Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzversorgung Teilzeitbeschäftigter. Gleichbehandlung
Normenkette
Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) § 24; Versorgungstarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Bundespost § 3; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3; EGVtr Art. 119, 177; ZPO §§ 148, 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 21. Dezember 1994 – 3 Sa 79/94 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 2. August 1994 – 23 Ca 8189/93 – wird mit folgender Maßgabe zurückgewiesen:
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihr zustünden, wenn sie auch in der Zeit vom 25. Oktober 1984 bis 31. März 1990 bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost versichert gewesen wäre.
3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin für die gesamte Zeit ihrer bisherigen Beschäftigung einen Anspruch auf Zusatzversorgung erworben hat.
Die Klägerin ist seit 25. Oktober 1984 als Arbeiterin bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin, der bisher beklagten Deutschen Bundespost – Postdienst –, beschäftigt. Ihre durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit belief sich bis zum 31. Oktober 1984 auf 20 Stunden, vom 1. November 1984 bis 31. März 1990 auf 12 bis 14,5 Stunden, seit 1. April 1990 auf 18 Stunden und seit 1. August 1992 auf 18,5 Stunden. Die Beklagte versicherte die Klägerin ab 1. April 1990 bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP).
Kraft beiderseitiger Tarifbindung findet auf das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) Anwendung. Nach dessen § 24 sind die Arbeiter bei der VAP nach Maßgabe des Versorgungstarifvertrags (VersTV) in seiner jeweiligen Fassung zu versichern. Nach § 3 VersTV in der bis zum 31. Dezember 1987 geltenden Fassung waren die unterhälftig beschäftigten Arbeitnehmer von dieser Zusatzversorgung ausgeschlossen und nach der vom 1. Januar 1988 bis zum 31. März 1991 geltenden Fassung die Arbeitnehmer, deren arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit 18 Stunden unterschritt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der tarifvertragliche Ausschluß dieser Teilzeitkräfte sei unwirksam gewesen. Deshalb stehe der Klägerin auch für die Beschäftigungszeit vom 25. Oktober 1984 bis 31. März 1990 die tarifliche Zusatzversorgung zu.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin ab dem Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben eine monatliche Rente in der Höhe zu zahlen, die zu zahlen wäre, wenn sie bereits in der Zeit vom 25. Oktober 1984 bis einschließlich 31. März 1990 bei der VAP versichert gewesen wäre,
hilfsweise:
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, die Klägerin für die Zeit vom 25. Oktober 1984 bis einschließlich 31. März 1990 auf Kosten der Beklagten in einer der Höhe ihres jeweils bezogenen Gehaltes entsprechenden Weise bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost nachzuversichern,
- festzustellen, daß die Beklagte dazu verpflichtet sei, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr dadurch entstanden sei, daß die Klägerin von der Beklagten in der Zeit vom 25. Oktober 1984 bis einschließlich 31. März 1990 nicht auf Kosten der Beklagten bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost versichert worden sei.
Die Beklagte hat die Feststellungsklage sowohl für unzulässig als auch für unbegründet gehalten. Die tarifliche Einschränkung der Zusatzversorgung habe nicht gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, sondern sei wirksam gewesen, zumal derartige Regelungen seinerzeit der allgemeinen Rechtsüberzeugung entsprochen hätten. Zumindest im vorliegenden Fall verstoße eine rückwirkende Einbeziehung der bisher ausgeschlossenen Teilzeitkräfte in die Zusatzversorgung gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Dies sei praktisch nicht durchführbar und führe zu einer unzumutbaren Kostenbelastung der Beklagten. Auch Art. 119 EG-Vertrag und die zu dieser Bestimmung beschlossene Protokollerklärung schließe die rückwirkende Anwendung des Gleichheitssatzes auf Beschäftigungszeiten vor dem 17. Mai 1990 aus.
Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht den Hauptantrag als unzulässig abgewiesen und über die Hilfsanträge mit der Begründung nicht entschieden, das Vorbringen der Klägerin könne nicht dahingehend ausgelegt werden, daß über den Hilfsantrag auch dann erkannt werden solle, wenn der Hauptantrag „zur Zeit” unzulässig sei. Der Senat hat die Revision mit Beschluß vom 25. April 1995 – 3 AZN 76/95 – zugelassen. Die Klägerin verfolgt mit ihrer Revision das bisherige Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der Feststellungsklage stattzugeben. Sie ist sowohl zulässig als auch begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Verschaffungsanspruch zu.
A. Der Senat hat ebenso wie in früheren Rechtsstreitigkeiten davon abgesehen, das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile des Senats vom 7. März 1995 (– 3 AZR 321 und 625/94 –, n.v.) auszusetzen. Die Klägerin hat ein Recht darauf, daß die Fachgerichte ihren Anspruch abschließend beurteilen. Dieses Interesse überwiegt gegenüber den Interessen der Beklagten, weitere Prozeßkosten zu ersparen (BAG Urteil vom 16. Januar 1996 – 3 AZR 767/94 – AP Nr. 222 zu Art. 3 GG, zu A der Gründe; Urteile vom 12. März 1996 – 3 AZR 988, 989 und 990/94 –, n.v., zu A der Gründe). Dasselbe gilt auch, soweit eine Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf Vorabentscheidungsersuchen mehrerer Landesarbeitsgerichte an den Europäischen Gerichtshof in Betracht kommt.
B. Die Feststellungsklage ist entgegen der vom Landesarbeitsgericht vertretenen Auffassung zulässig.
I. Das Landesarbeitsgericht hat übersehen, daß die Klageanträge auslegungsbedürftig und auslegungsfähig sind. Die Klägerin will festgestellt wissen, daß die Beklagte ihr auch für die Beschäftigungszeit vom 25. Oktober 1984 bis 31. März 1990 Versorgungsleistungen zu verschaffen hat. In diesem Sinne war der Urteilsausspruch erster Instanz klarzustellen.
1. Der Hauptantrag ist allerdings mißverständlich formuliert. Der Versorgungsfall ist mit den Worten „Ausscheiden aus dem Erwerbsleben” nicht genau genug beschrieben. Das Klagebegehren läßt sich aber durch Auslegung anhand des gesamten Klagevorbringens ermitteln.
2. Nach dem Wortlaut der Feststellungsanträge verlangt die Klägerin in erster Linie Zahlung durch die Beklagte selbst und hilfsweise Nachversicherung bzw. Schadenersatz. Ebenso wie in den bisher entschiedenen Fällen (vgl. BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu A I der Gründe; Urteil vom 25. April 1995 – 3 AZR 446/94 – AP Nr. 25 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu A II der Gründe; Urteile vom 12. März 1996 – 3 AZR 988, 989 und 990/94 –, n.v., jeweils zu B der Gründe) kommt es der Klägerin auch im vorliegenden Rechtsstreit nicht darauf an, wer die Rente zahlt. Sie möchte nur erreichen, daß die Beklagte ihr die Versorgungsleistungen verschafft, die ihr zustünden, wenn sie auch in der Zeit vom 25. Oktober 1984 bis 31. März 1990 bei der VAP versichert gewesen wäre. Wie die Beklagte ihrer Verschaffungspflicht nachkommt, ist für das Klagebegehren der Klägerin nicht wesentlich. Im Schriftsatz vom 8. Februar 1994, der den nunmehrigen Hauptantrag enthält, hat die Klägerin hervorgehoben, daß der Arbeitgeber „verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer die Zusatzversorgung – auf welchem Weg auch immer – zu verschaffen”. Danach spielt die Aufteilung in Haupt- und Hilfsanträge keine entscheidende Rolle. Sie erklärt sich aus früheren Urteilsaussprüchen und Lösungswegen bei einem unzulässigen Ausschluß von Teilzeitkräften aus der betrieblichen Altersversorgung.
