Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen. Mitbestimmung des Betriebsrats

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 28.10.1994; Aktenzeichen 4 Sa 2/94)

ArbG Köln (Urteil vom 06.07.1993; Aktenzeichen 6 Ca 8344/92)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 28. Oktober 1994 – 4 Sa 2/94 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob die Beklagte eine durch den Wechsel des Tarifregimes bedingte Erhöhung des Tariflohnes auf eine allgemeine übertarifliche Zulage des Klägers wirksam angerechnet hat.

Der Kläger war seit 1985 als Lagerarbeiter in der Versandabteilung der Beklagten beschäftigt. Diese Abteilung war vor Beginn seines Beschäftigungsverhältnisses aus dem Unternehmen B. Druck, Köln, ausgegliedert worden. Für die übernommenen Arbeitnehmer kam es zu einem Tarifwechsel: Während ursprünglich die Tarifverträge der Druckindustrie gegolten hatten, waren nunmehr die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels maßgeblich. Diese Tarifverträge enthielten gegenüber denjenigen der Druckindustrie ungünstigere Regelungen. Der Status der übernommenen Belegschaft wurde jedoch durch Besitzstandsregelungen gesichert.

Die Beklagte gewährte ihren Mitarbeitern während der Geltung der Tarifverträge des Groß- und Außenhandels eine allgemeine übertarifliche Zulage. Sie lag für die „Neubelegschaft” zuletzt zwischen 100,– DM und 350,– DM, für die Altbelegschaft war sie individuell unterschiedlich gestaltet. Die Mitarbeiter der Neubelegschaft erhielten darüber hinaus eine sog. „freiwillige Sonderzulage/Schichtzulage”. Beide Gruppen erhielten außerdem die tariflichen Zulagen für Schicht- und Nachtarbeit, welche sich für die Neubelegschaft nach den Tarifverträgen des Groß- und Außenhandels richteten, für die Altbelegschaft aufgrund der Besitzstandsregelung nach den – höheren – Sätzen der Tarifverträge der Druckindustrie. Dem Ausgleich dieses Unterschiedes diente die „Sonderzulage/Schichtzulage”.

Die allgemeine übertarifliche Zulage, die für den Kläger zuletzt 350,– DM betrug, war im Arbeitsvertrag vom 3. Juni 1985 als „außertarifliche Zulage von 86,50 DM” ausgewiesen. Es heißt im Arbeitsvertrag weiter:

„Die nach Ziffer 3 gewährte Zulage ist keine Leistungszulage und kann sowohl auf künftige Tariferhöhungen als auch auf Lohnerhöhungen, die infolge von Übernahme in eine höhere Tarifgruppe Zustandekommen, angerechnet werden. Auf die Zulage besteht auch bei wiederholter Gewährung kein Rechtsanspruch für die Zukunft. Sie wird darüber hinaus unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs nach freiem Ermessen gewährt. Der Widerruf ist mit einer Ankündigungsfrist von 14 Tagen auszusprechen, der Arbeitsvertrag im übrigen wird hiervon nicht berührt.”

1991 fand ein Einigungsstellenverfahren statt, in dem die Kriterien für die Gewährung der allgemeinen übertariflichen Zulage festgelegt werden sollten. Der von der Beklagten angefochtene Spruch der Einigungsstelle ist nach rechtskräftiger Entscheidung unwirksam. Die Betriebspartner schlossen während des arbeitsgerichtlichen Verfahrens am 21. Juni 1991 eine Betriebsvereinbarung, die hinsichtlich der allgemeinen Zulage folgende Regelung enthält:

„Im Lager erhalten die Beschäftigten mit Ausnahme der Schichtführer, Fachkräfte und ehemalige BDK gewerblichen Arbeitnehmer mit Besitzstandsregelung folgende allgemeine übertarifliche Zulagen:

0 DM/100,– DM/150,– DM/250,– DM/350,– DM.

Bisher gewährte allgemeine übertarifliche Zulagen werden ab 1.7.1991 auf die nächste Stufe erhöht.”

