Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplanabfindung. Bemessung nach der Betriebszugehörigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Betriebspartner können in einem Sozialplan bestimmen, daß bei der Berechnung der Höhe einer Abfindung nur die tatsächliche Betriebszugehörigkeit des betroffenen Arbeitnehmers zugrunde gelegt wird und Dienstjahre bei der NVA der ehemaligen DDR außer Betracht bleiben, obwohl diese nach der Förderungsverordnung auf die Betriebszugehörigkeit angerechnet worden waren.
Normenkette
BetrVG §§ 75, 112; Verordnung über die Förderung der Bürger nach dem aktiven Wehrdienst vom 25. März 1982 – Förderungsverordnung – §§ 9, 18
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 23.03.1993; Aktenzeichen 5 Sa 124/92) |
ArbG Leipzig (Urteil vom 15.07.1992; Aktenzeichen 4 Ca 1463/92) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 23. März 1993 – 5 Sa 124/92 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer Sozialplanabfindung.
Der am 16. Juli 1947 geborene Kläger war vom 2. November 1966 bis zum 31. Oktober 1988 Berufsoffizier der Nationalen Volksarmee (NVA) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.
Aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 1. September 1988 trat der Kläger mit Wirkung ab 1. November 1988 in die Dienste des Rechtsvorgängers der Beklagten als Leiter des Büros des Betriebsdirektors ein.
Am 3. November 1988 teilte der Direktor für Kader und Bildung dem Direktor für Ökonomie folgendes mit:
“Auf der Grundlage der Verordnung über die Förderung der Bürger nach dem aktiven Wehrdienst – Förderungsverordnung – vom 25. März 1982 § 9 wird die Betriebszugehörigkeit für den … (Kläger) ab 2.11.1966 bestätigt. Ich bitte um Einordnung.
…”
Die Verordnung über die Förderung der Bürger nach dem aktiven Wehrdienst – Förderungsverordnung – vom 25. März 1982 (im folgenden: FörderungsVO) hat – soweit vorliegend von Interesse – folgenden Wortlaut:
Ҥ 9
Anrechnung der Dienstzeit
- …
- Für Bürger, die mindestens 5 Jahre als Unteroffizier oder Offizier auf Zeit aktiven Wehrdienst geleistet haben, erfolgt die Anrechnung der geleisteten Dienstzeit nach § 18.
§ 18
Anrechnung der Dienstzeit
Bürgern, die aktiven Wehrdienst in militärischen Berufen geleistet haben, ist die geleistete Dienstzeit auf die Betriebszugehörigkeit bzw. auf die Dauer der Tätigkeit in einem bestimmten Beruf, einer Funktion oder ähnlichem in jedem Arbeitsrechtsverhältnis anzurechnen. Die Anrechnung der Dauer der Dienstzeit zieht alle materiellen und moralischen Vergünstigungen nach sich, die an die Dauer der Betriebszugehörigkeit, der Berufsausübung oder der Funktion usw. gebunden sind.
…”
Im Zuge von Umstrukturierungen des Betriebes kam es im Jahre 1991 bei der Beklagten zu Massenentlassungen. Am 11. September 1991 wurde für den Betrieb der Beklagten eine Betriebsvereinbarung (Sozialplan) abgeschlossen. Diese enthält Regelungen über Abfindungen. Die Höhe der Abfindungen bemißt sich u.a. nach der Betriebszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer.
Die Betriebsvereinbarung lautet, soweit vorliegend von Interesse:
- “…
Anspruch auf Zahlung einer Abfindung hat jeder Mitarbeiter, der mindestens ein Jahr beschäftigt ist, vom Unternehmen betriebsbedingt gekündigt wurde oder mit ihm einen Aufhebungsvertrag geschlossen hat. Die im Punkt 2 errechnete Dotierung wird an die Anspruchsberechtigten wie folgt verteilt:
- …
Die Höhe der Abfindungen berechnet sich nach folgender Formel:
Lebensalter × Betriebszugehörigkeit × Bruttomonatsverdienst |
238 |
Der Höchstbetrag einer Abfindungssumme wird auf 20.000,00 DM festgelegt. …
Stichtag für die Berechnung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit ist der 31. Dezember 1991. Es rechnen nur volle Jahre. Zur Betriebszugehörigkeit zählen nicht die Dienstjahre in der NVA für Berufssoldaten sowie Dienstjahre in den Bereichen des ehemaligen Ministeriums des Inneren und des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit.
…”
Der mit Wirkung zum 31. Dezember 1991 betriebsbedingt gekündigte Kläger erhielt aufgrund dieses Sozialplans eine Abfindung i.H.v. 1.292,00 DM. Bei der Berechnung dieses Betrages hatte die Beklagte eine dreijährige Betriebszugehörigkeit des Klägers zugrunde gelegt.
