Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Wegfall von Arbeitsaufgaben durch neue Bearbeitungstechniken
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 24. August 1995 – 4 Sa 2111/94 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der am 4. März 1935 geborene, gegenüber seiner Ehefrau unterhaltsverpflichtete Kläger trat zum 1. Januar 1982 als Elektrotechniker in die Dienste der Einzelfirma Friedhelm K. Elektro-Anlagen-Bau, die später in die beklagte GmbH umgewandelt wurde. Der Kläger war insbesondere mit der Erstellung technischer Zeichnungen am Reißbrett beschäftigt. In dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 4. Januar 1982 hat sich die Firma vorbehalten, dein Kläger „eine andere, zumutbare Tätigkeit in der Firma zuzuweisen, die seinen Vorkenntnissen und Fähigkeiten entspricht”. Das monatliche Gehalt des Klägers betrug zuletzt 4.207,– DM brutto.
Bei der Beklagten sind neben einer technischen Angestellten, die gleichzeitig Büroarbeiten und Arbeiten einer Sekretärin erledigt, und dem Kläger weitere fünf Angestellte beschäftigt, nämlich:
- A. E. hat an der Fernuniversität Hagen den Studiengang Elektrotechnik/Informatik belegt. Er ist am 22. Dezember 1962 geboren und am 2. Januar 1983 in die Dienste der Beklagten eingetreten. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Frau ist nicht erwerbstätig.
- D. T. ist Dipl.-Ingenieur und hat an der Fachhochschule den Studiengang Elektrotechnik absolviert. Er ist am 25. November 1955 geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder, wobei seine Frau nicht erwerbstätig ist. In die Dienste der Beklagten ist er am 1. April 1991 eingetreten. Seine EDV-Kenntnisse hat er während des Studienganges und am eigenen Computer zu Hause erworben.
- C. S. st Dipl.-Ingenieur. Er hat den Studiengang Maschinenbau an der Fachhochschule absolviert. Er ist am 8. Dezember 1964 geboren und ist nicht verheiratet. In die Dienste der Beklagten ist er am 21. Februar 1994 eingetreten. Seine EDV-Kenntnisse hat er während des Studiums und am eigenen Computer zu Hause erworben.
- B. M. ist Elektrotechniker. Er hat einen Lehrgang an der Abendschule in Wattenscheid mit Abschluß absolviert. Er ist am 28. Juni 1941 geboren. Er ist verheiratet und hat ein Kind. Seine Frau ist nicht erwerbstätig. In die Dienste der Beklagten ist er am 15. September 1970 eingetreten. Seine EDV-Kenntnisse hat er durch Selbststudium am eigenen Computer zu Hause erworben.
- H. St. ist Elektrotechniker und hat einen Lehrgang im Fach Elektrotechnik an der Abendschule in Wattenscheid absolviert. Er ist am 28. April 1943 geboren. Er ist verheiratet, wobei seine Frau nicht erwerbstätig ist. In die Dienste der Beklagten ist er am 1. Juli 1970 eingetreten. Seine EDV-Kenntnisse hat er durch Selbststudium zu Hause erworben.
Mit Schreiben vom 27. Dezember 1993, dem Kläger am 29. Dezember 1993 zugegangen, kündigte die Beklagte das Anstellungsverhältnis zum 31. Mai 1994 mit der Begründung, im Bereich des Arbeitsgebietes des Klägers könne sie keine Aufträge mehr abwickeln und einen Ersatzarbeitsplatz könne sie dem Kläger nicht anbieten.
