Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung der Berufsschulzeit nach Verkürzung der tariflichen Arbeitszeit
Leitsatz (redaktionell)
Berufsschultage mit mehr als 5 Unterrichtsstunden von mindestens je 45 Minuten sind mit jeweils 8 Stunden nur auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich (§ 8 Abs 1 JArbSchG) und nicht auf die kürzere tarifliche Arbeits- bzw Ausbildungszeit anzurechnen, wenn es an einer eigenen tariflichen Anrechnungsregelung fehlt.
Normenkette
AZO § 3; JArbSchG § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 4, 2 Nr. 1, § 21a Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.04.1991; Aktenzeichen 5 Sa 1526/90) |
ArbG Osnabrück (Entscheidung vom 29.06.1990; Aktenzeichen 1 Ca 213/90) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob Berufsschulzeiten mit 8 Stunden auf die gesetzlich höchstzulässige Arbeitszeit von 40 Wochenstunden oder ob sie im Umfang der anteiligen tariflich verkürzten Arbeitszeit auf diese anzurechnen sind.
Die am 25. September 1973, 1. Dezember 1972, 20. September 1972, 17. März 1973, 27. April 1972, 4. Dezember 1972, 7. Januar 1972, 24. Februar 1972 bzw. 8. Juni 1972 geborenen Kläger bzw. Klägerinnen standen bei Schluß der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht in einem Ausbildungsverhältnis mit der Beklagten, die ein Unternehmen der Möbelindustrie ist. Der Ausbildungsvertrag des Klägers zu 1) begann am 15. August 1989 und endet am 14. August 1992. Die Ausbildungsverhältnisse der übrigen Klägerinnen/Kläger begannen am 1. August 1989.
Auf die Ausbildungsverhältnisse wird der am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Manteltarifvertrag für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie im nordwestdeutschen Raum der Bundesrepublik Deutschland (MTN) vom 10. Januar 1989 angewendet; dieser lautet wie folgt:
"Geltungsbereich
1. Dieser Vertrag gilt:
...
persönlich:
...
für Auszubildende
...
soweit die Vorgenannten Mitglieder der Tarifver-
tragsparteien sind.
...
Arbeitszeit
21.a) Die regelmäßige Arbeitszeit ausschließlich
der Pausen darf bis zum 30. September 1989
38,5 Stunden wöchentlich nicht überschrei-
ten. Ab 1. Oktober 1989 beträgt die regel-
mäßige wöchentliche Arbeitszeit 37 Stunden
bei vollem Lohnausgleich von montags bis
freitags.
...
22. Die regelmäßige Arbeitszeit ist grund-
sätzlich auf alle Arbeitstage von montags
bis freitags mit der Maßgabe zu verteilen,
daß an keinem Arbeitstag länger als acht
Stunden pro Tag gearbeitet wird.
...
31. Für die Arbeitszeit der Frauen und Jugend-
lichen gelten die gesetzlichen Schutzbe-
stimmungen.
..."
Mit Schreiben vom 10. November 1989 teilte die Beklagte den Klägerinnen/Klägern mit, daß die Arbeitszeit für die Auszubildenden, die am 1. Januar 1989 das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, 40 Wochenstunden betrage und keine Freischichten gewährt würden. Diese Regelung gelte wieder ab dem 1. November 1989. Die Klägerinnen/Kläger wurden von der Beklagten an einem Arbeitstag für den Berufsschulunterricht freigestellt und an den verbleibenden vier Tagen bis zu 32 Wochenstunden tatsächlich beschäftigt. Gegenüber den der Berufsschulpflicht unterliegenden volljährigen Auszubildenden hatte die Beklagte die Gewährung von Freischichten mit Schreiben vom 29. Mai 1990 widerrufen.
Im Ausbildungsvertrag des Klägers zu 1) ist die regelmäßige tägliche Ausbildungszeit mit acht Stunden festgelegt.