Mit Wirkung zum 1. Juli 1992 schloß die Beklagte mit der IG Medien einen Haustarifvertrag, der in weiten Teilen auf die Tarifverträge der Druckindustrie verweist. Das Tarifgehalt des Klägers erhöhte sich mit Abschluß dieses Tarifvertrages zum 1. Juli 1992 von 2.722,43 DM auf 3.061,80 DM. Die Schichtzulage wurde nunmehr in Anlehnung an die tariflichen Bestimmungen der Druckindustrie berechnet, was gleichfalls zu einer erheblichen Erhöhung führte (z.B. statt bisher 277,– DM nunmehr ca. 795,– DM). Die Beklagte widerrief daraufhin zum 1. Juli 1992 gegenüber dem Kläger, wie gegenüber allen anderen Mitarbeitern der „Neubelegschaft”, die „Sonderzulage/Schichtzulage”. Sie rechnete außerdem die durch den Wechsel des Tarifregimes bedingte Tariflohnerhöhung auf die allgemeine übertarifliche Zulage des Klägers von 350,– DM voll an. Dem Kläger verblieb damit nach dem 1. Juli 1992 nur noch eine allgemeine übertarifliche Zulage von 10,63 DM. Die durch den Tarifwechsel bedingte Erhöhung rechnete die Beklagte auch auf die übertariflichen Zulagen aller anderen Mitarbeiter voll an. Nur bei zwei Mitarbeitern (We. und D.), deren übertarifliche Zulage zuvor 250,– DM betragen hatte, verrechnete die Beklagte die Erhöhung nicht voll, sondern jeweils nur 150,– DM. Der Betriebsrat wurde bei Streichung der „Sonderzulage/Schichtzulage” sowie bei der Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf die allgemeine übertarifliche Zulage nicht beteiligt.

Der Kläger, dessen Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet ist, hat die ungekürzte Weiterzahlung beider Zulagen begehrt. Hinsichtlich der „Sonderzulage/Schichtzulage” ist die Klage zweitinstanzlich abgewiesen worden. Da das Landesarbeitsgericht insoweit die Revision nicht zugelassen hat, ist diese Zulage nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Anrechnung auf die allgemeine übertarifliche Zulage sei individualvertraglich ausgeschlossen. Dies ergebe sich schon aus verschiedenen Erklärungen der Beklagten, eine Anrechnung nicht vornehmen zu wollen. Auch anläßlich der 1992 geführten Tarifverhandlungen sei das zugesagt worden. Der Anrechnung stehe auch die Betriebsvereinbarung entgegen. Schließlich sei sie auch deshalb unwirksam, weil der Betriebsrat nicht beteiligt worden sei. Die Beklagte habe die Tariflohnerhöhung nicht voll und gleichmäßig angerechnet, da jedenfalls hinsichtlich der Arbeitnehmer W. und D. statt möglicher 250,– DM jeweils nur 150,– DM verrechnet worden seien. Der Kläger hat die ungekürzte Zahlung der beiden Zulagen für die Monate Juli und August 1992 geltend gemacht sowie einen von der Zahlung der Zulagen abhängigen weiteren Teilbetrag, über den das Arbeitsgericht noch nicht entschieden hat. Er hat dementsprechend erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.475,97 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat hinsichtlich der allgemeinen Zulage vorgetragen, diese sei individualrechtlich stets anrechenbar geblieben. Daran habe auch die Betriebsvereinbarung nichts geändert. Eine anderslautende Zusage hinsichtlich der Tariflohnerhöhung 1992 sei nicht gegeben worden. Der Betriebsrat habe kein Mitbestimmungsrecht gehabt, da sie die durch den Wechsel des maßgeblichen Tarifvertrages bedingte Lohnerhöhung auf die Zulagen aller Mitarbeiter voll und gleichmäßig angerechnet habe. Dies gelte auch für die Mitarbeiter W. und D. Ihnen sei nur mit Wirkung vom 1. Juli 1992 eine neue Funktionszulage in Höhe von jeweils 100,– DM gezahlt worden. Beide seien in TarifGr. VII Gehalts-TV Groß- und Einzelhandel eingruppiert gewesen. Nach dem neuen Tarifvertrag seien sie in TarifGr. V eingruppiert wie sieben weitere Mitarbeiter mit vergleichbaren Tätigkeiten, die aber zuvor nur in TarifGr. VI Gehalts-TV Groß- und Außenhandel eingruppiert gewesen seien. Im Hinblick auf die besonderen Qualifikationen der Arbeitnehmer W. und D. sei dies nicht als adäquat empfunden worden. Über die Zahlung dieser Zulage in Höhe von jeweils 100,– DM sei bei den Tarifverhandlungen zwischen dem Vertreter der Gewerkschaft und den Unternehmensvertretern im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden Einvernehmen erzielt worden.

