Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Beschäftigungszeiten. Aufgabenübernahme
Leitsatz (redaktionell)
Keine Übernahme der Aufgaben des Zentralen Betriebsschutzkommandos der Deutschen Volkspolizei durch staatliche Polizei
Normenkette
BAT-O § 19; Einigungsvertrag Art. 13
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 12. November 1996 – 8 Sa 607/95 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin war seit dem 1. November 1968 bei dem Volkspolizei-Kreisamt (VPKA) M. mit dem Dienstgrad „Anwärter der VP” als Posten und Streife Betriebsschutz, später als Sachbearbeiterin in der Kader- und Kriminalpolizeiabteilung beschäftigt. In der Zeit vom 1. November 1982 bis zum 31. August 1990 gehörte sie dem Zentralen Betriebsschutzkommando (BSK) der Volkspolizei an. Im Anschluß daran war sie als Sachbearbeiterin in der KfZ-Zulassungsstelle tätig, die der Verkehrspolizei zugeordnet war. Seit dem 1. November 1991 ist die Klägerin bei dem beklagten Land als Angestellte im Bürodienst der Polizeidirektion M. beschäftigt.
Nach § 2 des Arbeitsvertrages der Parteien bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT-O). Mit Schreiben vom 30. Juni 1993 lehnte das beklagte Land es ab, die Zeit vom 1. November 1982 bis zum 31. August 1990 als Beschäftigungszeit der Klägerin i.S.d. § 19 BAT-O anzurechnen.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Anspruch auf Anrechnung dieser Zeit als Beschäftigungszeit folge daraus, daß das beklagte Land die wesentlichen Aufgaben der Volkspolizei überwiegend übernommen habe.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die vom 01. November 1982 bis 31. August 1990 zurückgelegte Arbeitszeit beim Zentralen Betriebsschutzkommando des Volkspolizeikreisamtes M. als Beschäftigungszeit im Sinne des § 19 BAT-O anzurechnen ist.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Bewachung der im öffentlichen Eigentum stehenden Anlagen, die dem BSK oblegen habe, sei ein Aufgabenbereich der Volkspolizei gewesen, den das beklagte Land nicht übernommen habe. Die Voraussetzungen einer Anrechnung dieser Zeit als Beschäftigungszeit der Klägerin lägen daher nicht vor.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen.
Für die Anrechnung der Zeit vom 1. November 1982 bis zum 31. August 1990 als Beschäftigungszeit i.S. von § 19 BAT-O fehlt es an einer Rechtsgrundlage.
1. Die für die Anrechnung als Beschäftigungszeit maßgebenden tariflichen Bestimmungen haben, soweit vorliegend von Interesse, folgenden Wortlaut:
„§ 19
Beschäftigungszeit
(1) Beschäftigungszeit ist die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist.
…
(2) Übernimmt ein Arbeitgeber eine Dienststelle oder geschlossene Teile einer solchen von einem Arbeitgeber, der von diesem Tarifvertrag erfaßt wird oder diesen oder einen Tarifvertrag wesentlich gleichen Inhalts anwendet, so werden die bei der Dienststelle bis zur Übernahme zurückgelegten Zeiten nach Maßgabe des Absatzes 1 als Beschäftigungszeit angerechnet.
…
Übergangsvorschriften für Zeiten vor dem 1. Januar 1991:
- Als Übernahme im Sinne des Absatzes 2 gilt auch die Überführung von Einrichtungen nach Artikel 13 des Einigungsvertrages.
- Ist infolge des Beitritts der DDR der frühere Arbeitgeber weggefallen, ohne daß eine Überführung nach Artikel 13 des Einigungsvertrages erfolgt ist, gelten als Beschäftigungszeit nach Maßgabe des Absatzes 1
…
b) für Angestellte der Länder
Zeiten der Tätigkeit bei zentralen oder örtlichen Staatsorganen und ihren nachgeordneten Einrichtungen oder sonstigen Einrichtungen oder Betrieben, soweit das Land deren Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche derselben ganz oder überwiegend übernommen hat,
…”
2. Die Zeit der Tätigkeit der Klägerin vom 1. November 1982 bis zum 31. August 1990 ist nicht nach § 19 Abs. 1 BAT-O als Beschäftigungszeit anzurechnen. Das beklagte Land ist nicht mit der früheren Arbeitgeberin der Klägerin, dem Volkspolizei-Kreisamt M., einer nachgeordneten Einrichtung des Ministeriums des Innern der ehemaligen DDR, identisch. Die Zeit, in der die Klägerin dort tätig war, ist somit keine Beschäftigungszeit bei „demselben Arbeitgeber” i.S.v. § 19 Abs. 1 BAT-O. Eine Anrechnung der Beschäftigungszeit nach § 19 Abs. 2 BAT-O kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die frühere Arbeitgeberin nicht den BAT-O oder einen Tarifvertrag wesentlich gleichen Inhalts angewendet hat.
3. Die streitige Zeit ist auch nicht nach den Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O als Beschäftigungszeit anzurechnen.
a) Durch den Beitritt der DDR ist diese und damit auch die Deutsche Volkspolizei als frühere Arbeitgeberin der Klägerin weggefallen, ohne daß eine Überführung nach Art. 13 EV erfolgt ist. Überführung setzt eine entsprechende Überführungsentscheidung der zuständigen obersten Behörde voraus. Für die Volkspolizei-Kreisämter wurde eine solche Überführungsentscheidung nicht getroffen. Die Parteien haben hierfür nichts vorgetragen. Sie gehen vielmehr übereinstimmend davon aus, daß eine Überführung nicht stattgefunden hat.
b) Das beklagte Land hat auch nicht das Zentrale Betriebsschutzkommando und damit einen Aufgabenbereich des Dienstzweiges Schutzpolizei innerhalb der ehemaligen Deutschen Volkspolizei übernommen, was zur Folge hätte, daß die Zeit der Tätigkeit der Klägerin in diesem Aufgabenbereich nach Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O als Beschäftigungszeit; anzurechnen wäre.
