Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Prozesskostenhilfe. Rechtsschutzversicherung. Beiordnung eines Rechtsanwalts
Orientierungssatz
Prozesskostenhilfe kann einem Kläger nicht bewilligt werden, wenn er über eine Rechtsschutzversicherung verfügt, die die Kosten des Verfahrens übernehmen würde. In einem solchen Fall ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts nur unter den Voraussetzungen der allgemeinen Vorschrift in § 78b ZPO möglich.
Normenkette
SGG § 73 Abs. 4, §§ 160a, 202 S. 1; ZPO §§ 78b, 119 Abs. 1, § 121 Abs. 5
Verfahrensgang
SG Köln (Gerichtsbescheid vom 07.12.2016; Aktenzeichen S 36 R 1275/16) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 07.09.2022; Aktenzeichen L 3 R 1112/16) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. September 2022 einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. September 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Der im Jahr 1946 geborene Kläger erhielt vom beklagten Rentenversicherungsträger seit Mai 1996 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. In der Folgezeit nahm die Beklagte Verrechnungen zugunsten eines anderen Sozialleistungsträgers vor. Nach gerichtlicher Aufhebung des Verrechnungsbescheids leistete die Beklagte Nachzahlungen an den Kläger. Weiterhin bewirkte die Beklagte aufgrund einer Abtretungserklärung des Klägers Zahlungen aus der Rente an einen Dritten. Mit Bescheid vom 3.8.2016 hob die Beklagte die zuvor verfügte Verminderung des Rentenzahlbetrags zugunsten des Klägers auf. Daraufhin wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 25.8.2016 an die Beklagte und forderte eine Antwort auf die Frage, weshalb er "die gesamten Jahre seit 2003 aus Ihrem Hause nie eine Aufklärung über die Verwendung meiner rechtswidrig einbehaltenen Nachzahlung erhalten" habe; hierüber erwarte er bis zum 8.9.2016 einen Bescheid.
Zu der am 21.9.2016 vor dem SG erhobenen Untätigkeitsklage erwiderte die Beklagte, dass die Angelegenheit der Verrechnung bereits im Berufungsverfahren abgeschlossen worden sei. Ein Anspruch auf Erteilung einer Abrechnung in Form eines Bescheids bestehe nicht. Sie werde jedoch auf Wunsch des Klägers eine Aufstellung über die erfolgten Zahlungen erstellen, sobald ihr die Verwaltungsakten wieder vorlägen, welche vom LSG zu zahlreichen weiteren Verfahren des Klägers beigezogen worden seien. Das SG hat die Untätigkeitsklage als unzulässig abgewiesen, da der Kläger die erbetenen Informationen nicht in Form eines Verwaltungsakts verlangen könne und zudem die Wartefrist noch nicht abgelaufen sei (Gerichtsbescheid vom 7.12.2016).
Im Berufungsverfahren hat der Kläger im Schreiben vom 1.9.2022 ua "die Vortäuschung dieser angeblich rechtsstaatlichen Aufführung" gerügt und ausgeführt, dass er ohne einen fachlich qualifizierten und engagierten Anwalt mehr nicht sage. Prozesskostenhilfe (PKH) benötige er nicht, weil er eine Rechtsschutzversicherung habe; allerdings finde er keinen Anwalt, der bereit sei, das Mandat zu übernehmen. In der mündlichen Verhandlung am 7.9.2022 hat das LSG einen Beschluss verkündet, mit dem der Antrag des Klägers auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt wurde. Anschließend wurde die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Das SG habe zutreffend entschieden, dass eine Untätigkeitsklage, die auf ein schlichtes Verwaltungshandeln ohne Regelungswirkung gerichtet sei, nicht statthaft sei (Urteil vom 7.9.2022). Nach Zustellung dieser Entscheidungen an den Kläger am 17.9.2022 hat sich dieser mit Schreiben vom 27.9.2022 an das LSG gewandt und - neben zahlreichen Beschimpfungen - seine bisherigen Anträge wiederholt; zudem hat er erklärt, er erwarte "eine Zulassung der Revision". Daraufhin hat das LSG dieses Schreiben dem BSG vorgelegt.
Der Kläger hat auf die Eingangsbestätigung des BSG vom 6.10.2022 in zwei per Telefax übermittelten Schreiben vom 11.10.2022 und vom 20.10.2022 ua mitgeteilt, der "Wisch vom 06.10.22" beweise augenscheinlich die weitere Handhabung von Willkür, Rechtsverweigerung und Rechtsbeugung. Seinem Rechtsmittel vom 27.9.2022 lägen hinreichende Angaben und Beweisanträge bei. Auch der Begriff "Notanwalt" sei ein Thema, was dem BSG aber sicher nicht bekannt sei. Die beiden nicht unterzeichneten Schreiben enden - wie auch bereits frühere Schreiben - mit folgendem Hinweis: "automatisch erstellt, ohne Unterschrift gültig, begl. Putzfrau".
