Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung von Zeiten ohne Arbeitsleistung als Beschäftigungszeit. Beschäftigungszeit. Fernbleiben von der Arbeit. Beschäftigungszeit nach § 19 BAT-O. Feststellungsinteresse bei geringfügiger Änderung des Beginns der Beschäftigungszeit durch den Arbeitgeber. Berücksichtigung von Arbeitstagen ohne Arbeitsleistung

 

Orientierungssatz

  • Rechnet der Arbeitgeber bestimmte Zeiten nicht als Beschäftigungszeit nach § 19 BAT-O an, besteht für den Angestellten ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Klärung der Frage, ob diese Zeiten bei der Beschäftigungszeit zu berücksichtigen sind. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Beschäftigungszeit nur geringfügig verkürzt.
  • Die Regelung in § 19 Abs. 1 Unterabs. 1 BAT-O, wonach Beschäftigungszeit die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit ist, stellt hinsichtlich der Dauer der Beschäftigungszeit auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses und nicht auf eine Arbeitsleistung des Angestellten ab.
  • Die Ausnahmeregelung in § 50 Abs. 3 Satz 1 BAT-O, wonach die Zeit des Sonderurlaubs nach den Absätzen 1 und 2 nicht als Beschäftigungszeit nach § 19 BAT-O gilt, findet keine entsprechende Anwendung, wenn der Angestellte unberechtigt der Arbeit fern bleibt.
 

Normenkette

BAT-O § 19 Abs. 1 Unterabs. 1, § 50; SGB V § 45 Abs. 1-3; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 06.11.2003; Aktenzeichen 9 Sa 285/03)

ArbG Leipzig (Urteil vom 14.02.2003; Aktenzeichen 15 Ca 5836/02)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 6. November 2003 – 9 Sa 285/03 – unter Zurückweisung der Revision im Übrigen teilweise aufgehoben.
  • Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 14. Februar 2003 – 15 Ca 5836/02 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    Es wird festgestellt, dass die Beschäftigungszeit der Klägerin nach § 19 BAT-O am 1. August 1987 beginnt.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  • Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Dauer der Beschäftigungszeit.

Die Klägerin ist seit dem 1. August 1987 bei dem Beklagten und dessen Rechtsvorgänger als Lehrerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der BAT-O Anwendung. Als versicherungspflichtiges Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse hat die Klägerin bei Erkrankung ihres am 4. Januar 1997 geborenes Kindes nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankengeld, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, dass sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres Kindes der Arbeit fern bleibt. Die Klägerin bezog in der Zeit vom 1. Januar 2001 bis zum 4. Dezember 2001 an zehn Arbeitstagen Krankengeld wegen Erkrankung ihres Kindes. An diesen zehn Tagen stellte der Beklagte die Klägerin unbezahlt von der Arbeitsleistung frei. Auf Grund einer erneuten Erkrankung ihres Kindes blieb die Klägerin vom 5. bis zum 7. Dezember 2001 sowie am 10. und 11. Dezember 2001 der Arbeit fern und beanspruchte für diese fünf Arbeitstage weitere unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung. Der Beklagte stellte die Klägerin nicht frei, sondern gewährte dieser an den fünf Arbeitstagen nachträglich unbezahlten Sonderurlaub und setzte den Beginn der Beschäftigungszeit der Klägerin auf den 6. August 1987 neu fest.

Die Klägerin hat gemeint, ihre Beschäftigungszeit beginne nach wie vor am 1. August 1987. Sie habe keinen Sonderurlaub beantragt. Der Beklagte habe sie an den fünf Arbeitstagen in der Zeit vom 5. bis zum 11. Dezember 2001 auf Grund der erneuten Erkrankung ihres Kindes von der Arbeitsleistung freistellen müssen. Da sie mit dem Vater ihres Kindes nicht verheiratet sei und allein die elterliche Sorge habe, sei sie allein erziehende Versicherte iSv. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB V mit einem Anspruch auf unbezahlte Freistellung an längstens 20 Arbeitstagen in jedem Kalenderjahr.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, die Fehlzeiten der Klägerin vom 5., 6., 7. Dezember 2001 und 10., 11. Dezember 2001 als unbezahlte Arbeitsfreistellung anzuerkennen, ohne dass dies negative Auswirkungen auf die Beschäftigungszeiten der Klägerin gem. § 19 BAT-O hat.

2. festzustellen, dass die Beschäftigungszeit der Klägerin nach § 19 BAT-O am 1. August 1987 beginnt.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe im Kalenderjahr 2001 nur an zehn Arbeitstagen unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung beanspruchen können. Sie habe mit dem Vater ihres Kindes zusammen gewohnt und sei damit nicht allein Erziehende iSv. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB V gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Der Beklagte beantragt die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hat teilweise Erfolg. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, dass ihre Beschäftigungszeit am 1. August 1987 beginnt. Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihre Fehlzeiten als unbezahlte Arbeitsfreistellung anerkennt.

I. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts ist die Feststellungsklage zulässig. Das von § 256 Abs. 1 ZPO vorausgesetzte Feststellungsinteresse ist gegeben. Die Beschäftigungszeit hat Auswirkungen auf die tariflichen Arbeitsbedingungen und auf Ermessensentscheidungen des Arbeitgebers. Rechnet der Arbeitgeber bestimmte Zeiten nicht als Beschäftigungszeit an, besteht deshalb ein Interesse des Angestellten an einer alsbaldigen Klärung. Dieser kann nicht darauf verwiesen werden abzuwarten, bis der Arbeitgeber eine konkrete Maßnahme auf eine nach seiner Auffassung unzutreffende Berechnung der Beschäftigungszeit stützt (st. Rspr., vgl. BAG 14. Oktober 2004 – 6 AZR 501/03 – ZTR 2005, 146, zu A I der Gründe; 25. Oktober 2001 – 6 AZR 551/00 – BAGE 99, 239, 244; 15. Mai 1997 – 6 AZR 40/96 – BAGE 86, 1, 2 mwN). Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Beschäftigungszeit des Angestellten mit der Neufestsetzung nur um wenige Tage verkürzt. Mit der geringfügigen Änderung des Beginns der Beschäftigungszeit dokumentiert der Arbeitgeber, dass er die verkürzte Beschäftigungszeit für die weitere Durchführung des Arbeitsverhältnisses für bedeutsam ansieht (vgl. BAG 25. Oktober 2001 – 6 AZR 718/00 – BAGE 99, 250, 253).

II. Die Feststellungsklage ist begründet. Die Beschäftigungszeit der Klägerin beginnt am 1. August 1987.

1. Der Anspruch folgt aus § 19 Abs. 1 Unterabs. 1 BAT-O. Nach dieser Vorschrift ist Beschäftigungszeit die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist. Dass die Klägerin an fünf Arbeitstagen in der Zeit vom 5. bis zum 11. Dezember 2001 der Arbeit fern geblieben ist, hindert die Berücksichtigung dieser Arbeitstage als Beschäftigungszeit nicht. § 19 Abs. 1 Unterabs. 1 BAT-O stellt hinsichtlich des Beginns der Beschäftigungszeit auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses und nicht auf eine Arbeitsleistung des Angestellten ab (BAG 25. Oktober 2001 – 6 AZR 718/00 – BAGE 99, 250, 255).

2. Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 50 Abs. 3 Satz 1 BAT-O sind nicht erfüllt. Danach gilt die Zeit eines vom Angestellten nach den Absätzen 1 und 2 beantragten Sonderurlaubs nicht als Beschäftigungszeit nach § 19 BAT-O. Die Klägerin hat für die Zeit vom 5. bis zum 11. Dezember 2001 jedoch nicht Sonderurlaub nach § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 BAT-O beantragt, sondern auf Grund der erneuten Erkrankung ihres Kindes einen Freistellungsanspruch gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V geltend gemacht. Die Frage, ob ein Anspruch der Klägerin auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung noch bestanden hat oder der Beklagte ihn bereits erfüllt hatte, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn die Klägerin im Kalenderjahr 2001 nicht allein erziehende Versicherte iSd. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB V gewesen ist, sie somit in diesem Jahr nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V nur an längstens zehn Arbeitstagen unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung beanspruchen konnte und der Beklagte sie deshalb an den Arbeitstagen in der Zeit vom 5. bis zum 11. Dezember 2001 nicht mehr freistellen musste, durfte der Beklagte nicht ohne einen entsprechenden Antrag der Klägerin Sonderurlaub nach § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 BAT-O gewähren und die in die Zeit vom 5. bis zum 11. Dezember 2001 fallenden Arbeitstage gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 BAT-O nicht als Beschäftigungszeit berücksichtigen.

3. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt eine analoge Anwendung des § 50 Abs. 3 Satz 1 BAT-O auf Zeiten ohne Arbeitsleistung des Angestellten nicht in Betracht. Das gilt auch dann, wenn der Angestellte unberechtigt der Arbeit fern bleibt. Aus der Regelung in § 19 Abs. 1 Unterabs. 1 BAT-O wird deutlich, dass alle Zeiten des rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses als Beschäftigungszeit iSd. Tarifvertrages anzurechnen sind. Der Ausnahmeregelung in § 50 Abs. 3 Satz 1 BAT-O, wonach die Zeit des Sonderurlaubs nach den Absätzen 1 und 2 nicht als Beschäftigungszeit nach § 19 BAT-O gilt, hätte es nicht bedurft, wenn Zeiten ohne Arbeitsleistung ohnehin nicht als Beschäftigungszeit zu berücksichtigen wären (vgl. BAG 25. Oktober 2001 – 6 AZR 718/00 – BAGE 99, 250, 255).

III. Auch die Leistungsklage ist entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts zulässig. Es fehlt nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis. Dieses ergibt sich für eine Leistungsklage regelmäßig schon aus der Nichterfüllung des behaupteten materiellen Anspruchs. Deshalb wird es in der Zivilprozessordnung auch nicht ausdrücklich als Prozess- oder Sachurteilsvoraussetzung einer Leistungsklage genannt (BAG 14. September 1994 – 5 AZR 632/93 – BAGE 77, 378, 381). Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht auch angenommen, die Klägerin könne mit ihrem Antrag die Klärung der Frage nicht erreichen, ob sie künftig in jedem Kalenderjahr bei Erkrankung ihres Kindes Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung an längstens 20 Arbeitstagen habe. Darauf zielt der Antrag nicht ab. Die Klägerin beansprucht vielmehr die Anerkennung zurückliegender Zeiten als unbezahlte Freistellung nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V.

IV. Die Leistungsklage ist nicht begründet. Die Klägerin hat ungeachtet des Umfangs ihres Freistellungsanspruchs nach § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB V im Kalenderjahr 2001 keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihr Fernbleiben von der Arbeit in der Zeit vom 5. bis zum 11. Dezember 2001 als unbezahlte Arbeitsfreistellung anerkennt. Für die beanspruchte Anerkenntniserklärung fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

 

Unterschriften

Dr. Armbrüster, Friedrich, Brühler, Gebert, M. Schilling

 

Fundstellen

Haufe-Index 1341834

NZA 2005, 1319

ZTR 2005, 364

PersV 2006, 113

BAGReport 2005, 224

NJOZ 2005, 4760

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