Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertarifliche Zulage, tarifliche Gehaltssicherung
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Auslegung von Tarifnormen (hier: Vergütungstarifvertrag Nr 18 für die Arbeitnehmer des Bodenpersonals der LTU Fluggesellschaft) ist im Zweifel davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien Regelungen treffen wollen, die nicht wegen Unvereinbarkeit mit zwingendem höherrangigem Recht unwirksam sind.
2a. Dies gilt auch, wenn sich die Unvereinbarkeit einer von verschiedenen möglichen Auslegungen einer Tarifnorm mit zwingendem höherrangigem Recht nur aus einer von der Rechtsprechung vorgenommenen, aber umstrittenen Auslegung dieses Rechts (hier: zur Wirksamkeit von Effektivklauseln) ergibt.
b. Nur ausnahmsweise kann in einem solchen Fall von der nach der Rechtsprechung dem höherrangigen Recht widersprechenden Auslegung der Tarifnorm auszugehen sein, wenn im Tarifvertrag deutlich der Wille der Tarifvertragsparteien zum Ausdruck kommt, durch diese Tarifnorm die Rechtsprechung zur Überprüfung ihres Standpunktes zu veranlassen.
Orientierungssatz
Hinweise des Senats: "Keine erneute Stellungnahme zur Zulässigkeit von tariflichen Effektivklauseln."
Normenkette
TVG §§ 1, 4
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.06.1992; Aktenzeichen 5 Sa 1429/91) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.10.1991; Aktenzeichen 6 Ca 1900/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger nach einer Höhergruppierung auch einen tarifvertraglichen Anspruch auf Höherstufung innerhalb seiner Vergütungsgruppe hat, um auf diese Weise unter Berücksichtigung einer bis zur Höhergruppierung gewährten übertariflichen Zulage zu einer höheren Vergütung zu gelangen.
Der Kläger ist seit 1988 bei der Beklagten beschäftigt. Die Parteien haben die Anwendung des für die Beklagte jeweils gültigen Gehaltstarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis vereinbart. In § 2 Abs. 2 des für das Bodenpersonal der Beklagten bestehenden Vergütungstarifvertrags Nr. 18 (VTV) ist für die Vergütung nach einer Höhergruppierung folgendes bestimmt:
Bei Höhergruppierungen erhalten die Arbeitnehmer
des Bodenpersonals die erste Stufe der neuen Ver-
gütungsgruppe. Ist die so errechnete Vergütung
nicht höher als die bisher gewährte Vergütung, so
ist der Arbeitnehmer des Bodenpersonals vom Tage
der Höhergruppierung ab in die Stufe einzuordnen,
die über der bisherigen Vergütung liegt.
Die vom 1. Juli 1990 an geltende Vergütungstabelle lautete nach § 5 VTV wie folgt:
Gruppe/Stufe 1 2 3 4 5
A 1.904,00 2.008,50 2.108,50 2.216,00 2.442,50
B 2.478,50 2.597,00 2.708,50 2.821,00 2.935,50
C 2.935,50 3.165,00 3.395,50 3.625,00 3.851,50
D 3.395,50 3.625,00 3.851,50 4.092,50 4.333,00
E 3.851,50 4.092,50 4.333,00 4.578,00 4.815,00
F 4.092,50 4.333,00 4.578,00 4.815,00 5.056,00
G 4.815,00 5.056,00 5.292,00 5.537,50 5.778,00
ÜT 6.013,50
Nach § 3 VTV sind innerhalb einer Vergütungsgruppe Höherstufungen in die jeweils nächsthöhere Stufe nach Ablauf bestimmter Tätigkeitszeiten vorzunehmen.
Vom 1. April 1989 an war der Kläger als Movement-Controller in der Funktion eines Schichtleiters tätig. Er erhielt dafür neben der Vergütung nach VergGr. F Stufe 1 VTV eine übertarifliche Zulage in Höhe des Differenzbetrages zur Stufe 5 dieser Vergütungsgruppe. Vom 1. Januar 1990 an wurde der Kläger mit seinem Einverständnis nicht mehr als Schichtleiter eingesetzt und erhielt Vergütung nach VergGr. E Stufe 1 VTV nebst einer übertariflichen Zulage in Höhe des Differenzbetrages zur fünften Stufe dieser Vergütungsgruppe. Die Zulage wurde mit der Maßgabe gewährt, daß sie mit evtl. Höherstufungen verrechnet werden sollte. Insgesamt belief sich die monatliche Vergütung des Klägers auf 4.815,00 DM brutto.
