Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt. Zulassung für mehrere Fachgebiete. Abrechnung des jeweiligen Ordinationskomplexes. Kassenärztliche Vereinigung. Erlass. eigenständiger Verwaltungsakt. beschränkte gerichtliche Überprüfung. Rechtsstreit. Wirksamkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm. einfache Beiladung der an der Normsetzung Beteiligten
Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein Arzt für mehrere Fachgebiete zugelassen, so muss er in seinen Behandlungsfällen den Ordinationskomplex des jeweiligen Fachgebiets abrechnen können.
2. Die Kassenärztliche Vereinigung kann zur Frage der Abrechenbarkeit des Ordinationskomplexes einen eigenständigen Verwaltungsakt erlassen, der zu einer darauf beschränkten gerichtlichen Überprüfung führt (Fortführung von BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 31/08 R = BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 12 ff).
3. Ist in einem Rechtsstreit die Wirksamkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm streitig und bildet dies den Kern des Rechtsstreits, so ist im Regelfall die einfache Beiladung der an der Normsetzung Beteiligten sachgerecht; ein Fall notwendiger Beiladung liegt nicht vor (Fortführung von BSG vom 23.3.2011 - B 6 KA 8/10 R = SozR 4-2500 § 103 Nr 7).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; SGB 5 § 87 Abs. 2a S. 1 Fassung: 1992-12-21, S. 1 Fassung: 2003-11-14, Abs. 2b Fassung: 2007-03-26, Abs. 2c Fassung: 2007-03-26, Abs. 2d S. 1 Fassung: 2007-03-26, S. 2 Fassung: 2007-03-26; SGB 10 § 31; SGG § 75 Abs. 1; EBM-Ä AllgBest 6.1; EBM-Ä 2005 AllgBest 6.1; EBM-Ä AllgBest 4.2 S. 2; EBM-Ä 2005 AllgBest 4.2 S. 2; EBM-Ä AllgBest 4.1 S. 2; EBM-Ä 2008 AllgBest 4.1 S. 2; EBM-Ä Nr. 16210; EBM-Ä 2005 Nr. 16210; EBM-Ä Nr. 16211; EBM-Ä 2005 Nr. 16211; EBM-Ä Nr. 16212; EBM-Ä 2005 Nr. 16212
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. November 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten auch des Revisionsverfahren.
Tatbestand
Streitig ist die Abrechenbarkeit neurologischer Leistungen einer Ärztin mit Doppelzulassung.
Die Klägerin ist sowohl als Fachärztin für Augenheilkunde wie auch als Fachärztin für Neurologie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Vertragsarztsitz in H. im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In den Honorarbescheiden ab dem Quartal II/2005 versagte die Beklagte ihr die Vergütung der in Ansatz gebrachten neurologischen Ordinationskomplex-Leistungen; vielmehr vergütete sie ihr in allen Behandlungsfällen - auch soweit sie allein neurologische Leistungen erbracht und den neurologischen Ordinationskomplex in Ansatz gebracht hatte - den augenärztlichen Ordinationskomplex. Den Widerspruch der Klägerin, mit dem sie weiterhin die Vergütung für die von ihr geltend gemachten Ansätze des neurologischen Ordinationskomplexes begehrte, wies die Beklagte zurück.