II. Der auf Feststellung eines Verschaffungsanspruchs gerichtete Antrag ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Verschaffungsanspruch soll dem Grunde nach geklärt werden. Der Zeitraum, für den eine Zusatzversorgung verlangt wird, ist genau bezeichnet. Angaben zur Höhe des Versorgungsanspruchs waren nicht nötig. Die Berechnung und Bezifferung der zu erwartenden Versorgungsrente ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.
III. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt.
1. Bei dem geltend gemachten Verschaffungsanspruch handelt es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Ein betriebsrentenrechtliches Rechtsverhältnis wird nicht erst mit Eintritt des Versorgungsfalles, sondern bereits mit dem Entstehen einer Versorgungsanwartschaft begründet (BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 –, aaO, zu A III 1 der Gründe; BAG Urteil vom 27. Februar 1996 – 3 AZR 886/94 – NZA 1996, 992, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen, zu A III 1 der Gründe).
2. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Bestehens eines Verschaffungsanspruchs. Da die Beklagte die geltend gemachten Versorgungsrechte bestreitet, ist das betriebsrentenrechtliche Rechtsverhältnis durch eine tatsächliche Unsicherheit gefährdet. Ein Bedürfnis für eine alsbaldige Klärung besteht. Die Klägerin kann nicht darauf verwiesen werden, erst nach Eintritt des Versorgungsfalles einen zeitraubenden Prozeß gegen ihren Arbeitgeber über Inhalt und Umfang ihrer Versorgungsrechte zu führen. Meinungsverschiedenheiten über Bestand und Ausgestaltung der Versorgungsrechte müssen möglichst vor Eintritt des Versorgungsfalles geklärt werden, damit die Arbeitnehmer frühzeitig die bestehenden Versorgungslücken schließen können (vgl. BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 –, aaO, zu A III 2 a der Gründe; BAG Urteil vom 27. Februar 1996 – 3 AZR 886/94 –, aaO, zu A III 2 der Gründe).
C. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihr zustünden, wenn sie auch in der Zeit vom 25. Oktober 1984 bis 31. März 1990 bei der VAP versichert gewesen wäre.
I. Der Verschaffungsanspruch ergibt sich aus § 24 TV Arb. Der Versorgungstarifvertrag konnte nicht Teilzeitkräfte, die im Sinne des Rentenversicherungsrechts mehr als geringfügig beschäftigt wurden, aus der Zusatzversorgung ausnehmen. Diese Einschränkung der Versorgungsverpflichtungen ist wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unwirksam. Dafür gibt es keine einleuchtenden Gründe. Dies hat der Senat mehrfach entschieden (vgl. u.a. BAGE 71, 29, 38 ff. = AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B I 3 c der Gründe; Urteil vom 7. März 1995, aaO, zu B II 2 d der Gründe). Daran hat er trotz der von der Beklagten erneut aufgegriffenen Bedenken festgehalten (Urteil vom 16. Januar 1996, aaO, zu C der Gründe; Urteil vom 27. Februar 1996, aaO, zu B I 1 der Gründe; Urteile vom 12. März 1996 – 3 AZR 988, 989, 990/94 –, n.v., zu C II der Gründe; Urteil vom 18. Juni 1996 – 3 AZR 228/95 –, n.v., zu C II der Gründe). Neue Gesichtspunkte, die zu einer Änderung dieser Rechtsprechung führen könnten, hat die Beklagte nicht aufgezeigt.
1. Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge nur daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere das Grundgesetz oder zwingendes Gesetzesrecht verstoßen (BAG Urteil vom 7. März 1995, aaO, zu B II 2 a der Gründe, mit eingehender Begründung und weiteren Nachweisen). Der Ausschluß auch mehr als geringfügig beschäftigter Teilzeitkräfte wurde den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG nicht gerecht.
a) Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt vor, wenn im wesentlichen gleichliegende Sachverhalte ohne sachlich einleuchtenden Grund unterschiedlich behandelt werden (vgl. u.a. BVerfGE 25, 198, 205; 25, 314, 321; 31, 101, 109; 36, 321, 338; 40, 65, 85; 49, 280, 283). Bereits im Urteil vom 7. März 1995 (aaO, zu B II 2 c der Gründe, m.w.N.) hat der Senat darauf hingewiesen, daß dies in Rechtsprechung und Literatur als „Willkür” bezeichnet wird, ohne daß damit ein subjektiver Schuldvorwurf verbunden ist. Entscheidend ist allein die objektive Sach- und Rechtslage. Davon ist das Bundesverfassungsgericht auch in neuesten Entscheidungen ausgegangen. So hat es im Beschluß vom 7. November 1995 (– 2 BvR 802/90 – NJW 1996, 833, zu B I 1 der Gründe) ausgeführt, daß eine bestimmte Auslegung und Rechtsanwendung „objektiv willkürlich” ist und deshalb die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.
b) Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie ändert an der Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes nichts. Art. 9 Abs. 3 GG räumt den Tarifvertragsparteien keinen unbeschränkten Regelungsspielraum ein. Auch sie müssen zwingendes übergeordnetes Recht beachten, zu dem die Wertentscheidung des Art. 3 Abs. 1 GG gehört. Eine tarifvertragliche Unterscheidung, für die sich unabhängig von den tatsächlichen Annahmen der Tarifvertragsparteien keine einleuchtenden Gründe finden lassen, ist offensichtlich unsachlich. Ein derartiger Verstoß liegt beim Ausschluß der mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräfte vor. Dies hat der Senat in den Urteilen vom 7. März 1995 (aaO) und vom 16. Januar 1996 (aaO) eingehend begründet. Hierauf wird Bezug genommen.
c) Entgegen der Ansicht der Beklagten hat sich der Inhalt des Art. 3 Abs. 1 GG im Laufe der Zeit nicht geändert. Auch weitverbreitete Rechtsansichten müssen dem objektiven Prüfungsmaßstab des Art. 3 Abs. 1 GG standhalten. Neue Rechtserkenntnisse sind – abgesehen von dem auf Ausnahmefälle beschränkten Vertrauensschutz – uneingeschränkt bei der Rechtsanwendung zu berücksichtigen. Von einem Wandel der Rechtserkenntnisse ist ein Wandel der tatsächlichen Verhältnisse zu unterscheiden. Im Urteil vom 16. Januar 1996 (aaO, zu C II 1 der Gründe) hat der Senat hervorgehoben, daß sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht entscheidend geändert haben. Unerheblich ist es, daß die Zahl der Teilzeitbeschäftigten gestiegen ist und sich die Gründe für die Teilzeitarbeit verschoben haben. Die Rechtsfrage, wie die Teilzeitarbeit rechtlich zu ordnen ist, blieb die gleiche.
2. Der Verstoß der tariflichen Regelung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG führt nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Versorgungsregelung, sondern nur zur Unwirksamkeit der Ausschlußregelung. Den unzulässigerweise ausgeklammerten Teilzeitkräften stehen die tariflichen Versorgungsrechte zu. Die Gerichte für Arbeitssachen müssen zwar einen den Tarifvertragsparteien verbleibenden Regelungsspielraum berücksichtigen. Ein unzulässiger Eingriff in den Regelungsspielraum der Tarifvertragsparteien liegt aber nicht vor, wenn nur durch Einbeziehung der ausgeschlossenen Personen dem Gleichheitsgebot Rechnung getragen werden kann oder wenn anzunehmen ist, daß die Tarifvertragsparteien bei Beachtung des Gleichheitssatzes alle zu berücksichtigenden Personen in die Vergünstigung einbezogen hätte. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Wie der Senat im Urteil vom 7. März 1995 (aaO, zu B III 2 der Gründe) ausgeführt und in den späteren Entscheidungen (Urteil vom 16. Januar 1996 – 3 AZR 767/94 –, aaO, zu C III der Gründe; Urteile vom 12. März 1996 – 3 AZR 988, 989, 990/94 –, n.v., jeweils zu C III der Gründe) bestätigt hat, kann dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG für die Vergangenheit nur dadurch entsprochen werden, daß auch den unterhälftig Beschäftigten die vorenthaltene Leistung verschafft wird.