Im Juli 1990 wurde der Kläger wieder als Schichtleiter eingesetzt. Zwischen den Parteien besteht Einvernehmen darüber, daß er damit wieder nach VergGr. F zu vergüten war. Die Beklagte zahlte dem Kläger für Juli 1990 unverändert ein Gehalt von 4.815,00 DM brutto.
Seit August 1990 ist der Kläger nach Erwerb der entsprechenden Lizenz als Flugdienstberater tätig. Die Parteien sind sich darüber einig, daß ihm damit Gehalt nach VergGr. G VTV zusteht. In § 4 VTV sind Flugdienstberater als Beispiel für die in VergGr. G eingruppierten Arbeitnehmer aufgeführt.
Die Beklagte zahlte dem Kläger seit August 1990 Vergütung in Höhe von 5.056,00 DM brutto monatlich.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm habe für Juli 1990 eine Vergütung in Höhe der Vergütungsgruppe F Stufe 5 VTV, also von 5.056,00 DM brutto, zugestanden. Seit August 1990 schulde ihm die Beklagte Vergütung in Höhe der Vergütungsgruppe G Stufe 3, also von 5.292,00 DM brutto. Das ergebe sich aus der in § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV enthaltenen Gehaltssteigerungsklausel. Der vom Kläger beanspruchte Differenzbetrag beläuft sich unter Berücksichtigung der bei seiner Arbeit angefallenen Zuschläge für Sonntags-, Nacht- sowie Schichtarbeit und dergleichen unstreitig für die Monate Juli 1990 bis April 1991 auf insgesamt 2.939,83 DM, wovon 281,76 DM auf den Monat Juli 1990 entfallen.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die
Monate Juli 1990 bis April 1991 weiteres Brut-
togehalt in Höhe von 2.939,83 DM zu zahlen,
2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet
ist, ihn ab Mai 1991 nach der Vergütungsgrup-
pe G 3 des Vergütungstarifvertrages Nr. 18 für
das Bodenpersonal der Beklagten zu entlohnen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, der Kläger könne keine Vergütung in der von ihm begehrten Höhe beanspruchen. Die Gehaltserhöhungsklausel des § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV beziehe sich nämlich ihrer Natur nach ausschließlich auf die tarifliche Vergütung und solle lediglich sicherstellen, daß diese bei einer Höhergruppierung ansteige. Dem sei im Fall des Klägers auch Rechnung getragen worden. Sein Tarifgehalt sei aufgrund der Höhergruppierung gestiegen. Dagegen würden übertarifliche Zulagen, wie sie dem Kläger gezahlt worden seien, von § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV nicht erfaßt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat zur Bedeutung von § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV Auskünfte der Tarifvertragsparteien eingeholt, die einander widersprechen. Es hat den Klageanspruch für den Monat Juli 1990 aufgrund einer zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung für begründet angesehen und die Klage im übrigen abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
A. Die Klage ist zwar auch mit dem Feststellungsantrag zu 2) zulässig. Es handelt sich insoweit um eine Eingruppierungsfeststellungsklage, die auch in der Privatwirtschaft allgemein üblich ist und nach der ständigen Rechtsprechung des Senats keinen prozeßrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. Senatsurteile vom 25. September 1991 - 4 AZR 87/91 - AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, zu I der Gründe, m.w.N.; vom 11. November 1992 - 4 AZR 117/92 -, zu II 1 der Gründe, n.v.).
B. Die Klage ist aber nicht begründet, soweit sie den in der Revisionsinstanz noch streitbefangenen Anspruch auf Vergütung für die Zeit seit dem 1. August 1990 betrifft. Aus dem VTV, der kraft Vereinbarung zwischen den Parteien auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anwendbar ist, ergibt sich der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Vergütung nach der dritten Stufe der VergGr. G nicht.
