Entscheidungsstichwort (Thema)
„Barleistungen” einer Krankenkasse
Normenkette
TV AL II § 30 Ziff. 3g
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Oktober 1996 – 8 Sa 444/96 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe eines tariflichen Krankengeldzuschusses.
Die Klägerin ist bei den amerikanischen Stationierungsstreitkräften als Angestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft einzelvertraglicher Abrede der Tarifvertrag für die Beschäftigten bei den Alliierten Streitkräften (TV AL II) Anwendung.
Seit dem 8. November 1994 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Bis zum 11. Februar 1995 zahlte der Arbeitgeber ihre Vergütung fort. Seit dem 12. Februar 1995 bezog sie Krankengeld in Höhe von täglich 81,38 DM brutto. Nach Abzug der Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung belief sich der tatsächlich ausgezahlte Betrag auf 70,76 DM täglich. Die Klägerin verlangt von der Beklagten für sechs Wochen (42 Kalendertage) einen täglichen Zuschuß zum Krankengeld in Höhe der Differenz zwischen ihrem täglichen Nettogehalt (79,51 DM) und dem täglichen Nettokrankengeld (70,76 DM).
Die Klägerin stützt ihre Forderung auf die Regelungen des TV AL II. Nach § 31 Ziff. 3 a (1) TV AL II hat ein Angestellter
„im 5. und in jedem weiteren auf die Wartezeit… folgenden Kalenderjahr… nach Beendigung der Gehaltsfortzahlung … Anspruch auf Krankengeldzuschuß bis zur Dauer von 6 Wochen”.
Gemäß Buchstabe f (1) der Regelung gelten für die Berechnung des Zuschusses die Bestimmungen des für die gewerblichen Arbeitnehmer einschlägigen § 30 Ziff. 3 g des Tarifvertrages. Diese Vorschrift lautet:
„(1) Der Krankengeldzuschuß entspricht dem Unterschiedsbetrag zwischen den Barleistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung oder den entsprechenden Barleistungen eines sonstigen gesetzlichen Sozialleistungsträgers
und
dem Nettobetrag des Regelmäßigen Arbeitsverdienstes …
(2) …
(3) Durch Gesetz oder Satzung vorgesehene Kürzungen der Leistungen der Sozialleistungsträger werden bei der Berechnung des Krankengeldzuschusses nicht berücksichtigt.
(4) Bei Mitgliedern von Ersatzkassen werden die satzungsmäßigen Barleistungen … der sonst zuständigen Krankenkasse zugrunde gelegt – gleichgültig, welche Leistungen die Ersatzkasse erbringt.”
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, unter den „Barleistungen” im Sinne der tariflichen Zuschußregelung sei das Nettokrankengeld zu verstehen. Vor Einführung der Sozialversicherungspflichtigkeit des Krankengeldes am 1. Januar 1984 seien Barleistungen – schon seinerzeit der tariflich verwendete Begriff – und Auszahlungsbetrag identisch gewesen. Da die Tarifvertragsparteien die einschlägigen Tarifnormen seit 1984 nicht geändert hätten, sei anzunehmen, daß sie den früheren Zustand zugunsten der Arbeitnehmer hätten beibehalten wollen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 367,50 DM nebst 4 % Zinsen p.a. hieraus seit dem 7. Dezember 1995 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, unter Barleistungen im Sinne der tariflichen Zuschußregelung sei das Bruttokrankengeld zu verstehen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Gemäß § 31 Ziff. 3 a (1) TV AL II hat die arbeitsunfähige Angestellte einen Anspruch auf Krankengeldzuschuß ab Beginn des fünften auf die „Wartezeit” folgenden Kalenderjahres. Die Wartezeit ist gem. Ziff. 2 b (1) der Regelung erfüllt „nach einer anrechenbaren Beschäftigungszeit… von einem Jahr”. Anrechenbare Beschäftigungszeit wiederum ist laut § 8 Ziff. 1 TV AL II „die bei den Stationierungsstreitkräften … ohne Unterbrechung zurückgelegte Zeit”. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, wann das Arbeitsverhältnis der Klägerin bei den amerikanischen oder bei anderen Stationierungsstreitkräften begonnen hat. Ob die Klägerin zu Beginn des Jahres 1995 mindestens fünf Jahre bei ihnen beschäftigt war, kann offen bleiben. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zuschuß zum Krankengeld in keinem Falle zu.
II. Ein solcher Anspruch wäre nur gegeben, wenn unter Barleistungen im Sinne der tariflichen Regelungen das Krankengeld ohne Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen (Nettokrankengeld) zu verstehen wäre. Das ist nicht der Fall.
