Entscheidungsstichwort (Thema)

Freier Tag bei gleichmäßig verteilter Wechselschicht

 

Orientierungssatz

§ 18 des Manteltarifvertrages für die Angestellten und Auszubildenden in den Verlagen von Tageszeitungen Nordrhein-Westfalen vom 31.10.1984 erfordert für gleichmäßig verteilte Wechselschicht im Tarifsinne keine arithmetisch exakte Verteilung der Wechselschichten. Vielmehr genügt es, daß Wechselschichtarbeit in einem sich ständig wiederholenden Rhythmus anfalle und der Anteil der Spät- oder Nachtschichten mindestens ein Drittel der Gesamtschichtarbeit beträgt.

 

Normenkette

TVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 27.11.1986; Aktenzeichen 3 Sa 835/86)

ArbG Köln (Entscheidung vom 05.06.1986; Aktenzeichen 5 Ca 3255/86)

 

Tatbestand

Der Kläger, der dem Betriebsrat der Beklagten als Mitglied angehört, steht seit dem 17. April 1977 in den Diensten der Beklagten und ist als Korrektor mit einem Monatsgehalt von 4.000,-- DM brutto im Schichtbetrieb beschäftigt. Im Bemessungszeitraum vom 1. September 1984 bis 31. Dezember 1984 leistete der Kläger an 73 Arbeitstagen Schichtdienst, wovon auf die Frühschicht von 6.30 Uhr bis 15.00 Uhr 12 Arbeitstage sowie auf die Spätschicht von 13.30 Uhr bis 22.00 Uhr 10 Arbeitstage und von 15.00 Uhr bis 23.30 Uhr 51 Arbeitstage entfielen. Außerdem hatte der Kläger an 11 Tagen Urlaub und war an 2 Arbeitstagen wegen seiner Betriebsratstätigkeit von der Arbeit freigestellt.

Nachdem er dies mit Antrag vom 24. Januar 1985 für den 5. Februar 1985 bei der Beklagten erfolglos geltend gemacht hatte, begehrt der Kläger mit der Klage einen arbeitsfreien Tag nach näherer tariflicher Regelung für die im Bemessungszeitraum erbrachte Arbeitsleistung. Der Kläger ist der Auffassung, er erfülle die tariflichen Voraussetzungen, da er in dieser Zeit mindestens zu einem Drittel Spät- oder Nachtschicht geleistet habe. Gleichmäßig verteilte Wechselschicht im Tarifsinne erfordere keine arithmetisch exakte Verteilung der Wechselschichten. Vielmehr genüge, daß Wechselschichtarbeit in einem sich ständig wiederholenden Rhythmus angefallen sei und der Anteil der Spät- oder Nachtschichten mindestens ein Drittel der Gesamtschichtzeit betrage.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet

ist, dem Kläger einen freien Tag gemäß § 18

MTV zu gewähren.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und dazu vorgetragen, dem Kläger stehe der geltend gemachte arbeitsfreie Tag nicht zu. Von gleichmäßig verteilter Wechselschicht könne bei den vom Kläger im Bemessungszeitraum erbrachten Schichten nicht die Rede sein. Ein echter Wechsel der Arbeitszeit habe nur in der 36., 44. und 48. Kalenderwoche stattgefunden und im übrigen seien lediglich versetzte Arbeitszeiten angefallen. Bei einem Anteil der Frühschicht von 16,4 v. H. und der Spätschicht von 83,6 v. H. könne nur von gelegentlicher und nicht von der tariflich geforderten ständigen Wechselschicht ausgegangen werden. Gleichmäßig verteilte Wechselschicht erfordere zu mindestens einem Drittel echte Wechsel der Arbeitszeiten. Anderenfalls liege keine Wechselschicht, sondern dauernde Spätschicht vor. Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien solle die tariflich vorgesehene Freischicht aber nur die mit gleichmäßig verteilter Schichtarbeit verbundenen Erschwernisse und nicht jede Art versetzter Arbeitszeit ausgleichen. Eine tarifgerechte Auslegung müsse anhand der Tarifnorm selbst erfolgen und dürfe nicht einseitig auf die Protokollnotizen abstellen, denen nur erläuternder Charakter zukomme. Entgegen der Auffassung des Klägers komme es daher nicht nur darauf an, daß mindestens zu einem Drittel Spät- oder Nachtschicht angefallen sei, da sonst auch dauernde oder wie im Falle des Klägers zu mehr als zwei Drittel überwiegende Spätschicht den Anspruch auf eine Freischicht begründen könnten. Dann wäre die alternative tarifliche Bestimmung über ständige Nachtarbeit sinnlos und liefe ins Leere. Die um weniger als 6 Stunden versetzten Schichten schlössen den Charakter als Wechselschicht aus.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Berufung hat der Kläger unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Verurteilung der Beklagten begehrt, ihm einen freien Tag nach näherer tariflicher Regelung aus dem Bemessungszeitraum vom 1. September bis 31. Dezember 1984 zu gewähren. Die Berufung hatte Erfolg.

Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision war zurückzuweisen. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß dem Kläger für die Wechselschichtarbeit vom 1. September bis zum 31. Dezember 1984 ein freier Tag zusteht.

Nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen gilt für das Arbeitsverhältnis aufgrund beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Angestellten und Auszubildenden in den Verlagen von Tageszeitungen im Land Nordrhein-Westfalen vom 31. Oktober 1984 unmittelbar und zwingend (§ 3 Abs. 4, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Damit ist für den Anspruch des Klägers auszugehen von § 18 MTV, in dem es heißt:

"§ 18 Freizeitregelung für Schichtarbeiten

(1) Angestellte, die ständig in gleichmäßig verteilter

Wechselschicht arbeiten oder ständig

Nachtarbeit leisten, erhalten für jeweils 4

Kalendermonate erbrachter Arbeitsleistung

einen freien Tag."

Zu § 18 bestimmen die hierzu vereinbarten Protokollnotizen, die Bestandteil des Tarifvertrages sind und damit tariflichen Charakter haben:

a) Der Anspruch auf freie Tage entsteht auch dann,

wenn aus betrieblichen Gründen innerhalb des

Bemessungszeitraumes in mindestens 15 Wochen

pro Vier-Monats-Zeitraum in Wechselschicht oder

Nachtarbeit gearbeitet worden ist.

.......

c) Der Begriff der "gleichmäßig verteilten" Wechselschicht

erfordert, daß der Anteil der Spät- oder

Nachtschichten im Bemessungszeitraum mindestens

ein Drittel der Gesamtschichtzeit betragen muß.

Als Wechselschicht gelten auch versetzte Arbeitszeiten,

bei denen die Zeitversetzung hinsichtlich

des Arbeitsbeginns mindestens 6 Stunden beträgt.

d) Als Nachtarbeit gilt nur eine solche, die täglich

mindestens zur Hälfte (also im Umfang von 4 Stunden)

in den zuschlagspflichtigen Zeitraum fällt.

Der Begriff der "ständigen" Nachtarbeit ist dann

als erfüllt anzusehen, wenn der Anteil der Nachtarbeit

im gesamten Umfang des vorstehenden Absatzes

85 % der gesamten Arbeitszeit des Angestellten im

Anspruchszeitraum beträgt.

.......

Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht dazu davon aus, daß der Kläger danach Anspruch auf einen freien Tag nach § 18 Abs. 1 MTV hat, weil er in Wechselschicht arbeitet und ständig Wechselschicht leistet, die gleichmäßig verteilt ist.

Wechselschicht liegt vor, wie sich aus Abs. 2 der Protokollnotiz c) zu § 18 MTV ergibt, die Ziffer 4 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen zu § 4 MTV Druck entspricht. Danach gelten auch versetzte Arbeitszeiten mit einer Zeitversetzung von mindestens 6 Stunden beim Arbeitsbeginn als Wechselschicht. Der Kläger hat demgemäß in Wechselschicht gearbeitet, da die Zeitversetzung zwischen Früh- und Spätschicht mehr als 6 Stunden beträgt. Es ist nicht erforderlich, daß im Dreischichtbetrieb zwischen allen Schichten jeweils 6 Stunden Zeitversetzung liegen.

Der Kläger leistete auch ständig Wechselschichtarbeit, da er auf Dauer in wechselnden Schichten tätig ist. Nur wenn im Bemessungszeitraum mindestens 15 Wochen in Wechselschicht gearbeitet worden ist, ohne daß Wechselschicht auf Dauer ausgeübt werden soll, oder wenn innerhalb des Viermonatszeitraumes zwei bis drei Wochen aus betrieblichen Gründen nicht in geplanten Wechselschichten gearbeitet worden ist, kommt es auf Protokollnotiz a) zu § 18 MTV an. Zeiten des bezahlten Urlaubs und Freistellungszeiten für Mitglieder des Betriebsrates, die sonst die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen würden, berühren nach Protokollnotiz e) zu § 18 MTV die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nicht.

Mit dem Landesarbeitsgericht ist weiter davon auszugehen, daß der Kläger auch in gleichmäßig verteilter Wechselschicht gearbeitet hat. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht die tariflichen Anforderungen an die Verteilung der Protokollnotiz c) zu § 18 MTV entnommen, die wiederum mit Ziffer 3, 4 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen zu § 4 MTV Druck übereinstimmt. Von den 18 Kalenderwochen im Bemessungszeitraum entfällt auf die ab 15.00 Uhr laufende Spätschicht, die das Landesarbeitsgericht als Nachtschicht bezeichnet, ein zeitlicher Anteil von mehr als 1/3 der Gesamtschichtzeit. Zwar handelt es sich insoweit nicht um eine Nachtschicht im tariflichen Sinne. Die Tarifnorm differenziert zwischen Wechselschicht, die dann gleichmäßig verteilt ist, wenn der Anteil der Spät- oder Nachtschichten mindestens 1/3 der Gesamtschichtzeit beträgt und ständiger Nachtarbeit, die täglich mindestens zur Hälfte in den zuschlagspflichtigen Zeitraum fallen muß. Der Begriff der Nachtschicht ist dabei Ziffer 5 Abs. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 8 MTV Druck zu entnehmen, da der MTV in Nordrhein-Westfalen insoweit keine eigenständige Definition enthält. Danach muß die Nachtschicht in der zuschlagspflichtigen Nachtarbeitszeit beginnen und grundsätzlich auch enden. Nur das Ende der Schicht darf bis zu 3 Stunden in die zuschlagsfreie Tagesarbeitszeit hineinreichen. Bei einem Schichtbeginn während der Tagesarbeitszeit, wie im vorliegenden Falle, sind keine Nachtschichten angefallen, wohl wurde aber Nachtarbeit erbracht, da 4 Stunden dieser Schicht in den zuschlagspflichtigen Zeitraum fallen. Wenn auch damit die vom Landesarbeitsgericht als Nachtschichten bezeichneten Schichten im tariflichen Sinne Spätschichten sind, kommt es hierauf letztlich nicht entscheidend an, da jedenfalls der Anteil der Spät- oder Nachtschichten mindestens 1/3 der Gesamtschichtzeit beträgt.

Entgegen der Auffassung der Revision kommt es insoweit nicht allein auf die tatsächlich geleistete Arbeit an. Ein ständiger Schichtwechsel und die von der Revision hervorgehobene Anzahl der Schichtwechsel ist für den Anspruch des Klägers im Bemessungszeitraum keine Anspruchsvoraussetzung. Zu Unrecht beruft sich insoweit die Revision darauf, daß maßgeblich allein die tarifliche Vorschrift des § 18 Abs. 1 MTV sei und die hierzu ergangene Protokollnotiz mit der Definition der gleichmäßig verteilten Wechselschicht diese Grundnorm nicht ändern könne. Die Revision verkennt dazu, daß die Protokollnotiz Tarifinhalt ist, und als Teil des Tarifvertrages den Erfordernissen ordnungsgemäßer Tarifnormen entspricht und auch von den Unterschriften der Tarifvertragsparteien mit gedeckt wird. Dann aber ist die Protokollnotiz eine Erläuterung der gleichmäßig verteilten Wechselschicht und bestimmt damit als speziellere Normen bindend, was die Tarifvertragsparteien unter dem möglicherweise unterschiedlich auszulegenden Begriff einer gleichmäßig verteilten Wechselschicht verstehen. Damit wird aber die Protokollnotiz maßgeblich für die Auslegung des § 18 Abs. 1 MTV.