Der Kläger ist der Meinung, bei der Bemessung der Abfindung müsse auch seine Dienstzeit in der NVA mitberücksichtigt werden, so daß ihm ein Abfindungsanspruch von 10.768,00 DM zustehe. Den Differenzbetrag i.H.v. 9.476,00 DM ließ der Kläger durch seine Prozeßbevollmächtigten mit Schreiben vom 7. Januar 1992 vergeblich geltend machen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Abfindung i.H.v. 9.476,00 DM nebst 4 % Verzugszinsen seit dem 11. Januar 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie beruft sich auf die Regelung im Sozialplan, nach der bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit gekündigter Arbeitnehmer die Dienstjahre in der NVA nicht berücksichtigt werden. Die Betriebspartner seien berechtigt gewesen, für die Berechnung der Höhe der zu zahlenden Abfindungen an die tatsächliche Betriebszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer anzuknüpfen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht eine Abfindung aus dem Sozialplan vom 11. September 1991 nur in der aufgrund seiner tatsächlichen Betriebszugehörigkeit errechneten Höhe zu.
I. Das Landesarbeitsgericht nimmt an, es verstoße nicht gegen höherrangiges Recht, daß der Sozialplan für die Berechnung der Abfindung auf die tatsächliche Betriebszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer abstelle und die Dienstzeiten in der NVA unberücksichtigt lasse. Die FörderungsVO vom 25. März 1982 sei bei Abschluß des Sozialplanes bereits außer Kraft gewesen. Auch verstoße der Sozialplan nicht gegen Recht und Billigkeit (§ 75 BetrVG). Es sei nicht unbillig, diejenigen Beschäftigungszeiten im Rahmen der Bemessung der Abfindungshöhe auszuschließen, die außerhalb des Betriebes erbracht worden seien und deshalb nicht als Beitrag zum Erfolg eines Unternehmens angesehen werden könnten.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist im wesentlichen zuzustimmen.
1. Nach Ziff. 3 Buchst. b) des Sozialplanes vom 11. September 1991 ist bei der Berechnung der Höhe der dem Kläger zustehenden Abfindung nur dessen Betriebszugehörigkeit, nicht aber dessen Dienstzeit bei der NVA zu berücksichtigen.
2. Diese Bestimmung des Sozialplanes verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Die FörderungsVO vom 25. März 1982 sah für Berufsoffiziere wie den Kläger bei mindestens fünfjähriger Dienstzeit eine Anrechnung der geleisteten Dienstzeit auf die Betriebszugehörigkeit vor. Gleichzeitig bestimmte die Verordnung, diese Anrechnung solle “alle materiellen und moralischen Vergünstigungen” nach sich ziehen, die an die Dauer der Betriebszugehörigkeit gebunden seien, § 9 Abs. 5, § 18 Abs. 1 FörderungsVO. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplanes am 11. September 1991 war die FörderungsVO aber nicht mehr geltendes Recht. Sie war mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 außer Kraft getreten, weil dieser eine Fortgeltung der Verordnung nicht vorsieht.
3. Die Regelung der Ziff. 3 Buchst. b) des Sozialplanes stellt auch keinen Verstoß gegen § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dar. Nach dieser Norm haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, daß alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden. An diese Grundsätze sind die Betriebspartner auch beim Abschluß von Sozialplänen gebunden. Allerdings haben sie grundsätzlich einen weiten Ermessensspielraum, wie sie in einem Sozialplan die Nachteile einer Betriebsänderung ausgleichen oder mildern wollen (ständige Rechtsprechung des BAG; vgl. BAGE 59, 359 = AP Nr. 47 zu § 112 BetrVG 1972; Urteil vom 24. November 1993 – 10 AZR 311/92 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Beim Abschluß eines Sozialplanes müssen die Betriebspartner den Normzweck des § 112 BetrVG beachten, wonach Sozialplanleistungen dem Ausgleich oder der Milderung zu erwartender Nachteile und damit als Überbrückungshilfen dienen sollen (BAGE 48, 294 = AP Nr. 26 zu § 112 BetrVG 1972; Urteil vom 28. Oktober 1992 – 10 AZR 129/92 – AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972; Urteil vom 28. April 1993 – 10 AZR 222/92 – AP Nr. 67 zu § 112 BetrVG 1972).
