen II – VII haben die Tarifvertragsparteien Bewertungskriterien hinsichtlich der Qualifikation, der geistigen Beanspruchung, der muskelmäßigen Beanspruchung und der Verantwortung normiert. Ferner bestimmt der Schlußsatz der abstrakten Tätigkeitsmerkmale in Lohngruppe VII:
“Die in den Tätigkeitsmerkmalen aufgeführten Bewertungskriterien sind nicht in jedem Fall kumulativ zu verstehen. Im Zweifel wird die Bewertung der den einzelnen Lohngruppen zuzuordnenden Richtbeispiele als Auslegungshilfe herangezogen.”
Dies bedeutet, daß die Erfordernisse einer Lohngruppe dann als erfüllt anzusehen sind, wenn ein Arbeitnehmer eine einem dieser Lohngruppe zugeordneten Richtbeispiel entsprechende Tätigkeit überwiegend auszuüben hat. Bestimmen die Tarifvertragsparteien, daß “im Zweifel” die Bewertung der den einzelnen Lohngruppen zugeordneten Richtbeispiele als “Auslegungshilfe” anzusehen ist, bringen sie damit zum Ausdruck, daß sie die abstrakten Tätigkeitsmerkmale einer Lohngruppe – auch wenn nicht alle Bewertungskriterien vorliegen – dann als erfüllt ansehen, wenn diese Tätigkeit in dieser Lohngruppe als Richtbeispiel aufgeführt ist. Diese Auslegung entspricht der ständigen Senatsrechtsprechung zur Bedeutung von Tätigkeitsmerkmalen in tariflichen Eingruppierungsregelungen. Die Tarifvertragsparteien wollen mit den Richtbeispielen in den Lohngruppen I – VII, die in sich häufig auch noch verschiedene Alternativen aufweisen, im wesentlichen die für die Druckindustrie typischen Tätigkeiten erfassen und durch die Zuordnung zu einer Lohngruppe tariflich bewerten. Zu der in einem Richtbeispiel beschriebenen Tätigkeit rechnen auch die mit ihr unmittelbar zusammenhängenden Arbeiten (BAG Urteil vom 28. September 1988 – 4 AZR 326/88 – AP Nr. 22 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie; BAG Urteil vom 15. März 1989 – 4 AZR 627/88 – AP Nr. 23 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie).
Auf die abstrakten Tätigkeitsmerkmale muß allerdings dann zurückgegriffen werden, wenn das Richtbeispiel selbst unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, die nicht aus sich heraus ausgelegt werden können, oder eine Tätigkeit in den Richtbeispielen nicht aufgeführt ist. Auch hier entspricht es aber dem Willen der Tarifvertragsparteien, der mit der Verwendung der Bezeichnung “Auslegungshilfe” deutlich zum Ausdruck kommt, daß die Richtbeispiele bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in den abstrakten Tätigkeitsmerkmalen und bei der tariflichen Bewertung von Tätigkeiten, die als Richtbeispiele nicht genannt sind, heranzuziehen sind (BAG Urteil vom 12. März 1986 – 4 AZR 534/84 – AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie; BAG Urteil vom 15. März 1989 – 4 AZR 627/88 – AP Nr. 23 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie).