Das Arbeitsgericht hat die auf Fortzahlung der ungekürzten Zulagen gerichtete Klage durch Teilurteil abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich der allgemeinen übertariflichen Zulage (Teilbetrag 678,74 DM) stattgegeben, hinsichtlich der „Sonderzulage/Schichtzulage” (Teilbetrag 600,– DM) hat es die Berufung zurückgewiesen. Es hat die Revision nur für die Beklagte zugelassen. Diese begehrt die volle Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Anrechnung der durch den Wechsel des Tarifregimes begründeten Tariflohnerhöhung auf die allgemeine übertarifliche Zulage des Klägers zu Recht für unwirksam befunden.

I. Die Anrechnung war mitbestimmungspflichtig gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

1. Die Frage, nach welchen Kriterien sich die Höhe übertariflicher oder außertariflicher Zulagen und deren Verhältnis zueinander bestimmen soll, unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG grundsätzlich der Mitbestimmung des Betriebsrats. Dieses Mitbestimmungsrecht soll den Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmers orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen. Es soll die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges sichern.

Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 3. Dezember 1991 (– GS 2/90BAGE 69, 134 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung) besteht dieses Mitbestimmungsrecht auch bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf über- und außertarifliche Zulagen aus Anlaß und bis zur Höhe der Tariflohnerhöhung, wenn sich dadurch die Verteilungsgrundsätze ändern. Weitere Voraussetzung ist, daß nach den mitbestimmungsfreien Vorentscheidungen und bindenden Vorgaben für die Anrechnungsentscheidung ein Regelungsspielraum verbleibt. Deshalb ist die Anrechnung mitbestimmungsfrei, wenn durch sie das Zulagenvolumen völlig aufgezehrt oder die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet wird (Beschluß vom 3. Dezember 1991, a.a.O., zu C III 4 bis 6 der Gründe).

Das Mitbestimmungsrecht erstreckt sich allerdings nur auf generelle Regelungen und nicht auf die Regelung von Einzelfällen. Die individuelle Lohngestaltung, Regelungen mit Rücksicht auf besondere Umstände des einzelnen Arbeitnehmers, bei denen ein innerer Zusammenhang zu ähnlichen Regelungen für andere Arbeitnehmer nicht besteht, unterliegen nicht der Mitbestimmung. Ob ein kollektiver Tatbestand in diesem Sinne vorliegt, ist nicht allein quantitativ zu bestimmen. Es sind generelle Regelungsfragen vorstellbar, die vorübergehend nur einzelne Arbeitnehmer betreffen, andererseits können individuelle Sonderregelungen auf Wunsch der betroffenen Arbeitnehmer gehäuft auftreten. Beim Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG richtet sich die Abgrenzung von Einzelfallgestaltungen zu kollektiven Tatbeständen danach, ob es um Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsform geht oder nicht. Die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer kann dabei als Indiz herangezogen werden (Beschluß des Großen Senats vom 3. Dezember 1991, a.a.O., unter C III 3 b der Gründe).

2. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das Landesarbeitsgericht zutreffend ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bejaht.

a) Unerheblich ist, daß die Erhöhung der Tariflöhne durch den Wechsel des Tarifregimes bedingt war und nicht Folge einer prozentualen Steigerung im Zuge einer tariflichen Lohnrunde. Für die Frage der Mitbestimmung des Betriebsrats spielt die Ursache der Tariflohnerhöhung keine Rolle. Entscheidend ist, daß das Verhältnis von tariflicher und übertariflicher Vergütung berührt wird und damit die Regelungsfrage auftritt, wie dieses Verhältnis neugestaltet werden soll. Bei einer solchen Umgestaltung soll der Betriebsrat im Rahmen der mitbestimmungsfreien Vorgaben beteiligt werden. Der Senat hat dementsprechend die Grundsätze der Rechtsprechung des Großen Senats auch bei einer Tariflohnerhöhung angewandt, die durch den Wechsel einer Tarifgruppe nach Erreichen einer höheren Betriebszugehörigkeitsstufe bedingt war (Senatsurteil vom 22. September 1992 – 1 AZR 235/90BAGE 71, 164 = AP Nr. 54 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; vgl. zuletzt auch Senatsurteil vom 14. Februar 1995 – 1 AZR 565/94 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

b) Durch die Anrechnung der Tariflohnerhöhung haben sich die Verteilungsgrundsätze der allgemeinen übertariflichen Zulage geändert. Selbst wenn man einmal von einer vollen Anrechnung auch gegenüber den Arbeitnehmern W. und D. ausgeht, ergibt sich das schon allein aus dem Umstand, daß die übertariflichen Zulagen unterschiedlich hoch waren und auch nicht bei allen Arbeitnehmern um den gleichen prozentualen Anteil gekürzt worden sind (vgl. BAG Großer Senat Beschluß vom 3. Dezember 1991 – GS 2/90BAGE 69, 134, 166 f. = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter C III 5 b der Gründe).

c) Durch die Anrechnung sind nicht sämtliche übertarifliche Zulagen weggefallen. Die Anrechnung ist auch nicht voll und gleichmäßig erfolgt. Für die Beklagte verblieb ein Regelungsspielraum. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß die Tariferhöhung gegenüber den Arbeitnehmern W. und D. – jedenfalls im Ergebnis – nur teilweise angerechnet wurde.

aa) Die Beklagte trägt zwar vor, sie habe auch gegenüber W. und D. die Erhöhung zunächst voll angerechnet und erst dann eine neue Zulage ausgeworfen; sie beruft sich damit auf einen zweiaktigen Vorgang. Wie bereits das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, spricht aber schon der eigene Vortrag der Beklagten dagegen, den Vorgang in zwei getrennte Rechtsgeschäfte zu zerlegen. Die Tariferhöhung wurde beiden Arbeitnehmern gegenüber nur zum Teil angerechnet. Dies zeigt die von der Beklagten vorgelegte Aufstellung, die für W. und D. bis zum 30. Juni 1992 einen „Übertarif” von 250,– DM, ab 1. Juli 1992 einen solchen von 100,– DM ausweist.

In der Spalte „verrechneter Übertarif” sind bei W. und D. konsequent nur 150,– DM aufgeführt, während für die vergleichbaren anderen Mitarbeiter der volle Verrechnungsbetrag ausgewiesen ist. Für die Annahme einer bloß teilweisen Anrechnung spricht auch die zeitlich nahtlose Weiterzahlung des gekürzten „Übertarifs”. Geht man vor diesem Hintergrund von einer einaktigen Maßnahme aus, liegt schon deshalb keine vollständige und gleichmäßige Anrechnung vor. Der Umstand, daß die Anrechnung nur bei zwei Mitarbeitern nicht voll durchgeführt wurde, ist insoweit unerheblich (vgl. schon Senatsurteil vom 22. September 1992 – 1 AZR 405/90BAGE 71, 180 = AP Nr. 55 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung).

