Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung eines Werksarztes zur gleichzeitigen vertragsärztlichen Versorgung
Leitsatz (amtlich)
Zur Eignung für die vertragsärztliche Tätigkeit, wenn diese neben einer werksärztlichen Tätigkeit auf dem Betriebsgelände ausgeübt werden soll (Weiterentwicklung von BSG vom 15.3.1995 – 6 RKa 23/94 = BSGE 76, 59 = SozR 3-5520 § 20 Nr 1).
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SGB V § 95 Abs. 1; Ärzte-ZV § 20 Abs. 2; SGB V § 76 Abs. 1; BMV-Ä § 14; SGB V § 82 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Februar 1996 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat dem Beklagten dessen außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist ein Anspruch auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung.
Die Klägerin ist Ärztin für innere Medizin und seit dem 1. Oktober 1992 als Leiterin der Ersten Hilfe und der Ambulanz bei der F. … in K. … beschäftigt. Ende 1992 beantragte sie, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen zu werden und gab an, ihre vertragsärztliche Tätigkeit in den Räumen der sich innerhalb des Betriebsgeländes befindlichen Ambulanz der F. … ausüben zu wollen. Nachdem der Zulassungsausschuß den Antrag mit der Begründung abgelehnt hatte, die Klägerin stehe wegen ihrer ganztägigen Beschäftigung bei den F. … den Kassenpatienten nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung, legte sie im Widerspruchsverfahren den Entwurf eines zwischen ihr und den F. … ausgehandelten Vertrages vor. Darin ist vorgesehen, daß die Klägerin mit ihrer Zulassung als Vertragsärztin ihre Arbeitszeit bei den F. … … auf die Hälfte (20 Stunden) reduziert und ihr das Recht eingeräumt wird, in der übrigen Zeit als Vertragsärztin tätig zu sein und Sprechstunden abzuhalten. Für die Inanspruchnahme von Räumlichkeiten, Personal und Material der Ambulanz der F. … … soll die Klägerin 100 % ihrer Einnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit bis zu dem Betrag, der 50 % ihres jeweiligen Bruttogehalts (z. Zt. 11.000,00 DM monatlich) entspricht, und von den darüber hinausgehenden Einnahmen 70 % an die F. … abführen. Der beklagte Berufungsausschuß wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 14. Oktober 1994).
Während das Sozialgericht (SG) den Beklagten verurteilt hat, die Klägerin zur vertragsärztlichen Versorgung in Köln zuzulassen (Urteil vom 26. April 1995), hat das Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung des Beklagten und der zu 5) beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat diese Entscheidung damit begründet, daß die Klägerin nicht iS des § 20 Abs 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit geeignet sei, weil sie wegen ihrer Tätigkeit als Angestellte der F. … für die Versorgung der Versicherten nicht in dem erforderlichen Maße zur Verfügung stehe. Aus den Vorschriften der §§ 101 ff Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sei abzuleiten, daß jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) am 1. Januar 1993 der zeitliche Umfang einer vertragsärztlichen Tätigkeit im Grundsatz einer ganztägigen Beschäftigung nahekommen müsse. Aus § 101 Satz 5 SGB V ergebe sich, daß ein bei einem Vertragsarzt angestellter halbtags beschäftigter Arzt mit dem Faktor 0,5 und ein angestellter ganztags beschäftigter Arzt mit dem Faktor 1 für die Bedarfsplanung anzusetzen sei. Da für den Vertragsarzt selbst ebenfalls der Faktor 1 zugrunde zu legen sei, unterstelle der Gesetzgeber insoweit eine Tätigkeit, die dem zeitlichen Umfang nach der Ganztagsbeschäftigung eines angestellten Arztes entspreche. Die Ausübung einer annähernd ganztätigen vertragsärztlichen Tätigkeit sei der Klägerin im Hinblick auf ihre Tätigkeit für die F. … jedoch nicht möglich. Sie sei gehalten, 20 Stunden pro Woche für die F. … zu arbeiten und könne auch deshalb zusätzlich