Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. April 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse den Kläger von der Zuzahlung zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln sowie zu stationären Vorsorge-und Rehabilitationsleistungen vollständig befreien muß.
Der über seinen Vater bei der Beklagten versicherte Kläger ist schwerbehindert wegen zum Teil mehrmals täglich auftretender epileptischer Anfälle. Er lebt im Haushalt seiner Eltern, von denen er ständig versorgt und betreut wird. Der Lebensunterhalt der Familie wird ausschließlich vom Verdienst seines Vaters bestritten. Dessen Einkommen betrug im Februar 1989 2.971,44 DM. Außerdem bezieht der Vater für die Pflege des Klägers Leistungen nach §§ 69 Abs 3 und 4 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in Höhe von 500,00 DM, wobei ihm nach § 81 Abs 1 BSHG ein Grundfreibetrag in Höhe von 1.214,00 DM eingeräumt worden ist.
Im August 1989 beantragte der Kläger, ihn gemäß § 61 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) von der Zuzahlung zu Arzneimitteln und anderen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu befreien. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. September 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 1990 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, den Kläger von der Zuzahlung iS des § 61 Abs 1 Nr 1 SGB V zu befreien (Urteil vom 24. Oktober 1990). Das Landessozialgericht (LSG) hat die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. April 1993). In den Entscheidungsgründen wird ua ausgeführt: Der Kläger werde durch die Zuzahlung nicht unzumutbar belastet. Nach § 61 Abs 3 Satz 1 SGB V seien den Bruttoeinnahmen der Versicherten zum Lebensunterhalt die Einnahmen von Angehörigen hinzuzurechnen, die im gemeinsamen Haushalt lebten. Die Anrechnung sämtlicher von den Angehörigen des Haushaltes erzielter Einkommen verstoße weder gegen das aus Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) folgende Willkürverbot noch gegen das in Art 20 Abs 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip. Denn es sei verfassungsrechtlich nicht bedenklich, wenn im Leistungsbereich der Krankenversicherung pauschalierend an Umstände vermuteter erhöhter Leistungsfähigkeit angeknüpft werde. Das zu berücksichtigende Familieneinkommen werde ausschließlich von dem Vater des Klägers erzielt. Die Beklagte habe sein Einkommen aus dem Monat Februar 1989 in Höhe von 2.971,44 DM zugrunde gelegt. Dieses Einkommen überschreite im Jahre der Antragstellung die in § 61 Abs 2 Nr 1 iVm Abs 4 SGB V festgelegten Grenzen, nämlich 65 % der jeweiligen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV). Der Kläger beziehe auch keine Leistungen iS des § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V. Zwar erhalte er Pflegehilfe aufgrund der §§ 68 ff BSHG. Hierbei handele es sich indes um eine besondere Form der Hilfe in besonderen Lebenslagen. Sie sei nicht gleichzusetzen mit Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 11 – 26 BSHG, bei deren Bezug eine unzumutbare Belastung iS von § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V angenommen werde. Auch die Voraussetzungen des § 61 Abs 2 Nr 3 SGB V lägen nicht vor. Diese Vorschrift verlange, daß der Versicherte in einem Heim untergebracht und ein Sozialhilfeträger oder ein Träger der Kriegsopferversorgung die Kosten der Unterbringung trage. Der Kläger vertrete zwar die Ansicht, daß er diesem Personenkreis gleichzustellen sei, weil bei ihm aufgrund seiner Schwerbehinderung die Voraussetzungen für eine vom Sozialhilfeträger zu zahlende Heimpflege vorlägen. Da er aber nicht in einem Pflegeheim untergebracht sei, schließe schon der Wortlaut des § 61 Abs 2 Nr 3 SGB V die Anwendung dieser Vorschrift zu seinen Gunsten aus. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG oder das Sozialstaatsprinzip seien auch hinsichtlich der Regelung des § 61 Abs 2 Nr 3 SGB V und dem Ausschluß von Personen, die in einem Privathaushalt gepflegt würden, nicht gegeben. Für die vom Gesetzgeber getroffene Regelung beständen sachliche Gründe. Grund für die Begünstigung der in § 61 Abs 2 Nr 3 SGB V genannten Personengruppen sei nach den Gesetzesmaterialien die Unzumutbarkeit einer Zuzahlung für die einkommensschwachen Bewohner insbesondere von Alten- und Pflegeheimen. Die Zuzahlungsbefreiung der auf Kosten des Sozialhilfeträgers in einem Heim untergebrachten Versicherten gegenüber den Versicherten, die zu Hause gepflegt würden, habe ihren sachlichen Grund damit in der Bedürftigkeit jener Versicherten. Sei ein Versicherter, der zu Hause gepflegt werde, bedürftig, so habe er die Möglichkeit, Hilfe zum Lebensunterhalt zu erhalten und könne sich dann nach § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V von der Zuzahlungspflicht befreien lassen. Bei dem Versicherten, der zu Hause gepflegt werde und dem kein Anspruch nach §§ 11 ff BSHG (Hilfe zum Lebensunterhalt) zustehe oder der einen solchen Anspruch nicht geltend machen wolle, könne von einer Bedürftigkeit nicht ausgegangen werden.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 61 SGB V, des Art 3 Abs 1, des Art 6 sowie der Art 11 und 20 GG. Aufgrund seiner Behinderung werde ihm, dem Kläger, ein Freibetrag gemäß § 81 Abs 1 Nr 5 BSHG eingeräumt. Damit sei er dem in § 61 Abs 1 Nr 3 SGB V genannten Personenkreis gleichzustellen, der die Pflege in einer Anstalt oder einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung erhalte. Er habe auch einen Rechtsanspruch darauf, in einer solchen Einrichtung untergebracht zu werden. Bei den in einem Pflegeheim oder einer Pflegeanstalt untergebrachten Personen werde gemäß § 61 Abs 2 Nr 3 SGB V unterstellt, daß sie grundsätzlich unzumutbar belastet seien. In dem Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen zu § 61 SGB V vom 9. Dezember 1988 würde die Auffassung vertreten, daß die Befreiung von der Zuzahlungspflicht für die in einem Heim untergebrachten Versicherten auch dann gelte, wenn die Unterbringungskosten nur teilweise von einem Sozialhilfeträger oder einem Träger der Kriegsopferfürsorge aufgebracht würden. Darüber hinaus habe die Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Leistungsrecht am 7. und 8. März 1989 zur Härtefallregelung ergeben, daß auch Heimbewohner von der Zuzahlung zu befreien seien, die die Unterbringung aus eigenen Mitteln bestritten und deren verbleibende Einnahmen zum Lebensunterhalt nicht höher seien als der Barbetrag, der nach § 21 Abs 3 BSHG als Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werde. Diese Regelung gelte auch, wenn zB ein Ehegatte zu Hause verbleibe und der andere Ehegatte in einem Heim untergebracht sei. Die Einnahmen des zu Hause verbliebenen Ehegatten würden ggf um den Betrag gekürzt, den er für die Unterbringung des anderen Ehegatten aufwende. Für den vorliegenden Fall bedeute dies: Wegen seiner, des Klägers, Volljährigkeit habe er einen eigenständigen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, soweit er sich selbst nicht unterhalten könne. Da er kein eigenes Einkommen habe, wäre im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung seiner Behinderungen die Höhe der Unterhaltsverpflichtungen seiner Eltern zu prüfen. Wäre er in einem Heim untergebracht, hätte er auf diese Leistung einen eigenständigen Rechtsanspruch. Dieser Rechtsanspruch beinhalte gleichzeitig den Rechtsanspruch gemäß § 21 Abs 3 BSHG. Die gesamten Kosten der Unterbringung im Heim einschließlich des Barbetrages gemäß § 21 Abs 3 BSHG bildeten dann sozialhilferechtlich seinen Bedarf, so daß der Betrag vom Träger der Sozialhilfe übernommen werden müsse, da er, der Kläger, einen eigenständigen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe habe und zudem ohne Einkommen sei. Erst nach dieser Abwicklung sei der Träger der Sozialhilfe berechtigt, im Rahmen der §§ 90 und 91 BSHG Übergangsansprüche anzuzeigen und nach Einkommensüberprüfung festzustellen, ob