Im Rahmen ihrer Ablehnung wertete die Beklagte das Begehren der Klägerin zugleich als allgemeinen Antrag, in ihren (auch-)neurologischen Behandlungsfällen den neurologischen Ordinationskomplex nach Nr 16210 bis 16212 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) vergütet zu erhalten. Die Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, nach dem EBM-Ä in der Neufassung zum 1.4.2005 erhalte ein Vertragsarzt mit Zulassung für zwei Fachgebiete in allen Behandlungsfällen den Ordinationskomplex nur noch aus einem der fachärztlichen Bereiche vergütet. Dies sei jeweils derjenige Ordinationskomplex, der der vom Arzt geführten Abrechnungsnummer entspreche. Die Klägerin führe eine Arztabrechnungsnummer, die der Gruppe der Augenärzte zugeordnet sei, weil hier der Schwerpunkt ihrer Leistungserbringung liege (vgl den EBM-Ä in der seit dem 1.4.2005 geltenden Fassung unter I Allgemeine Bestimmungen, Abschnitt 6.1 iVm Abschnitt 4.2 ≪seit 2008: 4.1≫ Satz 2: Abrechnung nur eines Ordinationskomplexes in einem Behandlungsfall). Ein Bestandsschutz der Klägerin mit Blick darauf, dass sie bis zum 31.3.2005 die doppelte - sowohl augenärztliche als auch neurologische - Abrechnungsmöglichkeit gehabt habe, könne nicht anerkannt werden; sie müsse die Neufassung des EBM-Ä gegen sich gelten lassen. Für die weiteren Leistungen außer dem Ordinationskomplex gab es keine Beschränkungen; diese erhielt der doppelt zugelassene Arzt aus dem (bzw den) jeweiligen im Behandlungsfall einschlägigen Fachgebiet(en) vergütet (aaO Abschnitt 6.2).
Das von der Klägerin angerufene SG hat die Beklagte verurteilt, den neurologischen Ordinationskomplex für die Klägerin als abrechenbar anzuerkennen (Urteil vom 25.4.2007). Die Berufung der Beklagten ist vom LSG zurückgewiesen worden (Urteil vom 4.11.2009). Im Berufungsurteil ist ausgeführt, der Bewertungsausschuss habe mit der einschränkenden Neuregelung zum 1.4.2005 den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten. Es liege ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die berufliche Betätigungsfreiheit der Ärzte, die in zwei Fachgebieten zugelassen seien, vor. Diesen stehe die Entscheidungsfreiheit zu, ihre Tätigkeit schwerpunktmäßig auf eines der Fachgebiete auszurichten und im anderen nur gelegentlich tätig zu werden; dies schließe ein, dass sie auch Anspruch auf Vergütung des dem Fachgebiet entsprechenden Ordinationskomplexes hätten. Auch wenn sich vergütungsmäßig nur geringe Unterschiede ergäben, wie dies im Verhältnis des neurologischen zum augenärztlichen Ordinationskomplex der Fall sei, sei der Eingriff nicht verhältnismäßig. Ein ins Gewicht fallender Verwaltungsmehraufwand sei mit der Möglichkeit, alternativ zwei Ordinationskomplexe abzurechnen, nicht verbunden. Die von der Beklagten angegebenen Gründe der Verwaltungsvereinfachung oder -praktikabilität sowie der Vorbeugung gegen eine zweifache Abrechnung von Ordinationskomplexen reichten zur Rechtfertigung der Neuregelung nicht aus.