Die Klägerinnen/Kläger sind der Auffassung, ihre Arbeitszeit für die verbleibenden vier Tage betrage nur 29,6 Stunden. Die von § 9 Abs. 2 Nr. 1 JArbSchG vorgesehene Anrechnung des Berufsschultages sei nicht auf die Höchstarbeitszeit nach § 8 Abs. 1 JArbSchG von 40 Wochenstunden, sondern auf die betriebliche Wochenarbeitszeit von 37 Stunden vorzunehmen, allerdings nicht mit acht, sondern entsprechend der tariflichen Arbeitszeitverkürzung mit 7,4 Stunden. Nach dem den §§ 8 und 9 JArbSchG zugrundeliegenden Rechtsgedanken sei der Berufsschultag mit der einem tariflichen bzw. betriebsüblichen "Normalarbeitstag" entsprechenden Stundenzahl zu bewerten. Eine andere Auslegung der genannten Vorschriften würde einen Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Tarifautonomie darstellen, da dann nicht mehr die Tarifparteien die effektive Wochenarbeitszeit bestimmen würden. Die sich daraus ergebende zuviel erbrachte Arbeitsleistung von 2,4 Wochenstunden habe die Beklagte wie Mehrarbeit mit den entsprechenden Zuschlägen gemäß Ziffer 36 MTN zu vergüten. Da die Beklagte ausweislich ihres Schreibens vom 10. November 1989 abweichend von der tariflichen Arbeitszeit von 37 Wochenstunden eine Arbeitszeit von 40 Wochenstunden für die Auszubildenden zugrundelegte und deshalb auch keine Freischichten mehr gewährt habe, sei sie zur Gewährung von sechs Freischichten im Jahre 1990 verpflichtet.
Die Klägerinnen/Kläger haben daher beantragt,
1. festzustellen, daß Berufsschultage mit mehr
als fünf Unterrichtsstunden von mindestens
45 Minuten mit 7,4 Stunden auf die gemäß
Nr. 21 des Tarifvertrages für die holz- und
kunststoffverarbeitende Industrie im nordwest-
deutschen Raum der Bundesrepublik Deutschland
(MTN) für Arbeiter, Angestellte und Auszubil-
dende, gültig ab 1. Januar 1989, 37 Stunden
betragende regelmäßige wöchentliche Arbeits-
zeit der Klägerinnen/Kläger angerechnet wer-
den;
2. die Beklagte zu verurteilen, den Klägerinnen/
Klägern für das Jahr 1990 sechs Freischichten
zu gewähren;
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu
1) 287,67 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem
sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem
9. April 1990 zu zahlen,
an den Kläger zu 2) 287,67 DM brutto nebst 4 %
Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobe-
trag seit dem 9. April 1990 zu zahlen,
an den Kläger zu 3) 287,67 DM brutto nebst 4 %
Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobe-
trag seit dem 9. April 1990 zu zahlen,
an den Kläger zu 4) 300,21 DM brutto nebst 4 %
Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobe-
trag seit dem 9. April 1990 zu zahlen,
an den Kläger zu 5) 287,67 DM brutto nebst 4 %
Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobe-
trag seit dem 9. April 1990 zu zahlen,
an den Kläger zu 6) 300,21 DM brutto nebst 4 %
Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobe-
trag seit dem 9. April 1990 zu zahlen,
an den Kläger zu 7) 300,21 DM brutto nebst 4 %
Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobe-
trag seit dem 9. April 1990 zu zahlen,
an die Klägerin zu 8) 300,21 DM brutto nebst
4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Net-
tobetrag seit dem 9. April 1990 zu zahlen,
an die Klägerin zu 9) 287,67 DM brutto nebst
4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Net-
tobetrag seit dem 9. April 1990 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, daß sich die Anrechnungsregelung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 JArbSchG ausschließlich auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit nach § 8 Abs. 1 JArbSchG ohne Rücksicht auf die tariflich verkürzte Wochenarbeitszeit beziehe.
Das Arbeitsgericht hat nach einem vorausgegangenen Schlichtungsverfahren gemäß § 111 Abs. 2 ArbGG die Klagen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerinnen/Kläger zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Revision, mit der die Klägerinnen/Kläger ihre Anträge weiterverfolgen.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen konnten keinen Erfolg haben. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 JArbSchG Berufsschultage mit mehr als 5 Unterrichtsstunden von mindestens je 45 Minuten mit jeweils 8 Stunden nur auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich (§ 8 Abs. 1 JArbSchG) und nicht auf die kürzere tarifliche Arbeits- bzw. Ausbildungszeit anzurechnen sind.
I. Der am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Manteltarifvertrag für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie im nordwestdeutschen Raum der Bundesrepublik Deutschland (MTN) vom 10. Januar 1989 hat gemäß Ziffer 21.a) die regelmäßige Arbeitszeit ausschließlich der Pausen bis zum 30. September 1989 auf 38,5 Stunden wöchentlich und ab 1. Oktober 1989 auf 37 Stunden wöchentlich bei vollem Lohnausgleich herabgesetzt. Dieser Tarifvertrag erstreckt sich nach seinem persönlichen Geltungsbereich auch auf Ausbildungsverhältnisse. Damit unterscheidet sich diese tarifliche Regelung von anderen hier nicht anwendbaren Tarifverträgen, welche die Arbeitszeitverkürzung ausdrücklich nicht auf die wöchentliche Ausbildungszeit erstreckt haben (vgl. u.a. § 2 des Tarifvertrages vom 3. Juli 1984 zur Änderung des Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 sowie demgegenüber § 2 Nr. 2 des Tarifvertrages vom 5. Mai 1987 zur 2. Änderung des Manteltarifvertrages zwischen denselben Tarifpartnern vom 30. April 1980).