nur im vergleichbaren Umfang vertragsärztlich tätig sein, weil ihr für eine zeitlich darüber hinausgehende Tätigkeit kein Hilfspersonal zur Verfügung stehe. Sie habe sich vertraglich verpflichtet, das Personal der F. … auch im Rahmen ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit einzusetzen; dessen Arbeitszeit überschreite wöchentlich aber den Umfang von 38 bis 40 Stunden nicht. Im übrigen sei die Klägerin auch iS von § 20 Abs 2 Ärzte-ZV für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht geeignet, weil eine Beschäftigung als Leiterin der Ambulanz eines Unternehmens ihrem Wesen nach mit der Tätigkeit als Vertragsärztin unvereinbar sei. Es bestehe insoweit die Gefahr von vielfältigen Interessen- und Pflichtenkollisionen. Schließlich stehe die vertraglich vorgesehene Abhängigkeit der vertragsärztlichen Tätigkeit der Klägerin von den F. … ihrer Eignung entgegen. Eine eigenverantwortliche Praxisausübung sei ihr schon im Hinblick auf die ausschließliche Personalverantwortung der F. … gegenüber dem Hilfspersonal nicht möglich (Urteil vom 7. Februar 1996).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 20 Ärzte-ZV. Zu Unrecht habe das LSG angenommen, sie stehe nicht im erforderlichen Maße für die vertragsärztliche Versorgung zur Verfügung. Die Auslegung dieser Vorschrift habe sich auch nach dem Inkrafttreten des GSG am 1. Januar 1993 an der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu orientieren. Darin sei anerkannt, daß eine Halbtagstätigkeit mit der Zulassung zur kassen- bzw vertragsärztlichen Tätigkeit vereinbar sei. Diese Rechtsprechung müsse dem Gesetzgeber bekannt gewesen sein. Hätte er sie im Hinblick auf die Neuregelung des Zulassungsrechts und der Bedarfsplanung durch das GSG korrigieren wollen, hätte dies ausdrücklich geschehen müssen. Eine wesensmäßige Unvereinbarkeit ihrer Tätigkeit in der Ambulanz der F. … und der vertragsärztlichen Tätigkeit könne nicht festgestellt werden. Selbst wenn im Hinblick auf die örtliche Lage der Praxis auf dem Betriebsgelände der F. … und im Hinblick auf den Umstand, daß dort und auch im näheren Umfeld des Werksgeländes keine Wohnbebauung vorhanden sei, in erster Linie Betriebsangehörige ihre Praxis aufsuchen sollten, stehe das der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht entgehen. Die Zusammensetzung der Patienten einer vertragsärztlichen Praxis sei stets vom Standort der Praxis abhängig, wobei dessen Auswahl auf einer freien unternehmerischen Entscheidung des Praxisinhabers beruhe. Das SG habe festgestellt, daß Personen, die nicht Werksangehörige seien, der Zugang zur Praxis nicht verwehrt werde. Hinsichtlich der Ausübung der geplanten vertragsärztlichen Tätigkeit in den Räumen der F. … und unter Einsatz des von diesem Unternehmen angestellten Hilfspersonals habe das Berufungsgericht zu Unrecht von der für die Mehrzahl der Vertragsärzte typischen Situation des Betriebs einer Praxis in eigenen Räumen und mit Unterstützung durch selbst angestelltes Personal auf normative Vorgaben geschlossen. Solange sie als Vertragsärztin rechtlich nicht gehindert sei, auch eigenes Personal zu beschäftigen, sei es hinsichtlich ihres Zulassungsanspruchs unerheblich, ob sie tatsächlich auf das von einem Dritten gestellte Personal zurückgreife. Die Entscheidung des LSG berücksichtige nicht, daß sich neue, noch nicht allgemein übliche Gestaltungsformen hinsichtlich des Einsatzes von Hilfspersonal in der ärztlichen Praxis entwickelten. Weder der Einsatz von Familienangehörigen – typischerweise der Ehefrau des Vertragsarztes – noch von Mitarbeitern, die dem Praxisinhaber von einem Zeitarbeitsunternehmen überlassen worden seien, stünden der freiberuflichen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit entgegen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Februar 1996 aufzuheben und