Das gleiche gilt, sofern eine Tätigkeit nicht in vollem Umfang der in einem Richtbeispiel genannten Tätigkeit entspricht. Auch in diesem Fall ist zu prüfen, ob die Tätigkeit die abstrakten Tätigkeitsmerkmale der beanspruchten Lohngruppe erfüllt. Bei dieser Prüfung sind allerdings die Richtbeispiele wiederum als Auslegungshilfe heranzuziehen. Ist die Tätigkeit in keinem Richtbeispiel einer niedrigeren Lohngruppe aufgeführt, bleibt zu prüfen, ob sie die abstrakten Tätigkeitsmerkmale der Lohngruppe erfüllt, obwohl sie den Anforderungen des entsprechenden Richtbeispiels der höheren Lohngruppe nicht in vollem Umfange genügt. Insoweit gewinnt § 4 Ziff. 1 Satz 1 LRTV Bedeutung. Danach sind erweiterte Arbeitsaufgaben bei der Eingruppierung entsprechend zu berücksichtigen. Daraus folgt, daß die Tätigkeit, die den Anforderungen eines Richtbeispiels nicht in vollem Umfange entspricht, die abstrakten Tätigkeitsmerkmale der begehrten Lohngruppe dann erfüllen kann, wenn zum Ausgleich für die im Einzelfall fehlende Tätigkeit andere Tätigkeiten hinzukommen, die tariflich gleichermaßen zu bewerten sind (BAG Urteil vom 15. März 1989 – 4 AZR 627/88 – AP Nr. 23 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie, m.w.N.).
Die Anwendung dieser Grundsätze führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, daß der Kläger kein Richtbeispiel der von ihm in Anspruch genommenen Lohngruppe VII erfüllt. Als Richtbeispiele der Lohngruppe VII kommen für die Tätigkeit des Klägers die Richtbeispiele Nr. 5 und Nr. 13 in Betracht.
Diese haben folgenden Wortlaut:
- “
- Verantwortliches Einrichten, Bedienen und Überwachen der Fertigung an Weiterverarbeitungsstraßen mit mehr als vier Bearbeitungsstationen, z. B. Zusammentragen, Falzen, Heften, Kleben, Beschneiden, Einstecken, Beanschriften, Verpacken, Palettieren für Zeitungs-, Zeitschriften- und Katalogproduktion.
- Verantwortliches Einrichten, Bedienen und Überwachen der Fertigung an Weiterverarbeitungsstraßen mit mehr als vier Bearbeitungsstationen, z. B. Zusammentragen, Falzen, Heften, Kleben, Beschneiden, Einstecken, Beanschriften, Verpacken, Palettieren für Buchproduktion.”
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß die Tätigkeit des Klägers dem Richtbeispiel Nr. 5 oder Nr. 13 nicht entspreche. Es unterstellt zugunsten des Klägers, daß die Weiterverarbeitungsstraße, an der der Kläger eingesetzt sei, mehr als vier Bearbeitungsstationen aufweise und er an mehr als vier Bearbeitungsstationen tätig sei. Es geht weiter zugunsten des Klägers davon aus, daß für das verantwortliche Einrichten und Bedienen ausreichend ist, wenn es sich auf einzelne Bearbeitungsstationen bezieht, was beim Kläger noch vorliege. Für eine Eingruppierung nach Lohngruppe VII gemäß Richtbeispiel Nr. 5 oder Nr. 13 sei aber mindestens erforderlich, daß sich das verantwortliche Überwachen auf die Fertigung an der Weiterverarbeitungsstraße beziehe und nicht nur auf die Überwachung mehrerer Bearbeitungsstationen. Der Kläger habe nicht vorgetragen, neben dem verantwortlichen Einrichten und Bedienen von mehreren Bearbeitungsstationen auch noch die Zuständigkeit für das verantwortliche Überwachen an der gesamten Weiterverarbeitungsstraße zu haben. Der Kläger hätte darlegen müssen, daß er für die Fertigung an der Weiterverarbeitungsstraße verantwortlich sei, also dafür, daß die gesamte Fertigung an der Klebebindeanlage sachgerecht, pünktlich und zuverlässig ausgeführt werde. Der Kläger habe aber nur vorgetragen, daß er an mehr als vier Bearbeitungsstationen tätig sei und er an diesen Bearbeitungsstationen die Einrichtungs-, Bedienungs- und Überwachungsarbeiten verantwortlich durchführe. Dagegen habe er nicht dargelegt, daß er für die Überwachung der Fertigung an der gesamten Weiterverarbeitungsstraße zuständig sei. Unstreitig sei die Weiterverarbeitungsstraße, an der der Kläger eingesetzt sei, nicht mit der “nochmaligen Pressung” abgeschlossen. Zu dieser Weiterverarbeitungsstraße gehöre noch der Dreimesserautomat und der Stapler. Für diese beiden Automaten sei der Kläger nicht zuständig. Damit sei der Kläger nicht für die Fertigung an der gesamten Weiterverarbeitungsstraße verantwortlich, sondern allenfalls für einzelne Bearbeitungsstationen.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
Der Kläger erfüllt jedenfalls nicht das Tätigkeitsmerkmal des Überwachens der Fertigung an Weiterverarbeitungsstraßen des Richtbeispiels Nr. 5 und des Richtbeispiels Nr. 13.