1. Der in § 30 Ziff. 3 g (1) TV AL II verwendete Begriff der Barleistungen ist nicht eindeutig.
a) Die Frage nach seinem zutreffenden Verständnis stellt sich, seit das Krankengeld – ab dem 1. Januar 1984 – der Beitragspflicht zur Renten- und Arbeitslosenversicherung, mittlerweile auch zur Pflegeversicherung unterliegt. Bei der Gesetzesänderung (§ 1385 b Abs. 1 Satz 2 RVO; § 112 b Abs. 1 Satz 2 AVG; § 186 Abs. 1 Satz 2 AFG, mittlerweile § 3 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 170 Abs. 1 Nr. 2 a SGB VI sowie § 186 Abs. 1 AFG in der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung) hat der Gesetzgeber die Vorschriften über das Krankengeld selbst unverändert gelassen. Seit dem 1. Januar 1984 ist es deshalb möglich, das Krankengeld als Brutto- oder als Nettokrankengeld zu verstehen (BAG Urteil vom 10. Dezember 1986, BAGE 54, 30 = AP Nr. 1 zu § 42 MTB II). Der Klägerin ist einzuräumen, daß es umgangssprachlich möglich erscheinen mag, als „bare Leistung” eine solche zu bezeichnen, die der Empfänger tatsächlich und ohne Abzüge erhält. Ein solches Verständnis beruht darauf, daß „bar” im Zusammenhang mit Zahlungen eine bestimmte Zahlungsweise ausdrückt. „In bar” zahlt man mit Scheinen oder Münzen und nicht durch Scheck, Wechsel oder Überweisung. Genauer betrachtet besagt der Zahlungsmodus (bar oder unbar) aber nichts über die Höhe der zu entrichtenden Zahlung. Gerade bei Barzahlung kann ein Schuldner ggf. einen Skontoabzug erwarten; der Gläubiger bekommt die Rechnungssumme dann zwar „bar”, aber nicht in voller Höhe. Entgegen der Auffassung der Revision läßt der allgemeine Sprachgebrauch keine zwingenden Rückschlüsse darauf zu, ob unter der tariflichen Barleistung das Brutto- oder das Nettokrankengeld zu verstehen ist.
b) Die Auslegung der normativen Bestimmungen in Tarifverträgen folgt den für die Gesetzesauslegung geltenden Regeln. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Über den reinen Wortsinn hinaus sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Bestimmungen ihren Niederschlag gefunden haben. Ferner ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen. Bleiben am zutreffenden Verständnis der Bestimmungen weiterhin Zweifel, so ist auf weitere Kriterien zurückzugreifen, wie etwa auf die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des betreffenden Tarifvertrages (BAG in ständiger Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 24. April 1996 – AP Nr. 96 zu § 616 BGB; Urteil vom 21. August 1997 – 5 AZR 517/96 – NZA 1998, 211).
Das Landesarbeitsgericht ist bei seiner Auslegung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt. Danach können die tarifvertraglichen Begriffe Krankengeld und Barleistungen nicht nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bestimmt werden. Es ist zu berücksichtigen, daß sie dem Krankenversicherungsrecht entnommen und daher im sozialversicherungsrechtlichen Sinne zu verstehen sind. Den Ausdruck Barleistungen verwendete der Gesetzgeber in § 210 RVO. Barleistungen bedeuteten dabei das gleiche wie „bare Leistungen” i.S.v. § 180 Abs. 1 Satz 1 RVO. Der Ausdruck war ferner gleichbedeutend mit einer „Geldleistung” im Sinne von § 11 Satz 1 SGB I. Barleistung war der ältere, Geldleistung der neuere Ausdruck für eine Sozialleistung, die jedenfalls nicht Dienst- oder Sachleistung war. Zu unterscheiden waren seinerzeit zwei Arten von Geldleistungen: das Krankengeld und das Hausgeld (§§ 182, 186 RVO) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeitnehmer im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl. 1, 913). Das Hausgeld bestand in einem Prozentsatz des Krankengeldes und wurde dem Arbeitnehmer bei stationärer Krankenhauspflege gewährt. Durch das zweite Krankenversicherungsänderungsgesetz vom 21. Dezember 1970 (BGBl. I, 1770) entfiel das Hausgeld. § 186 RVO wurde dahingehend geändert, daß vom Beginn der Krankenhauspflege an Krankengeld bzw. Verletztengeld zu zahlen war. Dies erklärt, warum Tarifvertragsparteien seinerzeit den Krankengeldzuschuß nicht lediglich als Unterschiedsbetrag zwischen Nettoarbeitsentgelt und Krankengeld, sondern zwischen Nettoarbeitsentgelt und „Barleistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung” definiert haben.
Seit dem 1. Januar 1984 unterliegt das Krankengeld der Beitragspflicht zur Renten- und Arbeitslosenversicherung. Der gesetzliche Begriff des Krankengeldes, wie er in § 47 Abs. 1 SGB V (bis 31. Dezember 1988 § 182 Abs. 4 RVO) verwendet wird, ist dabei als das volle, nicht um die Arbeitnehmeranteile zur Renten- und Arbeitslosenversicherung geminderte Krankengeld (Bruttokrankengeld) zu verstehen. An keiner Stelle bezeichnet das Gesetz den dem Arbeitnehmer zufließenden Auszahlungsbetrag als Krankengeld (BAG Urteil vom 24. April 1996, a.a.O.). Für § 42 MTB II und für § 27 Abs. 7 Nr. 6 des Lohntarifvertrages für die Beschäftigten der Reichsbahn hat der Senat angesichts dieser Umstände entschieden, daß unter Barleistungen das Bruttokrankengeld zu verstehen sei (Urteile vom 10. Dezember 1986 und 21. August 1997, jeweils a.a.O.).