Diesem Sinn und Zweck von Sozialplanabfindungen widerspricht es nicht, wenn deren Höhe auch nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer bestimmt wird. In einem solchen Falle gehen die Betriebspartner zulässigerweise davon aus, daß die durch die Abfindung gewährte Überbrückungshilfe um so höher sein soll, je länger der Arbeitnehmer dem Betrieb die Treue gehalten und zu dessen wirtschaftlichem Erfolg beigetragen hat.
Bei diesem Verständnis stellt sich eine an der Dauer der Betriebszugehörigkeit orientierte Sozialplanabfindung auch nicht als eine an sich unzulässige Entschädigung für geleistete Dienste oder für den Verlust eines Besitzstandes dar.
Da es im Ermessen der Betriebsparteien liegt, ob sie die Höhe der Überbrückungshilfe an vergangenheitsbezogenen Kriterien, wie der Betriebszugehörigkeit, ausrichten oder nicht, stellt es keinen Verstoß gegen die Grundsätze des § 75 Abs. 1 BetrVG dar, wenn sie bei der Berechnung der Abfindung nur solche Zeiten berücksichtigen, in denen der betroffene Arbeitnehmer tatsächlich für den Betrieb tätig geworden ist. Aus diesem Grunde durften die Betriebspartner des Sozialplanes vom 11. September 1991 die aufgrund der FörderungsVO auf die Betriebszugehörigkeit anzurechnende Dienstzeit des Klägers in der NVA bei der Festsetzung der Höhe der Abfindung unberücksichtigt lassen. Das Recht der Betriebspartner, bei der Bemessung einer Abfindung die Dauer der Betriebszugehörigkeit völlig außer Betracht zu lassen, beinhaltet auch die Befugnis, Betriebszugehörigkeitszeiten nur modifiziert zu berücksichtigen (BAG Urteil vom 16. März 1994 – 10 AZR 606/93 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
4. Die durch die FörderungsVO vorgeschriebene Anrechnung der NVA-Dienstzeit auf die Betriebszugehörigkeit des Klägers bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger begründet auch keinen individualrechtlichen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte, bei der Berechnung seiner Abfindung die Zeiten seines Armeedienstes mitzuberücksichtigen.
a) Unmittelbare Wirkung zugunsten des Klägers konnte die FörderungsVO wegen ihres Außerkrafttretens am 3. Oktober 1990 nicht mehr entfalten.
b) Durch die dem Kläger aufgrund der FörderungsVO gewährte Anrechnung seiner Dienstzeit in der NVA auf seine Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger ist zu seinen Gunsten kein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, der die Beklagte verpflichten könnte, ihn bei der Berechnung seines Abfindungsanspruches aus dem Sozialplan so zu behandeln, als habe er tatsächlich seit dem 2. November 1966 in ihren Diensten gestanden.
Als dem Kläger im November 1988 eine Betriebszugehörigkeit seit dem 2. November 1966 auf der Grundlage der FörderungsVO bestätigt wurde, spielte die Betriebszugehörigkeit nach damaligem DDR-Recht nur für Zuwendungen bei Arbeitsjubiläen, bei der Zahlung von Zuschlägen zur Jahresendprämie und der Gewährung von Treuprämien aufgrund von Rahmen- oder Betriebskollektivverträgen eine Rolle (BAG Urteil vom 16. März 1994, aaO).
Dem Arbeitsrecht der ehemaligen DDR war das Rechtsinstitut der Zahlung einer Abfindung aufgrund von Sozialplänen fremd. Deswegen konnte der Kläger infolge der Anrechnung seiner NVA-Dienstzeit auf seine Betriebszugehörigkeit nicht damit rechnen und somit auch nicht darauf vertrauen, daß bei der Berechnung einer eventuellen Abfindung nach einem Sozialplan auch die gemäß der FörderungsVO festgesetzte Betriebszugehörigkeit zugrunde gelegt werden würde. Ein schützenswertes Vertrauen des Klägers konnte sich insoweit nicht bilden.
c) Die Beklagte hat dem Kläger auch nicht zugesagt, seine NVA-Dienstzeit einmal bei der Berechnung einer Abfindung zu berücksichtigen. Als sie im November 1988 den Beginn seiner Betriebszugehörigkeit mit dem 2. November 1966 errechnete, geschah dies in Vollzug des damals geltenden Rechts. Ein darüber hinausgehender Verpflichtungswille kann diesem Handeln der Beklagten nicht entnommen werden.
Demzufolge steht dem Kläger nur die auf der Grundlage seiner tatsächlichen Betriebszugehörigkeit errechnete Abfindung zu, so daß das Landesarbeitsgericht seine Klage zu Recht abgewiesen hat.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Femppel, Holze
Fundstellen
Haufe-Index 856631 |
BB 1994, 1432 |
NZA 1995, 88 |