die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zu 5) gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 26. April 1995 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen zu 1), 5), 6) und 7) beantragen ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 5) verweist darauf, daß die Klägerin nicht die Möglichkeit habe, ihren vertragsärztlichen Pflichten gemäß § 17 Abs 6 Bundesmantelvertrag-Ärzte nachzukommen, wonach der Arzt auch für Notfallbehandlungen und Krankenbesuche außerhalb der Sprechstunde zur Verfügung zu stehen habe. § 5 Abs 1 der maßgeblichen Gesamtverträge sehe ergänzend vor, daß Sprechstunden an 5 Tagen in der Woche anzubieten seien, was die Klägerin kaum gewährleisten könne. Nach dem von ihr vorgelegten Vertragsentwurf orientierten sich ihre Sprechstundenzeiten ausschließlich an den Bedürfnissen der Ford-Werke und deren Beschäftigten. Schließlich fehle der Klägerin aufgrund des fortbestehenden Anstellungsvertrages mit den F. … das für die Freiberuflichkeit typische Unternehmerrisiko.
Die übrigen Beigeladenen äußern sich im Revisionsverfahren nicht.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Sie hat, wie das LSG im Ergebnis zu Recht entschieden hat, keinen Anspruch auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung; denn sie ist iS des § 20 Abs 2 Ärzte-ZV zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht geeignet. Angesichts dessen bedarf es keiner Entscheidung der Frage, ob sich eine fehlende Eignung der Klägerin auch daraus ergeben würde, daß sie nur in eingeschränktem zeitlichen Umfang für die vertragsärztliche Versorgung zur Verfügung steht.
Nach § 20 Abs 2 Ärzte-ZV in der hier anzuwendenden Fassung des Art 9 Nr 15 GSG vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) ist für die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit nicht geeignet ein Arzt, der eine ärztliche Tätigkeit ausübt, die ihrem Wesen nach mit der Tätigkeit des Vertragsarztes am Vertragsarztsitz nicht zu vereinbaren ist. Diese Vorschrift will ihrem Sinn und Zweck nach ausschließen, daß bei der Zulassung eines Arztes als Vertragsarzt in dieser Eigenschaft durch eine anderweitig von ihm ausgeübte ärztliche Tätigkeit Interessen- und Pflichtenkollisionen entstehen. Die Regelung dient der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen vertragsärztlichen Versorgung und damit gleichgewichtig auch dem Schutz der Versicherten, die solchen Interessen- und Pflichtenkollisionen auf Seiten des Vertragsarztes nicht ausgesetzt werden sollen. § 20 Abs 2 Ärzte-ZV ist in dieser Auslegung, wie der Senat bereits entschieden hat (BSGE 76, 59, 63 = SozR 3-5520 § 20 Nr 1), mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art 12 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar. Auch die Beteiligten ziehen dies nicht in Zweifel.
Die Klägerin beabsichtigt, ihre vertragsärztliche Tätigkeit in den Räumen der auf dem Werksgelände der F. … liegenden Ambulanz auszuüben. Nach dem für den Fall der Zulassung zwischen ihr und den F. … abzuschließenden Vertrag würde die Klägerin auf der Grundlage des von ihr vorgelegten Vertragsentwurfes die Praxis mit Hilfe des Personals, das von den F. … für die betriebliche Ambulanz angestellt ist, und unter Benutzung der Einrichtungen der Ambulanz führen. Nach § 5 des Vertragsentwurfes sind die Vertragspartner – also auch die F. … – berechtigt, die Vereinbarung mit einer Frist von sechs Monaten zum Monatsende zu kündigen. Nach § 3 des Vertragsentwurfes soll die Klägerin trotz der Reduzierung ihrer Arbeitszeit auf 20 Stunden pro Woche weiterhin ihr volles Gehalt erhalten, für die Inanspruchnahme von Räumlichkeiten, Personal und Material der F. … aber 100 % ihrer Einnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit bis zu dem Betrag, der 50 % ihres jeweiligen Bruttogehalts entspricht, und von den darüber hinausgehenden Einnahmen 70 % abführen.