Danach verlangt eine gleichmäßig verteilte Wechselschicht keinen bestimmten Schichtrhythmus in der von der Revision angegebenen Reihenfolge. Eine solche mathematisch exakte Verteilung im tariflich vorgesehenen Bemessungszeitraum von 4 Kalendermonaten mit 17 bis 18 Kalenderwochen kann auch rechnerisch ordnungsgemäß gar nicht durchgeführt werden und entspricht nicht den Erfordernissen der betrieblichen Praxis, wie das Landesarbeitsgericht mit Recht ausführt.

Entgegen der Auffassung der Revision wird damit auch die ebenfalls anspruchsbegründende ständige Nachtarbeit nach § 18 Abs. 1 2. Alternative MTV nicht überflüssig. Denn ein Arbeitnehmer, der ständig Nachtschichten erbringt, ist nicht in Wechselschicht tätig, leistet aber ständige Nachtarbeit. Für einen Arbeitnehmer, der ständig in Spätschicht arbeitet, kommt es darauf an, inwieweit die Voraussetzungen ständiger Nachtarbeit vorliegen. Man wird zwar bei nur einer Frühschicht im Bemessungszeitraum und sonst ständiger Spätschicht mit der Beklagten nicht mehr von Wechselschicht ausgehen können. Ständige Spätschicht hat der Kläger im Bemessungszeitraum aber nicht geleistet. Selbst wenn man dabei zu den Spätschichten auch diejenigen mit versetzter Arbeitszeit um weniger als 6 Stunden hinzurechnet, kommt man auch nach der Berechnung der Beklagten nur auf einen Anteil der Spätschichten von 83,6 v. H. Danach hat aber der Kläger auch dann noch in Wechselschicht gearbeitet. Abs. 1 der Protokollnotiz c) zu § 18 MTV fordert nur einen Mindestanteil an Spät- oder Nachtschichten und setzt keine Obergrenze fest. Hierzu könnte nur auf Abs. 2 der Protokollnotiz d) zu § 18 MTV zurückgegriffen werden, wonach der Begriff "ständig" in bezug auf Nachtarbeit wenigstens einen Anteil von 85 v. H. der Gesamtarbeitszeit erfordert. Eine Arbeiten in Wechselschicht entgegenstehende ständige Spätschicht müßte demnach einen zeitlichen Anteil von mindestens 85 v. H. erreichen, was im vorliegenden Falle auch dann nicht der Fall ist, wenn man die versetzten Arbeitszeiten hinzurechnet. Das ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck der Freizeitregelung für Schichtarbeiten, weil dann entweder Wechselschicht mit einem zeitlichen Anteil von 1/3 Spät- oder Nachtschichten vorliegt und in dem Fall, in dem auf eine der Schichten 85 v. H. des Bemessungszeitraumes entfallen, ein Anspruch nur noch bei Nachtarbeit, nicht aber bei Spätschicht besteht. Das entspricht der Regelung, einen Ausgleich für die mit ständiger Wechselschicht oder Nachtarbeit verbundenen Belastungen zu gewähren.

Hat aber damit das Landesarbeitsgericht zutreffend und übereinstimmend mit der Entscheidung des Senats vom 14. Januar 1987 (- 4 AZR 375/86 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt) entschieden, daß dem Kläger auch im vorliegenden Falle ein Anspruch auf einen arbeitsfreien Tag zusteht, war die Revision mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Dr. Neumann Dr. Etzel Dr. Freitag

Dr. Konow Schmalz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI439310

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