Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Erstattungspflicht des Arbeitgebers. Befreiungstatbestand. sozial gerechtfertigte Kündigung. betriebsbedingte Kündigung. Unternehmerentscheidung. Sozialauswahl. tarifvertragliche Regelung
Leitsatz (amtlich)
Zum Nichteintritt der Erstattungspflicht des Arbeitgebers für gezahltes Arbeitslosengeld wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch sozial gerechtfertigte Kündigung, wenn allen nach tarifvertraglicher Regelung kündbaren Arbeitnehmern gekündigt worden ist.
Normenkette
SGB III § 147a Abs. 1 S. 1 Fassung: 2003-12-24, S. 2 Nr. 4 Fassung: 2003-12-23; KSchG § 1 Abs. 2-4
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 10 147,53 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin der beklagten Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) einschließlich hierauf entfallender Beiträge nach der hier noch anwendbaren früheren Fassung des § 147a Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) verpflichtet ist.
Die Klägerin ist ein Unternehmen im Bereich der Energieversorgung. In dem von ihr bzw ihrer Rechtsvorgängerin betriebenen Pumpspeicherwerk in M. waren 2004 insgesamt 69 Arbeitnehmer beschäftigt, unter ihnen der 1950 geborene T. W. (im Folgenden: Arbeitnehmer), der bereits seit 1980 im Produktionsbereich M. tätig war; für ihn galt eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende des Vierteljahres.
Unter dem 24.6.2002 schlossen die beteiligten Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften einen "Tarifvertrag zur sozialpolitischen Begleitung unternehmerischer Entscheidungen im Rahmen der Bildung/Strukturierung des Energiekonzerns V.". Nach diesem Tarifvertrag (TV) waren zwar betriebsbedingte Kündigungen mit einem Beendigungsdatum vor dem 31.12.2007 grundsätzlich ausgeschlossen (§ 3 Nr 1 TV). Gleichzeitig wurde aber vereinbart, die im Rahmen der Strukturierung des Energiekonzerns bzw der Umstrukturierung in den Unternehmen notwendigen Personalanpassungsmaßnahmen unter Nutzung bewährter sozialverträglicher Instrumente zu bewältigen, dazu Näheres in gesonderten Tarifverträgen bzw Betriebsvereinbarungen zu regeln und insoweit abweichend von Nr 1 auch betriebsbedingte Kündigungen zuzulassen (§ 3 Nr 4 TV). Ausweislich einer Protokollnotiz zum TV wurde zudem vereinbart, sozialverträgliche Instrumente iS von § 3 Nr 4 TV seien zB "Teilzeit, Altersteilzeit, Vorruhestand und strukturelle Kurzarbeit mit Qualifizierungsmaßnahmen".
In Umsetzung des TV vereinbarte die Klägerin am 24.4.2003 mit ihrem Gesamtbetriebsrat einen Rahmeninteressenausgleich (RI), wonach ua betriebsbedingte Kündigungen nach Maßgabe des § 3 TV ausgeschlossen waren und zu den sozialverträglichen Instrumenten ua der "Vorruhestand für alle Jahrgänge bis einschließlich 1951" zählte. Außerdem wurde ein Rahmensozialplan (RS) abgeschlossen, der für Mitarbeiter der Jahrgänge 1950 und 1951 eine Vorruhestandsregelung und insoweit ein Ausscheiden aus dem aktiven Arbeitsverhältnis frühestens mit Erreichen des 55. Lebensjahres vorsah.
In der Folgezeit legte der Stellenplanentwurf der Klägerin für die Geschäftsjahre 2004 und 2005 für das Pumpspeicherwerk M. wegen technischer Überholung und Nachrüstung sowie Auslagerung der Kraftwerksteuerung bzw eines Teils der Instandhaltung einen Personalabbau um elf von 69 Arbeitsplätzen fest.
Die Klägerin und der Arbeitnehmer vereinbarten mit Änderungsvertrag vom 1.7.2003 die Verringerung der Arbeitszeit ab 1.1.2004 auf 30 Stunden pro Woche mit entsprechend reduziertem Arbeitsentgelt, eine Versetzung in die "betriebliche Organisationseinheit H." sowie eine Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung der Bezüge.