Mit ihrer Revision macht die Beklagte in verfahrensrechtlicher Hinsicht geltend, SG und LSG hätten den Bewertungsausschuss beiladen, jedenfalls hätte das LSG diesen schriftlich zu seiner Motivationslage bei Schaffung der umstrittenen EBM-Ä-Bestimmungen befragen müssen. Dies hätte offenbart, dass die vom LSG beanstandeten Regelungen nicht unverhältnismäßig in die berufliche Betätigungsfreiheit der Ärzte eingriffen. Wie sich aus der ihr - der Beklagten - zugegangenen und mit ihrer Revisionsbegründung eingereichten Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) ergebe, habe der Bewertungsausschuss die Abrechenbarkeit von Ordinationskomplexen beschränken dürfen. Der Bewertungsausschuss habe im Falle vertragsärztlicher Doppelzulassung entweder die Abrechnung von Durchschnittswerten, die aus den unterschiedlichen Bewertungen der Ordinationskomplexe zu errechnen seien, oder einen Ansatz je nach dem Schwerpunkt im Behandlungsfall oder - wie letztlich festgelegt - eine starre Zuordnung eines Ordinationskomplexes vorsehen können. Der Durchschnittsansatz gäbe Ärzten die Möglichkeit, durch ein zweites Fachgebiet mit höher bewertetem Ordinationskomplex bei nur geringer Fallzahl unangemessen hohe Honorare zu erlangen, und zudem den Anreiz, zu diesem Zweck ein zweites Fachgebiet zu wählen. Ein Ansatz je nach dem Schwerpunkt im Behandlungsfall würde hohen Verwaltungsaufwand erfordern. Deshalb habe sich der Bewertungsausschuss für die dritte Möglichkeit, eine starre Zuordnung in Anknüpfung an die Arztabrechnungsnummer, entschieden; dies bedeute nach der Verwaltungspraxis der KÄVen, die die Arztabrechnungsnummern gemäß dem Tätigkeitsschwerpunkt vergäben, eine Orientierung an dem jeweiligen Schwerpunkt. Die Begrenzung auf nur einen Ordinationskomplex für alle Behandlungsfälle diene zugleich der Vermeidung ungerechtfertigter Doppelabrechnungen. Nach alledem stelle die Bestimmung in Abschnitt 6.1 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä eine sachgerechte und damit verfassungsgemäße Regelung und keinen unverhältnismäßigen Eingriff dar. Zudem sei hier die Differenz der Punktzahlen zwischen den verschiedenen Ordinationskomplexen nur gering; die nachteiligen Abweichungen für die Klägerin beliefen sich nur auf 1,06 % bzw 1,22 %. Entgegen der Ansicht des SG sei die Regelung von § 87 Abs 1 SGB V gedeckt. Mittlerweile konkretisiere zudem § 87 Abs 2d Satz 2 SGB V die Befugnis zur differenzierenden Regelung der Abrechnung von Ordinationskomplexen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 4.11.2009 und des Sozialgerichts Marburg vom 25.4.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Eine Beiladung habe weder vom LSG vorgenommen werden müssen noch könne sie vom BSG nachgeholt werden; dies gelte gleichermaßen für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die KÄBV und den Bewertungsausschuss. Inhaltlich habe das LSG zutreffend ausgeführt, dass der in Doppelzulassung tätige Arzt nicht darauf beschränkt werden dürfe, den Ordinationskomplex nur in einem seiner Fachgebiete abzurechnen. Ob sich durch die beanstandete Regelung eine finanzielle Benachteiligung ergebe, sei rechtsunerheblich. Im Übrigen sei jedenfalls bei Patienten bis zum 59. Lebensjahr der augenärztliche Ordinationskomplex geringer bewertet als der neurologische.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
A. Die von der Beklagten geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
Eine Beiladung der an der Vereinbarung des EBM-Ä Beteiligten ist nicht notwendig gewesen. Nach der Rechtsprechung des Senats besteht in Verfahren, in denen die Wirksamkeit einer für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsnorm umstritten ist, keine Notwendigkeit, die an der Normsetzung Beteiligten beizuladen (vgl zusammenfassend BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 8 RdNr 12; - zu Beiladungsfragen bei Streit um die Wirksamkeit einer Regelung des EBM-Ä siehe BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 3 RdNr 6; § 85 Nr 39 RdNr 28; BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 8 RdNr 13). Es liegt lediglich ein Fall einfacher Beiladung vor. Eine solche einfache Beiladung ist, wenn eine Bestimmung des bundesrechtlichen EBM-Ä den Kern des Rechtsstreits bildet, im Regelfall sachgerecht (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 3 RdNr 6; BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 8 RdNr 13). Deren Unterlassen stellt aber keinen sachentscheidungshindernden Verfahrensmangel dar (so zuletzt BSG vom 23.3.2011 - B 6 KA 8/10 R - RdNr 11 mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen), und die fehlende einfache Beiladung kann nicht vom Revisionsgericht nachgeholt werden (anders als eine sog notwendige, siehe § 168 Satz 2 SGG, vgl zB BSG vom 23.3.2011 aaO RdNr 11).
Die weitere Rüge, das LSG hätte dem Bewertungsausschuss oder jedenfalls den in ihm vertretenen, am Zustandekommen des EBM-Ä beteiligten Vertragspartnern Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen, greift ebenfalls nicht durch. Dafür lässt sich dem Bundesrecht keine Rechtsgrundlage entnehmen. Auch bei anderen untergesetzlichen Rechtsnormen wie zB Satzungen und Rechtsverordnungen besteht kein Anspruch des Normgebers, vom Gericht angehört zu werden, wenn dieses beabsichtigt, eine Rechtsnorm für unwirksam zu erachten.
B. In der Sache haben das SG und das LSG zutreffend entschieden, dass die Klägerin das Recht hat, bei der Abrechnung neurologischer Behandlungsfälle den neurologischen Ordinationskomplex in Ansatz zu bringen und vergütet zu erhalten.
Die inhaltliche Überprüfung des Begehrens der Klägerin erfolgt hier anhand des Bescheides der Beklagten vom 10.7./15.11.2006, mit dem diese den Antrag der Klägerin auf Abrechnung auch des neurologischen Ordinationskomplexes zurückwies, und nicht anhand eines bestimmten Quartalshonorarbescheides. Dies unterliegt keinen Bedenken. Der Senat hat wiederholt entschieden, dass Vorfragen, die Auswirkungen auf die vertragsärztliche Honorierung für mehrere Quartale haben, eigenständiger Klärung - losgelöst von der Anfechtung eines konkreten Honorarbescheides - zugänglich sind (vgl zusammenfassend BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 12 - 14). Der Sachprüfung steht eine etwaige Bestandskraft bereits vor dem 15.11.2006 ergangener Honorarbescheide nicht entgegen; denn die Beklagte hat den Rechtsweg für das Begehren der Klägerin, den neurologischen Ordinationskomplexes anerkannt zu erhalten, durch die eigenständige Ablehnung dieses Begehrens - durch Bescheid vom 10.7./15.11.2006 - neu eröffnet.
Der Anspruch der Klägerin auf Abrechnung des neurologischen Ordinationskomplexes folgt daraus, dass die im EBM-Ä insoweit normierte Abrechnungsbeschränkung ungeachtet dessen, dass sich aus § 87 SGB V eine dafür ausreichende Rechtsgrundlage ergibt (unten 1.), in ihrer Ausgestaltung zu beanstanden ist (unten 2.).
1. Die Regelungen der §§ 87 ff SGB V ergeben eine ausreichende gesetzliche Grundlage für Bestimmungen im EBM-Ä, die die Abrechenbarkeit von Ordinationskomplexen regeln. Der vom SG vertretenen gegenteiligen Auffassung ist nicht zu folgen.
Wie der Senat im Urteil vom 9.4.2008 - B 6 KA 40/07 R - (BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16) ausgeführt hat, ergaben sich aus dem SGB V ausreichende Rechtsgrundlagen für vielfältige differenzierende Regelungen im EBM-Ä. Der Senat hat in diesem Urteil anhand von Qualifikationsanforderungen ausgeführt, dass als gesetzliche Grundlage für die zum 1.4.2005 getroffenen Neuregelungen des EBM-Ä sowohl § 87 wie auch § 82 Abs 1 und § 135 Abs 2 SGB V in Betracht kommen (BSG aaO Leitsatz 1 und RdNr 18 ff).
Die Regelungen des SGB V reich(t)en auch dafür aus, im EBM-Ä sog Ordinationskomplexe vorzusehen. Diese werden im SGB V heute als Versichertenpauschale bezeichnet, früher wurden sie von den Begriffen Leistungskomplex oder Fallpauschale umfasst. Eine Ermächtigung des Bewertungsausschusses zur Festlegung solcher Komplexpauschalen lag im Zeitpunkt der Neufassung des EBM-Ä zum 1.4.2005 vor.