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats beurteilt sich die Aufgabe der Einrichtung nach den für ihre Tätigkeit maßgebenden Rechtsgrundlagen (vgl. BAG Urteile vom 29. Februar 1996 – 6 AZR 472/95 – AP Nr. 10 zu § 19 BAT-O; vom 28. März 1996 – 6 AZR 561/95 – BAGE 82, 334 = AP Nr. 5 zu § 19 BAT-O und vom 25. Juli 1996 – 6 AZR 673/95 – AP Nr. 11 zu § 19 BAT-O) und den tatsächlichen Umständen (Urteil vom 30. Mai 1996 – 6 AZR 638/95 – BAGE 83, 161 = AP Nr. 8 zu § 19 BAT-O).
Ist eine Aufgabe nicht in vollem Umfang übernommen worden, so kommt die Übernahme eines Aufgabenbereichs als einer kleineren organisatorischen Einheit in Betracht. Ein Aufgabenbereich erfordert damit einen im Rahmen der Aufgabe der Einrichtung organisatorisch eigenständigen Teilbereich.
Eine solche organisatorische Eigenständigkeit bedingt nicht die Fähigkeit zur aufgabenbezogenen Eigensteuerung, wie sie für eine Teileinrichtung kennzeichnend ist. Nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang, der neben dem Tarifwortlaut für die Tarifauslegung maßgebend ist (vgl. BAG Urteil vom 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308, 310 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) kommt eine Anrechnung als Beschäftigungszeit nach Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschriften auch dann in Betracht, wenn Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche einer Teileinrichtung übernommen worden sind. Die Tarifvertragsparteien gehen, wie die Bezugnahme auf Art. 13 EV ausweist, davon aus, daß nicht nur eine Einrichtung als Ganzes, sondern auch eine Teileinrichtung überführt werden kann. Für den Fall, daß eine Überführung nicht erfolgt ist, ist deshalb sowohl bei einer Einrichtung als auch bei einer Teileinrichtung die Übernahme von Aufgaben bzw. Aufgabenbereichen für die Anrechnung der Beschäftigungszeit ausreichend.
bb) Nach diesen Grundsätzen scheidet eine Übernahme des Aufgabenbereichs „Zentrales Betriebsschutzkommando”, in dem die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum eingesetzt war, aus.
Für die Ermittlung der Aufgabe des Zentralen Betriebsschutzkommandos ist das Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Volkspolizei vom 11. Juni 1968 (GBl-DDR I S. 232) heranzuziehen. In § 7 des Gesetzes sind die Aufgaben der Deutschen Volkspolizei bestimmt. Dazu gehört nach § 7 Abs. 1 Buchst. i des Gesetzes, „wichtige Betriebe, Anlagen und Objekte zu sichern”. Diese Aufgabe ist, worauf das Landesarbeitsgericht zutreffend abgestellt hat, gleichrangig aufgeführt u.a. neben den ebenfalls in § 7 Abs. 1 genannten Aufgaben der Vorbeugung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (Buchst. a), des Schutzes der Staatsgrenze (Buchst. c), der Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit im Straßenverkehr usw. (Buchst. d), der Sicherung des Personenverkehrs und Gütertransports (Buchst. e), Gewährleistung der Einhaltung der Ausweis-, Paß- und Meldebestimmungen (Buchst. f). Anders als bei diesen Aufgaben handelt es sich bei den Aufgaben der Betriebschutzkommandos nicht um Aufgaben der polizeilichen Gefahrenabwehr, sondern um Schutz- und Überwachungsaufgaben in Bezug auf staatliche Liegenschaften, die im übrigen, wie das Berufungsgericht zu Recht bemerkt hat, auch zivilen Bewachungskräften übertragen werden konnten (vgl. Anordnung über die Befugnisse von zivilen Bewachungskräften vom 21. Januar 1983 – GBl.-DDR I S. 42 f.).
Diese Aufgabe hat das beklagte Land nicht übernommen. Zwar standen den Angehörigen der Volkspolizei die gleichen polizeilichen Befugnisse zu wie der Polizei des beklagten Landes. Darauf kommt es jedoch nicht an. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erschöpfte sich die Tätigkeit des Zentralen Betriebsschutzkommandos im wesentlichen im Wach- und Sicherungsdienst. Diese der polizeilichen Gefahrenabwehr vorgelagerte Aufgabe des Betriebsschutzes hat das beklagte Land nicht übernommen. Die Sicherung von öffentlichen Gebäuden und wichtigen Industriebereichen durch ständige Überwachung und Kontrolle ist in der Bundesrepublik Deutschland Aufgabe des Nutzers bzw. des Inhabers.
cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin reicht es nicht aus, daß das beklagte Land ebenso wie die ehemalige DDR polizeiliche Aufgaben wahrnimmt. Die Fortführung der allgemeinen Zielsetzung einer früheren staatlichen Einrichtung genügt nicht, um eine Übernahme von Aufgaben i.S. von Nr. 2 Buchst. b der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O zu begründen (vgl. BAG Urteil vom 28. März 1996 – 6 AZR 561/95 –, a.a.O. und vom 30. Mai 1996 – 6 AZR 638/95 –, aaO).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Richterin Gräfl befindet sich im Erholungsurlaub und kann daher nicht unterzeichnen. Dr. Peifer, Klabunde, Schwarck
Fundstellen
Haufe-Index 1126968 |
ZTR 1999, 169 |