Das Richtbeispiel Nr. 5 der Lohngruppe VII ist – ebenso wie das Richtbeispiel Nr. 13, das die Buchproduktion betrifft – dahin auszulegen, daß die Tarifvertragsparteien mit der “Überwachung der Fertigung an Weiterverarbeitungsanlagen” zum Ausdruck gebracht haben, daß neben das verantwortliche Einrichten und Bedienen auch bei nur einzelnen Bearbeitungsstationen als Verrichten die nicht muskelmäßige Tätigkeit des Überwachens hinzutreten muß, also die Tätigkeit des Feststellens der Aufgabenerfüllung oder der Abweichungen, und zwar hinsichtlich der Fertigung an Weiterverarbeitungsstraßen überhaupt und nicht nur hinsichtlich mehrerer Bearbeitungsstationen, Automaten oder Aggregaten der Weiterverarbeitung. Das Landesarbeitsgericht hat nämlich zutreffend darauf hingewiesen, daß bei anderer Betrachtungsweise eine Unterscheidung zum Richtbeispiel Nr. 11 der Lohngruppe VI nicht mehr gegeben ist.
Dieses Richtbeispiel lautet:
“Verantwortliches Einrichten, Bedienen und Überwachen von mehreren Bearbeitungsstationen, Automaten oder Aggregaten der Weiterverarbeitung.”
Der Vergleich beider Richtbeispiele macht deutlich, daß die Tarifvertragsparteien im Richtbeispiel Nr. 5 der Lohngruppe VII über das Richtbeispiel Nr. 11 der Lohngruppe VI hinaus zweierlei verlangen: Zum einen müssen die Weiterverarbeitungsstraßen mindestens fünf Bearbeitungsstationen aufweisen, zum anderen muß sich jedenfalls das Überwachen auf die Fertigung an Weiterverarbeitungsstraßen beziehen. Es beschränkt sich nicht auf mehrere Bearbeitungsstationen, Automaten oder Aggregate der Weiterverarbeitung. Das Wort “Fertigung” bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch “Herstellung, Anfertigung” (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 2. Band, S. 720), “Industrieller oder handwerklicher Produktionsprozess, Herstellung … von Gütern” (Duden, Das große Wörterbuch der Deutschen Sprache, Band 2, S. 826), in der Wirtschaft “Herstellung von Gütern” (Normann, Das treffende Fachwort für die Wirtschaft, 1. Aufl., S. 139; vgl. auch Brockhaus – Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 7, S. 228).
Unter Weiterverarbeitungsstraße ist nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Gesamtheit aufgestellter Maschinen oder eine Anlage zu verstehen, in der mehrere Arbeitsgänge durchgeführt werden, wo etwas mehreren weiteren Arbeitsgängen unterzogen wird, die Ver- oder Bearbeitung fortgesetzt wird. Die Überwachung der Fertigung an Weiterverarbeitungsstraßen bedeutet sonach, daß eventuelle Abweichungen von der vorgegebenen Qualität bei der Herstellung des Zwischen- oder Endproduktes im Zuge der mehreren weiteren Arbeitsgänge erkannt und durch geeignete Maßnahmen vermieden werden müssen.
