Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Jahressonderzahlung-Ruhen des Arbeitsverhältnisses
Leitsatz (redaktionell)
Bestätigung der Rechtsprechung des Senats aus dem Urteil vom 5. August 1992 (– 10 AZR 88/90 – BAGE 71, 78 = AP Nr. 163 zu § 611 BGB Gratifikation) und dem Urteil vom 9. August 1995 (– 10 AZR 539/94 – BAGE 80, 306 = AP Nr. 181 zu § 611 BGB Gratifikation).
Normenkette
BGB § 611; AFG §§ 101, 105a
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Februar 1997 – 9 Sa 988/96 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Jahressonderzahlung für das Jahr 1995.
Die bei der Beklagten als Schuhfabrikarbeiterin beschäftigte Klägerin ist seit dem 11. Oktober 1993 arbeitsunfähig krank. Nach ihrer Aussteuerung durch die Krankenkasse zum 12. Dezember 1994 beantragte sie Arbeitslosengeld und stellte einen Rentenantrag.
Die Beklagte erteilte am 10. November 1994 eine Arbeitsbescheinigung gemäß § 133 AFG für das Arbeitsamt und sandte diese der Klägerin zu. In dieser Arbeitsbescheinigung ist angegeben, daß das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin wegen Aussteuerung vom 9. Dezember 1994 beendet ist, das Arbeitsverhältnis jedoch noch besteht. Die Klägerin bezog dann Arbeitslosengeld.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Schuhindustrie in Rheinland-Pfalz und damit auch der Tarifvertrag über eine Jahressonderzahlung 13. Monatseinkommen für gewerbliche Arbeitnehmer und Auszubildende der Schuhindustrie vom 3. Februar 1992 (im folgenden: TV 13. ME-Schuhindustrie) Anwendung. Dieser lautet – soweit vorliegend von Interesse – wie folgt:
„§ 2
1. Gewerbliche Arbeitnehmer und Auszubildende, die jeweils am Auszahlungstag in einem ungekündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis bzw. in einem ungekündigten Ausbildungsverhältnis stehen und am 15.11. dem Betrieb ununterbrochen mindestens 1 Jahr angehören haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf 60 % eines Monatseinkommens.
Bei einer Betriebszugehörigkeit am 15.11. von weniger als 1 Jahr, mindestens aber 6 Monaten, wird ein Zwölftel der tariflichen Leistungen für jeden vollen Kalendermonat der Betriebszugehörigkeit gewährt.
2. Das Monatseinkommen errechnet sich aus dem Durchschnittsstundenlohn der Monate Juli bis Oktober × 169.
3. Der Berechnung der Leistungen sind zugrunde zu legen:
a) für Arbeitnehmer:
der durchschnittliche Stundenverdienst. Er errechnet sich aus dem Gesamtverdienst des Arbeitnehmers in dem betreffenden Zeitraum einschließlich Zuschläge für Mehrarbeit, Sonntags- und Feiertagsarbeit, Nachtarbeit sowie Schichtarbeit, jedoch ohne Auslösung, Krankenlohn, die Urlaubsvergütung und das zusätzliche Urlaubsgeld, die vermögenswirksamen Leistungen des Arbeitgebers und ähnliche Zahlungen sowie einmalige Zuwendungen geteilt durch die Zahl der bezahlten Stunden, ohne Kranken- und Urlaubsstunden;
…
5. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistung; ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung gem. Ziff. 1 Abs. 2.
Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Erreichens der Altersgrenze oder aufgrund Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes aus dem Betrieb ausscheiden sowie unterhaltsberechtigte Hinterbliebene von verstorbenen Arbeitnehmern erhalten entsprechende Zwölftel der tariflichen Leistung. Dabei gilt in diesem Fall ein angebrochener Monat als voller Monat.”
Die Klägerin erhielt für das Jahr 1995 kein 13. Monatseinkommen nach diesem Tarifvertrag.
Sie ist der Auffassung, einen Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung zu haben, weil der Tarifvertrag bei dauernder Arbeitsunfähigkeit keinen Ausschluß von der Leistung vorsehe und ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien nicht vereinbart worden sei.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.723,80 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 3. Februar 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie ist der Ansicht, der Klägerin stehe ein Anspruch nicht zu, da sie krankheitsbedingt keinen Stundenlohn erhalten habe und damit die Berechnungsgrundlage für das 13. Monatseinkommen entfallen sei. Sie sei auch deshalb nicht zur Zahlung verpflichtet, weil das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin aufgrund der Erstellung der Arbeitsbescheinigung gem. § 133 AFG und dem darin zu sehenden Verzicht auf das Direktionsrecht ruhe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung für das Jahr 1995 nicht zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet. Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin alleine führe zwar nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses, jedoch hätten die Parteien zumindest konkludent dessen Ruhen vereinbart, so daß nach § 2 Nr. 5 des TV 13. ME-Schuhindustrie für das Jahr 1995 kein Anspruch auf die Jahressonderzahlung entstanden sei.
II. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis und in der Begründung zu folgen.
Die Klägerin hat wegen Ruhens ihres Arbeitsverhältnisses im Jahre 1995 keinen Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung nach dem TV 13. ME Schuhindustrie.