bzw in welcher Höhe ein Unterhaltsanspruch gegenüber den Eltern bestehe. Die individuelle Einkommenssituation seiner Eltern spiele überhaupt keine Rolle bei der Frage, ob er einen Rechtsanspruch auf Heimaufnahme und Taschengeldgewährung im Rahmen des BSHG habe, weil er selbst volljährig und ohne eigenes Einkommen sei. Daß er von seinem Rechtsanspruch auf Unterbringung in einem Heim keinen Gebrauch gemacht habe, stehe – entgegen der Auffassung des LSG –der Befreiung von der Zuzahlungspflicht nicht entgegen. Im übrigen berufe er sich auf den grundgesetzlich gewährten Schutz der Familie (Art 6 GG), die er auch wegen der ihm zukommenden besonderen Fürsorge nicht verlassen möchte. Hierbei empfinde er es als unerträglich, wenn er unter Aufgabe seines Freizügigkeitsrechts (Art 11 GG) den Aufenthalt im Heim wählen müßte, nur um in den Genuß der Befreiung nach § 61 SGB V zu kommen. Im übrigen verstoße die Regelung des § 61 Abs 2 SGB V gegen das Sozialstaatsprinzip.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. April 1993 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. Oktober 1990 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Das LSG durfte in der Sache entscheiden. Denn der Berufung der Beklagten standen keine Berufungsausschlußnormen entgegen. Da die im schriftlichen Verfahren ergangene erstinstanzliche Entscheidung bereits im November 1990 zur Zustellung an die Beteiligten herausgegeben worden ist, gelten für die Zulässigkeit der Berufung noch die Vorschriften der §§ 143 ff des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) idF vor Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I S 50; vgl auch Art 14 Abs 1 dieses Gesetzes).
Der Rechtsstreit betrifft nicht einen Anspruch auf eine einmalige Leistung iSv § 144 Abs 1 Nr 1 SGG aF. Dabei kann der Senat offenlassen, ob die Befreiung von der Zuzahlung eine Leistung iS der genannten Vorschrift darstellt. Jedenfalls handelt es sich nicht um eine einmalige Leistung. Auch wenn die Befreiung durch einen einmaligen Akt vollzogen wird, wirkt sie sich im begehrten fortlaufenden Entfallen der Zuzahlung beim Bezug von Arznei-, Verband- und Heilmitteln aus und eine solche Dauerwirkung steht der Charakterisierung als einmalige Leistung entgegen (vgl dazu BSGE 51, 147, 148 = SozR 2200 § 182a Nr 4; Höfler in KassKomm, § 61 SGB V RdNr 19).
Die Berufung ist auch nicht durch § 144 Abs 1 Nr 2 SGG aF ausgeschlossen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß es in dem Rechtsstreit um wiederkehrende Leistungen geht, weil die Klage auf die Befreiung von der Zuzahlung zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln gerichtet ist, liegen die Voraussetzungen für einen Berufungsausschluß nicht vor. Die Beteiligten streiten nämlich nicht nur um die Befreiung von der Zuzahlung für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen (drei Monaten). Vielmehr verlangt der Kläger eine zeitlich unbeschränkte Befreiung. Die fehlende zeitliche Beschränkung wäre für die Frage der Statthaftigkeit der Berufung allerdings ohne rechtliche Bedeutung, wenn die Befreiung nur befristet, und zwar für höchstens dreizehn Wochen, ausgesprochen werden könnte (vgl dazu BSG SozR 5870 § 27 Nr 3). Das ist jedoch nicht der Fall. Das Gesetz schließt – jedenfalls für besondere Fälle – eine zeitlich unbeschränkte Befreiung nicht aus (vgl dazu Zipperer in Maaßen/Schermer/Wiegand/Zipperer, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung – GKV-Komm, § 61 SGB V RdNr 29; Schellhorn in von Maydell, Gemeinschaftskomm zum Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – GK-SGB V, § 61 RdNr 51; Nr 4 des Besprechungsergebnisses der Leistungsreferenten der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 9. Dezember 1988 zu § 61 – Rundschreiben KV 14/88 des Bundesverbandes der Landwirtschaftlichen Krankenkassen vom 20. Dezember 1988; zur Befreiung von der Zuzahlung für einen längeren Zeitraum s bereits BSG SozR 3-2500 § 61 Nrn 1 und 2).