Von daher erscheint es als richtig, daß das Landesarbeitsgericht davon ausgeht, daß der Kläger nicht mit verantwortlichem Überwachen der Fertigung an Weiterverarbeitungsstraßen betraut ist, weil er weder für den Dreimesserautomaten noch für den Abstapler zuständig ist, die noch zu der Weiterverarbeitungsstraße gehören. Am Dreimesserautomat werden die Broschüren oder die Buchblocks dreiseitig beschnitten. Jedenfalls dieser Arbeitsgang gehört noch zur Herstellung der Broschüre oder des Buches in dieser Weiterverarbeitungsstraße.
Demgegenüber ist die Revision der Auffassung, der Begriff “Fertigung” ergebe sich aus der Definition “Fertigungsanlage” im sog. Anhang D “Weiterverarbeitung”, gültig ab 1. Juli 1990. In diesem Anhang zu dem Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einschl. Berlin-West (MTV) sei auch der Begriff “Weiterverarbeitungsstraße” definiert.
Im “Anhang Weiterverarbeitung” (gültig ab 1. Juli 1990) heißt es:
- “
- Alle Facharbeiten in der Druckweiterverarbeitung sind von den geeigneten Fachkräften, vorrangig solchen der Druckindustrie (derzeit Industriebuchbinder und Verpackungsmittelmechaniker), auszuführen.
- Facharbeiten sind insbesondere das Einrichten oder Überwachen bzw. Führen von Weiterverarbeitungsstraßen oder Fertigungsanlagen (siehe Richtbeispiele zu Lohngr. 5 bis 7 des Lohnrahmentarifvertrages).
- …
Die Revision ist der Auffassung, es reiche aus, wenn mehrere Bearbeitungsstationen zusammenkämen. Die Tarifvertragsparteien sprächen nicht von der “gesamten” Weiterverarbeitungsstraße. Eine solche gebe es in diesem Sinne nicht. Die Tarifvertragsparteien hätten unter “Weiterverarbeitungsstraße” nur mehrere Bearbeitungsstationen verstanden. Deswegen sei es unerheblich, daß der Kläger nicht auch noch für den Dreimesserautomaten oder den Stapler zuständig sei. Entscheidend sei vielmehr das verantwortliche Einrichten, Bedienen und Überwachen der Fertigung an einer Weiterverarbeitungsstraße, die aus mehr als vier Bearbeitungsstationen bestehe. Die Tarifvertragsparteien hätten damit den Begriff der Weiterverarbeitungsstraße nicht nach Art oder nach dem Ergebnis einer bestimmten Tätigkeit oder eines bestimmten Arbeitsabschnitts definiert, sondern quantitativ. Eine Weiterverarbeitungsstraße liege deshalb auf jeden Fall dann vor, wenn mehr als vier Bearbeitungsstationen zusammenkämen, was hier der Fall sei.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Es steht schon entgegen, daß das Richtbeispiel Nr. 5 das Überwachen der Fertigung vorsieht. Zum anderen ist die “Definition des Begriffs ‘Weiterverarbeitungsstraße’” “im Anhang Weiterverarbeitung” in einem ganz anderen Regelungszusammenhang und zeitlich wesentlich später erfolgt.