Wenn danach der hier maßgebende MTN für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie über die Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung im Ausbildungsverhältnis nichts sagt, so ergibt sich daraus noch nichts für den Rechtsstandpunkt der Klägerinnen/Kläger. Entgegen der Auffassung der Revision kann aus der Regelung der Ziff. 31 MTN, wonach für die Arbeitszeit der Frauen und Jugendlichen "die gesetzlichen Schutzbestimmungen" gelten, nicht entnommen werden, die Berufsschulzeit nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 JArbSchG sei auf die tarifliche Arbeitszeit nach Ziff. 21 a MTN anzurechnen. Eine solche tarifliche Bestimmung, die sich hinsichtlich der Arbeitszeit für Jugendliche darauf beschränkt, auf die gesetzlichen Schutzbestimmungen zu verweisen, wiederholt damit nur die gesetzliche Regelung, ohne darüber hinaus zu gehen (so auch Zmarzlik, DB 1992, 526, 530). Diese Tarifbestimmung gibt vielmehr den Jugendlichen nur einen zusätzlichen tariflichen Anspruch auf Durchführung des Jugendarbeitsschutzgesetzes (Zmarzlik, aaO).
Da die Tarifvertragsparteien nichts über die Anrechnung der Berufsschulzeit auf die tariflich verkürzte Arbeitszeit bestimmt haben, verbleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder haben sie die streitige Frage bewußt nicht geregelt oder es liegt eine unbewußte tarifliche Regelungslücke vor. In beiden Fällen scheidet jedoch im Streitfall eine Ergänzung des Tarifvertrages aus. Im Fall einer bewußten Regelungslücke ist es den Arbeitsgerichten verwehrt, diese zu schließen, weil sie sich sonst über den Willen der Tarifvertragsparteien hinwegsetzten und unzulässigerweise in deren durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie eingreifen würden (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. u.a. BAGE 40, 345, 352 = AP Nr. 69 zu §§ 22, 23 BAT, m.w.N.). Sollten die Tarifvertragsparteien die Frage der Anrechnung von Berufsschulzeiten auf die betriebliche Arbeitszeit nicht bedacht haben, liegt zwar eine unbewußte tarifliche Regelungslücke vor, die der richterlichen Vertragsergänzung zugänglich ist. Solche Regelungslücken sind nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung dessen zu schließen, wie die Tarifvertragsparteien die Streitfrage bei objektiver Betrachtung der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge im Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses voraussichtlich geregelt hätten, falls sie an den nicht geregelten Fall gedacht hätten (BAGE 36, 218, 225 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten). Im Streitfall kommt jedoch eine Lückenausfüllung nicht in Betracht, weil unterschiedliche Regelungen denkbar sind, die den vorstehenden Anforderungen entsprechen. Denkbar ist beispielsweise eine Anlehnung an die Regelung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 JArbSchG (8 Stunden), aber auch eine Vereinbarung, die das Verhältnis der tariflichen Arbeitszeitverkürzung zu der Vorstellung des Gesetzgebers von der 40-Stunden-Woche ausdrückt und als anrechenbare Arbeitszeit ein Stundenmittel ansetzt, wie etwa 7,5 Stunden einer 5-Tage-Woche mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden (ebenso Taubert, BB 1992, 133, 135). Weiterhin ist denkbar, daß die Tarifvertragsparteien eine Anrechnung der Berufsschulunterrichtszeiten als Zeitstunden gewählt hätten (Taubert, aaO). Gegen diese unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten spricht nicht schon die Tatsache, daß die Auszubildenden in den persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages mit einer Arbeitszeitverkürzung einbezogen sind (anderer Meinung: Arbeitsgericht Siegen, Urteil vom 18. Februar 1992 - 3 Ca 984/91 - BB 1992, 641). Die Einbeziehung der Auszubildenden in den Geltungsbereich des Manteltarifvertrages sagt nur etwas über den persönlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages aus, ohne daß damit schon die Anrechnung der tariflichen Arbeitszeitverkürzung auf die Zeit des Berufsschulunterrichts geregelt wäre.