II. Dem geltend gemachten Verschaffungsanspruch steht kein Rückwirkungsverbot entgegen.
1. Ein europarechtlicher Rückwirkungsschutz besteht im vorliegenden Fall nicht. Insoweit kann auf die Ausführungen in den Urteilen vom 7. März 1995 (aaO, zu B IV 3 der Gründe), vom 16. Januar 1996 (aaO, zu C IV 2 der Gründe), vom 12. März 1996 (– 3 AZR 988, 989, 990/94 –, n.v., jeweils zu C IV 2 der Gründe) und vom 18. Juni 1996 – 3 AZR 228/95 –, n.v., zu C IV 2 der Gründe) Bezug genommen werden. Neue Gesichtspunkte, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten, hat die Beklagte nicht vorgebracht.
a) Die Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag spielt keine Rolle. Art. 119 Abs. 1 EG-Vertrag und die hierzu beschlossene Protokollerklärung regeln den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen. Auf das Geschlecht der Arbeitnehmer kommt es aber für die Entscheidung des Senats nicht an. Die unterschiedliche Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten ist unabhängig davon unzulässig, ob Frauen und Männer in unterschiedlichem Umfang betroffen sind.
b) Die Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag enthält auch keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem jede Rückwirkung in allen Fragen der Ungleichbehandlung ausgeschlossen ist. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift bieten hierfür Anhaltspunkte (BAG Urteil vom 18. Juni 1996 – 3 AZR 228/95 –, n.v., zu C IV 2 der Gründe). Die Protokollerklärung bezieht sich auf Art. 119 EG-Vertrag, reagiert auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und beschränkt lediglich die rückwirkende Anwendung des Lohngleichheitsgebots für Männer und Frauen, nicht aber die Anwendung nationaler Gleichheitsgebote für andere Personengruppen. Wie der Senat bereits im Urteil vom 18. Juni 1996 (aaO) ausgeführt hat, ist diese Auslegung derart offenkundig, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Europäischen Gerichtshof selbst kein Raum für einen vernünftigen Zweifel am Auslegungsergebnis bleiben kann. Nach wie vor besteht kein Anlaß, die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob die Protokollerklärung der Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf zurückliegende Zeiten entgegenstehen kann (Art. 177 EG-Vertrag).
c) Im übrigen hat der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen vom 28. September 1994 (– Rs C-57/93 – „Vroege”, EAS Art. 119 EG Vertrag Nr. 32; – Rs C-128/93 – „Fisscher” – AP Nr. 56 zu Art. 119 EWG-Vertrag) bereits klargestellt, daß das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügte Protokoll Nr. 2 zu Art. 119 EG-Vertrag sogar in dessen Anwendungsbereich keine Auswirkungen auf den Anspruch auf Anschluß an ein Betriebsrentensystem hat, um den es der Klägerin auch im vorliegenden Fall geht.
2. Ebensowenig führt der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Belastungen zu einem Wegfall oder zu einer Einschränkung des Verschaffungsanspruchs (BAG Urteil vom 7. März 1995, aaO, zu B IV 1 und 2 der Gründe; Urteil vom 16. Januar 1996, aaO, zu C IV 1 der Gründe, und Urteile vom 12. März 1996, aaO, jeweils zu C IV 1 der Gründe).