Die Revision führt allerdings aus, das Landesarbeitsgericht habe auch den Begriff der “Fertigung” verkannt. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Sachvortrag des Klägers sei nur schlüssig bei Darlegung, daß der Kläger dafür verantwortlich sei, daß die gesamte Fertigung an der Klebeanlage sachgerecht, pünktlich und vorschriftsmäßig ausgeführt werde. Die Revision verweist demgegenüber darauf, daß zum Begriff “Fertigung” ebenfalls der Anhang D “Weiterverarbeitung” vom 1. Juli 1990 einschlägig sei. Die Tarifvertragsparteien hätten zwar dort nicht den Begriff der “Fertigung” definiert, wohl aber den Begriff der “Fertigungsanlage”. Wenn danach eine “Fertigungsanlage” als “Maschinen mit mehreren Bearbeitungsstationen in Kompaktbauweise” verstanden werde, erweise eine derartige Definition der Fertigungsanlage, daß die Tarifvertragsparteien den Begriff der “Fertigung” nicht als Fertigstellen des Gesamtprodukts verstanden hätten, sondern als Bearbeitung. Fertigung sei also Bearbeitung und nicht die Herstellung eines Endprodukts. Das ist aber nicht zwingend. Eine solche Definition von Fertigungsanlagen schließt nicht aus, daß die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen sind, daß nach Durchlaufen der Bearbeitungsstationen das Endprodukt oder jedenfalls ein Zwischenprodukt hergestellt ist. Fertigungsanlage ist danach die Gesamtheit der für die Herstellung eines Gutes erforderlichen Maschinen, wobei die Herstellung des Gutes in mehreren Bearbeitungsstationen erfolgt. Das wird eingeschränkt dadurch, daß die Maschinen mit mehreren Bearbeitungsstationen “in Kompaktbauweise” hergestellt sein müssen. Es darf sich nicht um einzelne Maschinen handeln, sondern sie müssen fest zusammengebaut sein, sozusagen alle Bearbeitungsstationen unter einem Dach vereinigt sein (vgl. zu den Wörtern “Kompaktbau” und “Kompaktbauweise” Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 4, S. 1525).
Entscheidend ist aber, daß die im “Anhang Weiterverarbeitung” (gültig ab 1. Juli 1990) enthaltenen Definitionen der Begriffe “Weiterverarbeitungsstraße” und “Fertigungsanlage” für die Richtbeispiele Nr. 5 und Nr. 13 der Lohngruppe VII des LRTV nichts hergeben. Nr. 2 des Anhangs Weiterverarbeitung nimmt auf die “Richtbeispiele zu Lohngruppen 5 bis 7 des Lohnrahmentarifvertrages” Bezug. Der Anhang “Weiterverarbeitung” wurde 1990 vereinbart, während der Lohnrahmentarifvertrag aus dem Jahre 1984 stammt. Der Anhang “Weiterverarbeitung” betrifft nicht die Eingruppierung oder ihre Änderung, sondern steht in einem ganz anderen Regelungszusammenhang: Nach Anhang A III 5 MTV werden Facharbeiten u. a. der Weiterverarbeitung vorrangig von Fachkräften der jeweiligen Gruppe der Druckindustrie ausgeübt. Fachkräfte in diesem Sinne sind Fachkräfte mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Anhang A III 5 MTV verweist auf die einzelnen Anhänge. Der Anhang D “Weiterverarbeitung” ist mit Wirkung ab 1. Juli 1990 neu gefaßt worden. Es handelt sich also insoweit um qualitative Besetzungsvorschriften, die nach der Rechtsprechung des Ersten Senats zulässig sind und dem Schutz der Arbeitnehmer vor Überforderung und dem Interesse einer fachgerechten Arbeit dienen (vgl. Beschluß des Ersten Senats vom 26. April 1990 – 1 ABR 84/87 – BAGE 64, 368 = AP Nr. 57 zu Art. 9 GG und Beschluß des Ersten Senats vom 22. Januar 1991 – 1 ABR 19/90 – AP Nr. 67 zu Art. 12 GG). Diese qualitativen Besetzungsregeln geben für die Auslegung der Tätigkeitsmerkmale der einzelnen Lohngruppen und ihrer Richtbeispiele nichts her. Ein innerer Zusammenhang besteht zwischen Eingruppierungsvorschriften