2. Für ein von der bisherigen Rechtsprechung abweichendes Verständnis des Begriffs Barleistungen in § 30 Ziff. 3 g (1) TV AL II gibt es keinen Anlaß.
a) Der TV AL II wurde geschlossen am 16. Dezember 1966. Die Vorschriften der §§ 30, 31 wurden mit Wirkung vom 1. Januar 1970 eingefügt. Sie sind seitdem in ihren einschlägigen Passagen bis zum Jahre 1996 unverändert geblieben. Die Formulierung „Barleistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung” hat im Jahre 1970 die ihr vorangehende Textfassung abgelöst. Nach § 5 Ziff. 1 a des Tarifvertrages vom 16. Dezember 1966 zur Einführung des TV AL II bemaß sich der Zuschuß nach dem Unterschiedsbetrag „zwischen dem Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung … und dem Nettoarbeitsentgelt”. Bei einem Krankenhausaufenthalt oder während eines Heilverfahrens, für das die Krankenkasse dem Träger der Rentenversicherung „Ersatz an Krankengeld oder Hausgeld” zu leisten hatte, war Berechnungsgrundlage das fiktive Krankengeld. Dies zeigt anschaulich, daß die Parteien des TV AL II im Jahre 1970 mit dem Begriff Barleistungen die seinerzeit gesetzlich noch unterschiedenen Geldleistungen Krankengeld und Hausgeld in einem Oberbegriff zusammenfassen wollten. Es besteht keinerlei Anhaltspunkt für die Annahme, daß sie damit eine Regelung des Inhalts hätten treffen wollen, bei möglichen künftigen gesetzlichen Abzügen vom Krankengeld solle dessen Nettobetrag Ausgangsgröße sein.
b) Gegen diese Annahme spricht auch die Regelung in § 5 Ziff. 1 c des Einführungs-Tarifvertrages vom 16. Dezember 1966. Ihr zufolge wurden „durch Gesetz oder Satzung der Versicherungsträger vorgesehene Kürzungen der Leistungen der Versicherungsträger… bei der Berechnung des Zuschusses nicht berücksichtigt”. Die Vorschrift stimmt mit der 1970 eingefügten und seitdem unveränderten Regelung des § 30 Ziff. 3 g (3) TV AL II fast wörtlich überein. Die Parteien des TV AL II haben in den Jahren 1966 und 1970 zwar wohl nicht an eine Sozialversicherungspflichtigkeit des Krankengeldes gedacht. Ersichtlich haben sie aber gesetzliche Leistungskürzungen als solche bedacht und für unmaßgeblich erklärt. Es ist nicht erkennbar, warum dies nicht auch für Kürzungen aufgrund von Sozialversicherungsabgaben gelten sollte.
c) § 30 Ziff. 2 c Satz 2 und § 31 Ziff. 2 f Satz 2 TV AL II sind mit Änderungsvertrag vom 18. November 1988 modifiziert worden. Obwohl die Tarifvertragsparteien also speziell die Regelungen über Krankenbezüge auch nach Einführung der Sozialversicherungspflichtigkeit des Krankengeldes ab 1. Januar 1984 und nach Veröffentlichung des Senatsurteils vom 10. Dezember 1986 geändert haben, haben sie dies nicht zum Anlaß genommen, den Begriff der Barleistungen bzw. des Krankengeldes durch den Ausdruck Nettokrankengeld oder eine gleichlautende Formulierung zu ersetzen. Dies läßt den Schluß zu, daß ihr Regelungswille sich in dem vom Senat angenommenen Wortverständnis wiederfindet.
d) Unter „Barleistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung” ist damit auch in § 30 Ziff. 3 g (1) TV AL II für den streitbefangenen Zeitraum das Bruttokrankengeld zu verstehen.
Im Änderungsvertrag Nr. 22 haben die Tarifvertragsparteien mit Wirkung vom 1. August 1997 die bisherigen §§ 29 bis 31 TV AL II durch einen neu gefaßten § 29 ersetzt. Dieser regelt die Frage nunmehr eindeutig. In den ersten sechs Wochen des Anspruchszeitraums auf Krankengeldzuschuß erhöht sich der Zuschuß um einen Betrag in Höhe von 70 % des nachgewiesenen Arbeitnehmeranteils an den auf das Krankengeld entfallenden Sozialversicherungsbeiträgen.
Für den Anspruchszeitraum ist die Klage unbegründet.
Unterschriften
Griebeling, Reinecke, Kreft, Ackert, Anthes
Fundstellen