bb) Eine volle und gleichmäßige Anrechnung ist aber mit dem Landesarbeitsgericht auch dann zu verneinen, wenn man unterstellt, daß die Beklagte gegenüber W. und D. die Tariferhöhung zunächst angerechnet und ihnen erst danach eine neue Zulage von jeweils 100,– DM gewährt hat. Wie der Senat wiederholt entschieden hat, liegt eine insgesamt mitbestimmungspflichtige Änderung der Entlohnungsgrundsätze auch dann vor, wenn der Arbeitgeber in einem ersten Akt die volle Anrechnung einer Tariflohnerhöhung durchführt und erst in einem zweiten Schritt neue übertarifliche Leistungen festsetzt, soweit dem eine einheitliche Konzeption zugrundeliegt. In einem solchen Fall ist mitbestimmungsrechtlich von einem einheitlichen Vorgang auszugehen. Dies gilt auch dann, wenn die Maßnahmen zeitlich auseinanderfallen. Der Annahme einer einheitlichen Maßnahme steht nicht einmal entgegen, daß der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Anrechnung noch nicht im einzelnen entschieden hat, wem und in welcher Höhe neue übertarifliche Leistungen gewährt werden sollen (Senatsurteil vom 11. August 1992 – 1 AZR 279/90 – AP Nr. 53 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Senatsbeschluß vom 3. Mai 1994 – 1 ABR 24/93 – EzA § 23 BetrVG 1972 Nr. 36; zuletzt Senatsbeschluß vom 17. Januar 1995 – 1 ABR 19/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Nicht entscheidend ist schließlich auch, ob das Volumen der neuen Leistungen den Umfang der vorangegangenen Einsparungen erreicht oder nicht. Mitbestimmungspflichtig ist nicht nur die Umverteilung des bisherigen, sondern auch diejenige eines verminderten Zulagenvolumens. Eine Absicht, das Mitbestimmungsrecht zu umgehen, ist nicht erforderlich. Gegenstand der Mitbestimmung ist die betriebliche Entscheidungspraxis unabhängig davon, wie die Motive des Arbeitgebers zu werten sein mögen (vgl. zuletzt Beschluß vom 17. Januar 1995 – 1 ABR 19/94 – unter B II 3 b der Gründe).

Ein in diesem Sinne einheitlicher Vorgang liegt vor. Hierfür spricht schon der nahtlose zeitliche Übergang. Auch wenn man von einer „neuen” Zulage ausgehen wollte, besteht darüber hinaus ein erkennbarer sachlicher Zusammenhang zwischen der Anrechnung und eben dieser Zulage. Die Anrechnung erfolgte, weil der Arbeitgeber der Meinung war, daß mit der Steigerung der Tariflöhne der Zulagenzweck, den Arbeitnehmern einen über dem Tariflohn liegenden Effektivlohn zu sichern, entfallen war. Gegenüber den Arbeitnehmern W. und D. sah die beklagte jedoch die tariflichen Verbesserungen gerade nicht als ausreichend an, um diesen Zweck in vollem Umfang entfallen zu lassen. Die Beklagte bezeichnet die Zulage zwar jetzt als „Funktionszulage”. Sie hat jedoch keine besonderen Funktionen genannt, die damit abgegolten werden sollen, sondern schlicht auf die Qualifikation verwiesen, der der neue Tarifvertrag nicht in gleicher Weise gerecht werde wie der bisherige Tarifvertrag. Die Zulage dient also auch bei W. und D. nach wie vor dem Ausgleich der nicht als befriedigend empfundenen tariflichen Situation. Daraus ergibt sich der konzeptionelle Zusammenhang.

Dagegen spricht auch nicht die Geringfügigkeit der Summe der „neuen” Zulage. Der Annahme eines einheitlichen Vorgangs steht nicht entgegen, daß das Volumen der neuen Leistung unterhalb des Volumens der eingesparten Leistung bleibt (Beschluß vom 17. Januar 1995 – 1 ABR 19/94 –). Ist das richtig, kann es nicht auf die Höhe der Einsparungen ankommen. Entscheidend ist nur, daß nach generellen Kriterien eine Neuverteilung aus dem eingesparten Volumen erfolgt. Die Festlegung einer starren prozentualen „Geringfügigkeitsgrenze” ist rechtlich nicht begründbar.