a) Die Beklagte kann sich nicht auf die frühere Rechtsprechung berufen. Eine Änderung der Rechtsprechung kann nicht ohne weiteres mit einer Änderung der objektiven Rechtslage durch neue Gesetze gleichgesetzt werden. Allerdings gewinnt der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Vertrauensschutz um so größere Bedeutung, je stärker die Rechtsprechung sich der Rechtssetzung nähert, wie dies etwa im Bereich der Rechtsfortbildung der Fall ist. Dies bedeutet aber nicht, daß die Erwartung eines Arbeitgebers oder der Tarifvertragsparteien, eine Regelung sei rechtlich nicht zu beanstanden, ansonsten fehlende Sachgründe ersetzen kann. Grundsätzlich muß der Richter seiner Entscheidung die Rechtserkenntnisse zugrunde legen, die er hier und heute gewinnt (BAG Urteil vom 16. Januar 1996, aaO, zu C IV 1 der Gründe). Selbst ein schuldloser Rechtsirrtum des Arbeitgebers führt nicht zwangsläufig dazu, daß die Gerichte die objektiv rechtswidrige Benachteiligung einer Personengruppe wider besseres Wissen aufrechterhalten müssen (BAG Urteil vom 7. März 1996, aaO, zu B IV 2 d aa der Gründe).
b) Auch im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob ein Vertrauen auf die bisherige gerichtliche Gesetzesanwendung überhaupt zu schützen ist. Zumindest sind die dem Arbeitgeber entstehenden Belastungen abzuwägen mit den Interessen der Arbeitnehmer an der Beachtung der zentralen Gerechtigkeitsnorm des Art. 3 Abs. 1 GG.
Dabei verdient das Interesse der Beklagten, von zusätzlichen Belastungen und Verwaltungsmehraufwand verschont zu bleiben, keinen Vorrang gegenüber dem Interesse der benachteiligten Arbeitnehmer an der uneingeschränkten Beachtung des Gleichheitssatzes. Der Gleichheitssatz ist im besonderen Maße Ausdruck der materiellen Gerechtigkeit. Seiner besonderen Bedeutung entspricht es, daß grundsätzlich auch für zurückliegende Zeiträume gleiche Entgelte für gleiche Arbeit zu leisten sind und nicht ohne sachlichen Grund bestimmte Personengruppen vorübergehend schlechter behandelt werden dürfen, auch wenn der Verstoß gegen den Gleichheitssatz erst nachträglich erkannt wird. Im Urteil vom 16. Januar 1996 (aaO, zu C IV 1 b der Gründe) hat der Senat hervorgehoben, daß er die finanziellen Belastungen und den Verwaltungsaufwand der Arbeitgeber nicht gering einschätzt. Die voraussichtlichen Mehrkosten müssen jedoch zu den Gesamtkosten in Beziehung gesetzt werden, die der Arbeitgeber für die Zusatzversorgung, für die Vergütungen seiner Arbeitnehmer und die Personalverwaltung aufwenden muß. Danach gibt es für eine Überforderung der Beklagten keine ausreichenden Anhaltspunkte. Mit den Belastungen, auf die sich die Beklagte im vorliegenden Fall beruft, hat sich der Senat bereits in den Urteilen vom 7. März 1995 (– 3 AZR 583 und 625/94 –, n.v.), vom 16. Januar 1996 (aaO) und vom 12. März 1996 (aaO) auseinandergesetzt und sie nicht für unzumutbar angesehen. Daran hält der Senat fest. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 6. August 1993 – 3 Sa 1256/91 –, auf das sich die Beklagte beruft, hat der Senat mit Urteil vom 17. April 1996 (– 3 AZR 774/94 –, n.v.) aufgehoben und der Klägerin den geltend gemachten Verschaffungsanspruch zuerkannt.
c) Der Beklagten wird entgegen ihrer Ansicht auch nichts praktisch Undurchführbares abverlangt, selbst wenn sie für länger zurückliegende Zeiträume über keine Unterlagen mehr verfügt. Die Arbeitnehmer trifft eine Mitwirkungspflicht. Sie müssen die Anspruchsvoraussetzungen erforderlichenfalls im einzelnen vortragen und nachweisen. Im Prozeß tragen sie die Darlegungs- und Beweislast.
Unterschriften
Kremhelmer, Böck, Bepler, Oberhofer, Kaiser
Fundstellen