Mit Schreiben vom 1.12.2003 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers "fristgerecht zum 30. Juni 2005" und führte zur Begründung ua aus, aufgrund des notwendigen Personalanpassungsprozesses sei eine Weiterbeschäftigung im Unternehmen nicht möglich.
Die BA bewilligte und zahlte dem Arbeitnehmer Alg für die Zeit ab 1.7.2005. Außerdem übernahm sie für ihn im gesetzlich vorgeschriebenen Umfang Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie zur Rentenversicherung.
Gegenstand des Klageverfahrens war zunächst ein von der Beklagten erlassener sog Grundlagenbescheid vom 27.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.10.2006. Das Sozialgericht (SG) hat diesen Bescheid aufgehoben (Urteil vom 4.7.2007).
Während des Berufungsverfahrens erging der Bescheid vom 28.8.2007, mit dem die Beklagte von der Klägerin gemäß § 147a SGB III Erstattung von Alg und von Beiträgen für die Zeit vom 6.4. bis 30.8.2007 in der Gesamthöhe von 10 147,53 Euro forderte. Den Widerspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.9.2007 als unzulässig zurück und führte zur Begründung aus, der Bescheid vom 28.8.2007 sei gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden.
Das Landessozialgericht (LSG) hat den Bescheid der Beklagten vom 28.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.9.2007 aufgehoben (Urteil vom 18.5.2011). In den Entscheidungsgründen hat das LSG ua ausgeführt: Über den allein noch streitgegenständlichen Erstattungsbescheid vom 28.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.9.2007 sei auf Klage zu entscheiden. Es könne dahinstehen, ob der Bescheid wegen der erst im Berufungsverfahren erfolgten Anhörung gemäß § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) bereits aus formalen Gründen rechtswidrig sei. Jedenfalls schließe der Befreiungstatbestand des § 147a Abs 1 S 2 Nr 4 SGB III eine Erstattungspflicht der Klägerin aus. Das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers sei durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet worden. Das Vorliegen dringender betrieblicher Gründe iS des § 1 Abs 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) folge aus der unternehmerischen Entscheidung der Umstrukturierung des Konzerns, der technischen Überholung und Nachrüstung des Kraftwerks M., der Auslagerung der Kraftwerkssteuerung sowie eines Teils der Instandhaltung und dem damit verbundenen Personalabbau. Die Kündigung sei auch nicht nach § 1 Abs 3 KSchG sozial ungerechtfertigt, weil der Arbeitnehmer einer der wenigen Arbeitnehmer gewesen sei, denen nach den tariflichen Regelungen habe gekündigt werden können, und die Klägerin allen entsprechenden Arbeitnehmern gekündigt habe, so dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, eine weitergehende Sozialauswahl vorzunehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) seien die tarifvertraglichen Regelungen zulässig und wirksam; eine grobe Fehlerhaftigkeit sei zu verneinen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 103 SGG und eine Verletzung des § 147a Abs 1 S 2 Nr 4 SGB III. Das LSG habe nicht ermittelt, ob der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung anderen Personen gegenüber unterhaltspflichtig iS des § 1 Abs 3 S 1 KSchG gewesen sei. Das Urteil könne auch auf dem Verfahrensfehler beruhen. Den Feststellungen des LSG sei nicht zu entnehmen, dass es keine lebensjüngeren Mitarbeiter bzw keine Mitarbeiter mit geringerer Dauer der Betriebszugehörigkeit bzw solche ohne Unterhaltspflichten gegeben habe. Die Rechtsauffassung des LSG lasse sich auch nicht auf die von diesem zitierte Rechtsprechung des BAG stützen und sie sei nicht mit der Zielsetzung der Erstattungsregelung vereinbar, nämlich der Stabilisierung der Beschäftigungsverhältnisse älterer Arbeitnehmer und Vereitelung der Frühverrentung auf Kosten der Versichertengemeinschaft. Hilfsweise werde vorgetragen, dass nach dem objektiven Inhalt des § 3 Nr 4 TV betriebsbedingte Kündigungen nicht wirksam vereinbart worden seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 18.5.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 SGG). Das LSG hat zu Recht eine Erstattungspflicht der Klägerin nach § 147a SGB III verneint.
1. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der während des Berufungsverfahrens erlassene Bescheid der Beklagten vom 28.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.9.2007, der den früheren Grundlagenbescheid in vollem Umfang ersetzt hat, Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemäß § 96 SGG geworden ist. Über diesen Bescheid ist auf Klage zu entscheiden (vgl BSGE 18, 231, 234 = SozR Nr 3 zu § 541 RVO; BSGE 87, 41, 42 = SozR 3-4100 § 128 Nr 9 S 75 mwN). Das allein den ersetzten Bescheid betreffende erstinstanzliche Urteil ist gegenstandslos geworden. Dass das LSG mit seiner Entscheidung nicht nur den Bescheid vom 28.8.2007, sondern - gewissermaßen klarstellend - auch den von der Klägerin angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 28.9.2007 aufgehoben hat, obwohl dieser bereits auf § 96 SGG verwiesen hatte, erfordert keine Änderung des zweitinstanzlichen Urteilsausspruchs.
2. Das LSG hat seiner Entscheidung zu Recht die ab 1.1.2004 geltende Fassung des § 147a SGB III - vgl Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl I 2848), Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 3002), Gesetz über den Ausgleich von Arbeitgeberaufwendungen und zur Änderung weiterer Gesetze vom 22.12.2005 (BGBl I 3686) - zu Grunde gelegt. Die Vorschrift, die nach § 434l SGB III eine Auslaufnorm ist (vgl Henke in Eicher/Schlegel, SGB III, § 147a RdNr 378, Stand Juni 2004), bleibt weiterhin anwendbar, weil der Alg-Anspruch des Arbeitnehmers am 1.7.2005 entstanden ist und sich die Anspruchsdauer somit nach § 127 Abs 2 SGB III in der vor dem 1.1.2004 geltenden Fassung richtet (vgl § 434l Abs 4 SGB III, § 434j Abs 3 SGB III).
3. Es kann dahinstehen, ob - wovon das LSG ausgegangen ist - unter den festgestellten tatsächlichen Umständen die Grundvoraussetzungen für eine Erstattungspflicht der Klägerin gemäß § 147a Abs 1 S 1 SGB III in der hier maßgeblichen Fassung erfüllt sind und ob die angefochtenen Bescheide nicht schon wegen Fehlens einer Anhörung gemäß § 24 SGB X als rechtswidrig angesehen werden können. Denn das LSG hat zu Recht angenommen, dass eine Erstattungspflicht der Klägerin jedenfalls nach § 147a Abs 1 S 2 Nr 4 SGB III ausgeschlossen ist.
a) Nach § 147a Abs 1 S 2 Nr 4 SGB III tritt die Erstattungspflicht nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass er das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat. Der Befreiungstatbestand beruht auf der Überlegung, dass es an der erforderlichen Verantwortung des Arbeitgebers für den Eintritt der Arbeitslosigkeit fehlt, wenn er sich im Rahmen des Kündigungsrechts bewegt (vgl BVerfGE 81, 156 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1 S 10 ff; BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 8; BSGE 93, 159 = SozR 4-4100 § 128 Nr 3; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, K § 147a RdNr 135, Stand 2010). Da die Befreiungsregelung allein auf die soziale Rechtfertigung der Kündigung abstellt, sind andere formelle Erfordernisse der ordentlichen Kündigung (zB die Anhörung des Betriebsrats, Einhaltung der Kündigungsfrist) irrelevant (vgl ua Voelzke aaO RdNr 138, Stand 2010; Rolfs in Gagel, SGB II/SGB III, § 147a SGB III RdNr 153, Stand Oktober 2008).
b) Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG ist das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers durch die schriftliche Kündigung des Arbeitgebers vom 1.12.2003 zum 30.6.2005 beendet worden. Dies ist nicht deswegen anders zu sehen, weil die Klägerin mit dem Arbeitnehmer eine Freistellung bereits für die Zeit ab 1.1.2004 vereinbart hatte. Denn unabhängig davon, ob während der Freistellungsphase wegen fortdauernder Arbeitnehmerpflichten noch ein Beschäftigungsverhältnis bestand, ist den tatsächlichen Feststellungen des LSG zu entnehmen, dass der Rechtsgrund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Kündigung des Arbeitgebers und nicht etwa die zuvor geschlossene Freistellungsvereinbarung gewesen ist (vgl zur Begrenzung der Überprüfung durch das Revisionsgericht BSGE 77, 49, 50 f = SozR 3-4100 § 119 Nr 9; BSGE 93, 159 = SozR 4-4100 § 128 Nr 3).
c) Die Auffassung des LSG, wonach die Klägerin das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers durch sozial gerechtfertigte Kündigung iS des § 1 KSchG beendet hat, ist nicht zu beanstanden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob für die Beurteilung auf den Kündigungsausspruch vom 1.12.2003 oder den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen ist (vgl ua BAG Urteil vom 21.4.2005, 2 AZR 241/04, BAGE 114, 258 = NJW 2006, 108; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, K § 147a RdNr 137, Stand 2010).
Nach § 1 KSchG in der bis zum 31.12.2003 gültigen Fassung des Gesetzes vom 19.12.1998 (BGBl I 3843), der durch das spätere Gesetz vom 24.12.2003 (BGBl I 3002) für den hier zu entscheidenden Fall keine wesentliche Änderung erfahren hat, ist die Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist (Abs 1, Abs 2 S 1). Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen iS des Abs 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (Abs 3 S 1).
aa) Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG war die Kündigung des Arbeitnehmers durch dringende betriebliche Erfordernisse iS des § 1 Abs 2 KSchG bedingt. Dem Berufungsurteil ist insbesondere zu entnehmen, dass für den Arbeitnehmer jedenfalls nach dem 30.6.2005 ein Arbeitsplatz nicht mehr vorhanden war. Zu der vom Arbeitnehmer bis Ende 2003 im Pumpspeicherwerk M. ausgeübten Tätigkeit hat das LSG festgestellt, dass ua wegen Auslagerung der Kraftwerkssteuerung bzw eines Teils der Instandhaltung an einen anderen Standort elf Arbeitsplätze, darunter der des Arbeitnehmers, weggefallen waren (zur sozialen Auswahl nachfolgend unter bb). Soweit der Arbeitnehmer im Zuge des Änderungsvertrags vom 1.7.2003 ab 1.1.2004 in die betriebliche Organisationseinheit H. versetzt wurde, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG, dass dort zu keinem Zeitpunkt vollwertige Arbeitsplätze vorhanden waren und jedenfalls ab 1.7.2005 ein Arbeitsplatz überhaupt nicht mehr zur Verfügung stand. Auszugehen ist ferner davon, dass der Arbeitnehmer nicht an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden konnte (vgl § 1 Abs 2 S 2 Nr 1 Buchst b KSchG; insoweit fehlt es ohnehin an einem Widerspruch des Betriebsrats, vgl § 1 Abs 2 S 2 Nr 1 Halbs 2 KSchG).
Das LSG hat auch zu Recht ausgeführt, dass die dem Wegfall des Arbeitsplatzes des Arbeitnehmers zugrunde liegenden unternehmerischen Entscheidungen nicht in Frage zu stellen sind. Dabei ist zu beachten, dass im gerichtlichen Verfahren nur zu prüfen ist, ob die zum Wegfall des Beschäftigungsverhältnisses führende unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und, wenn ja, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (vgl BAG Urteile vom 7.12.1978, 2 AZR 155/77, BAGE 31, 157; vom 29.3.1990, 2 AZR 369/89, BAGE 65, 61; vom 17.6.1999, 2 AZR 522/98, BAGE 92, 61, und vom 7.7.2005, 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266). Insoweit ergeben sich aus den Feststellungen des LSG unter Einbeziehung des Akteninhalts keine Anhaltspunkte, die gegen das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse iS des § 1 Abs 2 KSchG sprechen könnten.