Schon seit dem 1.1.1993 bestand aufgrund des § 87 Abs 2a Satz 1 SGB V (in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992, BGBl I 2266) die Möglichkeit, Gesamtpauschalen für Teile des Leistungsgeschehens bei einem Versicherten festzulegen. Der Senat hat diese Bestimmung in ständiger Rechtsprechung als ausreichende Rechtsgrundlage für die Schaffung der sog Praxisbudgets (mit-)herangezogen (vgl zB BSG vom 28.1.2009 - B 6 KA 50/07 R - SozR 4-2500 § 87 Nr 17 RdNr 19 mwN). Erst recht reichte die zum 1.1.2004 geschaffene Regelung des § 87 Abs 2a Satz 1 SGB V (idF des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190) mit der ausdrücklichen Ermächtigung zur Schaffung von "Leistungskomplexen oder Fallpauschalen" aus, um sog Ordinationsgebühren bzw Ordinationskomplexe zu schaffen, wie dies in der Neufassung des EBM-Ä zum 1.4.2005 erfolgt ist. Dies ist ab dem 1.4.2007 in Gestalt der Regelungen des § 87 Abs 2b, Abs 2c, Abs 2d Satz 1 und 2 SGB V (Neufassung durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.3.2007, BGBl I 378) in der Weise weitergeführt worden, dass die Abrechnung von Versichertenpauschalen sowie Grund- und Zusatzpauschalen vorgesehen werden kann.
Diese gesetzlichen Regelungen des SGB V ermöglich(t)en es, Regelungen auch darüber zu treffen, wie die Abrechnung und Vergütung bei Ärzten mit vertragsärztlicher Zulassung für zwei oder mehr Fachgebiete erfolgen soll.
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2. Die dazu ab dem 1.4.2005 vom Bewertungsausschuss beschlossene Regelung ist aber nicht in vollem Umfang mit dem Regelungskonzept des SGB V über Zulassung und Vergütung vereinbar. Sie lautet (EBM-Ä Kapitel I Allgemeine Bestimmungen Abschnitt 6.1): |
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"Für einen Vertragsarzt, der seine Tätigkeit unter mehreren Gebietsbezeichnungen ausübt, richtet sich die Höhe des Ordinationskomplexes" [seit 2008: der Versicherten-, Grund- bzw Konsiliarpauschale] in allen seinen Behandlungsfällen - unabhängig davon, in welchem der Fachgebiete er Leistungen erbracht hat - einheitlich "nach dem Versorgungsauftrag (Identifikation über die Arztabrechnungsnummer), mit dem er zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, sofern in den Präambeln der arztgruppenspezifischen Kapitel nichts anderes bestimmt ist." |
Diese Regelung über den ansetzbaren Ordinationskomplex ist nur teilweise rechtmäßig. Zwar kommt dem Bewertungsausschuss grundsätzlich eine weitgehende Gestaltungsfreiheit bei der Ausgestaltung des EBM-Ä zu (vgl zB BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, RdNr 28; BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 26 ff; BSGE 106, 49 = SozR 4-2500 § 87 Nr 21, RdNr 12 ff; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 58 RdNr 27 ff; BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 24 RdNr 16 ff; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 61 RdNr 18 f). Dies vermag aber nicht zu rechtfertigen, dass dem Arzt, der für mehrere Fachgebiete zugelassen ist, unabhängig davon, welchem Fachgebiet die im konkreten Behandlungsfall erbrachten Leistungen zuzuordnen sind, in allen seinen Behandlungsfällen einheitlich nur ein Ordinationskomplex aus einem der Fachgebiete zuerkannt wird.