II. Unter diesen Umständen ist allein die Regelung des Jugendarbeitsschutzgesetzes maßgebend. Aus der Systematik und dem Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Regelung ergibt sich, daß die Berufsschulzeiten auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit und nicht - wie die Klägerinnen/Kläger meinen - auf die betriebliche Arbeitszeit anzurechnen sind.
1. Nach § 8 Abs. 1 JArbSchG dürfen Jugendliche nicht mehr als 8 Stunden täglich und nicht mehr als 40 Stunden wöchentlich beschäftigt werden. Im unmittelbaren Anschluß daran bestimmt § 9 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 2 JArbSchG, daß Berufsschultage mit mehr als 5 Unterrichtsstunden von 45 Minuten mit 8 Stunden auf die Arbeitszeit angerechnet werden. Diese Reihenfolge der gesetzlichen Bestimmungen und die fehlende Umschreibung des im Gesetzestext verwendeten Begriffs "Arbeitszeit" lassen erkennen, daß der Gesetzgeber an den Begriff der Höchstarbeitszeit anknüpfen wollte (vgl. ebenso Taubert, BB 1992, 133, 134; Zmarzlik, DB 1992, 526, 528).
2. Für diese Lösung spricht außerdem, daß der Gesetzgeber die Probleme der Arbeitszeitverkürzung durchaus gesehen hat. Das ergibt sich aus § 8 Abs. 2 des JArbSchG und den §§ 8 Abs. 2 a und 21 a JArbSchG, die durch das 1. Änderungsgesetz vom 15. Oktober 1984 (BGBl. I, S. 1277) eingefügt wurden. Durch § 21 a JArbSchG sollte den Tarifvertragsparteien als tarifdispositives Recht die Möglichkeit eröffnet werden, die Arbeitszeitvorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes den konkreten Erfordernissen der Ausbildung und Beschäftigung Jugendlicher innerhalb des dort bestimmten Rahmens anzupassen. Dabei war im Gesetzgebungsverfahren umstritten, ob die erweiterten Arbeitszeitregelungen für Jugendliche gesundheitlich vertretbar seien (Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 10/2012, S. 14; Taubert in BB 1992, 133, 134; Zmarzlik, DB 1984, 2349). Durch die in § 21 a JArbSchG eingeräumte Möglichkeit hat der Gesetzgeber jedoch nicht seine Verantwortung über den Gesundheitsschutz der Jugendlichen auf die Tarifvertragsparteien und Betriebspartner übertragen (Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 10/2012, S. 14; Taubert, aaO, S. 135). Das Gesetz hat zum Schutze der Gesundheit des Jugendlichen an einer Höchstarbeitszeit von wöchentlich 40 Stunden in einem Ausgleichszeitraum von 2 Monaten (§ 21 a Abs. 1 Nr. 1 JArbSchG) unverändert festgehalten. Dieser Rückgriff des Gesetzgebers auf den in § 8 Abs. 1 und Abs. 2 JArbSchG niedergelegten Grundsatz läßt erkennen, daß die 40-Stunden-Woche in der Regel als gesundheitliche Belastbarkeitsgrenze beizubehalten ist (Taubert, aaO, S. 135). Wenn der Gesetzgeber hiernach bei Zulassung verlängerter Tagesarbeitszeiten dennoch an der starren 8-Stunden-Grenze in § 9 Abs. 1 Nr. 2 JArbSchG festhielt, hat er damit seinen Willen bekundet, diese Bewertung des Berufsschultages aufrecht zu erhalten. Damit werden die Anforderungen, die der Unterricht an die Jugendlichen in der Wachstumsphase stellt, einer tatsächlichen Ausbildungszeit von 8 Stunden gleichgeachtet (Molitor/Volmer/Germelmann, JArbSchG, 3. Aufl., 1986, § 9 Rz 30; Taubert, aaO, S. 135).
3. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich bereits mit einer ähnlichen Problematik bei der Auslegung des § 46 SchwbG zu beschäftigen. Danach sind Schwerbehinderte auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freizustellen. Der erkennende Senat hat dazu entschieden, daß unter Mehrarbeit im Sinne des § 46 SchwbG nicht die über die individuelle Arbeitszeit des Schwerbehinderten hinausgehende tägliche Arbeitszeit zu verstehen sei, sondern die werktägliche Dauer von 8 Stunden (§ 3 AZO) überschreitende Arbeitszeit maßgebend sei (BAGE 63, 221 = AP Nr. 1 zu § 46 SchwbG). In diesem Zusammenhang hat sich der Senat vom Schutzzweck der Vorschrift leiten lassen: § 46 SchwbG wolle sicherstellen, daß die Leistungsfähigkeit Schwerbehinderter nicht über Gebühr beansprucht werde (Ausschußbericht BT-Drucks. 7/1515 zu Nr. 41 a, S. 15, 16). Der Senat hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, die in den letzten Jahren allgemein eingeführten Arbeitszeitverkürzungen beruhten weniger auf dem Gedanken, daß die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als 8 Stunden überfordert sei, als vielmehr auf dem sozialpolitischen Postulat nach mehr Freizeit, um die Möglichkeiten des Arbeitnehmers zur Gestaltung seines Privatlebens außerhalb der Arbeitszeit zu verbessern (BAGE 63, 221, 225 = AP Nr. 1 zu § 46 SchwbG). Davon ist auch bei der Auslegung des Jugendarbeitsschutzgesetzes auszugehen (Taubert, BB 1992, aaO, S. 135).
