Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 29. April 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und wie zuvor das SG den vom Kläger verfolgten Anspruch auf Fortzahlung eines Krankengeldes über den 29.9.2018 hinaus abgelehnt.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und macht Divergenz, eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensmängel geltend.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 SGG).
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe hat der Kläger in der Begründung der Beschwerde schlüssig dargelegt oder bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl zB BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Meßling in: Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, IX. Kap, RdNr 102 mwN).
Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger trägt vor, das LSG lege seiner Verneinung einer unverschuldeten Fristüberschreitung bei der Meldung seiner fortdauernden Arbeitsunfähigkeit zugrunde, dass eine psychische Ausnahmesituation durch Krankheit als "vorübergehende Handlungsunfähigkeit" so schwerwiegend sein müsse, dass sie mit einer Geschäftsunfähigkeit nach § 104 BGB vergleichbar sei. Damit weiche das LSG von der von ihm selbst "zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22. Juni 1966" ab. Das BSG habe "die Handlungsunfähigkeit nicht im Sinne einer Gleichsetzung mit der Geschäftsunfähigkeit betrachtet, sondern die Handlungsunfähigkeit aus der Geschäftsunfähigkeit hergeleitet, soweit in dem Fall, dass jemand nicht geschäftsfähig sei und keinen gesetzlichen Vertreter habe, im Rechtsverkehr nicht handeln könne." Deshalb liege ein "Fehlverständnis" zugrunde.
Mit diesem Vortrag ist eine Divergenz schon deshalb nicht ausreichend dargelegt, weil die Entscheidung des BSG vom 22.6.1966 (3 RK 14/64 - BSGE 25, 76 = SozR Nr 18 zu § 182 RVO) nach den Schilderungen des Klägers nur die rechtlichen Wirkungen einer Geschäftsunfähigkeit, nicht jedoch eine inhaltliche Definition zur Handlungsunfähigkeit ohne Vorliegen von Geschäftsunfähigkeit betraf. Zudem hat der Kläger nicht ausreichend dargetan, dass es sich bei den von ihm in Bezug genommenen Ausführungen des LSG um einen fallübergreifenden Rechtssatz handelt, mit dem höchstrichterliche Rechtsprechung in Frage gestellt wird (vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34).
Die von dem Kläger mit Bezug auf das Institut der Nachsichtgewährung geltend gemachte weitere Divergenz zwischen der Entscheidung des Berufungsgerichts und der Entscheidung des BSG vom 16.5.2012 (B 4 AS 166/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 31 RdNr 33) hat er nicht ausreichend bezeichnet. Er entnimmt der Entscheidung des 4. Senats des BSG die Aussage: "Denn tragende Überlegung für das richterrechtliche Institut der Nachsichtgewährung ist, dass an einen geringfügigen Verstoß weittragende und offensichtlich unangemessene (unverhältnismäßige) Rechtsfolgen geknüpft werden oder der Rechtsausübung ein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt". Mit diesem Vortrag ist schon kein Rechtssatz des BSG, sondern nur ein Begründungselement zitiert. Zudem hat der Kläger auch nicht ausreichend dargelegt, dass die angegriffene Entscheidung des LSG auf der Abweichung von der zitierten Entscheidung beruht, was erforderlich gewesen wäre (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 15e). Insofern hätte er sich auch mit der aktuellen Rechtsprechung des Senats zur Nachsichtgewährung im Krg-Recht befassen müssen (vgl nur BSG vom 5.12.2019 - B 3 KR 5/19 R - juris RdNr 25).
2. Auch soweit der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht, indem "festzustellen ist, dass die Annahme einer Handlungsunfähigkeit des Versicherten nicht dasselbe Ausmaß wie eine Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB erfordern muss", wird die Beschwerdebegründung den Darlegungsanforderungen nicht gerecht. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Auch ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Meßling in: Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, IX. Kap, RdNr 286). Hieran fehlt es. Bezogen auf eine etwaige "Handlungsunfähigkeit" ist schon keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert (vgl BSG vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 15 mwN). Unabhängig hiervon ist nicht vorgetragen, ob die formulierte Rechtsfrage bereits in der Rechtsprechung und Literatur behandelt wird und ungeklärt ist (vgl zur Geschäfts- und Handlungsunfähigkeit etwa BSG vom 5.5.2009 - B 1 KR 20/08 R - SozR 4-2500 § 192 Nr 4 RdNr 21).
3. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der § 109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Soweit der Kläger geltend macht, das LSG habe notwendig ein Sachverständigengutachten zu den Auswirkungen seiner psychischen Erkrankung auf seine Handlungsfähigkeit einholen müssen, hat er schon nicht behauptet, dass er einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, wie es erforderlich gewesen wäre. Mit seinem Vorbringen, er habe keinen Beweisantrag gestellt, weil er nicht davon habe ausgehen können, dass die vom LSG festgestellte psychische Ausnahmesituation am 1.10.2018 nicht zur Annahme einer Handlungsunfähigkeit führen werde, rügt er im Kern - wie auch ausdrücklich - eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und eine Überraschungsentscheidung. Ein solcher Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ist jedoch nur anzunehmen, wenn das Urteil auf einen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt gestützt wird, mit dem auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf nicht zu rechnen braucht (vgl nur BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 169/15 B - juris RdNr 6). Insofern hätte der Kläger darlegen müssen, dass die Entscheidung des LSG auch angesichts etwa der Inhalte der vorangehenden Entscheidung des SG oder des Beteiligtenvorbringens nicht vorhersehbar war, was nicht geschehen ist. Die von ihm unterstellte generelle Verpflichtung des Gerichts, schon vor Erlass eines Urteils alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte im Verfahren zu erörtern und auf einzelne Gesichtspunkte hinzuweisen, besteht nicht (BSG Beschluss vom 26.10.2012 - B 6 KA 3/12 C).
4. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
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Fundstellen
Dokument-Index HI15285414 |