Die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit als angestellte Ärztin in der Funktion als Leiterin der Ambulanz der F. … und die vertragsärztliche Tätigkeit in der von ihr geplanten Form begründen die Gefahr von Interessen- und Pflichtenkollision im oben aufgezeigten Sinne, die nicht durch andere gestaltende Maßnahmen als durch die Versagung der Zulassung behoben werden können. Dies ergibt die Gesamtwürdigung aller Umstände, die für die in Aussicht genommene Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit prägend sind. Es kommt daher nicht darauf an, ob jeder einzelne in diesem Zusammenhang beachtliche Umstand für sich genommen die fehlende Eignung iS des § 20 Abs 2 Ärzte-ZV zur Folge haben würde.
Die vertragliche Bindung, die die Klägerin mit ihrem Arbeitgeber, den F. …, eingehen will, begründet die Gefahr, daß sie bei der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht frei von möglichen Einflußnahmen ihres Arbeitgebers ist bzw sich nicht von derartigen Einflußnahmen frei fühlen kann; denn bei der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ist die Klägerin in vielerlei Beziehung von Entscheidungen ihres Arbeitgebers abhängig. So steht der Klägerin weder das Recht zur Auswahl ihrer Mitarbeiter, die bei den Ford-Werken angestellt sind, noch das Direktionsrecht über diese zu. Sie ist vielmehr verpflichtet, mit den Personen zusammenzuarbeiten, die ihr von den F. … zur Verfügung gestellt werden. Die Klägerin hat weiter kein Entscheidungsrecht über Anschaffung und Einsatz der sachlichen Mittel, weil diese im Eigentum der F. … stehen und ihr nur zum zeitweiligen Gebrauch überlassen werden. Auch die hinsichtlich der Benutzung der Räumlichkeiten vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Monaten, ohne daß die Ausübung dieses Gestaltungsrechts auf Seiten der F. … auf eine Kündigung aus wichtigem Grund beschränkt worden ist, ermöglicht es ihrem Arbeitgeber, der vertragsärztlichen Tätigkeit der Klägerin in der angestrebten Form durch Kündigung der ihr zugrunde liegenden vertraglichen Vereinbarung die Grundlage zu entziehen. Diese in diesem Bereich – Personalgestellung, Benutzung der Einrichtung und Räumlichkeiten der Ambulanz – bestehende Abhängigkeit der Klägerin von ihrem Arbeitgeber ist nicht mit der eines jeden Vertragsarztes, der die Räume seiner Praxis gemietet oder bestimmte Geräte in seiner Praxis gemietet oder geleast hat, zu vergleichen. Wie der Senat bereits entschieden hat, sind grundsätzlich die Eigentumsverhältnisse an den Praxisräumen und der Geräte – bzw Materialausstattung der Praxis für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in eigener Praxis unerheblich (BSGE 35, 247, 250 = SozR Nr 1 zu § 5 EKV-Ä). Diese Fallgestaltung unterscheidet sich jedoch wesentlich von der bei der Klägerin, die weiter in einem Arbeitsverhältnis mit den F. … steht, das der Belastung durch Konflikte und Meinungsunterschiede ausgesetzt sein kann. Deshalb bestehen auch erhebliche Bedenken, ob die Klägerin die Tätigkeit als Vertragsärztin noch persönlich in eigener Praxis ausüben könnte, wie dies § 32 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV vorschreibt. Hierfür ist nämlich kennzeichnend, daß der Arzt gegenüber seinen Patienten sowohl im Bereich der eigentlichen Behandlungstätigkeit als auch im tatsächlichen und rechtlichen Umfeld dieser Behandlung in vollem Umfang unmittelbar verantwortlich ist. Das setzt zwingend voraus, daß er Inhalt und Umfang seiner ärztlichen Tätigkeit und den Einsatz der der Praxis zugeordneten sachlichen und persönlichen Mittel selbst bestimmt (vgl BSGE 76, 59, 64 = SozR 3-5520 § 20 Nr 1 S 7) und insoweit keiner maßgeblichen Einflußnahme durch andere unterliegt.
Die Abhängigkeit der Klägerin von ihrem Arbeitgeber bei der Ausübung der angestrebten vertragsärztlichen Tätigkeit wird dadurch verstärkt, daß die F. … als Folge der in § 3 des Vertragsentwurfs vorgesehenen Abgeltungsregelung finanziell am Erfolg der vertragsärztlichen Tätigkeit der Klägerin beteiligt sind. Die bereits oben im einzelnen wiedergegebene Bestimmung des Vertrages bewirkt, daß die Klägerin gegen Gehaltszahlung zur Honorarabführung an ihren Arbeitgeber verpflichtet wird, was auf ein verdecktes Beschäftigungsverhältnis hinweist. Eine solche Honorarbeteiligung in der hier vereinbarten Form und unter den hier gegebenen Voraussetzungen vermag die Unabhängigkeit des Arztes in seinen fachlichen Entscheidungen, insbesondere in der Einhaltung der Wirtschaftlichkeitsgebotes, zu gefährden. Sie ist daher mit dem Wesen der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht zu vereinbaren (vgl Kasseler Komm-Hess, § 95 SGB V RdNr 43; Schallen, Ärzte-ZV, Komm § 20 RdNr 170).
Selbt wenn insoweit die vertraglichen Regelungen modifiziert würden, können sich in anderer Beziehung Interessen- und Pflichtenkollisionen ergeben, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung ebenfalls die Beurteilung stützen, daß die Klägerin zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ungeeignet iS des § 20 Abs 2 Ärzte-ZV ist. Die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in der mit der F. … vereinbarten Form kann zur Folge haben, daß sich werksärztliche und vertragsärztliche Tätigkeit in unzuträglicher Weise vermischen und dies sich zum Nachteil der Versicherten auswirkt. Es liegt nahe, daß die Klägerin in ihrer Funktion als Werksärztin von der Betriebsleitung um medizinische Stellungnahmen zu Leistungsvermögen und Einsatzfähigkeit von Arbeitnehmern gebeten wird, die bei betrieblichen Umsetzungen oder Entscheidungen über personenbedingte Kündigungen (vgl § 1 Abs 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz) von Bedeutung sind. Soweit die Klägerin die von derartigen Maßnahmen betroffenen Arbeitnehmer auch vertragsärztlich betreut, wird sie regelmäßig Kenntnisse über auch medizinisch bedeutsame Faktoren (zB Alkoholprobleme eines Patienten) oder private Lebensumstände (zB familiäre Probleme) erhalten, über die sie als Werksärztin nicht ohne weiteres verfügt, die sie aber – bewußt oder unbewußt – in Stellungnahmen, die sie als Werksärztin abzugeben hat, einfließen lassen könnte. Die mögliche Vermischung von werks- und vertragsärztlicher Tätigkeit kann sich zudem zu Lasten der Krankenkassen auswirken, wenn ärztliche Leistungen, die Gegenstand der werksärztlichen Betreuung sind und vom Arbeitgeber mit dem Gehalt des Werksarztes entlohnt werden, von diesem als vertragsärztliche Leistungen gegenüber der KÄV abgerechnet werden (vgl Gitter, SGb 1996, 176, 178). So beschreibt § 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) zahlreiche ärztliche Leistungen, die nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind, wie etwa Einstellungs- und Eignungsuntersuchungen nach Abs 2 Nr 3 und die Ausstellung bestimmter Bescheinigungen nach Abs 2 Nr 1. Einzelne Bestandteile dieser von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossenen Leistungen können aber für sich genommen als vertragsärztliche Leistungen erbracht und abgerechnet werden, wie etwa eine ganzkörperliche Untersuchung nach Nr 60 Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen/Ersatzkassen-Gebührenordnung (BMÄ/E-GO) und ein kurzer ärztlicher Bericht über das Ergebnis einer Patientenuntersuchung nach Nr 74 BMÄ/E-GO. Wenn die Vertragsarztpraxis in den Räumen der Betriebsambulanz betrieben wird und die werksärztliche Tätigkeit auch zeitlich nicht klar von der vertragsärztlichen abgrenzbar ist, besteht stets die Gefahr, daß die einzelnen ärztlichen Verrichtungen nicht immer derjenigen Sphäre zugerechnet werden, zu der sie sachgerechterweise gehören, bzw daß insoweit eine klare Abgrenzung überhaupt nicht mehr möglich ist. Auch diese Auswirkung soll durch die Versagung der Zulassung vermieden werden.
Nicht zuletzt besteht die Gefahr, daß die von der Klägerin beabsichtigte vertragsärztliche Tätigkeit eine Beeinträchtigung des den Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zustehenden Rechts der freien Arztwahl (§ 76 Abs 1 Satz 1 SGB V) nach sich zieht und das in mehrfacher Hinsicht. Auf der einen Seite haben Versicherte, die nicht zum Kreis der Werksangehörigen der F. … gehören, nach den vom LSG in Bezug genommenen Feststellungen des SG nur in beschränktem Umfang die Möglichkeit, sich von der Klägerin als zugelassener Vertragsärztin behandeln zu lassen; denn ein Zugang zu der in den Räumen der Ambulanz gelegenen Praxis der Klägerin wäre für Versicherte, die nicht zum Kreis der Werksangehörigen der F. … zählen, mit solchen Schwierigkeiten verbunden, daß von einem freien Zugang nicht mehr die Rede sein kann. Der Senat unterstellt insoweit, daß die F. … in tatsächlicher Hinsicht bereit wären, jeder Person, die die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Vertragsärztin aufsuchen will, den Zugang zur auf dem Werksgelände gelegenen Ambulanz zu gestatten, und weiterhin, daß sich eine diesbezügliche rechtliche, von der Klägerin gegebenenfalls einklagbare Verpflichtung der F. … aus dem vorgelegen Vertragsentwurf ableiten läßt. Das hat jedoch nicht zur Folge, daß für die Versicherten ein ungehinderter Zugang zur Behandlung seitens der Klägerin gewährleistet ist. Nach den Feststellungen des SG, die aufgrund eines Ortstermins am 26. April 1995 bei den F. … getroffen worden sind, sind das Werksgelände und auch die Räume der Ambulanz nicht für jeden ohne Kontrolle zugänglich; vielmehr ist stets ein Eingangstor zu passieren, was nur gestattet wird, wenn der an dem Werkstor tätige Pförtner einen entsprechenden Passierschein ausstellt. Selbst wenn tatsächlich jeder Person, die angibt, sich von der Klägerin behandeln lassen zu wollen, ein entsprechender Passierschein – gegebenenfalls nach Rücksprache mit der Klägerin – ausgestellt würde, ist unvermeidlich, daß Name und Anschrift der betreffenden Person, ihre Absicht, die Klägerin als Vertragsärztin aufzusuchen, sowie der genaue Zeitpunkt des Arztbesuchs aufgezeichnet würden. Durch diese Maßnahmen verfügten aber Institutionen oder Personen über Kenntnisse, die nach § 203 Abs 1 Nr 1 Strafgesetzbuch (StGB) der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen. Zu den gegen unbefugtes Offenbaren geschützten Geheimnissen zählt auch die Tatsache, daß sich jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Behandlung eines bestimmten Arztes begibt (vgl Schönke/Schröder-Lenckner, Strafgesetzbuch, 25. Aufl 1997, § 203 RdNr 7). § 203 Abs 3 Satz 1 StGB erstreckt den strafrechtlichen Schutz des Arztgeheimnisses auch auf das Hilfspersonal des Arztes. Die an der Pforte eingesetzten Bediensteten der F. … zählen jedoch nicht zu dem von § 203 Abs 3 Satz 1 StGB erfaßten Kreis der berufsmäßigen Gehilfen (vgl zur Abgrenzung dieses Personenkreises Schönke/Schröder-Lenckner, aaO, § 203 RdNr 64). Die Vermittlung des Zugangs zur vertragsärztlichen Behandlung durch dritte Personen oder Institutionen, die nicht in das System der Gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen sind und denen gegenüber das Patientengeheimnis keinen strafrechtlichen Schutz genießt, ist geeignet, den betreffenden Arzt aus dem Kreis der Vertragsärzte iS des § 76 Abs 1 Satz 1 SGB V auszuschließen, unter denen die Versicherten frei wählen können.
Schließlich könnte auch die Wahrnehmung des Rechts auf freie Arztwahl seitens der Betriebsangehörigen der F. … durch die Zulassung der Klägerin zur vertragsärztlichen Versorgung eingeschränkt werden. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß diese Personen aus der Einrichtung einer Vertragsarztpraxis der weiterhin als Werksärztin tätigen Klägerin auf dem Betriebsgelände auf eine Erwartung ihres Arbeitgebers schließen, sich von der Klägerin auch vertragsärztlich behandeln zu lassen. Dies hätte nämlich aus der Sicht des Betriebes den Vorteil, daß sich die Zeiten der Freistellung von der Arbeit zur Durchführung von Arztbesuchen erheblich reduzieren ließen und in der Regel in Absprache mit der Klägerin den betrieblichen Erfordernissen angepaßt werden könnten. Aus diesem Grund liegt es nahe, daß sich die Beschäftigten einem Wunsch ihres Arbeitgebers, aus Kostengründen von dem Behandlungsangebot der Klägerin Gebrauch zu machen, nur schwer entziehen könnten. Das gilt in besonderer Weise im Zusammenhang mit der ärztlichen Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit auf der Grundlage des § 31 BMV-Ä. Da die Werksangehörigen damit rechnen können, daß ihr Arbeitgeber die Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit durch eine Ärztin, die bei ihm angestellt und deshalb typischerweise wirtschaftlich von ihm abhängig ist, in der Regel ohne weitere Nachfragen als gerechtfertigt ansehen wird, könnten sie sich gedrängt sehen, die vertragsärztliche Betreuung durch die Klägerin zu wählen. Ob sie sich in dieser Weise entschieden haben, wird dem Arbeitgeber zumindest bei Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bekannt, weil aus dieser der Name des behandelnden Vertragsarztes ersichtlich ist (vgl Ziff 13 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit vom 3. September 1991). Eine Überlagerung der vertragsärztlichen durch die werksärztliche Tätigkeit der Klägerin, die Auswirkungen auf die freie Arztwahl der Patienten haben kann, ist insbesondere in den Situationen zu besorgen, in denen Betriebsangehörige die Klägerin bei Arbeitsunfällen oder wegen einer während der Beschäftigungszeit akut aufgetretenen sonstigen Gesundheitsstörung als Leiterin der Ambulanz aufgesucht haben. Wenn dann die Klägerin anbieten kann, in ihrer Eigenschaft als Vertragsärztin die weitere Behandlung zu übernehmen, könnte den Betriebsangehörigen die innere Freiheit fehlen, dieses Angebot abzulehnen. Sie sind nämlich ihrerseits auf eine konfliktfreie und harmonische Kooperation mit der Klägerin angewiesen, wenn sie sich von ihr als Werksärztin untersuchen und behandeln lassen müssen, ohne insoweit einen anderen Arzt auswählen zu können.
Die Zusammenschau aller aufgezeigten Umstände führt zu der Beurteilung, daß die Klägerin nicht iS des § 20 Abs 2 Ärzte-ZV zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit geeignet ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
BSGE 80, 130 |
BSGE, 130 |
NJW 1998, 853 |
SozR 3-5520 § 20, Nr.2 |
SozSi 1998, 275 |