2. Gegen die gewählte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) bestehen keine Bedenken. Die Klage richtet sich gegen die Ablehnung des vom Kläger im Verwaltungsverfahren gestellten Antrags und auf Verpflichtung der Beklagten zur Befreiung von Zuzahlungen, also auf die Verurteilung zum Erlaß des beantragten Befreiungsbescheides (vgl dazu § 61 Abs 5 SGB V; Höfler in KassKomm, § 61 SGB V RdNr 19; Meyer-Ladewig, SGG, Komm, 5. Aufl, § 54 RdNr 20; s ferner BSGE 31, 226, 230 = SozR Nr 1 zu § 1412 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ für die Eintragung von Ersatz- und Ausfallzeiten in die Versicherungskarte). Für die Klage besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Nach den für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Tatsachenfeststellungen des LSG treten beim Kläger zum Teil mehrmals täglich epileptische Anfälle auf. Deshalb kann der Senat davon ausgehen, daß seit der Antragstellung immer wieder Krankenversicherungsleistungen angefallen sind und in Zukunft anfallen werden, für die der Kläger die Befreiung von der Zuzahlung erreichen will.
3. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Nach § 61 Abs 1 Nr 1 SGB V hat die Krankenkasse Versicherte von der Zuzahlung zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln sowie zu stationären Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen nach § 23 Abs 4, §§ 24, 40 Abs 2 oder § 41 SGB V zu befreien, wenn die Versicherten unzumutbar belastet würden. In § 61 Abs 2 SGB V ist eine Reihe von Tatbeständen enthalten, bei deren Vorliegen das Gesetz eine unzumutbare Belastung annimmt (vgl dazu Höfler in KassKomm, § 61 SGB V RdNr 55). Entgegen der Auffassung der Revision erfüllt der Kläger jedoch keinen dieser Tatbestände.
Nach § 61 Abs 2 Nr 1 SGB V ist eine Befreiung nur möglich, wenn die monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten 40 vH der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV nicht überschreiten. Zwar hat der Kläger, der nach § 10 SGB V “Versicherter” ist, selbst kein Einkommen. Ihm sind jedoch gemäß § 61 Abs 3 Satz 1 SGB V die Einnahmen anderer im gemeinsamen Haushalt lebender Angehöriger im Wege der Fiktion (“gelten”) zuzurechnen. Das bedeutet: Das Einkommen seines Vaters gilt als sein eigenes Einkommen. Da neben seinem Vater seine Mutter in dem gemeinsamen Haushalt lebt, erhöht sich die Belastbarkeitsgrenze auf 65 vH der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV (§ 61 Abs 4 SGB V). Der Vater des Klägers verdiente im Februar 1989 2.971,44 DM. Die monatliche Bezugsgröße nach § 18 SGB IV betrug im Jahre 1989 3.150,00 DM (§ 2 der Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 1989 – Sozialversicherungs-Bezugsgrößenverordnung 1989 – vom 7. Dezember 1988, BGBl I S 2222). Damit lagen die dem Kläger zurechenbaren Einnahmen zum Lebensunterhalt im Jahr der Antragstellung über der für ihn geltenden Belastbarkeitsgrenze von 1.905,75 DM (65 % von 3.150,00 DM).