Mit seiner am 31. Dezember 1993 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Sozialwidrigkeit dieser Kündigung geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, er sei mit den anderen Arbeitnehmern vergleichbar, und vorgetragen, den anderen Arbeitnehmern sei die Teilnahme an Computerkursen ermöglicht worden. Er habe den „Inhaber” der Beklagten gefragt, ob er einen Computerkurs machen könne. Auf diese Frage habe er bis heute keine Reaktion erhalten. Dies könne nicht zu seinen Lasten gehen. Nach Ableistung eines Computerkurses könne er seine Arbeit weiter erledigen. Noch bis in den Spätherbst hinein, nämlich bis November 1993, habe er auch am Zeichenbrett Arbeiten durchgeführt. Von der Beklagten sei er zu keiner Zeit darauf angesprochen worden, daß für seine künftige Tätigkeit bei ihr eine Umschulung, ggf. auch eine Fortbildung in Eigenregie, notwendig sei. Die Beklagte habe ihn regelrecht „auflaufen lassen”. Programmiert habe lediglich der Arbeitnehmer E., alle anderen hätten wie er, der Kläger, gezeichnet, wenn auch zuletzt nur noch am Computer mit CAD-Programmen. Daß bei der Beklagten genügend Arbeit vorhanden sei, ergebe sich schon aus der Einstellung des Arbeitnehmers S.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. Dezember 1993, zugegangen am 29. Dezember 1993, nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Arbeit des Klägers sei weggefallen, weil aufgrund der technischen Entwicklung im Betrieb die Zeichnungen am Computer gefertigt werden müßten und die Kunden verlangten, daß sie ihnen auf Diskette übersandt würden. Für solche Tätigkeiten besitze der Kläger jedoch keine Qualifikation. Die übrigen Arbeitnehmer hätten die für die Arbeiten am Computer erforderlichen Grundkenntnisse bereits mitgebracht bzw. sich privat selbst angeeignet. Bei ihrer Tätigkeit stehe nicht das Zeichnen mittels CAD-Programmen im Vordergrund, sondern mache kaum 10 % der anfallenden Arbeiten aus. Allein mit CAD könne kein Mitarbeiter beschäftigt werden. Die Mitarbeiter müßten die Fähigkeit haben, zu programmieren, d.h. Software und fertige Anwenderprogramme für die Kunden zu erstellen. Hierfür besitze der Kläger keine Vorkenntnisse und könne diese auch nicht innerhalb kürzerer Zeit erwerben; eine Ausbildung zum Programmierer würde Jahre dauern. Im übrigen stehe ohnehin keine Arbeit zur Verfügung, weil die Aufträge erheblich zurückgegangen seien, weshalb sie – die Beklagte – sogar gezwungen gewesen sei, einzelne Mitarbeiter für mehrere Monate an Fremdfirmen auszuleihen. Der Mitarbeiter S. erstelle nur Software für einen termingebundenen Auftrag, sei befristet eingestellt und werde nach Auslaufen seines Arbeitsvertrages im März 1995 nicht weiterbeschäftigt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen und die Revision für den Kläger zugelassen.
Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und die Zurückweisung der Berufung der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die streitige Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und Fehler der Beklagten bei der sozialen Auswahl sind nicht festzustellen (§ 1 Abs. 2 und 3 KSchG).
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Arbeitsplatz des Klägers sei weggefallen, weil unstreitig die einst von Hand am Reißbrett erstellten Zeichnungen nunmehr mittels CAD am Computer gefertigt würden. Die Zeichnungen seien quasi ein bloßes „Abfallprodukt” bei Erledigung der eigentlichen Aufträge, nämlich der Erstellung der Automatiksteuerungen, und könnten von dieser nicht sinnvoll getrennt werden.
Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bestehe auch nicht nach der Beklagten zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen. Insoweit fehle es an einem freien bzw. unter Berücksichtigung sozialer Gründe durch Kündigung eines anderen Arbeitnehmers frei zu machenden Arbeitsplatz. Die Arbeitnehmer T. und S. seien als Diplom-Ingenieure schon nach ihrer Ausbildung und Arbeitsaufgabe (Erstellung kundenspezifischer Programme) nicht mit dem Kläger vergleichbar. Auch der Mitarbeiter E. werde unstreitig mit Programmierarbeiten beschäftigt, die der Kläger selbst nach erfolgreicher Umschulung bzw. Fortbildung nicht übernehmen könne. Die übrigen Arbeitnehmer wären sozial schutzwürdiger.
II. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Bei der Frage, ob eine ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist, weil dringende betriebliche Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen, handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BAGE 1, 99 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG; BAGE 42, 151, 157 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu II der Gründe; Senatsurteil vom 30. Mai 1985 – 2 AZR 321/84 – AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II der Gründe). Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab hält das Urteil des Landesarbeitsgerichts den Angriffen der Revision stand.
2. Fallen in einem Betrieb die von einem Arbeitnehmer bisher verrichteten Arbeiten infolge der technischen Entwicklung und der damit verbundenen Strukturveränderungen nicht mehr an, so ist die Kündigung dieses Arbeitnehmers durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt und damit in der Regel sozial gerechtfertigt, wenn nicht dessen Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, sei es auch ggf. erst nach einer dem Arbeitgeber zumutbaren Umschulung oder Fortbildung, möglich ist (§ 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 KSchG). In einem solchen Fall führen sogenannte außerbetriebliche Faktoren zum Wegfall des Arbeitsplatzes in seiner bisherigen Ausgestaltung und stehen einer Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers in dem Betrieb entgegen (vgl. Senatsurteil vom 30. Mai 1985 – 2 AZR 321/84 – a.a.O., zu B II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 13. März 1987 – 7 AZR 724/85 – BAGE 54, 248, 258 f. = AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu III 2 a der Gründe; KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz 485 f.). Von diesen Grundsätzen, die auch die Revision nicht anzweifelt, ist das Landesarbeitsgericht ausgegangen.
3. Das Landesarbeitsgericht hat für den Senat bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO) festgestellt, daß mit Ersetzung der bisherigen Tätigkeit des Klägers (Erstellung von Zeichnungen von Hand am Reißbrett) durch die CAD-Technik der Arbeitsplatz des Klägers weggefallen ist. Die Revision hat diese Feststellungen nicht mit zulässigen Rügen angegriffen, sondern selbst vorgetragen, sämtliche alten Arbeitsplätze seien umstrukturiert worden.
Gleiches gilt für die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, selbst CAD-Zeichnungen seien quasi nur ein „Abfallprodukt” bei Erledigung der eigentlichen Aufträge, nämlich der Erstellung der Automatiksteuerungen per Computer „aus einem Guß”. Auch die Schlußfolgerung des Landesarbeitsgerichts, bei einer solchen Arbeitsweise sei es untunlich und könne von der Beklagten nicht verlangt werden, den einheitlichen Arbeitsvorgang zu trennen und einen Mitarbeiter lediglich mit der Erstellung von Zeichnungen mittels CAD-Programm zu betrauen, läßt keinen Rechtsfehler erkennen und wird von der Revision nicht mit zulässigen Rügen angegriffen, sondern lediglich „mit Nichtwissen bestritten”. Das genügt revisionsrechtlich nicht. Für eine zulässige Rüge hätte die Revision vielmehr im einzelnen darlegen müssen, daß die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auf einer Gesetzesverletzung beruhen und aus welchen Tatsachen, etwa fehlender Aufklärung, übergangenen Beweisanträgen oder Verstoß gegen Denkgesetze, diese sich ergeben soll (§ 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO).
4. Im Kündigungszeitpunkt war der Kläger mit keinem der anderen Mitarbeiter vergleichbar, weil er nicht über entsprechende Programmier- und CAD-Kenntnisse verfügte; insoweit kam keine Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG in Betracht (vgl. auch Senatsurteil vom 5. Mai 1994 – 2 AZR 917/93 – AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl).
5. Ob die Beklagte, wie die Revision meint, gehalten war, bei früheren Fortbildungsmaßnahmen auch den Kläger zu berücksichtigen, kann dahinstehen. Selbst wenn eine solche Verpflichtung der Beklagten bestanden hätte und daraus herzuleiten wäre, daß sich die Beklagte für fehlende Vergleichbarkeit des Klägers nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die infolge der unterlassenen Fortbildung fehlenden Kenntnisse des Klägers berufen dürfte, würde dies dem Kläger nicht zum Erfolg verhelfen.
Die Arbeitnehmer M. und St. hat das Landesarbeitsgericht schon von den Sozialdaten her als gegenüber dem Kläger sozial schutzwürdiger erachtet. Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts sind insoweit nicht ersichtlich und werden von der Revision auch nicht geltend gemacht.
Das Landesarbeitsgericht hat, für den Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO wiederum bindend, verneint, daß dem Kläger im Wege einer der Beklagten zumutbaren Umschulung bzw. Fortbildung über Kenntnisse der Fertigung von Zeichnungen mittels CAD hinaus Programmierkenntnisse hätten verschafft werden können. Auch die Revision beruft sich lediglich auf die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger die für eine CAD-Erstellung von Zeichnungen notwendigen Kenntnisse zu vermitteln. Angesichts der oben zu 3. dargelegten Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zur Tätigkeit der übrigen Mitarbeiter hätte dies jedoch nicht ausgereicht, um den Kläger mit diesen vergleichbar zu machen. Alle Mitarbeiter und gerade auch die von den Sozialdaten her eventuell weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer T., S. und E. sind danach mit der Erstellung kundenspezifischer Programme betraut, welche der Kläger selbst nach einer erfolgreichen CAD-Schulung nicht leisten könnte. Mit der Sekretärin ist der Kläger von der Tätigkeit her ohnehin nicht vergleichbar und er hat solches auch nicht geltend gemacht. Darauf, ob bei der Beklagten allgemein Arbeitsmangel herrscht oder genügend Aufträge für die Erstellung kundenspezifischer Programme und Automatiksteuerungen vorhanden sind, kommt es demnach, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, nicht an.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Fischermeier, Piper, Fischer
Fundstellen