Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2; BGB § 626
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 11. April 1997 – 3 Sa 924/96 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die der Beklagte auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig: Abs. 5 Ziff. 2 EV) stützt.
Der im Jahre 1937 geborene Kläger war von 1964 bis 1969 als wissenschaftlicher Assistent an der Technischen Universität Dresden tätig. Anschließend arbeitete er für die … F… Dresden als wissenschaftlicher Mitarbeiter und stellvertretender Direktor, ab 1. Januar 1975 als deren Direktor. Nachdem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis des Klägers im September 1989 wegen “Nichteignung für die vereinbarte Arbeitsaufgabe” zum 16. Dezember 1989 gekündigt hatte, erhielt der Kläger aufgrund eines Überleitungsvertrages ab dem 1. Dezember 1989 die Stelle eines wissenschaftlichen Oberassistenten am Institut für Baugeschichte, Architekturtheorie und Denkmalpflege der TU Dresden. Seit September 1991 ist der Kläger in die VergGr. Ib des BAT-O eingruppiert.
Am 23. April 1991 erklärte der Kläger, er habe weder offiziell noch inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (MfS/AfNS) der ehemaligen DDR gearbeitet. Auf die weitere Frage nach einer Arbeit für das MfS/AfNS über mittelbare Kontakte, im Wege einer Verpflichtung als Reisekader oder über Kontakte als Mitarbeiter örtlicher Staatsorgane, als Leiter oder aufgrund gesellschaftlicher Funktionen antwortete der Kläger wie folgt:
“Nein, nicht für das MfS gearbeitet, aber es gab Besuche von Mitarbeitern des MfS in der von mir geleiteten Einrichtung zur Einholung von Auskünften; seit etwa 1974, nach Unterstellungsänderung der Einrichtung 1983 nur selten und mit meiner Amtsenthebung im Februar 1989 erledigt.”
Am 9. Oktober 1995 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (Gauck-Behörde) dem Beklagten mit, der Kläger sei ab dem 11. November 1970 als Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit und ab dem 8. Oktober 1971 bis zum 10. November 1984 als Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit beim MfS erfaßt gewesen. Im Anschluß an eine Verpflichtungserklärung vom 11. November 1970 mit Ergänzung vom 25. September 1971 (Wahl des Decknamens “Walter Schumann”) habe der Kläger 15 handschriftliche Berichte gefertigt. Außerdem gebe es 117 Treffberichte der Führungsoffiziere, 8 Berichte der Führungsoffiziere nach Informationen des Klägers und 48 Tonbandabschriften. Ziel der Werbung sei die Absicherung der F… und die Aufklärung von Personen gewesen. Bei den Berichten des Klägers sei es 47 mal um Personeninformationen (fachliche, politische und persönliche Einschätzungen), um Informationen zu fachlichen Aktivitäten, Auftragsbearbeitung, Bezug von westlichen Zeitschriften u.a. sowie um Informationen über Meinungen im Dienstbereich zu tagespolitischen Ereignissen gegangen. Die Informationen hätten zur Anlage einer Operativen Personenkontrolle (OPK) geführt und seien in mehrere Operative Vorgänge (OV) eingegangen. Der Kläger habe auch Kopien dienstlicher Unterlagen, z.B. Schriftverkehr mit BRD-Firmen, weitergegeben und vom MfS Präsente im Wert von insgesamt 272, 10 M erhalten. Dem Einzelbericht der Gauck-Behörde war u.a. der Abschlußbericht des MfS vom 1. November 1984 beigefügt. Dort heißt es:
“Die operativen Arbeitsergebnisse waren mittelmäßig und erfolgten bis auf wenige Ausnahmen in mündlicher Form.
Der IM zeigte bei allen erteilten Aufträgen nur wenig Initiative und rechnete die Aufträge nur sehr schleppend ab.
In der Zusammenarbeit mit unterzeichnenden MA zeigte sich der IM absolut desinteressiert und es gelang trotz mehrfacher Aussprachen nicht, ihn an die operative Arbeit heranzuführen. Erteilte Aufträge wurden durch ihn nicht mehr realisiert und die Berichterstattung zu seinem Bereich erfolgte nur sehr widerwillig und stets in mündlicher Form. …
Der Zeitraum der vorgenannten Zusammenarbeit zeigte deutlich, daß der IM gegenüber dem MfS unzuverlässig und unehrlich ist. Da er als Direktor seiner Einrichtung auch offiziell angelaufen werden kann, wird vorgeschlagen, den IM Vorgang abzulegen und in der Abteilung XII zu archivieren.”
Nach einer Anhörung des Klägers am 18. Oktober 1995 votierte die Personalkommission der TU Dresden mit einem Abstimmungsergebnis von 10:0 “nicht geeignet”. Der mit Schreiben des Staatsministers für Wissenschaft und Kunst vom 24. Oktober 1995 unterrichtete Hauptpersonalrat teilte am 27. Oktober 1995 mit, er erhebe gegen die beabsichtigte außerordentliche Kündigung keine Bedenken. Nach Eingang dieser Stellungnahme gab der Beklagte das Kündigungsschreiben vom 26. Oktober 1995 zur Post, welches dem Kläger am 30. Oktober 1995 zuging.
Der Kläger hat am 20. November 1995 Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat vorgetragen, ihm sei nicht erinnerlich, mehr als die acht zusammen mit dem Einzelbericht vorgelegten handschriftlichen Berichte geschrieben zu haben. Er bestreite, daß seine Berichte eine OPK veranlaßt hätten. Die Tonbandabschriften beruhten nicht auf seinen Informationen. Er habe hiervon nichts gewußt, es sei ihm nicht erinnerlich, er habe hierzu keine Bereitschaft erklärt. Als stellvertretender Direktor und Direktor der Deutschen F… sei er in den Interessenbereich des MfS einbezogen gewesen. Sein absolutes Desinteresse an einer MfS-Tätigkeit sei dokumentiert. Er habe in keiner Weise bewußt für das MfS tätig sein wollen. Gegenüber dem Beklagten habe er eine Tätigkeit für das MfS nicht vollständig geleugnet. Nach der Wende habe er sich als vertrauenswürdig erwiesen. Er sei maßgeblich an der Erneuerung der TU Dresden beteiligt gewesen und sei von seinem Institut in die Studienkommission der Abteilung Architektur berufen worden. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten. Die Beteiligung des Hauptpersonalrats sei nicht ordnungsgemäß, da der Beklagte nicht über die schon 1992 erfolgte Überprüfung unterrichtet habe.
Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 26. Oktober 1995 aufgelöst worden sei.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, der Kläger sei zielgerichtet über einen ganz erheblichen Zeitraum hinweg für das MfS tätig gewesen. Die Informationen des Klägers hätten zur Anlage einer OPK geführt und seien für OV verwendet worden. Der Kläger habe nicht etwa während der gesamten Zeit seiner Tätigkeit für das MfS, sondern allenfalls zum Schluß nur widerwillig berichtet. Die Tonbandberichte beruhten auf seinen Informationen. Ein Festhalten am Arbeitsverhältnis sei deshalb nicht zumutbar. Der Kläger habe den Beklagten über die MfS-Tätigkeit vorsätzlich getäuscht. Mit seiner Zusatzbemerkung vom 23. April 1991 habe er sogar versucht, den Beklagten in die Irre zu führen. Das Vertrauensverhältnis sei deshalb zerstört.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten nach Beweisaufnahme zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält der Beklagte an seinem Klageabweisungsantrag fest. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, die Unwirksamkeit der Kündigung folge nicht aus dem Personalvertretungsrecht. Es hat ausgeführt, dem Hauptpersonalrat hätten die im Einzelbericht der Gauck-Behörde aufgelisteten Unterlagen unstreitig vorgelegen. Eine Unterrichtung über das Gespräch mit der Personalkommission vom 28. Februar 1992 sei nicht erforderlich gewesen; denn daraus ergäben sich keine wesentlichen ergänzenden oder verändernden Umstände hinsichtlich der Erklärung vom 23. April 1991. Dagegen wendet sich der Kläger nicht. Rechtsfehler sind auch nicht ersichtlich.
II. Das Landesarbeitsgericht hat unter Zugrundelegung der ständigen Senatsrechtsprechung eine Unwirksamkeit der Kündigung wegen Zeitablaufs rechtsfehlerfrei verneint. Der Senat folgt insbesondere auch der Bewertung, der Beklagte habe aufgrund der schriftlichen Erklärung vom 23. April 1991 und der ergänzenden Mitteilung vom 28. Februar 1992 nicht davon ausgehen können, der Kläger habe über die dienstlichen Beziehungen des Leiters einer Einrichtung mit Auslandskontakt hinaus eine inoffizielle Tätigkeit für das MfS entwickelt. Hiergegen erhebt der Kläger ebenfalls keine Einwendungen.
III. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV für das MfS tätig gewesen, trifft zu. Angesichts der vorliegenden Berichte bedarf das keiner näheren Begründung. Der Senat kann – auch unter Berücksichtigung des revisionsrechtlich zu beachtenden tatrichterlichen Beurteilungsspielraums – aber nicht der Würdigung folgen, ein Festhalten am Arbeitsverhältnis erscheine hier noch nicht unzumutbar. Insoweit sind dem Landesarbeitsgericht Rechtsfehler unterlaufen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zur Frage der Zumutbarkeit eines Festhaltens am Arbeitsverhältnis im wesentlichen ausgeführt:
Auszugehen sei von den eingeräumten handschriftlichen Berichten. Danach habe der Kläger über (ihm wohl unterstellte) Mitarbeiter, im wesentlichen über deren Fähigkeiten und Leistungen, berichtet. Ein Bericht beschäftige sich mit einem “republikflüchtigen” (ehemaligen) Mitarbeiter. Diese dem Kläger zuzuschreibenden IM-Berichte seien für das MfS informativ gewesen, aber kaum über eine dienstliche Beurteilung und das dem MfS ohnehin Bekannte hinausgegangen. Ein Eifer zur Denunziation sei ihnen nicht zu entnehmen.
Weitere Tätigkeiten für das MfS hätten dem Kläger nicht mit der gem. § 286 Abs. 1 ZPO notwendigen Gewißheit angelastet werden können. Aus den vorgelegten Unterlagen des MfS, insbesondere den Tonbandabschriften und den Treffberichten, welche jeweils von einem Führungsoffizier abgezeichnet seien, könne indiziell eine weitere Berichtstätigkeit des Klägers folgen. Der Beklagte sei jedoch angesichts des Bestreitens des Klägers gehalten, den vollen Nachweis für eine entsprechende Berichts- und Trefftätigkeit des Klägers zu erbringen. Denn die Unterlagen des MfS seien als bloße Privaturkunden nicht geeignet, Urkundenbeweis für eine entsprechende Tätigkeit des Klägers zu erbringen, sie besäßen keinen über ihre Existenz hinausgehenden Beweiswert. Der ehemalige Führungsoffizier K… habe nicht mit Eindeutigkeit bestätigen können, daß die vorhandenen Tonbandberichte auf entsprechenden Informationen des Klägers beruhten. Nach Aussage des Zeugen seien bei “dürftigen” Informationen des IM möglicherweise Informationen aus anderen Quellen hinzugenommen worden, um die Berichte anzureichern. Der Zeuge habe dies auch im Falle des Klägers für möglich gehalten. Deshalb wirke es sich nicht zu Lasten des Klägers aus, daß die hinter den Tonbandabschriften stehenden Informationen bedeutsam seien. Denunzierend und äußerst gefährlich für den Betroffenen wären insbesondere die Berichte über den BGL-Vorsitzenden der F… gewesen, gegen den auch eine OPK eingeleitet worden sei. Denunzierend wären ferner Informationen über eine Laborantin und über einen früheren Mitarbeiter der F… gewesen.
Von Bedeutung für das Maß der Verstrickung sei die Einschätzung im Abschlußbericht vom 1. November 1984. Der Kläger habe sich auch in anderer Weise nicht als eifrig erwiesen, politische und ideologische Vorgaben zu erfüllen und totalitären Sicherheitsbedürfnissen zu Diensten zu sein. Dies zeige der “strenge Verweis” ihm gegenüber vom 24. April 1981. Hintergrund dieser Disziplinarmaßnahme sei die Erlaubnis an einen selbständig tätigen Fotografen gewesen, belichtetes Fotomaterial über die … F… und damit unter Umgehung von Kontrollen der Zollverwaltung in das “kapitalistische Ausland” zu versenden. Aus der Kündigung vom 15. September 1989 lasse sich dagegen keine Entlastungstatsache entnehmen.
2. Die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV setzt voraus, daß wegen der Tätigkeit für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Ob dies der Fall ist, muß in einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Abs. 5 Ziff. 2 EV ist keine “Mußbestimmung”. Nicht jedem, der für das MfS tätig war, ist zu kündigen. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt über die außerordentliche Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses. Je größer das Maß der Verstrikkung, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des öffentlichen Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar (vgl. BAG Urteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 474/91 – BAGE 70, 309, 320 = AP Nr. 4 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B II 1c der Gründe). Beim inoffiziellen Mitarbeiter wird sich der Grad der persönlichen Verstrickung vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit sowie aus Zeitpunkt und Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS ergeben.
Die Tätigkeit eines inoffiziellen Mitarbeiters ist häufig nach außen nicht erkennbar geworden. Ein inoffizieller Mitarbeiter arbeitete typischerweise verdeckt. Dennoch kann es nicht darauf ankommen, ob er nicht entdeckt wurde und deshalb seine Tätigkeit für das MfS nicht bekannt ist. Maßgebend ist, ob das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bei Bekanntwerden der Tätigkeit für das MfS in einer Weise beeinträchtigt würde, die das Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar macht. Eine glaubwürdige rechtsstaatliche Verwaltung kann nicht auf der Annahme aufgebaut werden, die Belastung eines Mitarbeiters werde schon nicht bekannt werden.
Ebenfalls bei der Prüfung der Zumutbarkeit zu beachten ist die Art der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer in dem in Frage stehenden Arbeitsverhältnis ausübt. Ob das Vertrauen in die Verwaltung durch die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers erschüttert wird, hängt nicht nur von der Verstrickung des Arbeitnehmers mit dem MfS ab, sondern auch davon, welche Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse der Arbeitnehmer in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis hat (BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 1934/93 – BVerfGE 96, 189,199 ff. = AP Nr. 67 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu C I 2b der Gründe). Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein vollziehender Sachbearbeitertätigkeit oder handwerklicher Tätigkeit wird das Vertrauen in die Verwaltung weniger beeinträchtigen als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen durch einen ebenso belasteten Arbeitnehmer.
3. Das Landesarbeitsgericht hat, wie die Revision zu Recht rügt, nicht alle maßgeblichen Umstände gewürdigt. Seine Beurteilung der Berichtstätigkeit des Klägers wird den festgestellten Tatsachen nicht gerecht. Die erforderliche Einzelfallprüfung ist deshalb neu vorzunehmen.
a) Der Kläger war 14 Jahre und damit besonders lange inoffiziell für das MfS tätig. Das angefochtene Urteil würdigt dies ebensowenig wie den Umstand, daß die Tätigkeit bis Mitte der 80er Jahre angedauert hat, bei der politischen Wende im Herbst 1989 also gerade erst fünf Jahre zurück lag.
b) Der Beklagte hat im Laufe des Rechtsstreits nicht nur die vom Kläger eingeräumten acht handschriftlichen Berichte, sondern noch weitere handschriftliche Berichte des Klägers vorgelegt, die zum Teil mit Decknamen, zum Teil mit Klarnamen unterzeichnet sind. Das Landesarbeitsgericht hat diese vom Kläger stammenden Berichte übergangen.
c) Die Revision rügt zu Recht die Annahme des Landesarbeitsgerichts, weitere Tätigkeiten für das MfS könnten dem Kläger nicht mit der notwendigen Gewißheit angelastet werden. Das Berufungsgericht übersieht, daß der Kläger sich unstreitig jahrelang mit den Führungsoffizieren des MfS, zum Teil in konspirativen Wohnungen, getroffen und Informationen weitergegeben hat. Das Berufungsgericht konnte lediglich nicht die Möglichkeit ausschließen, einzelne in den zahlreichen Tonbandabschriften und Treffberichten enthaltene Informationen stammten so nicht vom Kläger. Das Gesamtbild der Berichtstätigkeit ist gleichwohl zu würdigen. Auch wenn nicht alle Einzelheiten der maschinenschriftlich gefertigten Berichte auf den Angaben des Klägers beruhen sollten, ergibt sich insgesamt doch eine langdauernde und umfassende Berichtstätigkeit des Klägers.
d) Der Kläger hat zahlreiche persönliche Informationen über Mitarbeiter geliefert. Das stellt einen erheblichen Vertrauensbruch dar. Der Kläger kann sich nicht pauschal damit entlasten, die Tonbandabschriften beruhten nicht auf seinen Informationen. Vielmehr muß er sich im einzelnen auf den Vortrag des Beklagten, insbesondere auch auf die vorgelegten Gauck-Unterlagen, einlassen. Die Bedeutung seiner Tätigkeit ist nicht zwangsläufig deshalb als gering anzusehen, weil er etwa die Privat- oder Intimsphäre anderer nicht verletzt hat und von unmittelbar schädigenden Auswirkungen nicht auszugehen ist. Derzeit besteht jedenfalls kein Anhaltspunkt für die Annahme, die Berichte des Klägers seien kaum über dienstliche Beurteilungen und das dem MfS ohnehin Bekannte hinausgegangen.
e) Die Wertung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe keinen besonderen Eifer an den Tag gelegt, ist an sich nicht zu beanstanden. Dessen Nutzen für das MfS war wegen seiner zurückhaltenden Art begrenzt, was schließlich zur Beendigung der Zusammenarbeit geführt hat. Doch hat das MfS 14 Jahre lang am Kläger festgehalten, dieser ist die ganze Zeit über den Forderungen des MfS nachgekommen. Das Landesarbeitsgericht überschätzt deshalb die Bedeutung des Abschlußberichtes vom November 1984. Dieser wird durch die Einschätzungen seitens des MfS vom 27. April 1973 und 11. September 1979 relativiert. Zudem war eine inoffizielle Zusammenarbeit nicht mehr nötig, da der Kläger als Direktor der Einrichtung auch offiziell “angelaufen” werden konnte.
f) Die Revision rügt ferner zutreffend, das Landesarbeitsgericht habe die berufliche Stellung des Klägers zum Kündigungszeitpunkt nicht berücksichtigt. Wie die Revision zu Recht geltend macht, handelt es sich bei einem wissenschaftlichen Oberassistenten zwar nicht um eine herausragende, aber doch um eine hervorgehobene Position. Wissenschaftliche Oberassistenten erfüllen im Anschluß an eine Habilitation oder vergleichbare wissenschaftliche Leistung Aufgaben in Forschung und Lehre. Sie führen selbständig Lehrveranstaltungen durch, erbringen unter der fachlichen Verantwortung eines Professors wissenschaftliche Dienstleistungen und unterweisen dabei die Studenten in der Anwendung wissenschaftlicher Methoden (vgl. § 61 des Sächsischen Hochschulgesetzes vom 4. August 1993). Dabei treten sie in vielfältigen Kontakt zu Lehrenden und Lernenden an der Hochschule. Der Ruf der Hochschule hängt mit von ihnen ab. Die Beschäftigung eines MfS-belasteten Oberassistenten beeinträchtigt das Ansehen der Hochschule.
g) Soweit sich der Kläger auf seine Beteiligung an der Erneuerung der TU Dresden und sein weiteres Verhalten nach der Wende beruft, kann dies an sich zu seinen Gunsten sprechen. Dem steht jedoch die vorsätzliche Falschbeantwortung der Frage nach der MfS-Tätigkeit gegenüber. Die unbeanstandete mehrjährige Tätigkeit an der Hochschule bis 1995 wird durch die vorsätzliche wahrheitswidrige Verneinung der IM-Tätigkeit im April 1991 relativiert (vgl. Senatsurteil vom 16. Oktober 1997 – 8 AZR 702/95 – n.v., zu B I 3b a.E. der Gründe).
h) Nach alledem wird das Landesarbeitsgericht eine neue Gesamtwürdigung vornehmen müssen. Dabei ist zunächst die Bedeutung der Berichtstätigkeit zu würdigen und das Maß der Verstrickung zu bestimmen. Ergibt sich eine nicht nur unerhebliche Verstrickung des Klägers als ehemaliger GMS/IMS, treten die nach dem bisherigen Parteivortrag zugunsten des Klägers sprechenden Umstände zurück.
IV. Sofern die Kündigung nicht schon wegen der MfS-Tätigkeit des Klägers gerechtfertigt ist, kommt es auf den geltend gemachten Kündigungsgrund einer wahrheitswidrigen Verneinung der MfS-Tätigkeit an. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit ausgeführt, der Kläger habe am 23. April 1991 die Unwahrheit gesagt. Ein solcher Vorgang könne jedoch weder eine Kündigung nach Abs. 5 EV noch eine solche nach § 626 BGB rechtfertigen. Außerdem könne das Leugnen einer MfS-Tätigkeit im Jahre 1991 für sich genommen nicht das Gewicht eines wichtigen Grundes gem. § 626 Abs. 1 BGB im Oktober 1995 haben.
Auch diese Ausführungen sind nicht rechtsfehlerfrei. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann die falsche Beantwortung der Frage nach einer Tätigkeit für das MfS einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung darstellen (BAG Urteil vom 18. Juli 1996 – 8 AZR 523/95 – n.v., zu B III der Gründe; BAG Urteil vom 19. März 1998 – 8 AZR 560/96 – n.v., zu II 4 der Gründe; vgl. ferner BAG Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120, 125 ff. = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu B II 5, 6 der Gründe; BAG Urteil vom 13. September 1995 – 2 AZR 862/94 – AP Nr. 53 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu II 2 der Gründe; BAG Urteil vom 4. Dezember 1997 – 2 AZR 750/96 – AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; BAG Urteil vom 4. Juni 1998 – 8 AZR 496/96 – n.v., zu III 3 der Gründe). Das Landesarbeitsgericht wird deshalb gegebenenfalls auch in die Prüfung von § 626 Abs. 1 und 2 BGB eintreten müssen.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, P. Knospe, Scholz
Fundstellen