4. Aus § 9 Abs. 4 JArbSchG ergibt sich, daß auch für über 18 Jahre alte und noch berufsschulpflichtige Personen die Berufsschulzeiten gemäß § 9 Abs. 2 JArbSchG auf die Arbeitszeit anzurechnen sind. Da für diesen Personenkreis § 8 Abs. 1 JArbSchG nicht unmittelbar gilt, ist deswegen auf die nach anderen Vorschriften bestehenden gesetzlichen Höchstarbeitszeiten für Arbeitnehmer über 18 Jahre abzustellen, z.B. auf die Arbeitszeitordnung (Gröninger/Gehring/Taubert, JArbSchG, 1985, § 9 Anm. 6; Molitor/Volmer/Germelmann, aaO, § 9 Rz 44; Zmarzlik, JArbSchG, § 9 Rz 65, 66 und derselbe DB 1992, 526, 529 sowie Taubert, aaO, S. 135). Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung (vgl. dazu Mache in AiB 1989, 148) ergibt sich aus der fehlenden Verweisung in § 9 Abs. 4 JArbSchG auf die Höchstarbeitszeit in § 8 Abs. 1 JArbSchG nicht, daß im allgemeinen oder auch nur für die erwachsenen Berufsschulpflichtigen auf die tarifliche Arbeitszeit abzustellen sei.
Im Laufe des Jahres 1990 hatten die Klägerinnen/Kläger mit Ausnahme des Klägers zu 1) das 18. Lebensjahr vollendet. Danach galt für sie bereits nicht mehr die Höchstarbeitszeit nach § 8 Abs. 1 JArbSchG, sondern die Regelung des § 3 AZO, wonach die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit die Dauer von 8 Stunden nicht überschreiten darf. Es ist allerdings davon auszugehen, daß im Betrieb der Beklagten samstags grundsätzlich nicht gearbeitet wird, denn nach Ziffer 21.a) und nach Ziffer 22 MTN verteilt sich die Arbeitszeit auf die Tage von Montag bis Freitag. Unter diesen Umständen blieb es für die Klägerinnen/Kläger demnach auch nach Erreichen der Volljährigkeit und unter Zugrundelegung der Arbeitszeitordnung bei einer gesetzlichen Höchstarbeitszeit von 40 Wochenstunden (5 x 8 Stunden).
5. Das Auslegungsergebnis verletzt auch nicht die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Tarifautonomie. Diese verwehrt es dem Gesetzgeber nicht, gesetzliche Höchstarbeitszeiten festzulegen. Wenn die Klägerinnen/Kläger als Auszubildende nicht im selben Maße wie die übrigen Arbeitnehmer an der tariflichen Arbeitszeitverkürzung teilnehmen, beruht dies auf der Untätigkeit der Tarifvertragsparteien (vgl. Taubert, aaO, S. 136). Eine Gesetzesanwendung, die tarifvertragliche Regelungsmöglichkeiten nicht vorwegnimmt, greift nicht in die Tarifautonomie ein, sondern überläßt im Gegenteil den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit zu eigener Gestaltung.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Dr. Hirt Blank-Abel
Fundstellen
BAGE 70, 301-309 (LT1) |
BAGE, 301 |
DB 1993, 330-331 (LT1) |
EzB JArbSchG § 9, Nr 20 (ST1) |
ARST 1993, 33-34 (LT1) |
NZA 1993, 453 |
NZA 1993, 453-455 (LT1) |
RdA 1992, 402 |
SAE 1993, 201-203 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 125/93 (S) |
ZTR 1993, 120-121 (LT1) |
AP § 8 JugArbSchutzG (LT1), Nr 1 |
AR-Blattei, ES 410 Nr 3 (LT1) |
EzA § 8 JArbSchG, Nr 1 (LT1) |
EzBAT § 6 MTV Auszubildende, Nr 2 (LT1) |