und Besetzungsregeln nicht. Dem entspricht es, daß nach der Rechtsprechung des Senats zur Auslegung eines Tarifvertrages andere Tarifverträge nicht ohne weiteres herangezogen werden können (Urteil des Senats vom 31. Oktober 1984 – 4 AZR 604/82 – AP Nr. 3 zu § 42 TVAL II). Daran ändert auch nichts, daß beide Tarifverträge, also der LRTV und die “Änderungsvereinbarung vom 7. Mai 1990 zum Manteltarifvertrag vom 10. März 1989 und zum Anhang D vom 29. Februar/3. März 1980 für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin-West” von denselben Tarifvertragsparteien abgeschlossen sind und die gewerblichen Arbeitnehmer desselben fachlichen und räumlichen Geltungsbereichs betreffen. Denn der Regelungsgehalt ist ein ganz anderer. Im LRTV geht es um die Eingruppierung und in dem Anhang D I zum MTV geht es um dreierlei: Ein besonderer Beschäftigungsschutz für Fachkräfte der Druckindustrie soll gewährt werden. Hilfskräfte ohne Ausbildung und angelernte Kräfte sollen vor Überforderung geschützt werden. Es wird die Arbeitsqualität gefördert, indem ein Anreiz geschaffen wird, eine Ausbildung für die anspruchsvolleren Tätigkeiten der Druckindustrie auf sich zu nehmen. Dabei bedingen alle drei Ziele einander (vgl. Beschluß des Ersten Senats vom 26. April 1990, BAGE 64, 368, 378 = AP, aaO, zu B III 3a der Gründe, zu Anhang D a. F.). Ändern die Tarifvertragsparteien den Anhang D “Weiterverarbeitung”, so dürfen Tätigkeitsmerkmale der Eingruppierungsbestimmungen nicht unter Heranziehung von im Anhang D enthaltenen Definitionen von Begriffen ausgelegt werden, auch wenn diese Begriffe oder Bestandteile der definierten Begriffe gleichermaßen in den Eingruppierungsbestimmungen enthalten sind. Zwar bilden MTV und LRTV eine gewisse Einheit (vgl. Urteil des Zweiten Senats vom 12. Juli 1957 – 2 AZR 23/55 – AP Nr. 7 zu § 4 TVG Geltungsbereich). Wegen der unterschiedlichen und zeitlich versetzten Regelungsgehalte sowohl der Anhänge zum MTV als auch der LRTV kann daraus nicht mit Erfolg geschlossen werden, eine einmal gegebene Definition gelte für alle tariflichen Regelungen. Der Revisionsbeantwortung ist dahin zu folgen, daß Fußnote** nur als authentische Interpretation der Tarifvertragsparteien anzusehen ist (vgl. zur Bedeutung von Protokollnotizen denBeschluß des Ersten Senats vom 12. Januar 1993 – 1 ABR 42/92 – AP Nr. 101 zu § 99 BetrVG 1972, zu B II 1 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Fußnote hält beispielhaft fest, welche Bearbeitungsstationen maßgeblich sind, damit von einer Weiterverarbeitungsstraße auszugehen ist, die mit geeigneten Fachkräften, vorrangig mit solchen der Druckindustrie, zu besetzen ist. Damit enthält die Fußnote keine eigenständige tarifliche Regelung und ist deshalb für die tarifliche Eingruppierung ohne Bedeutung.
Der Kläger erfüllt auch nicht die abstrakten Tätigkeitsmerkmale der Lohngruppe VII. Der Kläger hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen der Schluß auf das Vorliegen der Voraussetzung einer der drei in Lohngruppe VII geregelten Varianten möglich ist. Er hat vielmehr seinen Vortrag darauf beschränkt, daß die Voraussetzungen des Richtbeispiels Nr. 5 zur Lohngruppe VII erfüllt sind, was, wie dargestellt, nicht der Fall ist.
Damit hat der Kläger keinen Anspruch auf Entlohnung nach Lohngruppe VII des LRTV ab 1. April 1991. Seine Tätigkeit fällt unter das Richtbeispiel Nr. 11 der Lohngruppe VI. Er ist damit zutreffend in Lohngruppe VI des LRTV eingruppiert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schaub, Schneider, Friedrich, Dr. Reinfeld, Bruse
Fundstellen
Haufe-Index 857040 |
NZA 1995, 860 |