Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung von Ausbildungskosten
Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitnehmer, der auf Kosten des Arbeitgebers ausgebildet worden ist, hat die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Folge eventueller Rückzahlungspflichten zu vertreten, wenn das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung des Arbeitnehmers beendet worden ist.
Normenkette
Tarifvertrag zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Beratungsanwärter (TV-Beratungsanwärter) vom 16. Juni 1972 §§ 17-19; GG Art. 12
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 21. August 1998 – 10 Sa 119/98 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Klägerin fordert Rückzahlung von Ausbildungskosten.
Die Beklagte hat das Lehramtsstudium für die Sekundarstufen I und II in den Fächern Französisch und Biologie abgeschlossen und beide Staatsexamina bestanden. Da sie nicht in den öffentlichen Schuldienst übernommen wurde, war sie von 1988 bis 1991 als Lehrkraft an einem Institut für Erwachsenen- und Allgemeinbildung tätig. Ab 1. April 1991 war sie arbeitslos. Auf ihre Bewerbung vom 2. Mai 1991 wurde sie von der Klägerin mit Ausbildungsvertrag vom 2. September 1991 ab dem 1. September 1991 als Beratungsanwärterin zum Zwecke der Ausbildung für eine qualifizierte Beratungstätigkeit in der Arbeitsvermittlung oder der Berufsberatung beim Arbeitsamt B eingestellt. Gem. § 2 des Ausbildungsvertrages galten für das Ausbildungsverhältnis der Tarifvertrag zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Beratungsanwärter sowie die „Ausbildungs-, Studien- und Prüfungsordnung für Beratungsfachkräfte in der Bundesanstalt für Arbeit (ASPO)” in der jeweils geltenden Fassung. Nach § 7 ASPO dauert diese Ausbildung drei Jahre und besteht aus Fachstudien und berufspraktischen Studienzeiten von jeweils 18 Monaten Dauer.
Die Beklagte legte die Abschlußprüfung am 6. Juli 1994 ab. Sie erwarb hierdurch die Befähigung für die Laufbahn des gehobenen nichttechnischen Dienstes der Bundesanstalt für Arbeit. Während der Ausbildung erhielt die Beklagte gem. § 8 TV-Beratungsanwärter Vergütung in Höhe von 85 % der Anfangsgrundvergütung der VergGr. IV a MTA. Diese Vergütung betrug zuletzt im August 1994 3.201,06 DM brutto monatlich.
Da zunächst ein freier Dienstposten nicht vorhanden war, wurde die Beklagte ab 1. September 1994 mit der vorübergehenden Wahrnehmung der Aufgaben einer Arbeitsberaterin beim Arbeitsamt H beauftragt. Ab diesem Zeitpunkt erhielt sie die volle Vergütung nach VergGr. IV a MTA. Mit Vertrag vom 11. Oktober 1994 wurde die Beklagte mit Wirkung ab 10. Oktober 1994 endgültig als Arbeitsberaterin beim Arbeitsamt H unter Eingruppierung in die VergGr. IV a MTA beschäftigt.
Am 1. August 1995 richtete die Beklagte folgendes Schreiben an die Klägerin:
„Hiermit beantrage ich einen Auflösungsvertrag zum 30.09.95 unter Anrechnung meines verbleibenden Urlaubsanspruchs von 8 Tagen und eines Arbeitszeitverkürzungstages, so daß mein Beschäftigungsverhältnis bei der Bundesanstalt für Arbeit mit Ablauf des 18.09.95 endet und ich ab 19.09.95 mein Arbeitsverhältnis im Schuldienst antreten kann.
Die Bezirksregierung Arnsberg hat diesem Vorschlag und der Beibehaltung zweier Arbeitsverhältnisse in der Zeit vom 19.09.95 bis zum 30.09.95 mir gegenüber bereits telefonisch die Zusage erteilt.”
Daraufhin schlossen die Parteien am 4. August 1995 „auf Wunsch der Angestellten im gegenseitigen Einvernehmen” einen Auflösungsvertrag zum Ablauf des 30. September 1995. Seit dem 19. September 1995 ist die Beklagte im Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen tätig.
Mit Schreiben vom 8. August 1995 hatte die Klägerin der Beklagten bereits mitgeteilt, daß sie die in der Zeit vom 1. September 1991 bis zum 31. August 1994 gezahlten Ausbildungskosten in Höhe des zehnfachen der monatlichen Vergütung zurückfordern werde. Mit Schreiben vom 23. Oktober 1995 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Rückzahlung von 32.010,60 DM geltend. Die Beklagte lehnte dies ab.
Mit der am 5. November 1996 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage macht die Klägerin diesen Rückzahlungsbetrag geltend. Sie stützt ihr Verlangen auf § 18 TV-Beratungsanwärter, der folgenden Wortlaut hat:
§ 18
Erstattung von Ausbildungskosten
(1) Der Beratungsanwärter hat Ausbildungskosten zu erstatten, wenn
- im Anschluß an den erfolgreichen Abschluß der Ausbildung aus einem von ihm zu vertretenden Grunde ein Angestelltenverhältnis zur BA nicht begründet werden kann, oder
- ein im Anschluß an den erfolgreichen Abschluß der Ausbildung begründetes Angestelltenverhältnis aus einem von ihm zu vertretenden Grunde innerhalb der ersten drei Jahre seines Bestehens endet.
(2) Es ist zurückzuzahlen
- das Fünfzehnfache der monatlichen Vergütung (§ 8), wenn ein Angestelltenverhältnis nicht begründet wird oder innerhalb des ersten Jahres seines Bestehens endet,
- das Zehnfache der monatlichen Vergütung (§ 8), wenn ein Angestelltenverhältnis innerhalb des zweiten Jahres seines Bestehens endet,
- das Fünffache der monatlichen Vergütung (§ 8), wenn ein Angestelltenverhältnis innerhalb des dritten Jahres seines Bestehens endet.
Maßgebend ist die Vergütung nach § 8 Abs. 1 oder Abs. 2, die im letzten Monat des Ausbildungsverhältnisses gezahlt wurde.
Der Auflösungsvertrag sei zum 30. September 1995 allein auf Wunsch der Beklagten abgeschlossen worden. An der Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe sie, die Klägerin, kein Interesse gehabt. Das Ausscheiden der Beklagten habe zu einer erheblichen Mehrbelastung der übrigen Mitarbeiter beim Arbeitsamt H geführt. Sie habe dem Auflösungsvertrag nur zugestimmt, um der Beklagten in ihrem beruflichen Fortkommen nicht im Wege zu stehen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 32.010,60 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. April 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ihre Ausbildung bei der Klägerin habe bereits am 6. Juli 1994 mit Bestehen der Abschlußprüfung geendet. Die Einstellung bei der Klägerin sei erst am 11. Oktober 1994 erfolgt. Zwischen dem Abschluß der Ausbildung und dem Beginn des Arbeitsverhältnisses habe somit eine etwa dreimonatige Unterbrechung gelegen, so daß die Voraussetzungen des § 18 TV-Beratungsanwärter nicht vorlägen. Sie sei nicht im Anschluß an das Ausbildungsverhältnis weiter beschäftigt worden. Im übrigen sei die tarifliche Regelung in § 18 TV-Beratungsanwärter unwirksam. Die Vergütung für die Zeit der Praktika könne ohnehin nicht zurückgefordert werden, weil sie während der berufspraktischen Ausbildung von 18 Monaten Dauer voll und ganz gearbeitet habe. Ihre Arbeitsleistung habe insoweit in einem Gegenseitigkeitsverhältnis gestanden. Darüber hinaus enthalte § 18 TV-Beratungsanwärter keine Rückzahlungsregelung hinsichtlich der Ausbildungskosten. Die Klägerin habe nicht dargelegt, welche Ausbildungskosten ihr tatsächlich entstanden seien. Die Pauschalregelung des § 18 Abs. 2 TV-Beratungsanwärter sei unwirksam. Ferner sei die verlangte Bindungsdauer zu lang. Sie schränke die grundrechtlich garantierte Berufsfreiheit unzulässig ein.
Schließlich habe die Klägerin die Ausschlußfrist des § 19 TV-Beratungsanwärter nicht eingehalten. Die Rückforderungsansprüche seien nicht innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses schriftlich geltend gemacht worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben. Die Beklagte schuldet der Klägerin gem. § 18 TV-Beratungsanwärter die Rückzahlung von Ausbildungskosten in Höhe von 32.010,60 DM nebst Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe.
I. § 18 TV-Beratungsanwärter ist auf das Rechtsverhältnis der Parteien anwendbar. In § 2 des Ausbildungsvertrages vom 2. September 1991 haben die Parteien wirksam die Geltung der Vorschriften des Tarifvertrages zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Beratungsanwärter vereinbart. Als nachwirkende Bestimmung findet § 18 TV-Beratungsanwärter auch nach Ablauf des Ausbildungsverhältnisses auf das Rechtsverhältnis der früheren Parteien des Ausbildungsverhältnisses Anwendung.
II. § 18 TV-Beratungsanwärter ist wirksam, insbesondere mit Art. 12 GG vereinbar. Dies hat der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 6. Juni 1984 (– 5 AZR 605/82 – JURIS) entschieden. Hieran wird festgehalten. Angesichts der mit dem erfolgreichen Abschluß der Ausbildung verbundenen Befähigung für die Laufbahn des gehobenen nichttechnischen Dienstes der Bundesanstalt für Arbeit und der von der Klägerin für die dreijährige Ausbildung aufgewendeten Kosten gibt die in § 18 TV-Beratungsanwärter vorgesehene Bindungsdauer von drei Jahren mit gestaffelter anteiliger Rückzahlungsverpflichtung allein der Ausbildungsvergütung keinen Grund zu der Annahme, die tarifliche Regelung beschränke die Berufsfreiheit des zukünftigen Beraters unangemessen. Wird zugunsten der Beratungsanwärter unterstellt, sie würden während der berufspraktischen Ausbildung von 18 Monaten Dauer eine ihrer Ausbildungsvergütung annähernd entsprechende Arbeitsleistung erbringen, bedeutete die Begrenzung der Rückzahlungsverpflichtung auf das Fünfzehnfache der Monatsvergütung beim Ausscheiden im ersten Beschäftigungsjahr sogar einen Teilverzicht auf die Rückforderung von Vergütungen für Zeiträume, in denen die Beratungsanwärter unstreitig keine Arbeitsleistung erbringen.
III. Die Voraussetzungen der Rückzahlungsverpflichtung nach § 18 TV-Beratungsanwärter sind erfüllt. Das im Anschluß an den erfolgreichen Abschluß der Ausbildung begründete Angestelltenverhältnis der Beklagten ist aus einem von ihr zu vertretenden Grunde innerhalb der ersten drei Jahre seines Bestehens beendet worden.
1. Das Angestelltenverhältnis der Beklagten ist im Anschluß an das Ausbildungsverhältnis begründet worden. Gem. § 17 TV-Beratungsanwärter endet das Ausbildungsverhältnis mit Ablauf der Ausbildungszeit, jedoch nicht vor der Entscheidung der Bundesanstalt über den sog. Ansatz. Ist bei Ablauf der Ausbildungszeit die Entscheidung über den Ansatz noch nicht getroffen, so erhält der Beratungsanwärter von Beginn des Kalendermonats nach Ablauf der Ausbildungszeit die Vergütung eines Angestellten der VergGr. IV a. Eine vorzeitige Beendigung des Ausbildungsverhältnisses wegen Bestehens der Abschlußprüfung sieht der Tarifvertrag nicht vor. Somit ist der von den Parteien am 11. Oktober 1994 geschlossene Arbeitsvertrag „im Anschluß” an die voll vergütete Tätigkeit der Klägerin als geprüfte Beratungsanwärterin geschlossen worden. Es bedarf folglich keiner Entscheidung, ob und ggf. in welchem Umfange Unterbrechungszeiten der Annahme einer „im Anschluß” aufgenommenen Angestelltentätigkeit entgegenstehen können.
2. Das Arbeitsverhältnis der Beklagten ist aus einem von ihr zu vertretenden Grunde aufgelöst worden. Sie hat den Abschluß des Auflösungsvertrages mit Schreiben vom 1. August 1995 veranlaßt, um noch vor Ablauf des Arbeitsverhältnisses am 30. September 1995 in den Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen eintreten zu können. Demgegenüber hatte die Klägerin weder ein Interesse daran, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, noch hat sie diesbezüglich die Initiative ergriffen. Ohne den Wunsch der Beklagten wäre es jedenfalls im September 1995 nicht zum Abschluß eines Auflösungsvertrages und damit zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gekommen.
3. Das mit Vertrag vom 11. Oktober 1994 begründete Arbeitsverhältnis wurde am 30. September 1995 aufgelöst, so daß die Beklagte der Klägerin gem. § 18 Abs. 2 jedenfalls den mit der Klage geforderten Betrag des zehnfachen der letzten Ausbildungsvergütung schuldet. Eines ergänzenden Sachvortrags zur Höhe der Ausbildungskosten hat es nicht bedurft, denn die Klägerin fordert allein gezahlte Vergütungen anteilig zurück.
IV. Der Rückzahlungsanspruch der Klägerin ist nicht gem. § 19 TV-Beratungsanwärter verfallen.
1. § 19 TV-Beratungsanwärter hat folgenden Wortlaut:
§ 19
Ausschlußfrist
(1) Ansprüche aus dem Ausbildungsverhältnis müssen innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit des Anspruchs, spätestens jedoch drei Monate nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses schriftlich geltend gemacht werden.
(2) Für den gleichen Tatbestand reicht die einmalige Geltendmachung der Ansprüche aus, um die Ausschlußfrist auch für später fällig werdende Ansprüche unwirksam zu machen.
2. § 19 TV-Beratungsanwärter ist anwendbar, denn der von der Klägerin erhobene Anspruch folgt als nachwirkende Pflicht aus dem beendeten Ausbildungsverhältnis.
3. Die Klägerin hat den Rückzahlungsanspruch mit Schreiben vom 8. August 1995 und 23. Oktober 1995 rechtzeitig geltend gemacht. Entgegen der Auffassung der Beklagten erforderte § 19 TV-Beratungsanwärter nicht, daß der erst mit dem Ausscheiden am 30. September 1995 entstandene und fällig gewordene Rückzahlungsanspruch bereits binnen drei Monaten nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses schriftlich geltend gemacht werden mußte. Es entspricht ständiger Rechtsprechung (vgl. nur BAG 18. Januar 1969 – 3 AZR 451/67 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 41; 17. Oktober 1974 – 3 AZR 4/74 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 55), daß die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werdenden Ansprüche im Falle einer tariflichen Ausschlußfrist, die bestimmt, daß im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses alle Ansprüche beider Vertragsparteien binnen einer bestimmten Frist nach der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen sind, erst innerhalb einer mit der Fälligkeit des Anspruches beginnenden Ausschlußfrist zu erheben sind. Damit begann die dreimonatige Ausschlußfrist des § 19 Abs. 1 TV-Beratungsanwärter frühestens am 1. Oktober 1995 zu laufen und wurde durch die Geltendmachungsschreiben der Klägerin gewahrt.
Unterschriften
Griebeling, Müller-Glöge, Kreft, Kessel, Zoller
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 05.07.2000 durch Metze, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2000, 2208 |
NWB 2000, 4736 |
ARST 2001, 30 |
FA 2000, 356 |
NZA 2001, 394 |
ZAP 2000, 1396 |
ZTR 2000, 560 |
AP, 0 |
AuA 2001, 93 |
ZfPR 2001, 241 |
RdW 2001, 24 |