Zu Recht hat das LSG auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V verneint. Danach ist eine unzumutbare Belastung durch die Zuzahlungen anzunehmen, wenn der Versicherte ua Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG erhält. Hier kommt es jedoch nicht darauf an, ob der Versicherte die genannten Sozialhilfeleistungen verlangen könnte, ob also ein Anspruch besteht, sondern darauf, ob der Versicherte tatsächlich solche Leistungen bezieht (vgl dazu BT-Drucks 11/2237, S 187 zu § 69 Abs 2 und 3; Ergebnisse der Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen Nr 1.1, DOK 1989, 93; Höfler, aaO, § 61 SGB V RdNr 14; Zipperer, aaO, § 61 SGB V RdNrn 22 und 23 und insbesondere Schellhorn, aaO, § 61 RdNr 34). Das ist nicht der Fall. Die für die Pflege des Klägers gewährten Geldleistungen nach §§ 69 und 81 BSHG sind in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Für die Annahme einer unzumutbaren Belastung nach § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V ist allein der Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 11 ff BSHG maßgebend (Schellhorn, aaO, § 61 RdNr 35; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Komm, § 61 SGB V RdNr 12).
Die Anwendung des § 61 Abs 2 Nr 3 SGB V zugunsten des Klägers scheitert daran, daß er nicht auf Kosten der Sozialhilfe in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung untergebracht ist. Denn die Annahme einer unzumutbaren Belastung nach § 61 Abs 2 Nr 3 SGB V ist nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift nur möglich, wenn der Versicherte in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung untergebracht ist (vgl dazu BT-Drucks 11/2237, S 187 zu § 69 Abs 2 und 3; Zipperer, aaO, § 61 RdNr 25; Schellhorn, aaO, § 61 RdNr 39; Höfler, aaO, § 61 SGB V RdNr 16). Auch in diesem Zusammenhang ist rechtlich nicht erheblich, ob ein Anspruch auf Heimunterbringung besteht oder nicht. Die Befreiung von der Zuzahlung kommt erst vom Zeitpunkt der auf Kosten eines Sozialhilfeträgers erfolgenden Unterbringung in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung an in Betracht. Dabei kann offenbleiben, ob – wie die Spitzenverbände der Krankenkassen bei ihrer Besprechung vom 7./8. März 1989 (Besprechungsergebnis Nr 1.2 – DOK 1989, 93) angenommen haben – auch Heimbewohner zu befreien sind, die die Unterbringung aus eigenen Mitteln bestreiten und deren verbleibende Einnahmen zum Lebensunterhalt nicht höher sind als der Barbetrag, der nach § 21 Abs 3 BSHG als Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt wird. Selbst wenn der Vater des Klägers eine Heimunterbringung nur teilweise aus eigenen Mitteln bestreiten könnte und ein Sozialhilfeträger die Restkosten übernehmen müßte, hat das im Rahmen des § 61 SGB V keine Bedeutung, solange der Kläger nicht in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung untergebracht ist.
Der Senat hat ferner geprüft, ob eine unzumutbare Belastung auch in anderen als den in § 61 Abs 2 SGB V genannten Fällen angenommen werden kann. Dies ist jedoch zu verneinen. § 61 Abs 2 SGB V enthält eine abschließende Regelung (vgl Schellhorn, aaO, § 61 RdNr 27; Höfler in KassKomm, § 61 SGB V RdNr 5 unter Hinweis auf BT-Drucks 11/2237, S 187). Hierfür sprechen der Wortlaut der Vorschrift und die Gesetzesmaterialien. Denn es fehlt jeder Hinweis darauf, daß § 61 Abs 2 SGB V nur beispielhaft Tatbestände nennt, bei denen eine unzumutbare Belastung gegeben ist.
Entgegen der Ansicht des Klägers widerspricht die Auslegung des § 61 Abs 2 SGB V, die das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat und die der Senat für zutreffend hält, nicht dem GG. Sie verstößt weder gegen Art 3 Abs 1 GG noch gegen die Verfassungsnormen des Art 6 und 11 GG.
Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieser Grundsatz vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE 55, 72, 88; 71, 146, 154 f; 75, 382, 393). Zwar führt § 61 Abs 2 Nrn 2 und 3 dazu, daß Versicherte, die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG beziehen bzw auf Kosten eines Trägers der Sozialhilfe in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung untergebracht sind, anders behandelt werden als einkommenslose Versicherte, die im Haushalt von Angehörigen betreut und versorgt werden. Während die eine Gruppe von der Zuzahlung nach § 61 Abs 1 SGB V zu befreien ist, hat die andere Personengruppe keinen Anspruch auf Befreiung, es sei denn, daß die Voraussetzungen des § 61 Abs 2 Nr 1 SGB V vorliegen. Diese unterschiedliche Behandlung ist jedoch gerechtfertigt. Der Gesetzgeber knüpft die Annahme einer unzumutbaren Belastung jeweils an relativ einfach nachprüfbare Sachverhalte an, bei deren Vorliegen Bedürftigkeit als nachgewiesen gelten kann. Denn bevor ein Sozialhilfeträger einem Versicherten Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG gewähren kann oder für seine Unterbringung in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung aufkommt, muß eine Prüfung der Bedürftigkeit vorausgehen. Deshalb kann in aller Regel davon ausgegangen werden, daß derjenige, der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG erhält oder für dessen Unterbringung ein Träger der Sozialhilfe aufkommt, zu den Einkommensschwachen zählt (vgl in diesem Zusammenhang BT-Drucks 11/2237, S 187 zu § 69 Abs 2 und 3; s dazu auch BSG SozR 3-2500 § 61 Nr 1). Im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsspielraums darf er eine begünstigende Regelung an die Zugehörigkeit zu einer Personengruppe knüpfen, die typischerweise bestimmte Voraussetzungen – hier: Bedürftigkeit – erfüllt. Er muß nicht auf jede Besonderheit Rücksicht nehmen und dafür Sonderregelungen schaffen. Dies würde auch den Erfordernissen einer Massenverwaltung, wie sie auch den Krankenkassen obliegt, widersprechen (vgl hierzu auch BSGE 71, 244, 248). Das bedeutet aber: Der Gesetzgeber verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG, wenn er die Zugunstenregelung des § 61 SGB V vom Vorliegen bestimmter tatsächlicher Umstände abhängig macht, nicht aber von der Möglichkeit, Sozialhilfeleistungen – sei es als Hilfe zum Lebensunterhalt, sei es für eine Heimunterbringung – in Anspruch nehmen zu können.
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Familie berufen. Zwar enthält Art 6 Abs 1 GG eine verbindliche Wertentscheidung für das den gesamten Bereich der Familie betreffende Recht (vgl BVerfGE 6, 386, 389 f; 24, 119, 135; 31, 58, 67; 61, 18, 25). Die Verfassungsnorm bindet auch die Gerichte, die das einfache Recht nicht in einer Weise anwenden und auslegen dürfen, die geeignet ist, den Bestand der Familie zu beeinträchtigen (vgl BVerfGE 22, 93, 98; 28, 104, 112; 61, 18, 25). Daraus kann aber weder für den Gesetzgeber noch für die Gerichte zwingend entnommen werden, daß ein schwerbehinderter Versicherter, der persönlich keine Einnahmen hat, immer dann von der Zuzahlung befreit werden müßte, wenn er auf die Unterstützung seiner Verwandten angewiesen ist. Solange diese ihn unterhalten, sei es in ihrem Haushalt, sei es durch Aufbringung der Mittel für die Heimunterbringung, kann davon ausgegangen werden, daß seine Verwandten auch für die notwendigen Zuzahlungen zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln sowie zu stationären Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen aufkommen, er also nicht bedürftig ist. Diese schon im Rahmen der Prüfung des Art 3 Abs 1 GG erörterte Differenzierung von Personengruppen nach bestimmten tatsächlichen