d) Die teilweise Anrechnung der Tariflohnerhöhung gegenüber den Arbeitnehmern W. und D. ist nicht als individuelle und deshalb mitbestimmungsfreie Maßnahme zu beurteilen. Der für die Bejahung des Mitbestimmungsrechts erforderliche kollektive Bezug ist nicht von der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer abhängig. Eine Maßnahme kann auch dann eine Regelungsfrage aufwerfen, wenn sie nur einen einzigen Arbeitnehmer betrifft (vgl. auch Senatsurteil vom 22. September 1992 – 1 AZR 405/90 –, BAGE 71, 180 = AP Nr. 55 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Die Beklagte begründet die Besserstellung der Arbeitnehmer W. und D. damit, daß diese im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern durch den Tarifwechsel benachteiligt werden. Dieser Nachteil solle ausgeglichen werden. Es geht also gerade um das Verhältnis der tariflichen und übertariflichen Lohnbestandteile vergleichbarer Arbeitnehmer. Die Frage, ob die Vergütung der Arbeitnehmer W. und D. im Vergleich mit Kollegen unangemessen erscheinen kann, ist eine Frage der innerbetrieblichen Gerechtigkeit des praktizierten Vergütungssystems. Diese zu wahren, ist aber Zweck des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats.

II. Die Beklagte hat das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt. Sie hat die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats nicht eingeholt.

Soweit die Beklagte sich nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts darauf berufen hat, bei den im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden stattgefundenen Tarifverhandlungen habe Einigkeit zwischen dem Vertreter der Gewerkschaft und den Unternehmensvertretern darüber bestanden, daß den Arbeitnehmern W. und D. eine Zulage von jeweils 100,– DM gewährt werden solle, liegt darin keine wirksame Beteiligung. Selbst wenn man in einem solchen Verhalten die stillschweigende Zustimmung des Betriebsratsvorsitzenden sehen wollte, könnte das den erforderlichen Beschluß des Gremiums Betriebsrat nicht ersetzen. Dies war für die Beklagte auch erkennbar (vgl. auch Senatsurteil vom 10. November 1992 – 1 AZR 183/92 –, BAGE 71, 327 = AP Nr. 58 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Auf die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe ihren entsprechenden Vortrag nicht berücksichtigt, kommt es daher nicht an.

Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen hat, der gesamte Betriebsrat sei in diese Verhandlungen einbezogen und mit der Sonderregelung für die Arbeitnehmer W. und D. einverstanden gewesen, konnte dies als neues Vorbringen in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden. Es kann daher offenbleiben, ob bei einer solchen „Einbeziehung” von einer hinreichenden Beteiligung des Betriebsrats auszugehen wäre.

III. Die Verletzung des Mitbestimmungsrechts hat zur Folge, daß die Anrechnung gegenüber dem Kläger unwirksam ist (BAG Großer Senat Beschluß vom 3. Dezember 1991 – GS 2/90BAGE 69, 134, 170 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, unter D II der Gründe).

Das Landesarbeitsgericht hat diese Unwirksamkeit zu Recht dahin verstanden, daß der Kläger Anspruch auf Fortzahlung der ungekürzten Zulage hat und nicht nur einer Zulage in Höhe des Anteils, der dem „geänderten Dotierungsrahmen” entspricht. Richtig ist, daß der Arbeitgeber grundsätzlich die Höhe der insgesamt aufgewandten übertariflichen Leistungen mitbestimmungsfrei festlegen kann. Die Entscheidung des Großen Senats trägt dem Rechnung, indem sie dem Arbeitgeber die Möglichkeit einräumt, das Volumen der übertariflichen Zulage ohne Beteiligung des Betriebsrats zu kürzen, wenn er die Verteilungsgrundsätze nicht ändert (a.a.O., unter D I der Gründe). Kommt es jedoch zu einer Änderung der Verteilungsmaßstäbe, ist die gesamte Maßnahme unwirksam. Diese Rechtsunwirksamkeit von Maßnahmen oder Rechtsgeschäften soll verhindern, daß der Arbeitgeber durch Rückgriff auf arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten dem Einigungszwang mit dem Betriebsrat ausweicht. Sie ist eine Sanktion für die Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats durch den Arbeitgeber. Der Große Senat hat dabei Anrechnung und Widerruf auch hinsichtlich der Folgen gleichgestellt.

Es ist danach von der Unwirksamkeit der Anrechnung auszugehen. Das bedeutet, daß der Kläger Anspruch auf Fortzahlung der ungekürzten Zulage hat. Auf die Frage der individualrechtlichen Zulässigkeit der Anrechnung kommt es damit nicht mehr an.

 

Unterschriften

Dieterich, Wißmann, Rost, Heisler, Wohlgemuth

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1089176

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