Verfahrensgang

LSG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 28.03.1996; Aktenzeichen L 5 U 1/95)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 28. März 1996 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Klägerin als landwirtschaftliche Unternehmerin mit Bodenbewirtschaftung zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung zu entrichtenden Beiträge für das Umlagejahr 1991, insbesondere ob die Beklagte berechtigt war, bei der Beitragsbemessung den satzungsgemäßen Flächenwertmaßstab zugrunde zu legen (Bescheide vom 14. Februar 1992 und 30. März 1993 idF des Widerspruchsbescheides vom 6. April 1993; Urteile des Sozialgerichts vom 30. November 1994 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 28. März 1996).

Die Klägerin hat die – vom LSG zugelassene – Revision binnen Monatsfrist nach Zustellung des LSG-Urteils am 26. April 1996 eingelegt und mit Schriftsatz vom 27. Juni 1996, eingegangenen per Telefax am selben Tage, begründet.

Mit Schriftsatz vom 16. Juli 1996, eingegangen per Telefax am selben Tage, hat die Klägerin wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, da die zuverlässige und bereits langjährig als Rechtsanwaltsgehilfin tätige Ehefrau ihres Prozeßbevollmächtigten, die seit mehr als drei Jahren in dessen Kanzlei – regelmäßig überwacht – die Fristenkontrolle führt, ihm die Akte bei der einwöchigen Vorfrist zwar vorgelegt habe, „jedoch den Fristablauf zum 26. Mai 1996 aus dem Kalender, dem Aktenblatt sowie dem Eingangsstempel des Urteils eigenmächtig versehentlich gestrichen und die Vorfrist als Frist” behandelt habe. Dies habe dazu geführt, daß die Akte im Rahmen der Vorfrist dem Prozeßbevollmächtigten zur Bearbeitung vorgelegt und von ihm bearbeitet worden sei, allerdings ohne üblichen Fristvermerk und den Hinweis auf den Tag des Fristablaufs zur Revisionsbegründung. An die Revisionsbegründungsfrist am Tag ihres Fristablaufs am 26. Juni 1996 sei er nicht erinnert worden. Die Klägerin hat eine eidesstattliche Versicherung der Angaben der Ehefrau ihres Prozeßbevollmächtigten vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unzulässig. Sie ist nicht fristgemäß begründet worden. Gemäß § 164 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Revision beim Bundessozialgericht (BSG) innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils – was hier einschlägig ist – oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision einzulegen. Nach Abs 2 dieser Vorschrift ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Da das Urteil des LSG der Klägerin am 26. April 1996 zugestellt worden ist, endete die Frist zur Begründung der Revision mit Ablauf des 26. Juni 1996. Dieser Tag war kein Sonnabend oder Sonntag, sondern ein gewöhnlicher Werktag. Die am 27. Juni 1996 eingegangene Revisionsbegründung war mithin verspätet. Gegen die Versäumung der Frist hat die Klägerin rechtzeitig binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses (§ 67 Abs 2 Satz 1 SGG) Wiedereinsetzung beantragt.

Wiedereinsetzung gemäß § 67 Abs 1 SGG ist der Klägerin jedoch nicht zu gewähren, da sie nicht ohne Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten muß sie sich gemäß § 73 Abs 4 SGG iVm § 85 Abs 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zurechnen lassen. Dagegen ist bei Verschulden einer ausreichend geschulten, unterrichteten und überwachten Hilfsperson des Prozeßbevollmächtigten eine Wiedereinsetzung möglich (BSG SozR Nrn 16 und 23 zu § 67 SGG; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 67 RdNr 8a). Dementsprechend kann ein Rechtsanwalt ohne schuldhaft zu handeln, die Berechnung und Überwachung von Fristen gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen. Dies gilt jedoch nur für die Berechnung einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger Fristen (BGHZ 43, 148, 153; BGH NJW 1994, 2551; Beschluß des Senats vom 17. April 1991 – 2 RU 7/91 –). Der Senat geht zugunsten der Klägerin davon aus, daß die Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten als ausreichend geschulte, unterrichtete und überwachte Rechtsanwaltsgehilfin aus dem Kalender, dem Aktenblatt sowie dem Eingangsstempel des Urteils den Fristablauf gestrichen hat. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat aber dennoch nicht ohne sein Verschulden die Revisionsbegründungsfrist versäumt. Denn die Akte wurde ihm innerhalb der einwöchigen Vorfrist vorgelegt. Ein Rechtsanwalt hat zwar nicht bei jeder Vorlage der Akte den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen zu prüfen. Erhält aber ein Rechtsanwalt eine Akte zur Erledigung einer fristgebundenen Prozeßhandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung – hier zur Begründung der Revision – vorgelegt, so hat er selbst eigenverantwortlich zu prüfen, ob die maßgebende Frist gewahrt ist (BSG Beschluß vom 30. März 1988 -2 RU 8/88 –; BGH VersR 1991 S 1269; BGH NJW 1992, 1632).

Gegen die Pflicht zur eigenverantwortlichen Fristenprüfung hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hier verstoßen. Hätte er die Frist zur Begründung der Revision geprüft, als ihm die Akte zur Anfertigung der Revisionsbegründung vorgelegt wurde, so hätte er festgestellt, daß diese Frist am 26. Juni 1996 ablief. Dabei wird wegen der identischen Fristenlänge unterstellt, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin zur Prüfung der Revisionsbegründungsfrist in der Lage war, obwohl ihm offensichtlich nicht bekannt zu sein scheint, daß die Revisionsbegründungsfrist im sozialgerichtlichen Verfahren in einer eigenständigen Verfahrensordnung in § 164 Abs 2 Satz 1 SGG geregelt ist und daher hier nicht „§ 139 Abs 2 Satz 1 VwGO” (richtigerweise § 139 Abs 3 Satz 1 VwGO) – wie er meint – zur Anwendung kommt.

Bei einem drohenden Fristablauf muß der Prozeßbevollmächtigte alle noch vorhandenen Möglichkeiten ausnutzen, um die Prozeßhandlung noch vor Fristablauf zu vollziehen. Bei einer einwöchigen Vorfrist hätte entweder die Revisionsbegründung noch rechtzeitig beim BSG eingereicht werden können oder der Prozeßbevollmächtigte hätte per Telefax oder telegrafisch eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist gemäß § 164 Abs 2 Satz 2 SGG beantragen können (vgl BSG SozR 1500 § 67 Nr 16; Meyer-Ladewig, aaO, § 164 RdNr 7). Daher beruhte die Fristversäumung auf einem Verschulden des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, welches sie sich gemäß § 73 Abs 4 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO zurechnen lassen muß. Mithin war sie nicht ohne ihr Verschulden gehindert, die Frist zur Begründung der Revision einzuhalten.

Die Revision war daher nach § 169 SGG durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173515

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