a) Ohne Weiteres im Rahmen dieses Gestaltungsspielraums hält sich allerdings die Regelung, dass Ärzte mit vertragsärztlichen Zulassungen für zwei (oder mehr) Fachgebiete in einem Behandlungsfall insgesamt jeweils nur einen Ordinationskomplex abrechnen dürfen, gerade auch dann, wenn sie bei einem Versicherten Leistungen aus verschiedenen Fachgebieten erbringen (vgl I Allgemeine Bestimmungen Abschnitt 4.2 Satz 2 EBM-Ä seit dem 1.4.2005). Diese Regelung entspricht der Systematik des Zulassungsrechts. Bereits in seinem Beschluss vom 9.2.2011 (B 6 KA 44/10 B - betreffend die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens) hat der Senat hervorgehoben, dass es sich bei einer zugelassenen Tätigkeit in zwei Fachgebieten stets um nur insgesamt eine Vollzulassung - und ebenso nur um insgesamt einen vollen Versorgungsauftrag - handelt (BSG aaO RdNr 10 mit Hinweis auf BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 20 S 102 ff - zur Festlegung der Fallpunktzahl für einen Vertragsarzt bei Zulassung für zwei Fachgebiete - und auf BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 22 S 94 ff zum Recht des in zwei Fachgebieten zugelassenen Vertragsarztes, seine Tätigkeit auf eines dieser Fachgebiete zu beschränken). Diesem Ausgangspunkt entspricht es, einem Vertragsarzt in einem Behandlungsfall auch dann, wenn er für mehrere Fachgebiete zugelassen ist und bei einem Versicherten Leistungen aus verschiedenen Fachgebieten erbringt, insgesamt nur einmal einen Ordinationskomplex zu vergüten.
b) Zu beanstanden ist indessen, dass die Regelung des Abschnitts 6.1 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä vorgesehen hat, einem für mehrere Fachgebiete zugelassenen Arzt, in allen Behandlungsfällen einheitlich, jeweils den Ordinationskomplex nur aus einem der Fachgebiete zuzuerkennen. Dies bedeutet bei einer Ärztin wie der Klägerin, die schwerpunktmäßig augenärztlich tätig ist und eine dementsprechende Abrechnungsnummer führt, dass sie auch in den Behandlungsfällen, in denen sie ausschließlich neurologische Leistungen erbringt, durchgängig stets nur den augenärztlichen Ordinationskomplex berechnen kann.
Dies steht nicht in Einklang mit den zulassungsrechtlichen Bestimmungen und den Folgerungen, die sich aus dem Zulassungssystem für das Abrechnungssystem ergeben.
aa) Nach dem Zulassungsrecht im Vertragsarztrecht des SGB V ist es Ärzten gestattet, für mehrere Fachgebiete die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zu erlangen. Solange dies möglich ist und Ärzte hiervon Gebrauch machen, ergibt sich als Konsequenz, dass es dem Arzt auch gestattet sein muss, in allen Fachgebieten, für die er die Zulassung erlangt hat, seine vertragsärztliche Tätigkeit auszuüben. Dies schließt im Falle eines EBM-Ä mit einer Aufgliederung der Leistungstatbestände ein, dass der Arzt bei seiner Abrechnung die Leistungstatbestände des jeweiligen Fachgebietes einschließlich des einschlägigen Ordinationskomplexes in Ansatz bringen kann.
Dieses präjudizierende Gewicht der zulassungsrechtlichen Regelungen ergibt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des Senats. Der Senat hat ausgeführt, dass ein für zwei Fachgebiete zugelassener Vertragsarzt seine vertragsärztliche Tätigkeit auf eines dieser Fachgebiete beschränken darf (BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 22). Der Senat hat weiterhin bei Vertragsärzten mit einer Zulassung für zwei Fachgebiete einen Eingriff derart, dass die Fallpunktzahl für seine Behandlungsfälle schematisierend - nicht an dem einzelnen Behandlungsfall orientiert - festgelegt wird, für so wesentlich erachtet, dass dies nicht allein durch die KÄV erfolgen darf, sondern eine normative Grundlage erfordert (BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 20).