bb) Dem LSG ist auch zuzustimmen, soweit es die Kündigung des Arbeitnehmers nicht als sozial ungerechtfertigt iS des § 1 Abs 3 KSchG angesehen hat. Insbesondere ist unter den Umständen des vorliegenden Falles - Kündigung aller unter Berücksichtigung tarifvertraglicher Regelungen kündbaren Arbeitnehmer - davon auszugehen, dass keine (zusätzliche) Sozialauswahl erforderlich war.
Der Senat entnimmt zunächst den Regelungen des TV, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien zwar grundsätzlich betriebsbedingte Kündigungen mit einem Beendigungsdatum vor dem 31.12.2007 ausgeschlossen waren (§ 3 Nr 1 TV), dass aber dennoch unter dem Vorbehalt der Nutzung "sozialverträglicher Instrumente" und des Vorliegens gesonderter Vereinbarungen betriebsbedingte Kündigungen möglich waren (§ 3 Nr 4 TV, Protokollnotiz zum TV). Die Regelungen des TV, der sich in seinem Geltungsbereich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (§ 162 SGG), sind der revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich (vgl BSG SozR 4100 § 117 Nr 14; SozR 3-2500 § 47 Nr 5). Der Senat folgt auch nicht dem (hilfsweisen) Vorbringen der Revision, nach dem objektiven Inhalt des § 3 Nr 4 TV seien keine betriebsbedingten Kündigungen wirksam vereinbart worden. Vielmehr ist § 3 TV dahingehend auszulegen, dass der in § 3 Nr 1 TV vorgesehene Kündigungsschutz stets unter dem Vorbehalt der einschränkenden Regelung in § 3 Nr 4 TV stand.
Aus den genannten Regelungen des TV und den in Umsetzung des TV getroffenen Vereinbarungen des RI und des RS ergibt sich, dass der Arbeitnehmer zu jenen Arbeitnehmern zählte, bei denen betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden konnten. Denn für ihn waren "sozialverträgliche Instrumente" iS des TV vorgesehen, die er - wie der Änderungsvertrag vom 1.7.2003 und die darin ua vereinbarte "betriebliche Kurzarbeit" zeigen - auch in Anspruch genommen hat. Den Feststellungen des LSG lässt sich weiter entnehmen, dass die Klägerin allen Arbeitnehmern, denen unter den genannten Voraussetzungen betriebsbedingt gekündigt werden konnte, auch tatsächlich gekündigt hat.
Nach der Rechtsprechung des BAG können die Tarifvertragsparteien Voraussetzungen und Ausnahmen eines Kündigungsschutzes eigenständig regeln (vgl BAG Urteil vom 5.6.2008, 2 AZR 907/06, AP Nr 179 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = NZA 2008, 1120; Urteil vom 26.6.2008, 2 AZR 1109/06, AP Nr 180 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung = NZA-RR 2009, 205). Dabei ist ihnen ein weiter Gestaltungsspielraum einzuräumen, der allerdings nicht zu einer grob fehlerhaften Auswahl führen darf (vgl § 1 Abs 4 KSchG: BAG Urteil vom 27.2.2002, 9 AZR 562/00, BAGE 100, 339 = NZA 2002, 1099; Urteil vom 5.6.2008, 2 AZR 907/06, aaO). Auch wenn das BAG die Frage noch nicht abschließend geklärt hat, ob und in welchem Umfang die durch einen tarifvertraglichen Kündigungsausschluss besonders kündigungsgeschützten Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einzubeziehen sind (vgl ua Lerch, NZA 2011, 1388 f - unter Hinweis auf BAG Urteil vom 5.6.2008, aaO sowie Anm Boemke in jurisPR - ArbR 46/2008 Anm 2), ist es folgerichtig, die Herausnahme tarifvertraglich unkündbarer Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl nicht im Hinblick auf den zwingenden Charakter des § 1 Abs 3 KSchG abzulehnen. Dies entspricht auch der in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung (vgl Griebeling in KR-Komm, 10. Aufl 2013, § 1 KSchG RdNr 666; Deinert in Kittner/Däubler/Zwanziger, Komm zum Kündigungsschutzrecht, 8. Aufl 2011, § 1 KSchG RdNr 611 - jeweils mwN; Buse, Die Unkündbarkeit im Arbeitsrecht, Diss 2009, S 200 ff - zum Meinungsstand; aA ua v Hoyningen-Huene/Linck, Komm zum KSchG, 15. Aufl 2013, § 1 RdNr 921 ff; Oetker in Erfurter Komm zum Arbeitsrecht, 13. Aufl 2013, 430 KSchG § 1 RdNr 312; Löwisch/Spinner, Komm zum KSchG, 9. Aufl 2004, § 1 RdNr 360 mwN).
Unter Beachtung der in der Rechtsprechung des BAG entwickelten Maßstäbe ist deshalb im vorliegenden Fall von der Zulässigkeit der in § 3 Nr 1 und § 3 Nr 4 TV in Verbindung mit der Protokollnotiz zum TV geschaffenen Regelung auszugehen, wonach nur Arbeitnehmern, für die bestimmte sozialverträgliche Instrumente vorgesehen waren, ordentlich gekündigt werden konnte. Da in Umsetzung dieser Regelung allen kündbaren Arbeitnehmern auch tatsächlich gekündigt wurde und deshalb innerhalb dieses Personenkreises eine Sozialauswahl ohnehin ausschied, kommt jedenfalls bei dieser Sachlage eine (zusätzliche) Sozialauswahl nach § 1 Abs 3 KSchG unter Einbeziehung tarifvertraglich unkündbarer Arbeitnehmer nicht in Betracht. Insofern geht auch das Vorbringen der Revision, das LSG habe die Amtsermittlungspflicht verletzt, ins Leere.
Dieses Ergebnis entspricht zudem § 1 Abs 4 KSchG, wonach bei Festlegung der Bewertung sozialer Gesichtspunkte in einem Tarifvertrag die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann (vgl hierzu auch Buse, aaO, S 204 mwN). Eine grobe Fehlerhaftigkeit vermag der Senat nicht zu erkennen. Insoweit ist zu beachten, dass nach den Bestimmungen des TV bzw des RI und des RS die Möglichkeit der Kündigung nur für Arbeitnehmer eröffnet wurde, denen bei Verlust des Arbeitsplatzes anderweitige Absicherungen im Sinne vorgesehener sozialer Instrumente zur Verfügung standen. Die tarifliche Regelung stellt mit dieser Differenzierung die Schutzvorschrift des § 1 Abs 3 S 1 KSchG nicht "auf den Kopf" (vgl BAG Urteil vom 5.6.2008, aaO). Denn die "sozialverträglichen Instrumente" galten - wie bereits das LSG zutreffend ausgeführt hat - nicht nur für ältere Arbeitnehmer. Es bedarf deshalb auch keines näheren Eingehens auf die Einzelheiten der - hier noch maßgebenden - Rechtslage vor Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 14.8.2006 (BGBl I 1897) am 18.8.2006.
Die Annahme der sozialen Rechtfertigung der Kündigung des Arbeitnehmers steht schließlich auch nicht im Widerspruch zu den Zielen der Erstattungsregelung des § 147a SGB III. Denn bei der verhaltenssteuernden Funktion der Regelung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl BVerfGE 81, 156 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1). Die vorliegende Beteiligung der Tarifpartner rechtfertigt es, für den Eintritt der Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers eine besondere Verantwortung des Arbeitgebers iS der Erstattungsregelung zu verneinen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung, die Festsetzung des Streitwerts auf § 197a SGG iVm § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 5094212 |
BSGE 2014, 277 |
DB 2013, 8 |