Merkmalen wirkt sich auch bei der Anwendung des Art 6 Abs 1 GG aus. Denn vorrangiger Prüfungsmaßstab ist Art 3 Abs 1 GG. Es wird nur die dem Gesetzgeber nach dem allgemeinen Gleichheitssatz zustehende Gestaltungsfreiheit durch Art 6 Abs 1 GG, der die Familie und die Ehe unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, beschränkt (vgl BVerfGE 17, 210, 217; 18, 257, 269; 75, 382, 393), mit der Folge, daß Versicherte jedenfalls nicht allein deshalb, weil sie in den Haushalt von Familienangehörigen aufgenommen worden sind, benachteiligt werden dürfen. Das geschieht hier aber auch nicht. Der Gesetzgeber hat seiner Regelung den Gesichtspunkt der Bedürftigkeit des Versicherten zugrunde gelegt und danach differenziert. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern dadurch der Bestand der Familie beeinträchtigt werden könnte. Dann müßte letztlich auch von der gesetzlichen Unterhaltspflicht der Verwandten (§§ 1601 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches ≪BGB≫) angenommen werden, daß sie die Familie beeinträchtigt und der Verfassungsnorm des Art 6 Abs 1 GG widerspricht. Davon kann aber keine Rede sein. Die gesetzliche Regelung über die Unterhaltspflicht von Verwandten in gerader Linie gehört zu den Bestandteilen der verfassungsmäßigen Ordnung, sie verletzt daher auch nicht das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art 2 Abs 1 GG; vgl dazu BVerfGE 6, 32, 37; 17, 306, 313; BSGE 31, 136, 138 f; 54, 281, 285 f; speziell zur Unterhaltspflicht s Frenz, NJW 1993, 1103, 1107). Soweit sozialrechtliche Normen Unterhaltsleistungen der Verwandten berücksichtigen, stehen sie somit im Einklang mit den Grundrechten.
Die Regelung des § 61 Abs 2 SGB V steht auch nicht in Widerspruch zu Art 11 GG. Die Freizügigkeit, die diese Norm gewährleistet, hat das Recht zum Inhalt, an jedem Orte innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt oder Wohnsitz zu nehmen (BVerfGE 2, 266, 273; 43, 203, 211; 80, 137, 150). Dem Kläger ist es nicht verwehrt, sich in ein Heim oder eine ähnliche Einrichtung zu begeben und dadurch möglicherweise die Voraussetzungen für die Befreiung von der Zuzahlungspflicht zu erfüllen. Solange er jedoch in dem Haushalt seiner Eltern bleibt und sich das Einkommen seines Vaters nicht wesentlich verringert, bedeuten Zuzahlungen nach der typisierenden Regelung des § 61 Abs 2 SGB V keine unzumutbare Belastung. Der Kläger mag die Pflicht, für Arznei-, Verband- und Heilmittel sowie für stationäre Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen einen Eigenanteil aufzubringen, als wirtschaftlichen Nachteil ansehen. Dies zwingt ihn aber nicht, einen bestimmten Aufenthalt im Bundesgebiet zu nehmen.
Schließlich beruft sich der Kläger auch erfolglos auf das Sozialstaatsprinzip. Unmittelbare Ansprüche können aus Art 20 GG nur insoweit hergeleitet werden, als das Existenzminimum nicht mehr gewährleistet ist. Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Staat, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zur sorgen. Es darf jedoch nicht dahin ausgelegt werden, daß mit seiner Hilfe jede Einzelregelung, deren Anwendung in bestimmten Fällen zu Härten und Unbilligkeiten führt, modifiziert werden könnte (vgl BVerfGE 26, 44, 61 f; 34, 118, 136; 36, 73, 84). Die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips obliegt vielmehr im wesentlichen dem Gesetzgeber (BVerfGE 1, 97, 105; 8, 274, 329; 36, 73, 84). Er ist daher berechtigt, im Rahmen einer typisierenden Regelung festzulegen, in welchen Fällen eine unzumutbare Belastung anzunehmen ist und die gesetzlichen Krankenkassen den Versicherten deswegen von der Zuzahlung zu befreien haben.
Die Revision konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen