Leitsatz (amtlich)

1. Es wird dabei verblieben, daß es für die Gültigkeit einer Abstimmung nach § 13 Abs. 2 BetrVG außer der Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist, daß sich die Mehrheit der wahlberechtigten Angehörigen jeder Gruppe an der Wahl beteiligt.

2. Zur Beachtung von Wahlanfechtungsgründen von Amts wegen.

3. Die Beteiligten können im Verfahren betr. die Anfechtung der Betriebsratswahl nicht auf früher vorgebrachte Anfechtungsgründe wirksam verzichten.

4. Zur Prüfungspflicht des Wahlvorstandes hinsichtlich der Vorschlagslisten.

5. Bestätigung von BAG 1, 322 = AP Nr. 1 zu § 16 WO

 

Normenkette

BetrVG § 12 Abs. 2, § 13 Abs. 2, §§ 18, 19 Abs. 2, § 32; Wahlordnung zum BetrVG § 1 Abs. 4; Wahlordnung zum BetrVG § 6 Abs. 3; Wahlordnung zum BetrVG § 6 Abs. 4; Wahlordnung zum BetrVG § 7 Abs. 2; Wahlordnung zum BetrVG § 8 Abs. 2; Wahlordnung zum BetrVG § 10; Wahlordnung zum BetrVG § 16 Abs. 1; BPersVG § 15 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Beschluss vom 24.08.1961; Aktenzeichen 3 BV.Ta 3/61)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamm/Westfalen vom 24. August 1961 – 3 BV.Ta 3/61 – aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

I. Die Antragstellerin ist eine im Betrieb der beteiligten R. AG vertretene Gewerkschaft. Sie ficht im Beschlußverfahren die Gültigkeit der Wahl zum Betriebsrat an, die im April 1961 im Werk H. der beteiligten R. AG stattgefunden hat.

Vom 20. bis 24. Februar 1961 hatte zunächst eine Vorabstimmung darüber stattgefunden, ob die Betriebsratswahl als Gruppen- oder als Gemeinschaftswahl stattfinden solle. Beide Gruppen stimmten getrennt ab. Von den 8236 abstimmungsberechtigten Arbeitern stimmten 5240 für die Gemeinschaftswahl. Von den 1386 abstimmungsberechtigten Angestellten nahmen 763 an der Abstimmung teil. Von ihnen stimmten 513 für die Gemeinschaftswahl, 241 dagegen. Ungültig waren 9 Angestelltenstimmen. Die Antragstellerin hatte die Angestellten vor der Abstimmung aufgerufen, sich nicht an dieser zu beteiligen.

Auf Grund des Abstimmungsergebnisses beschloß der Wahlvorstand, daß die Betriebsratswahl in der Form der Gemeinschaftswahl durchzuführen sei. Danach wurde verfahren. Es waren 22 Arbeiter- und 5 Angestelltenvertreter zu wählen. Eingereicht wurden 3 Vorschlagslisten, nämlich die erste Liste von Angehörigen der IG-Metall, die zweite Liste von solchen der CGD und die dritte Liste von solchen der DAG, der Antragstellerin. Auf den beiden ersten Listen waren je 23 Kandidaten enthalten. Die dritte Liste enthielt 6 Kandidaten. Alle Kandidaten waren namentlich und mit ihren Berufsbezeichnungen aufgeführt und je nach ihrer Gruppenzugehörigkeit als zur Gruppe der Arbeiter oder als zur Gruppe der Angestellten zugehörig gekennzeichnet worden. Jedoch war auf der Liste der CGD fälschlich ein Angestellter als zur Gruppe der Arbeiter zugehörig aufgeführt worden, während das bei der Liste der DAG bei 4 Angestellten der Fall war.

Bei der Betriebsratswahl wurden 7530 gültige Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf die erste Liste 59749 auf die zweite Liste 1148, auf die dritte Liste 408 Stimmen. Der Wahlvorstand verteilte zunächst nach dem Höchstzahlenverfahren die Arbeitersitze und teilte unter Zugrundelegung der in den Vorschlagslisten jeweils angegebenen Gruppenzugehörigkeit der Kandidaten und der Reihenfolge ihrer Namensaufstellung entsprechend der ersten Liste 18, der zweiten Liste 3 und der dritten Liste 1 Arbeitersitz zu. Nach demselben Verfahren und unter Zugrundelegung der schon für die Verteilung der Arbeitersitze benutzten Höchstzahlen nahm der Wahlvorstand sodann die Verteilung der Angestelltensitze vor, von denen sämtliche 5 auf die erste Liste entfielen. Das Wahlergebnis wurde am 24. April 1961 veröffentlicht.

Die Antragstellerin hat am 5. Mai 1961 beim Arbeitsgericht den Anfechtungsantrag eingereicht und dazu ausgeführt, nach dem Ergebnis der Vorabstimmung hätte Gruppenwahl stattfinden müssen. Unzulässigerweise habe sich der Arbeitgeber in die Wahl eingemischt, indem er entgegen der von der Antragstellerin ausgegebenen Parole „Stimmenthaltung” zum Ausdruck gebracht habe, Wahlrecht sei Wahlpflicht. Der Wahlvorstand habe die Angestelltensitze falsch verteilt. Schließlich bestehe ein Verstoß gegen zwingende Wahlvorschriften darin, daß auf den Listen 2 und 3 fälschlich Angestellte als Arbeiter aufgeführt worden seien.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben dem Antrag des Betriebsrats entsprechend die Wahlanfechtung für nicht durchschlagend angesehen, somit den Antrag und die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde ist zugelassen worden. Mit dieser macht die Antragstellerin die Wahlanfechtung weiterhin geltend, während der Betriebsrat um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde bittet. Die beteiligte Arbeitgeberin hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II. Der Anfechtungsantrag, der innerhalb der gesetzlichen Frist bei Gericht eingereicht worden ist, ist auf vier verschiedene Gründe gestützt. Von diesen hängen die beiden ersten nicht mit der eigentlichen Betriebsratswahl, sondern mit der Vorabstimmung zusammen. Aber auch diese Anfechtungsgründe, die das durch die Vorabstimmung eingeleitete Wahlverfahren betreffen, können noch innerhalb der Frist des § 18 BetrVG geltend gemacht werden. Das ergibt sich aus der Vorschrift des § 1 Abs. 4 der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz und ist auch vom Senat inzidenter bereits in der Entscheidung AP Nr. 13 zu § 18 BetrVG ausgesprochen worden.

1) Die Antragstellerin ist zunächst der Ansicht, es hätte Gruppenwahl stattfinden müssen, weil die Zahl der Angestelltenstimmen, die sich für die Gemeinschaftswahl entschieden hätten, zu gering gewesen sei, um entgegen der Grundtendenz des Gesetzes eine Gemeinschaftswahl zu ermöglichen. Sie meint, eine in § 13 Abs. 2 BetrVG geforderte Mehrheit für die Einführung der Gemeinschaftswahl sei im Streitfall nicht erreicht gewesen. Damit bekämpft sie die Rechtsprechung des Senats zu § 13 Abs. 2 BetrVG, wie sie in den Beschlüssen BAG 1, 46 = AP Nr. 1 zu § 13 BetrVG und AP Nr. 2 aaO enthalten ist.

Die Ansichten zur Auslegung des § 13 Abs. 2 BetrVG sind nach wie vor geteilt. Der vom Senat vertretenen Ansicht, nach der es ausreicht, wenn sich mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten einer Gruppe an der Abstimmung beteiligt und mehr als die Hälfte der Abstimmenden für die Gemeinschaftswahl stimmt, sind beigetreten Fitting-Kraegeloh, Betriebsverfassungsgesetz, 5. Aufl., § 13 Anm. 25; Galperin-Siebert, Betriebsverfassungsgesetz, 3. Aufl., § 13 Anm. 14; Hueck-Nipperdey, Lehrbuch, 6. Aufl., Band 2, Seite 713; Neumann-Duesberg, Betriebsverfassungsrecht, S. 244. Allerdings werden sowohl von Galperin-Siebert wie von Neumann-Duesberg gegen die Begründung des Senats Bedenken erhoben, soweit sich dieser mit einer Analogie zu Art. 42 GG befaßt hat. Gegen die Auffassung des Senats spricht sich vor allem aus Dietz, Betriebsverfassungsgesetz; 3. Aufl., § 13 Anm. 13b, der u. a. auch auf die Regelung des § 15 Abs. 2 des Bundespersonalvertretungsgesetzes verweist.

Es ist bei der früheren Auffassung des Senats zu verbleiben. Selbst wenn man die Bedenken teilen wollte, die sich auf den vom Senat in den früheren Entscheidungen vorgenommenen Hinweis auf Art. 42 GG beziehen, so wird dadurch die Richtigkeit der Ansicht des Senats doch nicht erschüttert. Vielmehr ist in den früheren Entscheidungen des Senats ausreichend dem Umstand Rechnung getragen, daß das Gesetz in erster Linie die Gruppenwahl und erst in zweiter Linie die Gemeinschaftswahl vorsieht. Mit Recht hat deshalb der Senat eine gewisse qualifizierte Mehrheit der Abstimmenden gefordert, obwohl in § 13 Abs. 2 BetrVG ausdrücklich von dem Erfordernis einer irgendwie qualifizierten Mehrheit nicht gesprochen ist.

Eine solche Qualifizierung fordert auch das Gesetz selbst an anderen Stellen, z. B. in § 32 BetrVG, in dem die Beschlußfassung des Betriebsrats geregelt ist. Es besteht kein Anlaß, über diese Anforderungen durch Aufstellung noch stärkerer Qualifizierungsgrundsätze hinauszugehen, da dazu der Wortlaut des § 13 Abs. 2 BetrVG nicht die geringste Handhabe bietet. Insbesondere ist es verfehlt, hier Grundsätze anwenden zu wollen, die für Verfassungsänderungen Geltung haben. Es handelt sich nämlich bei der Einführung der Gemeinschaftswahl nicht um eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes; dieses sieht gerade die Gemeinschaftswahl ebenfalls vor, wenn auch nur in zweiter Linie.

Nun ergibt sich allerdings aus den Materialien zum Personalvertretungsgesetz, daß bei den Beratungen zu diesem Gesetz die Auffassung vertreten wurde, auch im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes solle eine Gemeinschaftswahl nur dann stattfinden, wenn sich die Mehrheit aller Wahlbeteiligten jeder Gruppe für eine solche ausgesprochen hätte. So ist dort im Unterausschuß Personalvertretung zum Ausdruck gekommen, daß auch bei der Gestaltung des Betriebsverfassungsgesetzes beabsichtigt gewesen sei, eine so qualifizierte Mehrheit für die Einführung der Gemeinschaftswahl vorzusehen (Sitzung vom 11. November 1954). Dasselbe ergibt sich aus dem Ausschußbericht vom 10. Februar 1955, Bundestagsdrucksache 2. Wahlperiode Nr. 1189, und ist auch vom Ausschußvorsitzenden in der 73. Sitzung des Zweiten Deutschen Bundestages vom 17. März 1955, Protokoll Seite 3955, zum Ausdruck gebracht worden.

Gleichwohl geben auch diese Umstände, die dem Senat bei Fällung der früheren Entscheidungen noch nicht bekannt sein konnten, keinen Anlaß zu einer Änderung der bisherigen Rechtsprechung. An den angeführten Stellen ist bei der Vorbereitung des Personalvertretungsgesetzes zum Ausdruck gekommen, daß es nicht gelungen ist, im Betriebsverfassungsgesetz die Klarheit herzustellen, die für das Personalvertretungsgesetz hergestellt ist. Es ist somit davon auszugehen, daß bei der Formulierung des Betriebsverfassungsgesetzes eine Unterlassung unterlaufen ist, die zu korrigieren die Rechtsprechung deshalb nicht befugt und in der Lage ist, weil es für sie entscheidend nur auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers ankommt, also darauf, was jeder Dritte aus dem Gesetz zu entnehmen in der Lage ist. Unbeachtlich ist der Wille der an den Ausschußberatungen beteiligten Abgeordneten dann, wenn er im Gesetz keinen, wenn auch noch so geringen Ausdruck gefunden hat.