I. Zwar ist der Kläger als Flugdienstberater seit dem 1. August 1990 in VergGr. G VTV eingruppiert. Dies ergibt sich schon aus der ausdrücklichen Nennung der Flugdienstberater unter den in § 4 VTV für die Eingruppierung in VergGr. G enthaltenen Richtbeispielen. Derartige Richtbeispiele haben nämlich regelmäßig die Bedeutung, daß die abstrakten Tätigkeitsmerkmale einer Vergütungsgruppe dann als erfüllt anzusehen sind, wenn die Tätigkeit des Arbeitnehmers als Richtbeispiel zu dieser Vergütungsgruppe im Tarifvertrag aufgeführt ist (Senatsurteile vom 15. März 1989 - 4 AZR 627/88 - AP Nr. 23 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie; vom 26. Mai 1993 - 4 AZR 300/92 -, zu II 2 b der Gründe, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Der vorliegende Fall weist keine Besonderheiten auf, die ausnahmsweise zu einer Abweichung von diesem Grundsatz führen würden. Im übrigen besteht über die Eingruppierung des Klägers in VergGr. G VTV zwischen den Parteien auch Einigkeit.
II. § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV begründet aber, wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, keinen Anspruch des Klägers auf Höherstufung in Stufe 3 der VergGr. G VTV. Die dem Kläger seit dem 1. August 1990 gezahlte Vergütung von 5.056,00 DM monatlich ist nämlich höher als die Vergütung von 4.092,50 DM monatlich, die ihm - ohne Berücksichtigung der übertariflichen Zulage - nach VergGr. F Stufe 1 VTV vor der Höhergruppierung zustand.
1. Dem Landesarbeitsgericht ist darin zu folgen, daß bei der Anwendung von § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV übertarifliche Bestandteile des Arbeitsentgelts außer Betracht zu lassen sind. Dies ergibt die Auslegung dieser Tarifbestimmung unter Berücksichtigung des Willens der Tarifvertragsparteien.
a)aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages, über die hier zwischen den Parteien Streit besteht, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut jedoch nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. z.B. Senatsurteil vom 23. September 1992 - 4 AZR 66/92 - AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, zu I 2 a der Gründe, m.w.N.).
bb) Weiter gilt für die Anwendung von Tarifnormen ebenso wie für die Anwendung von Gesetzesrecht der Grundsatz, daß von zwei möglichen Auslegungen einer Norm, deren eine zu einem verfassungswidrigen, die andere dagegen zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, die letztgenannte zu wählen ist. Ebenso sind Tarifbestimmungen so auszulegen, daß sie nicht in Widerspruch zu sonstigem zwingendem Gesetzesrecht geraten. Die Tarifvertragsparteien wollen nämlich im Zweifel Regelungen treffen, die mit zwingendem höherrangigem Recht in Einklang stehen und damit auch Bestand haben (vgl. zur verfassungskonformen Auslegung von Tarifnormen Senatsurteil vom 21. Januar 1987, BAGE 54, 113, 127 = AP Nr. 47 zu Art. 9 GG; zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung Senatsurteil vom 23. September 1992 - 4 AZR 30/92 - EzA § 612 BGB Nr. 16, zu B II 3 c aa der Gründe, jeweils m.w.N., auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Steht allerdings eine bestimmte Auslegung der Tarifnorm nur dann zu höherrangigem Recht in Widerspruch, wenn man zu diesem einer von der Rechtsprechung vorgenommenen Auslegung folgt, deren Richtigkeit angezweifelt wird, so darf die Möglichkeit nicht außer Betracht gelassen werden, daß die Tarifvertragsparteien dieser Rechtsprechung nicht folgen, sondern durch Vereinbarung einer ihr entgegenstehenden Tarifnorm die Gerichte zu einer Überprüfung ihres Standpunktes veranlassen wollten. Ein solcher Wille der Tarifvertragsparteien kann aber nur angenommen werden, wenn er im Tarifvertrag deutlich zum Ausdruck gebracht ist. Fehlt es dagegen hieran, so ist von der Auslegung auszugehen, aufgrund derer die Tarifnorm nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Dies ergibt sich schon aus dem Risiko für den Bestand der Tarifnorm, das ein auf eine Änderung der Rechtsprechung gerichtetes Vorgehen der Tarifvertragsparteien mit sich bringt. Wird die in Frage gestellte Rechtsprechung zum höherrangigen Recht nämlich beibehalten, so ist die betreffende Tarifnorm unwirksam.
b) Zwar läßt der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV die vom Kläger für richtig gehaltene Auslegung zu, wonach bei der nach einer Höhergruppierung vorzunehmenden Einstufung auch die bisher gezahlten übertariflichen Bestandteile des Arbeitsentgelts zu berücksichtigen sein sollen. Diese Bestimmung stellt nach ihrem Wortlaut nämlich nur auf die Höhe der bis zur Höhergruppierung gewährten Vergütung ab, ohne dabei ausdrücklich nach einzelnen Vergütungsbestandteilen oder nach den Rechtsgrundlagen, auf denen deren Gewährung jeweils beruht, zu differenzieren. Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "Vergütung" ohne jegliche einschränkende oder unterscheidende Zusätze. Allerdings kann es in diesem Zusammenhang nicht, wie das Arbeitsgericht gemeint hat, entscheidend auf die Verwendung des Wortes "gewährte" ankommen, denn in § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV findet sich mit derselben Bedeutung wie "bisher gewährte Vergütung" auch der Begriff "bisherige Vergütung".
c) Für eine solche Auslegung ließe sich auch anführen, daß § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV gewährleisten soll, daß die Höhergruppierung eines Arbeitnehmers für diesen auch tatsächlich mit einer Erhöhung seiner Vergütung verbunden ist. Zu diesem Zweck durchbricht § 2 Abs. 2 Satz 2 das Vergütungsgefüge des TV, der in § 3 die Höherstufung innerhalb der einzelnen Vergütungsgruppen von der Zurücklegung bestimmter Tätigkeitszeiten abhängig macht. Dieser Zweck der Regelung würde in den Fällen vereitelt, in denen - wie im hier zu entscheidenden - die Vergütung auch übertarifliche Bestandteile enthält.
d) Einer Berücksichtigung übertariflicher Bestandteile des Arbeitsentgelts bei der Anwendung der Entgeltsicherungsklausel des § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV steht aber der Grundsatz entgegen, daß nach dem Willen der Tarifvertragsparteien die Tarifnorm so auszulegen ist, daß sie nicht in Widerspruch zu zwingendem höherrangigem Recht tritt. Nach der vom Kläger für richtig gehaltenen Auslegung wäre diese Bestimmung nämlich eine nach der Rechtsprechung des Senats unwirksame Effektivklausel.
aa) Nach ständiger Senatsrechtsprechung (BAGE 20, 308, 312 ff. = AP Nr. 7 zu § 4 TVG Effektivklausel; BAGE 33, 83, 88 f. = AP Nr. 9 zu § 4 TVG Effektivklausel; BAGE 38, 118, 124 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 56, 120, 125 ff. = AP Nr. 15 zu § 4 TVG Effektivklausel) sind Tarifbestimmungen unwirksam, nach denen eine Tariflohnerhöhung auf die bisher effektiv gewährte Vergütung aufzustocken ist (sog. begrenzte Effektivklausel), oder nach denen ein bisher über- oder außertariflich gewährter Lohnbestandteil zum Tariflohn wird (sog. Effektivgarantieklausel). Der Senat hat die Unwirksamkeit solcher Tarifnormen insbesondere daraus geschlossen, daß sie einzelvertraglich vereinbarte Lohnbestandteile der Verfügung der Arbeitsvertragsparteien entziehen und damit in unzulässiger Weise in deren Vertragsbeziehungen eingreifen.