1. Nach § 2 Ziff. 1 TV 13. ME-Schuhindustrie haben Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 15.11. des laufenden Kalenderjahres mindestens ein Jahr ununterbrochen besteht, Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin.
a) Der Umstand, daß sie im gesamten Kalenderjahr 1995 aufgrund ihrer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit keine Arbeitsleistung erbracht hat, steht dem Anspruch nicht entgegen. Der TV 13. ME-Schuhindustrie setzt eine tatsächliche Arbeitsleistung nicht voraus.
Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung (BAGE 71, 78 = AP Nr. 143 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 16. März 1994 – 10 AZR 669/92 – AP Nr. 162 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 10. April 1996 – 10 AZR 600/95 – AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bergbau) davon aus, daß eine tarifliche Regelung über die Gewährung einer Sonderzahlung im einzelnen bestimmen kann, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen und daß über solche Bestimmungen hinaus einer tariflichen Regelung nicht der Rechtssatz entnommen werden kann, Voraussetzung für den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung sei auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
Ausgehend von diesen Grundsätzen läßt sich dem TV 13. ME-Schuhindustrie nicht entnehmen, daß eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers Voraussetzung für den Anspruch auf die Jahressonderzahlung ist.
b) Voraussetzung für einen Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung ist, entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht, daß für den Arbeitnehmer in den Monaten Juli bis Oktober des laufenden Jahres Arbeitsentgelt abgerechnet worden ist. Dies hat der Senat für die mit § 2 Ziff. 2 und 3 a TV 13. ME-Schuhindustrie insoweit gleichlautende Berechnungsvorschrift im Tarifvertrag über eine Jahressonderzahlung 13. Monatseinkommen für gewerbliche Arbeitnehmer und Auszubildende der Schuhindustrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 18. Januar 1988 bereits mit Urteil vom 5. August 1992 (BAGE 71, 78 = AP, a.a.O.) entschieden.
2. Der Klägerin steht jedoch ein Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung deshalb nicht zu, weil ihr Arbeitsverhältnis im Jahr 1995 geruht hat. Nach § 2 Ziff. 5 TV 13. ME-Schuhindustrie erhält ein Arbeitnehmer keine Leistungen, der zwar – wie die Klägerin – die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt und daher an sich anspruchsberechtigt wäre, dessen Arbeitsverhältnis aber kraft Gesetzes oder Vereinbarung im laufenden Kalenderjahr geruht hat. Dies war bei der Klägerin der Fall.
a) Das Landesarbeitsgericht hat zunächst zutreffend angenommen, daß die seit Oktober 1993 bestehende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin für sich allein nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Davon geht auch das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung aus (BAGE 66, 34 = AP Nr. 93 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; Urteil vom 22. Februar 1995 – 10 AZR 782/93 – AP Nr. 123 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; Urteil vom 9. August 1995 – 10 AZR 539/94 – BAGE 80, 308 = AP Nr. 181 zu § 611 BGB Gratifikation).
b) In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Landesarbeitsgericht sodann angenommen, daß die Parteien das Ruhen des Arbeitsverhältnisses zumindest konkludent vereinbart haben.
Das Landesarbeitsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die Parteien durch ihre Erklärungen wechselseitig zu erkennen gegeben haben, daß sie die Hauptpflichten aus dem zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnis suspendieren und damit ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbaren wollten.
Diese vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung nichttypischer Willenserklärungen ist nach ständiger Rechtsprechung durch das Revisionsgericht nur daraufhin überprüfbar, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt läßt und ob sie rechtlich möglich ist (BAGE 55, 53 = AP Nr. 131 zu §§ 22, 23 BAT; BGH Urteil vom 31. Januar 1995 – XI ZR 56/94 – ZIP 1995, 658; zuletzt: BAG Urteil vom 22. Januar 1997 – 5 AZR 499/95 – n.v.).
Solche Auslegungsfehler läßt das angefochtene Urteil nicht erkennen.
Bezieht ein Arbeitnehmer bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit auf seinen Antrag hin nach Aussteuerung durch die Krankenkasse Arbeitslosengeld nach §§ 105 a, 101 AFG, so ist nach der Rechtsprechung des Senats (BAGE 80, 308 = AP Nr. 181 zu § 611 BGB Gratifikation) zu vermuten, daß die Parteien – zumindest stillschweigend – das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart haben. Im zu entscheidenden Falle wird diese Vermutung noch dadurch konkretisiert, daß die Beklagte ihr Einverständnis mit einer Suspendierung der Arbeitspflicht der Klägerin dieser gegenüber dadurch dokumentiert hat, daß sie ihr die Arbeitsbescheinigung gemäß § 133 AFG vom 10. November 1994 übersandt hat, aus welcher hervorgeht, daß die Beklagte von einer „Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses” ausgeht, was nichts anderes bedeutet, als das sie erklärt, eine Weiterarbeit der Klägerin gegen Entlohnung solle nicht mehr stattfinden. Ihr Einverständnis damit hat die Klägerin ihrerseits – auch für die Beklagte erkennbar – dadurch geäußert, daß sie auf der Grundlage dieser Arbeitsbescheinigung beim Arbeitsamt Arbeitslosengeld beantragt hat.
Demnach haben die Parteien für das Jahr 1995 das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart, so daß der Klägerin nach § 2 Nr. 5 TV 13. ME-Schuhindustrie kein Anspruch auf die geforderte Jahressonderzahlung zustand. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage deshalb zu Recht abgewiesen, so daß die Revision der Klägerin zurückzuweisen war.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Freitag, Hauck, Böck, Schaeff, N. Schuster
Fundstellen