Dieser Fall liegt hier vor, wie sich schon daraus ergibt, daß es für notwendig gehalten wurde, bei dem neueren Gesetz, nämlich dem Personalvertretungsgesetz, den klarstellenden, aber keineswegs selbstverständlichen Satz: „Der Beschluß bedarf der Mehrheit der Stimmen aller Wahlberechtigten jeder Gruppe” in § 15 Abs. 2 einzufügen. Andererseits ist aber die Gelegenheit der Verabschiedung des Personalvertretungsgesetzes nicht benutzt worden, um eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes herbeizuführen. Deshalb ist der Senat gehindert, insoweit die Grundsätze des Personalvertretungsgesetzes auf das Betriebsverfassungsgesetz zu übertragen, da aus dem Betriebsverfassungsgesetz selbst nicht entnommen werden kann, daß in dieser Weise qualifizierte Mehrheiten erforderlich sein sollen.

2) Die Antragstellerin macht weiter geltend, die Angestellten seien durch den Arbeitgeber in ihren Wahlentschlüssen rechtswidrig beeinflußt worden, da der Arbeitgeber entgegen der von der DAG ausgegebenen Parole der Wahlenthaltung den Angestellten habe mitteilen lassen, daß Wahlrecht auch Wahlpflicht bedeute. Deshalb hätten sich viele Angestellte, die sonst der Parole der Antragstellerin gefolgt wären, dazu verleiten lassen, zur Vorabstimmung zu gehen.

Nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses kann eine gegen § 19 Abs. 2 BetrVG verstoßende Wahlbeeinflussung jedoch nicht angenommen werden. Danach hatte der kaufmännische Direktor der beteiligten Arbeitgeberin lediglich 4 oder 5 Abteilungsleiter angerufen und ihnen auf getragen, dafür Sorge zu tragen, daß die Tatsache der Wahl überall bekannt werde. Er hat sich dabei jeder Stellungnahme für oder gegen die Gruppen- oder Gemeinschaftswahl enthalten und eine gleiche Haltung den Abteilungsleitern anempfohlen. Zwar hat er den Abteilungsleitern noch beiläufig seine persönliche Meinung, daß Wahlrecht Wahlpflicht sei, mitgeteilt. Dazu, daß diese Bemerkung weitergegeben wäre, ist aber keine Feststellung getroffen worden. Aus dem vom angefochtenen Beschluß erwähnten Schreiben der Abteilung „Verkauf Ausland” ergibt sich das Gegenteil. Prozessuale Beanstandungen gegen die Feststellungen des angefochtenen Beschlusses sind nicht erhoben worden.

Hiernach ist der Auffassung des angefochtenen Beschlusses beizutreten, daß weder von einer Zufügung oder Androhung von Nachteilen noch von einer Gewährung oder von einem Versprechen von Vorteilen im Sinne des § 19 Abs. 2 BetrVG gesprochen werden kann. Auch in diesem Punkte ist also ein Anfechtungsgrund hinsichtlich der Betriebsratswahl nicht gegeben.

3) Die Antragstellerin meint weiter, der Wahlvorstand habe die Sitze falsch verteilt. Er habe bei der Verteilung der Angestelltensitze nicht die schon für die Verteilung der Arbeitersitze benutzten Höchstzahlen nochmals benutzen dürfen. Diese Auffassung richtet sich gegen die Ansicht des Senats, wie sie in der Entscheidung BAG 1, 322 = AP Nr. 1 zu § 16 Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz vertreten worden ist. Dort ist § 16 der Wahlordnung so ausgelegt worden, wie das auch seitens des angefochtenen Beschlusses geschehen ist.

Dieser Ansicht des Senats hat sich inzwischen das Schrifttum zum größten Teil angeschlossen (Dietz, aaO, § 16 WO Anm. 1 und 2; Fitting-Kraegeloh, aaO, § 16 WO Anm. 1; Hueck-Nipperdey, aaO, S. 714). Anderer Auffassung sind vor allem Galperin-Siebert, aaO, § 16 WO Anm. 4 a. Auch in diesem Punkte ist bei der bisherigen Auffassung des Senats zu verbleiben.

Dafür, daß diese Auffassung auch dem Willen des „Gesetzgebers” Rechnung fragte spricht im übrigen auch der Umstand, daß inzwischen die Bundesregierung im Bundesrat einen Entwurf zu einer Rechtsverordnung zur Änderung der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz vorgelegt hat (Bundesratsdrucksache 285/61). In ihr ist die Änderung einzelner Vorschriften der Wahlordnung vorgesehen, z. B. der Bestimmung des § 6 Abs. 3, deren Gültigkeit bisher überwiegend verneint worden war. Zu § 16 enthält der Entwurf jedoch keinen Änderungsvorschlag, obwohl der Streit über § 16 der Wahlordnung der Bundesregierung sicherlich bekannt ist.

4) Schließlich hat die Antragstellerin mit der Anfechtung geltend gemacht, daß auf zwei Listen fälschlicherweise Angestellte als Arbeiter bezeichnet worden seien, ohne daß das vom Wahlvorstand beanstandet worden sei. Das Landesarbeitsgericht hat hierin zwar einen Verstoß gegen Wahlvorschriften gesehen, es hat jedoch gleichwohl die Anfechtung aus diesem Gesichtspunkt deshalb nicht durchgreifen lassen, weil solche falschen Angaben auf der eigenen Liste der Antragstellerin ebenfalls vorgekommen seien.

In der Rechtsbeschwerde betont die Antragstellerin, daß hierauf die Anfechtung nicht mehr gestützt werden solle und daß dieser Anfechtungsgrund in zweiter Instanz schon fallen gelassen worden sei. Gleichwohl besteht die Möglichkeit, daß die Anfechtung der Betriebsratswahl aus diesem Rechtsgrunde durchgreift; dies ist auch gegen den Willen der Antragstellerin vom Senat zu beachten.

Zwar besteht für keinen der in § 18 BetrVG genannten Anfechtungsberechtigten ein Zwang, von einem gegebenen Anfechtungsrecht Gebrauch zu machen. Eine Anfechtungspflicht wird durch das Betriebsverfassungsgesetz nicht begründet. Wenn nicht etwa eine nichtige Wahl oder eine Nichtwahl vorliegt, wofür hier nichts spricht, werden Mängel einer Wahl, die nur durch eine Anfechtung geltend gemacht werden können, durch das Unterlassen einer solchen geheilt. Das folgt aus dem Gebot der Rechtssicherheit, dem auch die in § 18 BetrVG vorgeschriebene Anfechtungsfrist Rechnung trägt.

Der Senat hat in BAG 4, 176 = AP Nr. 7 zu § 76 BetrVG ausgesprochen, daß das Gericht nicht befugt ist, von sich aus neuen Streitstoff in ein Beschlußverfahren einzuführen. Das geschieht aber dann nicht, wenn ein Gericht, sei es auch gegen den derzeitigen Willen des Anfechtenden, von sich aus untersucht, ob die unstreitig vorliegenden Tatsachen ein Anfechtungsrecht aus einem von dem Antragsteller nicht geltend gemachten Grund begründen. Das bedeutet für den Streitfall, daß es nicht gegen den vorerwähnten Grundsatz verstößt, wenn das Gericht trotz der nunmehr abgegebenen Erklärung der Antragstellerin prüft, ob die vom Wahlvorstand zur Wahl gestellten objektiv falschen Listen in Verbindung mit der früher erklärten Wahlanfechtung die Unwirksamkeit der Wahl zur Folge haben. Denn dieser Anfechtungsgrund wird nicht durch das Gericht in das Verfahren eingeführt, sondern ist durch die Antragstellerin selbst eingeführt worden

Der Senat hat in AP Nr. 3 zu § 18 BetrVG weiterhin entschieden, daß die Gerichte im Beschlußverfahren gewisse Aufsichtsfunktionen haben. Das Beschlußverfahren unterliegt anders als das Urteilsverfahren der Offizialmaxime. Stößt das Gericht im Laufe des Verfahrens auf Anfechtungsgründe, die bisher nicht geltend gemacht worden sind, so muß es gleichwohl auch diese Gründe berücksichtigen. Dem ist Dietz in der Anmerkung zu jener Entscheidung ausdrücklich beigetreten.

Hieraus folgt, daß es der Anfechtende nicht in der Hand hat, etwa nachträglich von ihm selbst geltend gemachte Anfechtungsgründe zurückzuziehen oder sich auf einen Teil der von ihm selbst früher vorgebrachten Anfechtungsgründe zu beschränken. Der Senat muß also trotz der derzeitigen Einlassung der Antragstellerin auch dem rechtlichen Gesichtspunkt der falschen Vorschlagslisten nachgehen und deren Einwirkung auf die Gültigkeit der Betriebsratswahl prüfen.

Es mag dahingestellt bleiben, ob der vom Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang tragend herausgestellte Gesichtspunkt des venire contra factum proprium auf dem Gebiete der Wahlanfechtung überhaupt Gültigkeit hat. Hier kommt dieser Gesichtspunkt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts schon deshalb nicht zum Zuge, weil falsche Angaben nicht nur auf der Liste der Antragstellerin selbst gemacht worden sind, sondern auch auf der der CGD; denn auch auf deren Liste ist fälschlicherweise ein Angestellter als Arbeiter bezeichnet worden, wie sich aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ergibt. Daß insoweit die Angehörigen der DAG und der CGD zusammengewirkt hätten, um den Wahlvorstand zu täuschen, kann nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht angenommen werden und wird auch von keinem der Beteiligten vorgetragen. Deshalb kann die Untersuchung dieses Anfechtungsgrundes nicht daran scheitern, daß falsche Angaben auch von Personen gemacht worden sind, die entweder der Antragstellerin angehörten oder ihr doch jedenfalls nahestanden. Denn daraus, daß diese Personen den angeblichen Anfechtungsgrund selbst durch ihr Handeln herbeigeführt haben, folgt nicht dessen Unbeachtlichkeit.

Es ist auch durchaus möglich, daß durch die falsche Bezeichnung der Gruppenzugehörigkeit das Wahlergebnis geändert worden ist. Es ist ohne weiteres denkbar, daß sich Wähler dadurch in ihrer Stimmabgabe haben beeinflussen lassen, wie viele Arbeiter einerseits und Angestellte andererseits sich auf einer Vorschlagsliste befanden. Eine solche theoretische Möglichkeit zur Beeinflussung des Wahlergebnisses genügt aber. Dagegen kann nicht gefordert werden, daß der Nachweis erbracht wird, daß der Verstoß gegen Wahlvorschriften tatsächlich auch im konkreten Einzelfall das Wahlergebnis beeinflußt hat (BAG 1, 317 = AP Nr. 1 zu § 18 BetrVG).

Ein Verstoß gegen Vorschriften über Form und Inhalt der Listen lag hier objektiv vor; dieser kann nach § 18 BetrVG in Verbindung mit § 1 Abs. 4 der Wahlordnung als ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren zur Anfechtung berechtigen. Als solche wesentlichen Verfahrensvorschriften müssen sicherlich Verstöße gegen Mußvorschriften angesehen werden; der Senat hat in BAG 2, 182 = AP Nr. 1 zu § 27 BetrVG bereits die Verletzung von Sollvorschriften als einen Anfechtungsgrund anerkannt. Mußvorschriften sind hier jedenfalls durch diejenigen verletzt worden, die die Listen der CGD und der DAG eingereicht haben.

§ 6 Abs. 4 der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz bestimmt, daß die einzelnen Bewerber unter anderem unter Angabe ihrer Arbeitnehmergruppe auf den Listen aufzuführen sind. Daß hier die objektiv richtige Arbeitnehmergruppe gemeint ist, ergibt sich ohne weiteres daraus, daß nicht angenommen werden kann, das Gesetz habe unrichtige Angaben sanktionieren wollen. Insoweit besteht also eine Mußvorschrift über den Inhalt der Wahlvorschläge, die zu richtigen Angaben in diesen Vorschlägen zwingt.

Nach § 8 Abs. 2 a der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz sind – vorbehaltlich einer Beseitigung der Mängel, die hier unstreitig nicht erfolgt ist – diejenigen Listen ungültig, auf denen die Bewerber nicht in der in § 6 Abs. 4 der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz bestimmten Weise bezeichnet sind. Nach § 7 Satz 2 aaO muß der Wahlvorstand ungültige Listen beanstanden. Das ist hier unstreitig nicht geschehen. Objektiv liegt hier also ein Verstoß auch des Wahlvorstandes gegen Mußvorschriften vor.

Wenn demgegenüber der Betriebsrat auf § 12 Abs. 2 BetrVG verweist, so vermag das den begangenen Verstoß gegen Wahlvorschriften nicht zu beseitigen. Ob es sich hierbei um eine Kannvorschrift handelt oder nicht, ist für die Entscheidung des Streitfalles unerheblich. Wie der Senat bereits in BAG 1, 121 = AP Nr. 1 zu § 76 BetrVG entschieden hat, hat § 12 Abs. 2 BetrVG eine Bedeutung nur bei der Gruppenwahl, nicht aber bei der Gemeinschaftswahl. Seine Anwendung scheidet schon deshalb hier aus.

Es verbleibt also dabei, daß ein objektiver Wahlverstoß auch dem Wahlvorstand insofern unterlaufen ist, als er die unrichtigen Gruppenbezeichnungen nicht beanstandet hat. Ein solcher rein objektiver Verstoß reicht aber zur Anfechtung noch nicht aus. Die Wahlordnung verpflichtet den Wahlvorstand lediglich zur Prüfung der eingereichten Listen. Die in diesem Zusammenhang an den Wahlvorstand zu stellenden Anforderungen dürfen nicht überspannt werden. Vielmehr braucht der Wahlvorstand nur den Bedenken nachzugehen, die er tatsächlich auch festgestellt hat oder doch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt alsbald feststellen konnte.

Das folgt auch daraus, daß § 10 der Wahlordnung die Bekanntmachung der Vorschlagslisten vorschreibt. Dadurch werden die Listen der Kontrolle der Belegschaft unterworfen. Es ist damit die Gewähr gegeben, daß in den Listen enthaltene Fehler in aller Regel noch rechtzeitig vor der Wahl bekannt werden, so daß ihnen Rechnung getragen werden kann. Deshalb darf sich der Wahlvorstand bei der ihm durch § 7 Satz 2 der Wahlordnung vorgeschriebenen Prüfung auf eine solche nach bestem Wissen und Gewissen beschränken.

Unterlaufen ihm trotz einer solchen von ihm vorgenommenen Prüfung noch Fehler, so berechtigen diese nicht ohne weiteres zur Wahlanfechtung. Auf Grund solcher Fehler kann die Wahl vielmehr nur dann angefochten werden, wenn der Wahlvorstand selbst die Fehlerhaftigkeit einer Liste erkannt, sie aber gleichwohl in Kenntnis der Fehler nicht zurückgewiesen hat, wie es die Wahlordnung vorschreibt. Dem Erkennen der Fehlerhaftigkeit steht es gleich, wenn der Wahlvorstand trotz gegebener Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit eine ihm zumutbare und mögliche Nachprüfung unterläßt.

Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, ob der Wahlvorstand, als er die Listen 2 und 3 nicht zurückwies, gutgläubig gehandelt hat oder nicht. Darauf kommt es aber entscheidend an. Aus diesen Gründen muß der angefochtene Beschluß aufgehoben werden. Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung in der Tatsacheninstanz wird das Landesarbeitsgericht zu klären haben, ob der Wahlvorstand die Fehlerhaftigkeit der Listen 2 und 3 erkannt hat oder doch leicht hätte erkennen können, die fehlerhaften Listen aber gleichwohl zugelassen hat. Wenn das der Fall ist, ist die Wahlanfechtung begründet. Anderenfalls ist sie unbegründet.

 

Unterschriften

gez. Dr. Schröder, Bundesrichter Dr. Gröninger ist beurlaubt und ortsabwesend Dr. Schröder, Wichmann, Hansen, Hüsing

 

Fundstellen

Haufe-Index 662623

BAGE, 244

JZ 1962, 372

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