Diese Rechtsprechung zeigt, dass im Falle einer Zulassung für mehrere Fachgebiete jedem einzelnen der Tätigkeitsfelder eigenständige Bedeutung zukommt. Als weitere Folge ergibt sich, dass die dem Vertragsarzt im Zulassungsrecht eingeräumten Möglichkeiten nicht durch das Abrechnungs- und Vergütungsrecht unterlaufen werden dürfen. Dies hat zur Konsequenz, dass es dem Arzt, der in mehreren Fachgebieten die Zulassung erlangt hat, auch möglich sein muss, bei seiner Abrechnung die Leistungstatbestände jedes einzelnen dieser Fachgebiete in Ansatz zu bringen.
bb) Die daraus ggf für die KÄV bei der Abrechnung entstehenden Schwierigkeiten müssen bis an die Grenze der Zumutbarkeit hingenommen werden: Nur insoweit, als ein unverhältnismäßiger Aufwand entstehen würde, könnte es in Betracht kommen, von den dargestellten Folgerungen, die sich aus dem Zulassungssystem für das Abrechnungssystem ergeben, Ausnahmen zuzulassen. So liegt es hier aber nicht.
Die Beklagte und die KÄBV führen als Rechtfertigung für die abrechnungsbeschränkende Regelung vor allem den Gesichtspunkt an, der Gefahr unzulässiger Doppelabrechnungen vorbeugen zu wollen. Zwar ist es durchaus plausibel, dass einer unzulässigen Doppelabrechnung von zwei Ordinationskomplexen in einem Behandlungsfall dann leichter begegnet werden kann, wenn in allen Behandlungsfällen eines Arztes gleichmäßig nur ein bestimmter Ordinationskomplex abrechenbar ist. Die Beklagte hat aber nicht zu widerlegen vermocht, warum - insbesondere in Zeiten ausgedehnter EDV-Abrechnungskontrollen - nicht in vergleichbarer, wohl nur geringfügig aufwendigerer Weise sichergestellt werden kann, dass die Gesamtzahl der vom Arzt in Ansatz gebrachten Ordinationskomplexe nur ebenso so groß ist wie die Gesamtzahl seiner Behandlungsfälle.
Die schematische Zuweisung des Ordinationskomplexes aus nur einem der Fachgebiete lässt sich auch nicht damit begründen, dass diese Schematisierung der vereinfachten verwaltungstechnischen Abwicklung des Abrechnungswesens diene. Dies mag zutreffen. Der Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung und -praktikabilität kann auch grundsätzlich Legitimationskraft zukommen, dies allerdings nur in begrenztem Maße (vgl dazu zB BVerfGE 122, 1, 29; 123, 1, 33; 125, 1, 30; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 46 S 388; BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, RdNr 38; BSGE 106, 56 = SozR 4-2500 § 85 Nr 54, RdNr 21). Dem kommt in einem Fall wie hier - auch mit Blick auf Art 12 Abs 1 GG - kein so großes Gewicht zu, dass damit eine Abweichung von dem Grundsatz gerechtfertigt werden könnte, dass die im vertragsärztlichen Zulassungsrecht angelegte Möglichkeit, in mehreren Fachgebieten tätig zu werden, dann auch bei den daran anknüpfenden Vergütungsregelungen zu beachten ist.
Ferner ergibt sich eine ausreichende Rechtfertigung für die hier umstrittene EBM-Ä-Regelung auch nicht daraus, dass die alternativ denkbaren Regelungsvarianten aus Sicht des Bewertungsausschusses weniger geeignet gewesen wären. Die Beklagte und die KÄBV machen geltend, der Bewertungsausschuss habe entweder die Abrechnung von Durchschnittswerten zwischen den Ordinationskomplexen oder einen Ansatz je nach dem Schwerpunkt im Behandlungsfall oder ein Auswahlrecht des Arztes oder eine starre Zuordnung eines Ordinationskomplexes vorsehen können. Sie beschreiben die Nachteile sowohl des Ansatzes eines Durchschnittswerts oder eines Auswahlrechts des Arztes (Anreize, evtl durch ein zweites Fachgebiet mit höher bewertetem Ordinationskomplex, aber insoweit nur geringer Fallzahl, unangemessen hohe Honorare zu erlangen) als auch eines variierenden Ansatzes je nach dem Schwerpunkt im Behandlungsfall (hoher Verwaltungsaufwand). Diese jeweiligen Nachteile können indessen, wie sich nach obigen Ausführungen ohne Weiteres erschließt, nicht als so gravierend angesehen werden, dass sie es rechtfertigen könnten, den Grundsatz zu durchbrechen, dass dem für mehrere Fachgebiete zugelassenen Arzt dann auch bei der Abrechnung und Vergütung die Leistungstatbestände des jeweiligen Fachgebietes zuzuerkennen sind.
c) Die Präjudizierung von Abrechnungs- und Vergütungsregelungen durch Vorgaben des Zulassungsrechts auch im Falle des Ordinationskomplexes ist zudem deshalb sinnvoll, weil andernfalls eine (zusätzliche) Diskrepanz entstünde: In einem neurologischen Behandlungsfall einer Vertragsärztin, die auch augenärztlich zugelassen ist und hier ihren Tätigkeitsschwerpunkt hat, werden gemäß Abschnitt 6.2 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä alle übrigen Leistungen - mit Ausnahme des Ordinationskomplexes - nach den Vergütungstatbeständen für neurologische Leistungen honoriert. Innerhalb der Vergütung des Behandlungsfalles entstünde insofern eine Diskrepanz, als hier der augenärztliche Ordinationskomplex und im Übrigen neurologische Leistungen kombiniert würden.
d) Schließlich kann die in Abschnitt 6.1 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä getroffene Regelung auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass sich bei Ärzten wie der Klägerin nur geringfügig höhere Honorarsummen ergäben, wenn sie in jedem einzelnen Behandlungsfall den Ordinationskomplex entsprechend dem Schwerpunkt der erbrachten Leistungen vergütet erhielten. Das Ergebnis rechnerisch nur geringfügig höheren Honorars kann - zumal mit Blick auf die Möglichkeit einer Verlagerung seines Tätigkeitsschwerpunktes in ein anderes seiner Fachgebiete sowie auch mit Blick auf Art 12 Abs 1 GG - keine Abweichung von dem Grundsatz rechtfertigen, dass die im vertragsärztlichen Zulassungsrecht angelegte Möglichkeit, in mehreren Fachgebieten tätig zu werden, dann auch bei den daran anknüpfenden Vergütungsregelungen zu beachten ist.
e) Einem für mehrere Fachgebiete zugelassenen Arzt in seinen Behandlungsfällen jeweils nur den Ordinationskomplex aus dem einen Fachgebiet zuzuerkennen, verstößt auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG. Wie das SG zu Recht ausführt, wird in dieser Weise nur im Fall eines Arztes mit vertragsärztlicher Zulassung für mehrere Fachgebiete verfahren. Dagegen werden bei fachübergreifenden Gemeinschaftspraxen (Berufsausübungsgemeinschaften), obgleich auch diese - jedenfalls abrechnungstechnisch und vergütungsrechtlich - im Verhältnis zur KÄV eine Einheit darstellen, die Ordinationskomplexe aus allen in Betracht kommenden Fachgebieten berücksichtigt (siehe Abschnitt 5.1 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä - früher mit Durchschnittsbildung bzw heute: jeweils fachlich-einschlägiger Ansatz). Sachliche Gesichtspunkte, die solche Unterschiede rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Beklagte die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
Fundstellen