II. 1. Der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts für ein Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG gegen das Urteil des LSG vom 7.9.2022 ist abzulehnen.
Nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 78b Abs 1 ZPO hat das Prozessgericht einem Beteiligten auf seinen Antrag für den Rechtszug durch Beschluss einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung seiner Rechte beizuordnen, wenn er einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Das BSG hat zu dieser Vorschrift bereits zahlreiche Entscheidungen getroffen. Es hat insbesondere ausgeführt, dass ein Beteiligter, der die Beiordnung eines sog Notanwalts begehrt, die von ihm zu seiner Vertretung angefragten Rechtsanwälte namentlich bezeichnen und deren Ablehnungsschreiben vorlegen oder anderweitig glaubhaft machen muss, in welcher Weise und mit welchem Ergebnis er Kontakt mit ihnen aufgenommen hat (vgl BSG Beschluss vom 20.10.2020 - B 9 V 37/20 B - juris RdNr 5 mwN). Entsprechende Bemühungen müssen für ein Verfahren vor einem obersten Gerichtshof des Bundes jedenfalls für mindestens fünf Rechtsanwälte dargelegt werden (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 26.10.2017 - B 13 R 55/17 B - juris RdNr 12 mwN - ebenfalls in einer Streitsache des Klägers ergangen). Das muss spätestens bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist geschehen (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 7.4.2022 - B 2 U 1/22 BH - juris RdNr 4 mwN).
Offenbleiben kann hier, ob ein Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts, der nicht unterschrieben ist, überhaupt wirksam gestellt ist. Auch wenn davon auszugehen wäre, dass die Schreiben vom 27.9.2022, 10.10.2022 und 20.10.2022 vom Kläger selbst per Telefax an das LSG bzw BSG abgesandt worden sind, fehlte es jedenfalls an ausreichenden Darlegungen zu den Bemühungen des Klägers um die Erlangung anwaltlicher Vertretung für das Verfahren vor dem BSG (vgl § 73 Abs 4 SGG) innerhalb der am 17.10.2022 abgelaufenen Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde (vgl § 160a Abs 1 Satz 2 SGG). Bei dem in zahlreichen Streitsachen prozesserfahrenen Kläger (er hat allein beim BSG schon wenigstens 43 Verfahren anhängig gemacht), dem im Verfahren B 13 R 55/17 B die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Notanwalts bereits ausführlich dargelegt worden sind, bedurfte es keines erneuten Hinweises auf diese Erfordernisse.
2. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 121 Abs 5 ZPO kommt von vornherein nicht in Betracht. Diese Bestimmung ist Teil des 7. Titels "Prozesskostenhilfe und Prozesskostenvorschuss" im 2. Abschnitt des 1. Buchs der ZPO. Sie setzt deshalb nach ihrer systematischen Stellung die Bewilligung von PKH nach § 119 Abs 1 ZPO voraus. PKH kann dem Kläger aber schon deshalb nicht bewilligt werden, weil er nach seinen eigenen Angaben eine Rechtsschutzversicherung hat, die die Kosten des Verfahrens übernehmen würde. In einem solchen Fall ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts nur unter den Voraussetzungen der allgemeinen Vorschrift in § 78b ZPO möglich. Diese sind jedoch - wie bereits ausgeführt - hier nicht erfüllt.
3. Soweit der Kläger selbst Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG eingelegt hat, ist dieses Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen, weil es nicht formgerecht erhoben worden ist (vgl § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG). Der Kläger kann vor dem BSG ein Verfahren (ausgenommen PKH-Verfahren und Verfahren zur Beiordnung eines Notanwalts) nicht selbst führen, sondern muss sich durch zugelassene Prozessbevollmächtigte vertreten lassen (vgl § 73 Abs 4 SGG). Der Vertretungszwang soll sicherstellen, dass das Verfahren in dritter Instanz, das der Gesetzgeber zur ausschließlich rechtlichen Überprüfung der vorinstanzlichen Entscheidungen in erster Linie im öffentlichen Interesse (Wahrung der Rechtseinheit und Fortbildung des Rechts) eröffnet hat, von einer fachkundigen Person mit qualifizierten Kenntnissen des Rechts verantwortlich geführt wird. Dies soll auch einen Beitrag dazu leisten, dass die personellen Ressourcen der Justiz effektiv eingesetzt werden können und nicht durch aussichtslose Verfahren blockiert werden (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 27.11.2018 - 1 BvR 957/18 - juris RdNr 7; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 11.2.2019 - 1 BvR 3/19 - juris RdNr 3; BSG Beschluss vom 22.9.2020 - B 5 R 212/20 B - SozR 4-1500 § 73 Nr 11 RdNr 6).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Gasser Hahn Körner
Fundstellen
Dokument-Index HI15459338 |