Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung eines Amtsträgers wegen Betriebsstillegung
Leitsatz (amtlich)
Beim Ausspruch einer nach § 15 Abs. 4 und 5 KSchG zulässigen ordentlichen Kündigung ist Art. 56 Abs. 9 ZA-Nato-Truppenstatut in Verb. mit § 70 Abs. 1 Soldatengesetz, § 54 Abs. 1 und § 47 Abs. 1 BPersVG nicht entsprechend anwendbar. Der Betriebsvertretung steht insoweit nur das Mitwirkungsrecht nach § 79 BPersVG zu. Auch wenn der zu kündigende Arbeitnehmer Mitglied der örtlichen Betriebsvertretung und der Hauptbetriebsvertretung ist, sind nach der maßgeblichen Zuständigkeitsregelung des § 82 Abs. 1 BPersVG nicht mehrere Vertretungen nebeneinander zuständig. Ob die örtliche Betriebsvertretung oder die Hauptbetriebsvertretung zu beteiligen ist, hängt ausschließlich davon ab, welche Dienststelle zur Entscheidung über die Kündigung befugt ist.
Normenkette
BPersVG § 47 Abs. 1, § 54 Abs. 1, §§ 82, 108 Abs. 1; ZA-Nato-Truppenstatut Art. 56 Abs. 9; Soldatengesetz § 70 Abs. 1; KSchG § 15 Abs. 4-5
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 21.01.1993; Aktenzeichen 5 (8) TaBV 26/92) |
ArbG Kaiserslautern (Beschluss vom 23.06.1992; Aktenzeichen 1 BV 5/92) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Januar 1993 – 5 (8) TaBV 26/92 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob neben der örtlichen Betriebsvertretung auch die Hauptbetriebsvertretung ein Mitwirkungsrecht hat, wenn einem ihrer Mitglieder wegen Auflösung der Beschäftigungsdienststelle ordentlich gekündigt wird.
Die Antragstellerin ist die beim Hauptquartier der US-Luftstreitkräfte in R… gebildete Hauptbetriebsvertretung. Ihr Mitglied … L… war auf dem Flugplatz Z… beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis wurde von dieser Dienststelle mit Schreiben vom 10. Juni 1991 unter Berufung auf § 15 Abs. 4 und 5 KSchG ordentlich zum 31. Dezember 1991 gekündigt. Der Flugplatz Z… ist im Zuge der Verkleinerung und Umstrukturierung der US-Luftstreitkräfte geschlossen worden. Vor Ausspruch der Kündigung wurde nur die für den Flugplatz Z… zuständige örtliche Betriebsvertretung, nicht aber die Hauptbetriebsvertretung beteiligt.
Die Hauptbetriebsvertretung hat gemeint, sie sei bei der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines ihrer Mitglieder neben der örtlichen Betriebsvertretung zu beteiligen. Sie hat, soweit es für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung ist, beantragt:
Es wird festgestellt, daß die gem. § 15 Abs. 4 und 5 KSchG zulässige ordentliche Kündigung eines Mitglieds der Antragstellerin der Mitwirkung der Antragstellerin gem. § 79 BPersVG bedarf.
Die Bundesrepublik Deutschland hat für das Hauptquartier der US-Luftstreitkräfte beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, bei einer nach § 15 Abs. 4 und 5 KSchG ausgesprochenen ordentlichen Kündigung sei lediglich die örtliche Betriebsvertretung, die bei der zur Entscheidung befugten Dienststelle gebildet sei, zu beteiligen und nicht noch zusätzlich die Hauptbetriebsvertretung.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die für das Hauptquartier eingelegte Beschwerde der Bundesrepublik Deutschland hat das Landesarbeitsgericht den Antrag abgewiesen. Die Hauptbetriebsvertretung verfolgt mit ihrer durch Beschluß des Senats vom 21. Juli 1993 zugelassenen Rechtsbeschwerde ihren Antrag weiter. Die Bundesrepublik Deutschland beantragt für das Hauptquartier der US-Luftstreitkräfte, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht das von der Hauptbetriebsvertretung geltend gemachte Mitwirkungsrecht verneint. Wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines Amtsträgers nach § 15 Abs. 4 und 5 KSchG ordentlich kündigt, gelten keine Sonderregelungen für die Beteiligung der Betriebsvertretung. Das Mitwirkungsrecht richtet sich nach den auch bei jeder anderen ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers zu beachtenden Vorschriften.
1. Nach Art. 56 Abs. 9 ZA-Nato-Truppenstatut in Verbindung mit § 70 Abs. 1 Soldatengesetz und § 47 Abs. 1 BPersVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern der Betriebsvertretung der Zustimmung der Betriebsvertretung. Diese Vorschrift gilt für die Mitglieder der Hauptbetriebsvertretung entsprechend (Art. 56 Abs. 9 ZA-Nato-Truppenstatut in Verb. mit § 70 Abs. 1 Soldatengesetz und § 54 Abs. 1 BPersVG). Für andere Amtsträger enthält § 108 Abs. 1 BPersVG eine gleichlautende Regelung. § 47 Abs. 1 und § 108 Abs. 1 BPersVG räumen den Betriebsvertretungen nicht nur ein stärkeres Beteiligungsrecht ein, sondern sehen insoweit auch die Zuständigkeit mehrerer Vertretungen vor (vgl. BVerwG Beschluß vom 9. Juli 1980 – 6 P 43.79 – Buchholz 238.3 A § 108 BPersVG Nr. 1 = PersV 1981, 370; BVerwG Beschluß vom 8. Dezember 1986 – 6 P 20.84 – NJW 1987, 2601 = PerR 1987, 110 = ZBR 1987, 288). Der Anwendungsbereich des § 54 Abs. 1 in Verb. mit § 47 Abs. 1 und des § 108 Abs. 1 BPersVG beschränkt sich aber auf außerordentliche Kündigungen und erstreckt sich nicht auf ordentliche Kündigungen nach § 15 Abs. 4 und 5 KSchG. Beim Ausspruch einer ausnahmsweise zulässigen ordentlichen Kündigung ist § 54 Abs. 1 in Verb. mit § 47 Abs. 1 BPersVG auch nicht entsprechend anwendbar (vgl. Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., Anhang zu § 47 Rz 17; Etzel in Lorenzen/Haas/Schmitt, BPersVG, Stand: Januar 1994, § 47 Rz 24; ebenso zu § 103 BetrVG: BAGE 29, 114, 118 = AP Nr. 11 zu § 102 BetrVG 1972, zu 3 der Gründe; BAGE 41, 72, 80 f. = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Konzern, zu B I 2a der Gründe; BAGE 45, 26, 29 f. = AP Nr. 16 zu § 15 KSchG 1969, zu I der Gründe; a. A. Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 7. Aufl., § 47 Rz 9; Bader, BB 1978, 616 ff.; Belling, NZA 1985, 481 ff.).
a) Die für eine analoge Anwendung erforderliche Gesetzeslücke besteht nicht. Der Gesetzgeber hat die Regelungen des § 47 Abs. 1 und des § 108 Abs. 1 BPersVG ausdrücklich auf außerordentliche Kündigungen beschränkt. Ihm kann nicht unterstellt werden, er habe diese eindeutig formulierte Einschränkung nicht gewollt und übersehen, daß der Arbeitgeber den Amtsträgern ausnahmsweise wegen Betriebsstillegung ordentlich kündigen kann. Im Gegenteil: Der Gesetzgeber hat sich beim Erlaß des Bundespersonalvertretungsgesetzes 1974 bewußt an § 103 BetrVG angelehnt, worauf in der Gesetzesbegründung ausdrücklich hingewiesen wurde (BT-Drucks. VI/3721, S. 30). § 103 BetrVG gilt ebenfalls nur für außerordentliche Kündigungen des Arbeitgebers. In der Gesetzesbegründung zu § 103 BetrVG wird erwähnt, daß ordentliche Kündigungen der Arbeitsverhältnisse der geschützten Amtsträger nach § 15 KSchG “grundsätzlich unzulässig” sind (BT-Drucks. VI/1786, S. 53). Damit hat der Gesetzgeber sehr wohl gesehen, daß Amtsträgern ausnahmsweise ordentlich gekündigt werden kann.
b) Die unterschiedliche Behandlung außerordentlicher Kündigungen einerseits und ausnahmsweise nach § 15 Abs. 4 und 5 KSchG zulässiger ordentlicher Kündigungen andererseits widerspricht nicht dem Sinn und Zweck des § 47 Abs. 1 in Verb. mit § 54 Abs. 1 und des § 108 Abs. 1 BPersVG. § 47 Abs. 1 BPersVG “regelt den Kündigungsschutz bei außerordentlichen Kündigungen von Personalratsmitgliedern entsprechend dem § 103 BetrVG” (BT-Drucks. VI/3721, S. 30). Danach verfolgt der Gesetzgeber mit § 47 Abs. 1 BPersVG und § 103 Abs. 1 BetrVG das gleiche Ziel. Durch diese Vorschriften soll es unmöglich gemacht werden, Amtsträger durch willkürliche außerordentliche Kündigungen aus dem Betrieb zu entfernen und durch Ausnutzung der Rechtsmittel das Verfahren so lange zu verschleppen, daß inzwischen der Amtsträger dem Betrieb entfremdet wird und keine Aussicht auf eine Wiederwahl hat. Außerdem soll sichergestellt werden, daß bei einer groben Pflichtverletzung des Amtsträgers in seiner Eigenschaft als Amtsträger der Arbeitgeber sich der hierfür vorgesehenen Möglichkeit des Ausschlusses aus dem Vertretungsorgan (§ 23 BetrVG, § 28 BPersVG) bedient und nicht auf den Weg der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausweicht (BT-Drucks. VI/1786, S. 53). Der Schutz der Vertretungsorgane soll die ungestörte Amtsausübung sowohl der Arbeitnehmervertretung insgesamt als auch durch deren Mitglieder sicherstellen (vgl. u. a. Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 47 Rz 4; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 7. Aufl., § 47 Rz 2).
aa) Der Schutz des einzelnen Amtsträgers und der Arbeitnehmervertretung als solcher endet mit dem Wegfall des Betriebs oder der Betriebsabteilung, sofern für den dort beschäftigten Arbeitnehmer auch sonst keine Arbeitsmöglichkeit vorhanden ist. In diesen Fällen kann das Amt nicht weitergeführt und die personelle Zusammensetzung des Vertretungsorgans nicht beibehalten werden (vgl. G. Müller, ZfA 1990, 607, 626).
bb) Die Gefahr, daß Amtspflichtsverletzungen, die nur den Ausschluß aus dem Vertretungsorgan rechtfertigen, zum Anlaß für eine außerordentliche Kündigung genommen oder daß wichtige Gründe für eine außerordentliche Kündigung lediglich vorgeschoben werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Dagegen ist es erheblich unwahrscheinlicher, daß Amtsträger unter dem Vorwand einer Betriebsstillegung ordentlich gekündigt werden. Bei dem Ausnahmetatbestand des § 15 Abs. 4 und 5 KSchG hat der Gesetzgeber ein Zustimmungs- oder besonders ausgestaltetes Anhörungsverfahren für entbehrlich erachtet. Bei einer ordentlichen Kündigung wegen Betriebsstillegung findet ein einheitliches Mitwirkungsverfahren statt. Ob Amtsträgern oder anderen Arbeitnehmern gekündigt wird, spielt keine Rolle. Die eindeutige gesetzliche Regelung und die darin zum Ausdruck gebrachte Entscheidung des Gesetzgebers kann weder durch eine analoge Anwendung des § 47 Abs. 1 BPersVG noch durch eine Rechtsfortbildung unterlaufen werden.
2. Bei einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Amtsträgers nach § 15 Abs. 4, 5 KSchG ergibt sich das Mitwirkungsrecht der Betriebsvertretung aus Art. 56 Abs. 9 ZA-Nato-Truppenstatut in Verb. mit § 70 Abs. 1 Soldatengesetz und § 79 BPersVG und die Zuständigkeitsverteilung aus Art. 56 Abs. 9 ZA-Nato-Truppenstatut in Verb. mit § 70 Abs. 1 Soldatengesetz und § 82 BPersVG.
a) Nach § 82 Abs. 1 BPersVG sind nicht mehrere Vertretungen nebeneinander zuständig. Ob die örtliche Betriebsvertretung oder die Hauptbetriebsvertretung zu beteiligen ist, hängt nach dem klaren Gesetzeswortlaut davon ab, welche Dienststelle zur Entscheidung über die Kündigung befugt ist. Soweit – wie bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Herrn L… – die nachgeordnete Dienststelle die Kündigung aussprechen kann, genügt die Beteiligung der örtlichen Betriebsvertretung (vgl. u. a. Altvater/Bacher/Hörter/Sabottig/Schneider, BPersVG, 3. Aufl., § 79 Rz 6; Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 79 Rz 28 und § 82 Rz 3; Fischer/Goeres, GKÖD-PersVG, Stand: November 1993, § 79 Rz 4 und § 82 Rz 5; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 7. Aufl., § 82 Rz 2 und 3; Lorenzen/Haas/Schmitt, BPersVG, Stand: Juli 1992, § 82 Rz 9 ff.). Zur Einschaltung der Hauptbetriebsvertretung kommt es nur, wenn die örtliche Betriebsvertretung im Verfahren nach § 72 BPersVG rechtzeitig Einwendungen erhebt.
b) Lediglich bei außerordentlichen Kündigungen des Arbeitsverhältnisses eines Amtsträgers sehen § 108 Abs. 1 und § 54 Abs. 1 in Verb. mit § 47 Abs. 1 BPersVG vor, daß mehrere Vertretungen nebeneinander zu beteiligen sind (vgl. hierzu BVerwG Beschluß vom 9. Juli 1980 – 6 P 43.79 – Buchholz 238.3 A § 108 BPersVG Nr. 1 = PersV 1981, 370; BVerwG Beschluß vom 8. Dezember 1986 – 6 P 20.84 – NJW 1987, 2601 = PersR 1987, 110 = ZBR 1987, 288). Dieses Nebeneinander der Zuständigkeiten ergibt sich aus dem Wortlaut und der Ausgestaltung dieser auf außerordentliche Kündigungen beschränkten Sonderregelungen. Sie sind nicht auf ordentliche Kündigungen nach § 15 Abs. 4 und 5 KSchG übertragbar.
c) Für die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Mitglieds der Hauptbetriebsvertretung besteht keine besondere Zuständigkeitsregelung, die von Art. 56 Abs. 9 ZA-Nato-Truppenstatut in Verb. mit § 70 Abs. 1 Soldatengesetz und § 82 BPersVG abweicht. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, daß die Vorschrift des Art. 56 Abs. 9 ZA-Nato-Truppenstatut in Verb. mit § 54 BPersVG, die sich mit der Rechtsstellung der Hauptbetriebsvertretung befaßt, lediglich auf § 47 BPersVG (außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Amtsträgern) verweist. Eine zusätzliche Beteiligung der Hauptbetriebsvertretung ist bei einer auf § 15 Abs. 4 und 5 KSchG gestützten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines ihrer Mitglieder nicht vorgesehen. Dies ist auch kein Versehen. Vielmehr hat der Gesetzgeber für derartige ordentliche Kündigungen ein besonderes Mitwirkungsverfahren für unnötig erachtet.
Unterschriften
Dr. Steckhan, Schliemann, Kremhelmer, Dr. Knapp, Bea
Fundstellen
Haufe-Index 856670 |
BB 1994, 1425 |
NZA 1994, 843 |