Dagegen hat der Senat sog. Verdienstsicherungsklauseln für zulässig gehalten, nach denen leistungsgeminderten Arbeitnehmern, die auf niedriger bewertete Arbeitsplätze umgesetzt werden, die Differenz zwischen dem bisherigen und dem am neuen Arbeitsplatz erzielten Arbeitsentgelt ausgeglichen werden soll. Dies hat der Senat damit begründet, daß am bisherigen Arbeitsplatz gezahlte außertarifliche Zulagen insoweit nur als Berechnungsgrundlage für das künftig zu zahlende Gehalt dienen, ohne daß diese Zulagen aufgrund des Tarifvertrags der Verfügung der Arbeitsvertragsparteien entzogen würden (BAGE 33, 83, 88 f. = AP Nr. 9 zu § 4 TVG Effektivklausel).
bb) Ergäbe sich aus § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV, daß die dem Kläger gewährte übertarifliche Zulage nach seiner Höhergruppierung bei der Neueinstufung zu berücksichtigen ist, so würde damit ein bisher übertariflich vereinbarter Entgeltbestandteil zum Tarifentgelt und damit der Verfügung der Arbeitsvertragsparteien entzogen. Die Tarifnorm wäre damit als Effektivgarantieklausel i.S. der Senatsrechtsprechung zu qualifizieren. Dabei ist es unerheblich, daß sie nicht an eine allgemeine Erhöhung des Tarifgehalts, sondern an eine Höhergruppierung anknüpft. Für beide Fälle gelten nämlich die für die Unwirksamkeit solcher Klauseln angeführten Gründe in gleicher Weise. Ebenso kann es danach nicht darauf ankommen, ob eine Effektivgarantieklausel eine bisher einzelvertraglich vereinbarte Zulage als eigenen tariflichen Entgeltbestandteil bestehen oder - wie im vorliegenden Fall - im neu berechneten Tarifentgelt aufgehen läßt.
cc) Zwar ist die Senatsrechtsprechung zur Unwirksamkeit von Effektivklauseln auf Kritik gestoßen (vgl. zuletzt Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 590 ff., m.w.N.). Einer erneuten Überprüfung der Rechtsprechung im Lichte dieser Kritik bedarf es hier aber nicht. Nach den oben (a, bb) dargestellten Grundsätzen ist nämlich davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien keine nach der Senatsrechtsprechung unwirksame Effektivklausel vereinbaren wollten. Der VTV enthält keine Ansatzpunkte für die Annahme, die Tarifvertragsparteien könnten sich die an der Senatsrechtsprechung geäußerte Kritik zu eigen gemacht und § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV als Effektivklausel gewollt haben, um auf diese Weise den Senat zu einer Überprüfung und Änderung seines Rechtsstandpunkts zu veranlassen.
2. Die dem Kläger bis zu seiner Höhergruppierung in VergGr. G VTV zustehende tarifliche Vergütung war niedriger als die ihm seit dem 1. August 1990 gezahlte Vergütung von 5.056,00 DM monatlich. Der Kläger hatte nämlich, solange er noch in VergGr. F eingruppiert war, einen tariflichen Anspruch auf Vergütung nach der ersten Stufe dieser Vergütungsgruppe, also 4.092,50 DM monatlich. Zwar stand dem Kläger nach dem insoweit rechtskräftig gewordenen Urteil des Arbeitsgerichts für den Monat Juli 1990 Vergütung i.H.v. 5.056,00 DM zu. Soweit dieser Vergütungsanspruch den Betrag von 4.092,50 DM übersteigt, ist er aber für die Anwendung von § 2 Abs. 2 Satz 2 VTV unerheblich, weil er nicht auf Tarifvertrag, sondern auf einer zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarung beruht.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Schaub Bepler Dr. Wißmann
Dr. Kiefer Hauk
Fundstellen
BAGE 73, 364-372 (LT1-2) |
BB 1994, 75 |
DB 1994, 1294-1295 (LT1-2) |
DRsp, VI(638) 72b-c (LT1-2) |
JR 1994, 352 |
JR 1994, 352 (L) |
NZA 1994, 181 |
NZA 1994, 181-183 (LT1-2) |
AP § 1 TVG Auslegung (LT1-2), Nr 144 |
AP, 0 |
AR-Blattei, ES 1550.9 Nr 74 (LT1-2) |
EzA-SD 1994, Nr 1/2, 24-25 (LT1-2) |
EzA § 1 TVG Auslegung, Nr 28 (LT1-2) |